Gefährdetes Klima

2. Warum soll sich die Kirche zum Thema Klimaschutz äußern?

Die Kirche sieht sich in doppelter Weise durch eine mögliche Klimaveränderung herausgefordert: einmal auf dem Gebiet von Glauben und Lehre, zum anderen auf dem Gebiet eigenen Lebens und Handelns. Letzteres wird in Kapitel 7 bedacht.

2.1. Herausforderung der Theologie durch die Klimaproblematik

(17) Ökologische, auch klimatische Krisen und Katastrophen hat es in der Menschheitsgeschichte immer gegeben. Es konnten lokale Bedrohungen durch Naturkräfte sein, z.B. Vulkanausbrüche. Es konnten regionale Katastrophen sein, z.B. Verwüstungen durch menschliche Eingriffe wie die Abholzung der "Zedern des Libanon", der Verlust der "Kornkammer" Nordafrika, die Entwaldung und Verkarstung im Mittelmeerraum. Neu ist nun, wie der vorangehende Teil gezeigt hat, daß eine globale Katastrophe durch eine von Menschen verursachte Klimaveränderung denkbar ist und möglich erscheint. Die jahrhundertealten Fortschrittsverheißungen von Wissenschaft, Technik und später auch Wirtschaft, die in einigen Teilen der Erde in Erfüllung gegangen sind, könnten jetzt in Bedrohung umschlagen und unvorstellbares Leid auslösen. Wir leben nicht nur in einer Gesellschaft mit lokalen und regionalen, sondern auch mit globalen Risiken. Klimatisch bedingte Wüstenbildung (Desertifikationen) in einem Teil der Erde werden Folgen für andere nach sich ziehen, z.B. hungerbedingte Völkerwanderungen.

(18) Durch diese globale Problemlage muß sich die Theologie herausgefordert fühlen. Herausgefordert auch deshalb, weil die Wirkungsgeschichte jüdisch-christlichen Gedankengutes die Entwicklung der abendländischen Kultur und industriellen Zivilisation mitgeprägt hat, auch wenn es über das konkrete Ausmaß wechselseitiger Beeinflussung immer noch und immer wieder Diskussionen gibt. Diese Mit-Urheberschaft an der modernen Industriegesellschaft und ihrer Folgen verpflichten Theologie und Kirche, ihren Beitrag dazu zu leisten, die Lebensbedingungen auf der Erde für alle Geschöpfe und für künftige Generationen zu erhalten.

Die Natur und der Kosmos als Gottes Schöpfung

(19) Nach übereinstimmendem jüdisch-christlichem Glaubenszeugnis sind die Natur und der Kosmos Schöpfungstat Gottes. Mit diesem Bekenntnis beginnt die hebräische Bibel, das Alte Testament. Dessen erstes Buch hat deshalb den Titel "Genesis" (Entstehung) erhalten. Die beiden Schöpfungsberichte in Genesis Ihr Schreiben an den Ratsvorsitzenden vom mit dem Hintergrund der chaotischen Urflut und in Genesis 2 mit dem Hintergrund der wasserarmen Wüste sind eine Antwort auf die Bedrohung des Lebens aus der Erfahrung immer neuer Anfänge unter der Fürsorge Jahwes.

So wuchs aus der Erfahrung der Erschaffung und des neuen Anfangs aus denn Nichts das Bekenntnis zum Schöpfergott, auf den auch gegen naturhafte Bedrohungen und Katastrophen - wie auch gegen die von Menschen verursachten Verlaß ist. Ein Symbol dieser Verläßlichkeit ist der Noah-Bund (Gen. 9) mit dem Bogen in den Wolken: Solange die Erde besteht, sollen Elementarstrukturen wie Saat und Ernte, Frost und Hitze, Sommer und Winter, Tag und Nacht nicht aufhören. Das Hoffnungssymbol "Regenbogen" ist in den letzten Jahrzehnten sogar zu einem säkularen Hoffnungszeichen geworden. Zusammen mit weiteren Aussagen über die Schöpfung in der biblischen Weisheitsliteratur, z.B. Psalmen und Hiob, werden Natur und Kosmos als dem Menschen vorgegeben, sinnvoll geordnet und lebensfördernd dargestellt und ihr Schöpfer in seiner unermeßlichen Weisheit und Fürsorge gelobt. Das Eingebettetsein auch des Einzelnen in Gottes weitergehendes Wirken in seiner Schöpfung hat Martin Luther in seiner Auslegung zum ersten Artikel des Glaubensbekenntnisses ("Von der Schöpfung") mit den Worten festgehalten: "Ich glaube, daß mich Gott geschaffen hat samt allen Kreaturen ..." (creatio continua).

(20) Der darin zum Ausdruck kommende Respekt vor dem Schöpfer und die Ehrfurcht vor allem Lebenden sind dem Menschen der nordatlantischen Industriekultur abhanden gekommen, ebenso wie die in biblischen Schöpfungsaussagen enthaltene ganzheitliche Weltbetrachtung. In den biblischen Schöpfungsaussagen ist der Erde als Lebensraum alles Lebendigen zwar keine Ewigkeit zugesagt, wohl aber Bestand im Wechsel der Zeiten. Christliche Frauen und Männer hoffen darauf, daß am Ende der Welt Gott eine neue heraufführen wird - und nicht das Chaos, das Nichts. Eintritt.

(21) Unter Aufnahme aktueller naturwissenschaftlicher Erkenntnisse, so wie es in den biblischen Schöpfungsaussagen auch schon geschehen ist, werden wir die Schöpfung als offenes System betrachten müssen, dessen langfristige Entwicklung und mögliches Ende nicht abzusehen sind. Deshalb sind langfristige Klimaveränderungen durchaus denkbar und historisch belegbar. Durch die anhaltende Freisetzung von Treibhausgasen verändern Menschen das Erdklima dagegen mit einer Schnelligkeit, die nur von erdgeschichtlichen Katastrophen erreicht und überschritten wird. Damit haben die gegenwärtigen Eingriffen von Menschen in das Klimasystem der Erde eine qualitativ andere Dimension. Sie widersprechen Gottes Willen und Auftrag, sind nach biblischem Verständnis Sünde. Sie sind Sünde, weil Menschen fahrlässig in für sie unsteuerbare Naturvorgänge mit unüberschaubaren und unbeherrschbaren Folgen störend eingreifen

Die Verantwortung des Menschen für die Schöpfung

(22) Nach der biblischen Schöpfungsüberlieferung bekommt der Mensch von Gott eine mit-schöpferische Verantwortung zugewiesen: auf der Erde eine beherrschende Stellung einzunehmen (Gen. 1, 28); die Erde "zu bebauen und zu bewahren" (Gen 2,15). Dem Menschen wird traditionell-christlich eine Sonderrolle als "Krone" der Schöpfung zugeschrieben. Diese Sonderstellung wird in Psalm 8 ausdrücklich so genannt (Vers 6-9). Es ist weithin vergessen worden, daß diese Sonderstellung eine verliehene und nicht originäre ist. Er bleibt Geschöpf (Vers 5) und dem Schöpfer zugeordnet. Als einziges Geschöpf ist er in der Lage, sich seiner selbst bewußt zu werden und über die Zusammenhänge der Natur zu reflektieren und sich auch teilweise von der Naturgebundenheit zu emanzipieren. So ist der Mensch auch das einzige Lebewesen, das Verantwortung ausbilden und übernehmen kann. Dazu gehört seine Verpflichtung, die Folgen seiner Handlungen und Unterlassungen abzuschätzen. Es gehört zur christlichen Überlieferung und Überzeugung, daß der Mensch gegenüber dem Schöpfer nicht nur verantwortungsfähig, sondern auch verantwortungspflichtig ist. Diese anthropologische Grundaussage durchzieht die biblischen Schriften des hebräischen (alttestamentlichen) wie griechischen (neutestamentlichen) Teiles.

(23) Wünschenswert, ja sogar notwendig ist es, zusammen mit anderen Religionen zu einem auf die globale Umweltverantwortung bezogenen globalen Wertekonsens zu gelangen, wie es mit der Deklaration des Parlaments der Weltreligionen 1993 in Chikago versucht wurde. Für Christen ist ein Anknüpfungspunkt für den interreligiösen Dialog dadurch gegeben, daß biblische Schöpfungsaussagen oft auf vorbiblische Schöpfungsmythen zurückgehen, die auch in anderen Religionen bekannt sind und bewahrt wurden. Dieses gemeinsame Überlieferungserbe gilt es zu aktivieren. In der heutigen Zeit wird es wichtig sein, die globale Umweltverantwortung auch säkular zu begründen und zu vermitteln. Eine derartige allgemeine Verantwortungsethik könnte ein neuer "Imperativ" sein, in dem Sinne, daß jeder sein Handeln auch an der Verantwortung für das Leben zukünftiger Generationen ausrichten muß.

(24) Dem Menschen ist die Fähigkeit gegeben, sich von seinen eigenen Werken und Handlungen distanzieren und sie teilweise auch revidieren zu können. Dieses bedeutet auch eine Relativierung sogenannter "Eigengesetzlichkeiten". Im Gegensatz zu den Naturgesetzen sind sie von Menschen verursacht und dienen bestimmten Zwecken. Die christliche Freiheit bedeutet die Möglichkeit der Distanzierung von vermeintlichen Sachzwängen und Eröffnung alternativen Handelns unter anderen Wertsetzungen (Barmer Theologische Erklärung, Art. II).

(25) In jahrzehntelanger ökumenischer Diskussion hat sich für die Schöpfungsverantwortung der Menschen der Leitbegriff "verantwortliche Haushalterschaft" herausgebildet. Haushalterschaft, auf den griechischen Wortstamm (oikos) zurückgeführt, umfaßt sowohl Ökonomie als auch Ökologie. Es gehört zu den dringlichen Aufgaben von Wissenschaft und Politik, Ökonomie und Ökologie wieder in einen Zusammenhang zu bringen. In dem Leitbild der "nachhaltig umweltgerechten Entwicklung" (international geläufig als sustainable development) ist hiermit die Richtung vorgegeben.

(26) Der Leitbegriff "Verantwortliche Haushalterschaft" ist weiter ausdifferenziert worden. Schöpfungsgerechte Haushalterschaft im Sinne von Ökonomie und Ökologie muß folgenden Kriterien entsprechen:

  • Umwelt- beziehungsweise Schöpfungsverträglichkeit,
  • Sozialverträglichkeit,
  • Friedensverträglichkeit und
  • Generationenverträglichkeit.

(27) Im anstehenden Problemzusammenhang liegt es nahe, das Kriterium Klimaverträglichkeit ausdrücklich zu nennen. In der Forderung nach Klimaverträglichkeit menschlicher Eingriffe wird ein neues, sehr komplexes Kriterium eingeführt. Es treffen sich darin in sehr anspruchsvoller und herausfordernder Weise alle vier obengenannten Kriterien. Das Klima ist umweltrelevant, sozialrelevant, friedensrelevant und generationenrelevant.

Die Hoffnung auf die Vollendung der Schöpfung

(28) Die Natur und der Kosmos werden als Schöpfungsgabe Gottes an den Menschen gesehen und gewichtet (Ehrfurcht und Dank) und von uns heute als offenes System gedacht. Ein großer Risikofaktor darin ist der Mensch. Es ist nicht ausgemacht, ob die Menschheit ihrer Verantwortung zur Schöpfungsbewahrung gerecht werden wird. Es ist denkbar, und Wissenschaft wie Technik stellen die Mittel dafür zur Verfügung, irreversibel das System "Prozeß der Schöpfung" zu stören. Dieses bedeutete nicht das Ende der Erde und damit der Schöpfung. Aber es würde viel Leid und Zerstörung über die Erde bringen. Der Schöpfungswille Gottes, seine "creatio ex nihilo", würde jedoch selbst dann nicht aufgehoben. Christen vertrauen darauf, daß Gott sein Schöpfungswerk nach seinem Willen dennoch vollenden wird (Römer 8). Diese Hoffnung kann uns vor menschlicher Resignation oder apokalyptischem Defätismus bewahren. Sie ist eine Bedingung der Möglichkeit, Verantwortung nicht nur wahrzunehmen, sondern auch tragen.

2.2. Der gesellschaftliche Hintergrund

(29) Wenn sich die Kirche zum Klimaproblem äußert, dann stellt sich die Frage was denn die besondere Eignung der Kirche begründet, zu diesem Problem Stellung zu nehmen. Hat sie den politischen Parteien oder anderen gesellschaftlichen Gruppen etwas voraus, das sie hier einbringen kann? Die Antwort ist "ja". Sie geht von zwei Tatbeständen aus, die das Dilemma beschreiben, vor dem die Politik im Umgang mit dem Klimaproblem steht:

  • Das Klimaproblem ist ein typisches Beispiel für eine schleichende Katastrophe. Es handelt sich um eine existentielle Bedrohung, die erst langfristig real wird, aber dann unausweichlich ist, wenn nicht kurzfristig etwas geschieht.
         
  • Die politisch Verantwortlichen haben - auch in der parlamentarisch-repräsentativen Demokratie - angesichts des Gewichts kurzfristiger Interessen prinzipiell große Schwierigkeiten, die Tagespolitik auf langfristige Entwicklungen auszurichten.

(30) Der erstgenannte Tatbestand ist inzwischen unumstritten. Gerade die Arbeit der bereits genannten Enquete-Kommission des Bundestages "Vorsorge zum Schutz der Erdatmosphäre" hat deutlich gezeigt, daß in der internationalen Wissenschaft weitgehend Einigkeit darüber besteht, daß es - wenn nichts geschieht - durch die zu erwartende Erwärmung langfristig keine Gewinner, sondern nur Verlierer geben wird. Zwar kann es durchaus möglich sein, daß bestimmte Regionen von einer Erwärmung des globalen Klimas auch profitieren, zum Beispiel durch eine üppigere Vegetation. Sie werden aber von den politischen und sozialen Folgen der zu erwartenden ökologischen Katastrophen in den Klimazonen, die vor allem gefährdet sind, nicht unberührt bleiben. Wenn es dort aufgrund der Erwärmung zu großen Dürre-, Überschwemmungs-, Sturm- und Hungerkatastrophen kommt, werden politische Instabilitäten folgen. Diese Konstellation wird Flüchtlingsströme auslösen, die auch andere Regionen existentiell betreffen.

(31) Die allgemein menschliche Schwäche, den kurzfristigen Gewinn dem längerfristigen Nutzen vorzuziehen, wirkt sich auch auf die Politik aus. Jedoch ist es unerläßlich, daß sich die Politik auch an Erfordernissen ausrichtet, die sich aus langfristigen Entwicklungen ergeben. Derzeit ist allerdings - trotz eindeutiger Warnungen von Expertinnen und Experten - das vorherrschende Zeitmaß für politischen Erfolg bestimmt durch das, was innerhalb einer Legislaturperiode erreicht werden kann: "Das Zeitmaß der Parteien ist durch den nächsten Wahltermin bestimmt und zugleich begrenzt. Hierin liegt eine Strukturschwäche der Parteiendemokratie, die sich zu Lasten der Zukunft auswirkt" (Richard von Weizsäcker). Damit gefährdet die parlamentarisch-repräsentative Demokratie auf lange Sicht sich selbst. Der Politikwissenschaftler Carl Böhret spricht in diesem Zusammenhang sogar von "struktureller Verantwortungslosigkeit" , wenn er den Konflikt zwischen politischem Folgenbewußtsein und aufs "Überleben im Amt" gerichtetem Nutzenkalkül beschreibt. Dabei spielen auch gut organisierte ökonomische Interessen in diesem Zusammenhang eine nicht unerhebliche U Rolle. Die Vertreterinnen und Vertreter der Arbeitgeber- wie der Arbeitnehmerverbände sind sich rasch einig, auf langfristige Überlebensfähigkeit zielende Forderungen des Umweltschutzes als überzogen abzuwehren, wenn mit kurzfristig spürbaren ökonomischen Nachteilen zu rechnen ist.

(32) In der Gesellschaft insgesamt ist man sich der Verantwortung für Umweltschutz und vor den kommenden Generationen durchaus bewußt. Gleichzeitig wird jedoch das gesellschaftliche und politische Handeln immer wieder durch die vorherrschenden Wertmaßstäbe bestimmt, die gleichermaßen materialistisch wie gegenwartsbezogen sind und dem heute erlebbaren Wohlstand in der Gegen wart eindeutig den Vorrang gegenüber dem Überleben in der Zukunft geben.

(33) Weder den Politikern, noch den Verbänden, noch der Gesellschaft insgesamt mangelt es an Einsicht in die Verantwortung für das Morgen, darin als, daß unsere Gegenwart die Vergangenheit der Zukunft ist. Sie trauen den Bürgerinnen und Bürgern jedoch oft nicht zu, daß sie ihnen das Bedenken der langfristigen Folgen politisch oder gesellschaftlich honorieren werden.

(34) Unter diesen Bedingungen besteht die Gefahr, daß Politik und Gesellschaft vor dem Klimaproblem versagen werden. Sicher hilft es, wenn einzelne Warner und engagierte Gruppen zum Umdenken aufrufen. Darüber hinaus aber hat ein' auf allen gesellschaftlichen Ebenen wirksame Organisation wie die Evangelische Kirche in Deutschland im Spiel der gesellschaftlichen Kräfte eine wichtig Rolle. Sie sollte der zurückgedrängten Einsicht in die Notwendigkeit einer kurzfristigen Reaktion auf eine langfristige Bedrohung so Geltung verschaffen, daß sie die Spielräume für eine diesem Problem angemessene Politik erweitern hilft Dazu ist eine Veränderung der gesellschaftlichen Wertorientierung nötig. Die Kirche ist in diesem Sinne eine wichtige gesellschaftliche Organisation, dir unterschiedliche gesellschaftliche Interessen übergreift und als Anwalt deren Gehör findet, die - wie die nachfolgenden Generationen - keine politisch oder gesellschaftlich wirksame Stimme haben. Sie steht auch außerhalb des Verdacht, das Generationenargument für eigene Zwecke mißbrauchen zu wollen Daher stellt das Klimaproblem für die Kirche eine besonders wichtige Aufgabe dar; sie ist hier in ihrer Struktur und in ihrem Selbstverständnis gerade als Volkskirche besonders herausgefordert.

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