Das Evangelium unter die Leute bringen

Kundgebung der Synode der EKD

Kundgebung
der Synode der Evangelischen Kirche in Deutschland
auf ihrer 4. Tagung
zum Schwerpunktthema
"Reden von Gott in der Welt -
Der missionarische Auftrag der Kirche an der Schwelle zum 3. Jahrtausend"

"Kommt her, höret zu; ich will erzählen, was Gott an mir getan hat" (Psalm 66,16). Wer glaubt, kann nicht stumm bleiben. Wer glaubt, hat etwas zu erzählen von der Güte Gottes. Darum tragen wir die Bilder des Lebens, des Trostes und der Sehnsucht weiter und treten ein für die Sache Gottes - leise und behutsam, begeistert und werbend. So folgen wir dem Auftrag Jesu Christi. Dafür brauchen wir die Gemeinschaft mit anderen: die Gemeinschaft der Mütter und Väter, die vor uns geglaubt und ihren Erfahrungen mit dem lebendigen Gott in Geschichten und Liedern, Bildern und Gebeten Ausdruck gegeben haben, und die Gemeinschaft der Geschwister, die gemeinsam und vielsprachig für den Glauben eintreten.

Die Synode der Evangelischen Kirche in Deutschland bittet die Gemeinden, die Leitungsgremien, die Hauptamtlichen, die Ehrenamtlichen und alle Christinnen und Christen, sich in dieser Perspektive neu auf ihren missionarischen Auftrag zu besinnen.

I. Gott hat uns eine Botschaft anvertraut, die die Mühseligen und Beladenen erquickt und die Starken davor bewahrt, sich von Leistung und Erfolg ein erfülltes Leben zu versprechen. Diese Botschaft wollen wir weitersagen, mit dieser Botschaft werden wir gebraucht.

Alle Bemühungen um den missionarischen Auftrag fangen damit an, zu erkennen und zu beschreiben, wie schön, notwendig und wohltuend die christliche Botschaft ist. Sie zielt auf die Antwort des Glaubens.

Gottes gute Nachricht für jeden Menschen enthält drei elementare Zusagen. Sie gibt nicht nur jedem und jeder einzelnen Zuversicht und Orientierung, sie kommt auch dem Gemeinwohl zugute:

Du bist ein wunderbares Wesen (Psalm 139,14).

Gott hat uns ins Leben gerufen. Wir sind von Gott gewollt, wir sind ihm wichtig, wir sind sein unverwechselbares Geschöpf. Gott hat uns mit Würde und Ehre ausgestattet. Wir müssen sie uns nicht erst durch eigene Anstrengung verdienen. Keine Macht der Welt kann sie uns absprechen. Gott schenkt uns Wachstum und Gedeihen. Auch wenn wir scheitern, verlässt er uns nicht, er bleibt uns nah auch auf den schweren Wegstrecken unseres Lebens. Wenn unsere Lebenszeit auf dieser Welt zu Ende ist, sind wir dennoch nicht am Ende. Gott hat uns dazu erwählt, mit ihm in Ewigkeit zu bleiben.

Eine Kirche, die diese Botschaft weitergibt, fördert eine Kultur der Bejahung: Niemand muß sich dafür rechtfertigen, daß er oder sie da ist. Leistungen sind wichtig, sie stärken das Selbstbewußtsein und fördern das Wohl aller, doch an ihnen entscheidet sich nicht, ob das Leben gelingt. Alle werden ermutigt, die eigenen Gaben zu entdecken und die der anderen wertzuschätzen. Wo dies geschieht, werden Menschen weder geduckt noch gedemütigt, sie werden aufgerichtet und ermutigt, sie selbst zu werden.

Du bist nicht verloren (Lukasevangelium 15).

Gott gibt uns nie auf. Er kennt keine hoffnungslosen Fälle. Er hält seinen Geschöpfen die Treue, auch wenn sie sich von ihm abwenden und die Werke seiner Schöpfung mißachten und schädigen. Dafür steht Jesus Christus. In ihm hat Gott die Situation menschlicher Sünde und Ungerechtigkeit geteilt, bis zum Tode am Kreuz. Mit seiner Auferweckung hat Gott mitten in unserer Geschichte einen neuen Anfang mit uns gemacht. In Jesus Christus wendet er sich jedem Menschen gnädig zu und vergibt ihm seine Schuld. Darum braucht niemand die eigene Schuld zu verdrängen und die eigene Sünde zu verschleiern.

Eine Kirche, die diese Botschaft weitergibt, fördert eine Kultur der Wahrhaftigkeit und der Achtsamkeit: Sie ermutigt Menschen und Gemeinschaften, sich zur eigenen Schuld zu bekennen und gerade damit auf die Verantwortlichkeit für Unrecht und Elend hinzuweisen. Einer Verharmlosung des Bösen wehrt sie ebenso wie resignativer Ergebenheit. Die Bitte um Erlösung von dem Bösen befreit dazu, dem Bösen schon jetzt nach Kräften die Stirn zu bieten. Eine Kirche, die diese Botschaft weitergibt, misst politische und gesellschaftliche Strukturen an der Perspektive der Verlierer. Sie leiht denen ihre Stimme, die keine Lobby haben, und sie steht mit guten Worten und heilsamen Taten an der Seite derer, die die Hoffnung verloren haben.

Du bist zur Freiheit befreit (Galaterbrief 5,1).

Jesus Christus macht uns frei - frei von der Herrschaft der Mächte dieser Welt und frei zur Verantwortung für die Welt. "Ein Christenmensch ist ein freier Herr über alle Dinge und niemandem untertan" und zugleich in Nächstenliebe und Übernahme von Verantwortung "ein dienstbarer Knecht aller Dinge und jedermann untertan" (Martin Luther). Keine Herrschaft von Menschen und Sachzwängen hat göttliche Qualität, sie kann keine letzte Macht über uns beanspruchen. Die Dinge dieser Welt bekommen unter Christus ihr weltliches Maß. So dienen sie dazu, zum Besten der Gemeinschaft und jedes und jeder einzelnen zu wirken.

Eine Kirche, die diese Botschaft weitergibt, fördert eine Kultur der Aufklärung: Sie übt selber Religionskritik, wenn Menschen in Abhängigkeit von Aberglaube und Ideologie geraten. In den notwendigen Auseinandersetzungen bemüht sie sich um eine kritische Prüfung der Geister. Denn "der heilige Geist ist ein Freund des gesunden Menschenverstandes" (Karl Barth).

II. Gott will, daß allen Menschen geholfen werde und sie zur Erkenntnis der Wahrheit kommen. Wir müssen die Ziele, die wir uns bei unserem missionarischen Handeln setzen, am Willen Gottes messen.

1. Mission geschieht nicht um der Kirche willen. Die Kirche ist hineingenommen in die Mission Gottes. Wir haben den Auftrag, Menschen die Augen zu öffnen für die Wahrheit und die Schönheit der christlichen Botschaft. Wir wollen sie dafür gewinnen, dass sie sich in Freiheit an Jesus Christus binden und sich zur Kirche als der Gemeinschaft der Glaubenden halten. Diese Bindung geschieht grundlegend in der Taufe. Wer getauft ist, gehört fortan zu Christus. Eine Kirche, die Kinder tauft, ist dazu verpflichtet, zum persönlichen Glauben hinzuführen. "Wenn der Glaube nicht zur Taufe kommt, ist die Taufe nichts nütze" (Martin Luther).

Der Leib Christi soll wachsen. Darum wollen die Kirchen Mitglieder gewinnen. Dafür setzen wir uns kräftig ein. Eine Kirche, die den Anspruch, wachsen zu wollen, aufgegeben hat, ist in der Substanz gefährdet.

Die Mission der Kirche hat eine ökumenische Dimension. Es kommt nicht in erster Linie auf den Mitgliederzuwachs in der eigenen Kirche an, sondern darauf, daß Menschen überhaupt eine kirchliche Beheimatung finden. Eine gezielte Abwerbung von Mitgliedern verstößt gegen diesen ökumenischen Geist. Weil wir von der einen Kirche Christi her denken, freuen wir uns auch über das Wachsen anderer christlicher Kirchen.

2. Es gibt innerhalb der christlichen Gemeinde nicht die eine Normalform des christlichen Glaubens und Lebens. Wir respektieren es, daß gegenüber der christlichen Gemeinde sehr unterschiedliche Grade der Intensität von Zugehörigkeit und Mitarbeit gewollt und gelebt werden.

Andere wollen sich nicht mehr auf eine bestimmte, vorgegebene Glaubensüberzeugung einlassen, sondern ihre "Religion" aus unterschiedlichen Elementen selbst zusammenstellen. Gott ist allen Menschen gegenwärtig. Darum entdecken wir auch außerhalb der Kirche Zeichen der Bindung an den christlichen Glauben und insofern "Freundinnen und Freunde" der christlichen Gemeinde. Wir suchen den Dialog mit diesen Menschen - auch weil wir wissen wollen, ob sie Anliegen vertreten, die in unserer Kirche vernachlässigt werden.

3. Eine Verständigung über Auftrag und Praxis der Mission heute steht im Schatten früherer Perioden der Christentums- und Kirchengeschichte. Die Geschichte der Mission war auch eine Geschichte von Schuld und Scheitern, für die Vergebung zu suchen und aus der zu lernen ist. Die pauschale Diskreditierung der Geschichte der christlichen Mission ist aber ungerechtfertigt. Sie wird gerade von den Menschen in den einstigen Missionsgebieten Afrikas oder Asiens selbst zurückgewiesen; sie erzählen uns von segensreichen Auswirkungen der christlichen Mission vergangener Jahrhunderte, die bis heute spürbar sind.

Inzwischen hat sich das Verständnis des missionarischen Auftrags tiefgreifend verändert. Mission behält die Absicht, andere Menschen zu überzeugen, d.h. mitzunehmen auf einen Weg, auf dem die Gewißheit des christlichen Glaubens ihre eigene Gewissheit wird. Aber sie tut dies in Demut und Lernbereitschaft.

Eine so verstandene Mission hat nichts mit Indoktrination oder Überwältigung zu tun. Sie ist an der gemeinsamen Frage nach der Wahrheit orientiert. Sie verzichtet aus dem Geist des Evangeliums und der Liebe auf alle massiven oder subtilen Mittel des Zwangs und zielt auf freie Zustimmung. Eine solche Mission ist geprägt vom Respekt vor den Überzeugungen der anderen und hat dialogischen Charakter. Der Geist Gottes, von dem Christus verheißen hat, daß er uns in alle Wahrheit leiten wird (Johannesevangelium 16,13), ist auch in der Begegnung und dem Dialog mit anderen Überzeugungen und Religionen gegenwärtig.

III. Gott hat uns nicht den Geist der Furcht gegeben, sondern den Geist der Kraft und der Liebe und der Besonnenheit. Darum nehmen wir die Situation, in der wir uns heute befinden, und die Schwierigkeiten, die damit gegeben sind, nüchtern in den Blick.

1. In der pluralistischen Gesellschaft konkurrieren Heilsbotschaften und Weltanschauungen miteinander. Wenn die Kirche Menschen erreichen will, befindet sie sich faktisch in einer Marktsituation. Dabei konkurriert ihr "Angebot" mit anderen "Angeboten". Um diesen Wettbewerb zu bestehen, muss sie die Fähigkeit haben oder entwickeln, sich auf die veränderte Situation einzustellen.

2. Mit der Pluralisierung nimmt die Verschiedenheit der Adressaten der christlichen Verkündigung zu. Wir müssen unser Bewußtsein für die Notwendigkeit einer adressatenorientierten, spezifischen Verkündigung von Gottes guter Nachricht schärfen. Gegenüber den Kirchenmitgliedern "in Halbdistanz", den aus der Kirche Ausgetretenen und den mit der christlichen Tradition überhaupt nicht mehr in Berührung Gekommenen bedarf es einer je unterschiedlichen Weise, vom Glauben zu reden. Dabei dürfen wir nicht darauf warten, daß die Menschen von sich aus das Gespräch über Gott und die Welt suchen. Wir müssen auf sie zugehen und mit der christlichen Botschaft in den Lebenszusammenhängen der dem Glauben ferngerückten oder entfremdeten Menschen gegenwärtig sein.

Wer sich auf diesen Weg macht, muss die eingefahrenen Wege verlassen, den Mut zum Experiment haben, eine neue Sprache probieren. Uns ist hier beides abverlangt: ganz bei den Menschen und ganz bei Gottes Sache zu sein. Wer so auf die Menschen zugeht und sich auf sie einlässt, darf mit positiven Veränderungen rechnen: bei sich selbst und in den Gemeinden.

3. Säkularisierung und Traditionsabbruch sind in Deutschland insgesamt immer stärker spürbar. Im Gebiet der ehemaligen DDR haben wir es allerdings mit einer besonderen Situation zu tun. Dort sind Christen deutlich in der Minderheit gegenüber der durch anhaltende Konfessionslosigkeit geprägten Bevölkerung. Zehn Jahre nach der "Wende" sieht es nicht so aus, als könnte sich das in absehbarer Zeit ändern. Die Menschen haben die Kirche massenhaft verlassen, sie sind aber nur als einzelne zurückzugewinnen. Missionarische Konzepte, die im westlichen Teil Deutschlands gebräuchlich sind und Menschen im Blick haben, die noch etwas von Christentum und Glauben wissen, sind im östlichen Teil weniger geeignet. Wer über zwei und sogar über mehrere Generationen zum christlichen Glauben und zur Kirche kein Verhältnis mehr hat, kann nicht unter die "Distanzierten" gerechnet werden. Im Kontakt mit Konfessionslosen wird es in besonderer Weise darauf ankommen, nach den Orten und Erfahrungen zu suchen, wo die christliche Botschaft die Lebensfragen der Menschen berührt und wo sich der Glaube als eine Hilfe in konkreten Lebensumständen erweist.

4. Wir freuen uns über alle ermutigenden Erfahrungen mit der Weitergabe des Glaubens. Aber vielen fällt es schwer, verständlich und überzeugend von ihrem Glauben zu reden. Das ruft Gefühle der Sprachlosigkeit, ja der Peinlichkeit hervor. Die Ursache ist insbesondere bei einer mangelnden Bildung im Glauben zu suchen. Die in der Kindheit erworbene Gestalt des Glaubens trägt nicht mehr, und ein solider Unterricht für Erwachsene wird vielfach nicht angeboten oder nicht in Anspruch genommen. Das Problem entsteht aber auch daraus, daß Glaubensfragen als eine höchst persönliche Angelegenheit betrachtet werden und aus dem privaten und öffentlichen Gespräch weithin verdrängt worden sind. Den Satz, daß Religion Privatsache sei, haben viele so sehr verinnerlicht, daß der Glaube zur "Intimsphäre" geworden ist. Über die Fragen des Glaubens schweigen wir verschämt. Das darf so nicht bleiben. Wir brauchen mehr Selbstbewußtsein und Mut, im privaten und öffentlichen Gespräch zu unserem Glauben zu stehen und von seiner Lebensdienlichkeit Rechenschaft zu geben. Und wir brauchen mehr Bildung und Anleitung, um über die unzureichenden Versuche, an denen wir heute leiden und scheitern, hinauszugelangen. Eine neue Sprachlehre des Glaubens ist nötig.

5. Dass Gott uns nicht den Geist der Furcht, sondern der Kraft und der Liebe und der Besonnenheit gegeben hat, macht Mut zum Ausprobieren neuer Formen und Ausdrucksweisen. Mission der Kirche geschieht in der Kraft des heiligen Geistes. Er lehrt alles und erinnert an alles, was Christus gesagt hat (Johannesevangelium 14,26). Darin ist er lebendig und schöpferisch.

IV. Es sind verschiedene Gaben, aber es ist derselbe Geist Gottes, der das alles wirkt. Wir brauchen in der Kirche die Vielfalt missionarischer Wege und Konzepte, die unscheinbaren alltäglichen Bemühungen ebenso wie die groß angelegten Aktionen.

1. Von dieser Tagung der Synode geht das Signal aus: Die evangelische Kirche setzt das Glaubensthema und den missionarischen Auftrag an die erste Stelle, sie gibt dabei einer Vielfalt von Wegen und Konzepten Raum, ihr ist an der Kooperation und gegenseitigen Ergänzung dieser unterschiedlichen Wege und Konzepte gelegen.

Es hat eine Zeit gegeben, in der es den Anschein haben konnte, als sei die missionarische Orientierung das Markenzeichen nur einer einzelnen Strömung in unserer Kirche. Heute sagen wir gemeinsam: Weitergabe des Glaubens und Wachstum der Gemeinden sind unsere vordringliche Aufgabe, an dieser Stelle müssen die Kräfte konzentriert werden. Dabei gibt es keine Alleinvertretungsansprüche. Wir werden dem missionarischen Auftrag nur gerecht, wenn wir eine Vielfalt der Wege und Konzepte bejahen.

2. Für missionarisches Handeln - auf der Ebene der Gesamtkirche ebenso wie in den Einzelgemeinden - gibt es in unserer Kirche viele Angebote und Hilfen. Freie Werke und Verbände spielen dabei seit langem eine wichtige Rolle. Zusammengefaßt in der Arbeitsgemeinschaft Missionarische Dienste (AMD) bestehen zahlreiche Einrichtungen und Initiativen, die schon über Jahrzehnte unermüdlich und phantasievoll auf dem Feld des missionarischen Handelns tätig sind, Hilfestellung anbieten und Anregungen geben, z.B. für Bibelwochen, Besuchsdienst, Hauskreisarbeit oder Glaubensseminare. Die landeskirchlichen Ämter für missionarische Dienste brauchen in einer Situation, in der unter finanziellen Gesichtspunkten die Prioritäten kirchlicher Arbeit neu bestimmt werden, unsere Unterstützung. Dringend benötigt werden Impulse in der missionarischen Ausbildung, nicht nur an den besonderen Ausbildungsstätten, sondern vor allem auch in der Aus- und Fortbildung der Pfarrerinnen und Pfarrer an den theologischen Fakultäten, Predigerseminaren und Pastoralkollegs. Weltmission und missionarisches Handeln in unserem eigenen Land befruchten sich gegenseitig; das zeigt sich nicht zuletzt an der Arbeit der regionalen Missionswerke und des Evangelischen Missionswerks in Deutschland (EMW).

Über die speziellen Aktionen und Handlungsmöglichkeiten hinaus hat auch das ganz "normale" Leben der Kirchen und ihrer Gemeinden eine missionarische Dimension. In vielfältiger Weise ergeben sich Gelegenheiten, Menschen zu erreichen und anzusprechen, die dem christlichen Glauben entfremdet sind oder fernstehen: bei den Kasualien, in der Jugendarbeit, auch im sonntäglichen Gottesdienst. Neben den Orten, an denen die christliche Botschaft unmittelbar ausgerichtet wird, sollten die Gelegenheiten nicht übersehen und versäumt werden, wo dies mittelbar geschieht. Es gibt eine ansprechende Indirektheit, etwa bei der Kirchenmusik, den Kirchengebäuden oder beim Sonntag. Eine Kirche, die sich für den Schutz des Sonntags einsetzt, ist schon darin missionierende Kirche. Der Sonntag ist ein indirekter Zeuge des schöpferischen und sein gottloses Geschöpf rechtfertigenden Gottes, weil er den Rhythmus unseres tätigen, ständig auf Leistungen bedachten Lebens elementar unterbricht.

Besondere Aufmerksamkeit verdient der Bildungsbereich: Einrichtungen der Elementarerziehung, Schulen, Akademien u.a. In Erziehung, Bildung und Unterricht geschieht Weitergabe des Glaubens inmitten von Lebensfragen. Hier wird der Glaube lebensbegleitend weitergegeben, es wird persönliche Begegnung mit dem Evangelium angebahnt und zur gedanklichen Auseinandersetzung mit ihm ermutigt. Entscheidend sind dabei die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Bildungseinrichtungen, ihre bewusste christliche Identität, ihre Stärkung durch Gemeinden.

Diakonie und Mission stehen in einem engen Zusammenhang. Die Diakonie hat teil am Auftrag der Kirche, die Botschaft von der Liebe und Gerechtigkeit Gottes auszurichten und zum Glauben an Jesus Christus einzuladen. Die Menschen, denen wir mit Taten der Nächstenliebe helfen, brauchen ebenso Worte des Trostes, des Zuspruchs und der Ermutigung.

Zu einer so verstandenen missionarischen Arbeit gehört die intensive Aufmerksamkeit für alle Glieder der Gemeinde. Solche "Mitgliederpflege" wird in unserer Kirche nur in Ansätzen betrieben. Offen oder unterschwellig dominiert der Gedanke, diejenigen, die bereits zur Kirche gehören, könnten - oder müßten sogar - von sich aus die kirchlichen Angebote wahrnehmen und aufgreifen. Es kommt darauf an, den Menschen nachzugehen, sie anzusprechen und zu besuchen. Hausbesuche sind durch nichts zu ersetzen. Daß eine Gemeinde die Neuzugezogenen willkommen heißt, ihnen den Weg in ihre Ortsgemeinde erleichtert und ihnen einen Besuch anbietet, sollte als ein Akt freundlichen Entgegenkommens selbstverständlich sein.

3. Mission ist aber keineswegs nur eine Sache der kirchlichen Institution und ihrer speziellen Dienste. Immer deutlicher wird heute in unserer Kirche erkannt, welchen Schatz - neben der wichtigen Funktion der Hauptamtlichen - die Ehrenamtlichen darstellen. Dabei dürfen wir uns nicht nur darauf stützen, was die Menschen an persönlichen Begabungen und Fähigkeiten von sich aus mitbringen. Sie brauchen Ermutigung, und sie brauchen Förderung. Darum muss es besondere Angebote der Schulung, der Weiterbildung, der Qualifizierung geben.

Jeder Christ ist an seinem Platz ein Botschafter Jesu Christi - ob Mann oder Frau, alt oder jung, im Berufsleben oder beim alltäglichen Gespräch auf der Straße, in öffentlichen Ämtern oder im persönlichen Kontakt. Große missionarische Chancen liegen heute gerade auf dieser Ebene. Um so mehr Bedeutung hat es, dass jeder einzelne Christenmensch mit seiner persönlichen Reputation und Glaubwürdigkeit für die Weitergabe des Glaubens einsteht.

Dabei soll niemand sagen: Ich bin mit meinem eigenen Glauben noch nicht so weit, daß ich dieser Aufgabe gerecht werden könnte. Wir wachsen und werden im Glauben gewisser, wenn wir zu anderen und mit anderen von ihm reden.

Je mehr die Kirche missionierend aus sich herausgeht, desto besser lernt sie dabei auch sich selbst kennen. Bei dem Versuch, der Welt die Augen zu öffnen, gehen der Kirche und jedem einzelnen Christenmenschen die Augen über sich selbst auf. Eine Kirche, die ihren Schatz unter die Leute bringt, wird staunend entdecken, wie reich sie in Wahrheit ist.

4. Ein wichtiger Ort, an dem der christliche Glaube weitergegeben und verständlich gemacht werden kann, ist die Familie. Hier kann zum ersten Mal und grundlegend erfahren werden, wie es aussieht, im eigenen Leben auf Gott zu vertrauen, von Gott zu erzählen und zu Gott im Gebet zu reden. Wir ermutigen vor allem Mütter, Väter und Großeltern, zu ihrem Glauben zu stehen und ihn nicht zu verstecken. Wir bitten sie, mit ihren Kindern und Enkelkindern zu beten, auch wo das von anderen zunächst als befremdlich empfunden werden mag: bei den gemeinsamen Mahlzeiten, am Anfang und am Ende des Tages, in den Situationen besonderen Glücks und Unglücks. Kinder lernen am intensivsten aus dem, was ihnen selbstverständlich und unverkrampft vorgelebt wird.

5. Alle missionarischen Bemühungen stehen in einem bestimmten kulturellen Kontext. Dieser kulturelle Kontext kann sich auf die Erfüllung des missionarischen Auftrags der Kirche förderlich auswirken, und er kann hemmend und störend sein. Die jüngste deutsche Geschichte belegt dies in eindrücklicher Weise. Die Begegnungsfelder von christlichem Glauben und Kultur - insbesondere Bildung und Wissenschaft, Medien, Kunst und Film, aber auch Jugendkultur und politische Kultur - bedürfen deshalb verstärkter Aufmerksamkeit und Pflege. Die Synode begrüßt ausdrücklich den Konsultationsprozeß zum Verhältnis von Protestantismus und Kultur, den der Rat der Evangelischen Kirche in Deutschland und das Präsidium der Vereinigung Evangelischer Freikirchen mit ihrem Impulspapier "Gestaltung und Kritik" eingeleitet haben.

6. Wir stehen an der Schwelle zum dritten Jahrtausend. Es ist dies ein Zeitpunkt, an dem überall in unseren Kirchen die Dringlichkeit der missionarischen Aufgabe neu erkannt und in den Vordergrund gerückt worden ist. Wir brauchen dafür alle Kompetenz und alle Kraft, die wir aufbieten können. Dabei vertrauen wir darauf: "Wir sind es doch nicht, die da die Kirche erhalten könnten. Unsere Vorfahren sind es nicht gewesen. Unsere Nachfahren werden's auch nicht sein; sondern der ist's gewesen, ist's noch und wird's sein, der da sagt: 'Ich bin bei euch alle Tage.' " (Martin Luther).

Leipzig, 11. November 1999
Der Präses der Synode
der Evangelischen Kirche in Deutschland

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