„Die Freunde von Salamiyya“
Wie ein Verein in Syrien Hoffnung verbreitet

Nach langer Abwesenheit kehre ich in meine Heimatstadt Salamiyya zurück. Vieles hat sich
verändert. Vielleicht ähnelt sie noch der Stadt meiner Erinnerungen – aber die Gebäude wirken
erschöpft, Armut schleicht durch die Gassen und hinterlässt sichtbare Spuren.
Salamiyya liegt im Herzen Syriens und besitzt einen einzigartigen Charakter. Die Mehrheit der
Einwohner:innen gehört der ismailitischen Glaubensgemeinschaft an – einer religiösen Minderheit
mit rund siebzigtausend Mitgliedern. Ismailiten gelten als weltoffen, gemäßigt und bildungsnah.
Ihre starke kulturelle Identität zeigt sich in einer tief verwurzelten literarischen Tradition, einem
regen Gemeinschaftsleben und dem Glauben an friedlichen Wandel durch Bildung und
Engagement.
Diese kulturelle Verwurzelung hat es der Bevölkerung ermöglicht, sich auch unter jahrzehntelanger
Repression zu behaupten. Trotz Kontrolle und Angst ist es den Menschen gelungen, eine Form der
Selbstbehauptung zu entwickeln. Heute, nach dem politischen Umbruch, zeigt sich Salamiyya als
Ort, an dem bürgerschaftliches Engagement und kultureller Ausdruck eine zentrale Rolle spielen.
Ein Beispiel dafür ist der Verein „Die Freunde von Salamiyya“.
Entstanden sind die „Freunde von Salamiyya“ 2006. Das war lange vor dem Beginn der syrischen Revolution 2011, die schnell in einen bewaffneten Kampf zwischen Regierung, progressiven Kräften und islamistischen Fraktionen kippte. Erst mit dem Sturz von Baschar al Assad im Dezember 2024 konnte dieser Kampf beendet werden. Wichtigstes Ziel war damals wie heute, dass es den Menschen von Salamiyya besser gehen soll. Von Anfang an haben die „Freunde von Salamiyya“ dafür eine doppelte Strategie entwickelt: Sie setzen zugleich auf sozio-kulturelle und auf entwicklungspolitische Förderung. Vor allem aber geht es darum, die Bewohner:innen der Stadt aktiv in die Gestaltung des Lebens und in die Verwaltung einzubeziehen.
„Schauen Sie sich einmal an, wie schön der Stadtpark geworden ist“, sagt Akram Al-Qasir, der Vorsitzende des Vereins. Hinter einer frisch gestrichenen, niedrigen Mauer sprießt frisches Grün, Vögel zwitschern in den alten Bäumen. Denen sieht man an, dass sie in vielen Jahren einiges durchgemacht haben. Doch der neue Stadtpark scheint ihnen ebenso gut zu tun wie allen anderen.
Neben diesem großen Mitmachprojekt, durch das die Bewohner:innen der Stadt auch in schwierigen Zeiten in Kontakt blieben und eine gemeinsame Aufgabe hatten, konnten die „Freunde von Salamiyya“ auch ganz praktisch den Menschen unter die Arme greifen: Wenn etwa Treibstoffmangel herrschte, organisierten die „Freunde von Salamiyya“ kostenlose Mitfahrgelegenheiten.
Das kulturelle Gedächtnis wiederbeleben
Landwirten halfen sie bei der Bekämpfung der Apfelstängelfäule und nach dem Erdbeben 2023 sorgte der Verein für die psychologische und soziale Betreuung von Lehrer:innen, damit sie weiterhin gut für ihre Schüler:innen da sein konnten.
Über Jahrzehnte war das Leben in Salamiyya von Angst und Marginalisierung geprägt. Der Sturz des alten Regimes im vergangenen Dezember kam da wie eine Befreiung. Und Schritt für Schritt wird nun die literarische Seele der Stadt wiederbelebt. „Wir kommen aus einer Zeit, in der man uns die Luft abgeschnitten hat. Jetzt versuchen wir, unsere Stimmen hörbar zu machen und festen Boden unter den Füßen zu gewinnen. Das Wort ist unsere erste Form des Widerstands,“ beschreibt es Dima Qassem. Sie ist eine der Gründerinnen des Projektes „Tajammu‘ Kalima – Zusammenschluss der Worte“. Sie hat die Schriftsteller:innen und Dichter:innen von Salamiyya zusammengebracht. Sie treffen sich nun regelmäßig, lesen ihre Texte und sprechen miteinander darüber. Offen reden und diskutieren zu können tut vielen gut. Es geht um nicht weniger als die Wiederbelebung des kulturellen Gedächtnisses der Stadt.

Der Verein finanziert sich über verschiedene Quellen – die wichtigste ist die Aga-Khan-Stiftung. Seit Jahren begleitet sie die „Freunde von Salamiyya“ mit kleinen, aber gezielten Förderungen. Neben finanziellen Zuwendungen vermittelt die Stiftung Wissen: Trainings zu partizipativer Verwaltung, strategischer Planung und nachhaltigem Vereinsaufbau haben Strukturen geschaffen, die über den Tag hinaus wirken.
Hoffnung und Skepsis
„Wandel beginnt bei den Menschen selbst“, sagt Ali Al-Khatib, Geschäftsführer des Vereins. „Bei dem Kind, das lernt, keinen Müll auf die Straße zu werfen, bei der Familie, die ihren Garten neu bepflanzt.“ Diese Vision von Entwicklung hat das Verständnis von Verantwortung und Miteinander in Salamiyya grundlegend verändert.
Auch in Salamiyya feierten viele den Sturz des Assad-Regimes – ein kollektiver Moment der Hoffnung. Dennoch bleibt Skepsis gegenüber der neuen Regierung, insbesondere da der neue Präsident Syriens Ahmed al-Sharaa und mehrere Minister Verbindungen zu extremistischen Gruppierungen (Hayat Tahrir al-Sham) haben. Diese Zurückhaltung ist nicht neu: Schon unter Assad war das Vertrauen in eine zentralistische Macht in Damaskus gering.
Statt auf direkten Widerstand setzt man hier auf kulturelle und zivilgesellschaftliche Aktivitäten: „So leisten wir Widerstand gegen Hässlichkeit und Unterdrückung“, sagt Dima Qassem. Salamiyya, die besondere Stadt im Herzen Syriens hat sich mit dieser Formel von vorsichtiger Skepsis gegenüber Damaskus bei gleichzeitiger Stärkung des Gemeinschaftsgefühls der Bewohner:innen und der Pflege der kulturellen Seele der Stadt gut über die Zeiten gerettet und steht heute als Vorbild für andere Städte Syriens dar. Salamiyya gilt als lebendiges Labor für leisen, nachhaltigen Wandel: Hier werden keine Parolen gerufen – hier werden Bäume gepflanzt und Gedichte geschrieben.
Amloud Alamir (Amal Berlin!)