Kirchen rufen bei Kriegsgedenken am 8. Mai zum Frieden auf

Bedford-Strohm beim ökumenischen Gottesdienst im Berliner Dom: „Gott vergisst nicht“

EKD-Ratsvorsitzender und bayrischer Landesbischof Heinrich Bedford Strohm beim ökumenischen Gottesdienst zum Gedenken an das Ende das zweiten Weltkrieges am 8. Mai 2020 im Berliner Dom

Beim ökumenischen Gottesdienst zum Gedenken an das Ende des Zweiten Weltkriegs vor 75 Jahren predigte EKD-Ratsvorsitzender Landesbischof Heinrich Bedford-Strohm gemeinsam mit dem Vorsitzenden der Deutschen Bischofskonferenz und Limburger Bischof Georg Bätzing.

Zum 75. Jahrestag des Endes des Zweiten Weltkrieges haben die Kirchen zu Frieden aufgerufen und die deutsche Verantwortung für Lehren aus der Geschichte hervorgehoben. Die Deutschen hätten ganz Europa und weite Teile der Welt ins Elend gestürzt, sagte der Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Heinrich Bedford-Strohm, im ökumenischen Gedenkgottesdienst zum 8. Mai am Freitag im Berliner Dom. „Nie mehr werden wir zulassen, dass sich der Ungeist, der so viel Leid verursacht hat, der millionenfachen Mord verursacht hat, wieder ausbreitet“, sagte der bayerische Landesbischof: „Gott vergisst nicht.“

Der Vorsitzende der katholischen Deutschen Bischofskonferenz, Georg Bätzing, sagte, mit dem 8. Mai 1945 habe „das bislang finsterste Kapitel der europäischen Geschichte“ geendet. Heute forderten die Kriege in Syrien, anderen Ländern des Nahen Ostens und in Afrika, in der Ukraine sowie die Toten im Mittelmeer heraus - und zwar jeden Einzelnen. „Frieden lässt sich nicht einfach herbeiorganisieren“, sagte der Limburger Bischof. „Er braucht Menschen, die eine Hoffnung in sich tragen.“

Stilles Gedenken

Der im Fernsehen übertragene Gottesdienst fand wegen der Corona-Pandemie komplett ohne Gemeinde statt. Die vielen Bänke im großen Dom blieben leer. Zum Gedenken an das Weltkriegsende fand am Mittag vonseiten des Staates eine Kranzniederlegung an der Neuen Wache statt, an der Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier, Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und die Repräsentanten der anderen Verfassungsorgane teilnahmen. Ein eigentlich vorgesehener Staatsakt wurde abgesagt.

Weitere Kirchenvertreter riefen anlässlich des 8. Mai dazu auf, weltweit für Frieden und Gerechtigkeit einzutreten. Die westfälische Präses und stellvertretende EKD-Ratsvorsitzende Annette Kurschus erklärte in einer Videobotschaft, der Gedenktag verpflichte zu einem Engagement gegen Antisemitismus und für einen gerechten Frieden: Die Verbrechen, die damals von Deutschland ausgingen, verlangten ein kraftvolles Bekenntnis gegen „jede Form von Antisemitismus in unserem Land, der mittlerweile wieder seine hässliche Fratze zeigt“, sagte sie. 

Der rheinische Präses Manfred Rekowski schrieb in einem Beitrag seines Präsesblogs, zum Gedenktag gehöre nicht nur ein „Nie wieder“ sondern auch ein „Immer wieder“ verbunden mit der Aufforderung, immer wieder für den Frieden einzutreten. „Krieg darf nach Gottes Willen nicht sein. Und gerechter Frieden ist möglich“, erklärte Rekowski.

Volker Jung, Kirchenpräsident der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau, erinnerte daran, dass nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs mit der Gründung der Vereinten Nationen und dem Versöhnungs- und Integrationsprozess in Westeuropa die Basis für Frieden und Wohlstand gelegt worden sei.

Militärbischof Rink: Im Ende ein neuer Anfang

Der evangelische Militärbischof Sigurd Rink hat auf Einladung des Volksbundes Deutsche Kriegsgräberfürsorge bei Kranzniederlegungen an vier Berliner Gedenkstätten teilgenommen. Der 8. Mai sei ein Tag des Dankes an die Alliierten, die größte Opfer auf sich genommen hätten, um Deutschland und das besetzte Europa durch einen „gerechtfertigten Krieg“ vom Nationalsozialismus zu befreien. „Es war ein Befreiungskrieg, der auf einen Weg zum gerechten Frieden führte“, so Rink. Die gesellschaftliche Diskussion über ein friedenserzwingendes Eingreifen müsse weitergeführt werden.

Die Überlebenden in Deutschland hätten sich damals der nicht leichten Aufgabe gestellt, Schuld abzutragen. Deshalb hätten Christen das Versagen der Kirche im Stuttgarter Schuldbekenntnis von 1945 mit den Worten bekannt: „Durch uns ist unendliches Leid über viele Völker und Länder gebracht worden. Wir klagen uns an, dass wir nicht mutiger bekannt, nicht treuer gebetet, nicht fröhlicher geglaubt und nicht brennender geliebt haben.“ Das Schuldbekenntnis bleibe eine fortwährend mahnende Verpflichtung für alle Christinnen und Christen im Land.

„In der Stunde Null, am Ende des Zweiten Weltkrieges steht ein neuer Anfang mit dem Auftrag zum Frieden“, äußerte sich der EKD-Bischof für die evangelische Seelsorge in der Bundeswehr. „Wir können dankbar und hoffnungsvoll für eine Völkergemeinschaft sein, in die die Deutschen und ihre Kirchen aufgenommen wurden, um Frieden zu machen mit der Welt und mit sich selbst.“

Heimbucher mahnt zum friedlichen Zusammenleben

Auch der Kirchenpräsident der Evangelisch-reformierten Kirche, Martin Heimbucher, hat zum 75. Jahrestag des Endes des Zweiten Weltkrieges am 8. Mai 1945 zu einem friedlichen Zusammenleben aufgerufen. Gott fordere Barmherzigkeit und Freundlichkeit gegen jedermann, sagte der leitende Theologe am Donnerstag in Leer.

Mit dem 8. Mai 1945 sei der schlimmste Krieg in der Geschichte der Menschheit zu Ende gegangen, sagte Heimbucher. Hitler habe ihn von Anfang an gewollt und mutwillig vom Zaun gebrochen. „Insbesondere in Osteuropa führte Deutschland einen beispiellosen Vernichtungskrieg gegen Russland. Und in seinem Schatten organisierten die Nationalsozialisten den Völkermord an den europäischen Juden.“ 1944 und 1945 sei die Welle der Gewalt, die von Deutschland ausgegangen war, auf das eigene Land zurückgeschlagen.

Die letzten Wochen vor Kriegsende hätten noch einmal die ganze Sinnlosigkeit dieses Mordens offenbart, unterstrich Heimbucher. Noch Anfang April, als bereits alles verloren war, habe Hitler die Gefangenen des Widerstands umbringen lassen, unter ihnen Dietrich Bonhoeffer und Hans von Dohnanyi. Im sogenannten „Volkssturm“ seien Jugendliche und ältere Männer verheizt worden. Hunderttausende Frauen seien von Soldaten der siegreichen Armeen vergewaltigt worden, „im Osten wie im Westen. Eine schreckliche Facette des Kriegs, die lange tabuisiert worden ist“.

Der Kirchenpräsident erinnerte an das biblische Gebot „Du sollst nicht töten“: „Noch bevor es so unaufhaltsam millionenfach missachtet wird, ebnen viele verhängnisvolle Schritte den Weg zur Gewalt.“ Der reformierte Heidelberger Katechismus lege dieses Gebot deshalb im präventiven Sinn aus: „Gott will uns durch das Verbot des Tötens lehren, dass er schon die Wurzel des Tötens, nämlich Neid, Hass, Zorn und Rachgier hasst. Gott will aber, dass wir unseren Nächsten lieben wie uns selbst, ihm Geduld, Frieden, Sanftmut, Barmherzigkeit und Freundlichkeit erweisen, Schaden von ihm abwenden und auch unseren Feinden Gutes tun.“

Kramer: „Wir Deutsche sind besiegt worden, und das ist gut so.“

Für die, die unter dem NS-System und dem Krieg gelitten hätten, sei der 8. Mai 1945 ein Tag der Befreiung gewesen, sagte der mitteldeutsche Landesbischof Friedrich Kramer in einer Video-Botschaft. Viele Millionen Menschen, die umkamen oder ermordet wurden, hätten diesen Tag nicht erleben können. „Wir denken dabei besonders an unsere jüdischen Geschwister, aber auch an die 27 Millionen Sowjetbürger, die in diesem Krieg ihr Leben gelassen haben“, erklärte der Leitende Geistliche der Evangelischen Kirche in Mitteldeutschland (EKM): „Wir Deutsche sind besiegt worden, und das ist gut so.“

Dieser Tage zeige sich, dass politisches Handeln viel vermöge, betonte Kramer: „Es kann ganze Gesellschaften stilllegen, und es ist an der Zeit, auch den Krieg als Geißel der Menschheit zu besiegen und den Krieg als eine Unkulturleistung der Menschen abzuschaffen.“ Das klinge zwar utopisch, liege aber im Bereich des Möglichen, betonte der Bischof: „Gerade wir als Christen rufen zum Frieden und fordern dazu auf, alle Schritte in diese Richtung zu gehen.“

Meister: Jahrestag des Kriegsendes verpflichtet zum Frieden

Ralf Meister, Landesbischof der Evangelisch-lutherischen Landeskirche Hannovers, kann sich im Grundsatz vorstellen, den Tag des Kriegsendes am 8. Mai zum gesetzlichen Feiertag zu machen. „Der 8. Mai 1945 bleibt ein Gedenktag, mit oder ohne staatliche Anerkennung“, sagte der evangelische Theologe am Mittwoch dem Evangelischen Pressedienst (epd). „Er wird noch Generationen verpflichten, sich alternativlos zum Frieden zu bekennen und jedem expansionistischen Nationalismus zu widerstehen.“ Meister ist auch Leitender Bischof der Vereinigten Evangelisch-Lutherischen Kirche Deutschlands (VELKD).

Am 8. Mai vor 75 Jahren endeten mit der Kapitulation der deutschen Wehrmacht die Kriegshandlungen des Zweiten Weltkriegs. Auch wenn es aufgrund der militärischen Niederlage Deutschlands viele Deutungen dieses Tages gebe, sehe er den 8. Mai als Tag der Befreiung, sagte der Theologe. Das Land sei von kriegerischer Gewalt befreit worden, die aus dem deutschen Nationalsozialismus hervorgegangen sei. „Es bleibt unsere Aufgabe, im Pflichtenheft unserer Gesellschaft die Erinnerung an die grauenhaften Folgen von Totalitarismus, Rechtsradikalismus und Gewaltherrschaft festzuhalten“, unterstrich Meister. „Es gibt keine Alternative zum Frieden. Er ist unser Auftrag seit 75 Jahren.“

Der Bischof erinnerte daran, dass es im Zweiten Weltkrieg bis zum 8. Mai 1945 mehr als 60 Millionen Todesopfer gegeben habe. „Getötet an der Front, ermordet in Konzentrationslagern, verbrannt in Bombennächten, gestorben an Hunger, Kälte und Gewalt als Kriegsgefangene oder auf der Flucht.“ In vielen Erinnerungen lebe der Krieg weiter: in den Lücken, die er in die Familien gerissen habe, in längst überwunden geglaubter Angst, die nun zurückkehre, oder in Schuldgefühlen. „Krieg bestimmt über Generationen hinaus das Verhalten einer Familie, prägt die Kultur und formt eine Gesellschaft“, betonte Meister. „Die Antworten auf die zwölf Jahre nationalsozialistischer Herrschaft prägen unser Nachdenken, sie prägen unser Recht, unsere Politik.“ Sie bestimmten das Verhältnis Deutschlands zu den anderen Ländern in Europa und der Welt und beeinflussten auch das ethische Bewusstsein und das theologische Denken.

epd


Mit dem Überfall auf Polen hatte das damalige Deutsche Reich am 1. September 1939 den Zweiten Weltkrieg begonnen. Zwischen 60 und 70 Millionen Menschen kamen ums Leben. Sechs Millionen Juden fielen dem nationalsozialistischen Rassenwahn zum Opfer. Das militärische Eingreifen der Alliierten – der USA, der Sowjetunion, Frankreichs und Großbritanniens – führte zur Kapitulation der Deutschen, die bereits am 7. Mai in Reims erklärt und einen Tag später in Berlin wiederholt wurde. Damit endeten die Kampfhandlungen in Europa.