Gefährdetes Klima

7. Wie kann die Kirche auf die Herausforderung reagieren?

(146) Christen sollten als einzelne in persönlicher Entscheidung angesichts der Klimaproblematik zum einen diejenigen ethischen Schwerpunkte setzen, die in Abschnitt 2.2. genannt wurden. Zum anderen kann die Botschaft des Evangeliums sie von falschen Zwängen frei machen. Christen wissen um das, was "höher ist als alle Vernunft", die Liebe Gottes (Phil. 4, 7) und sollten daher am ehesten "nach dem Reich Gottes und seiner Gerechtigkeit trachten" (Matth. 6, 33), "nicht nach hohen Dingen..., sondern sich herunter zu den geringen halten" (Röm. 12, 16). Sie werden ermutigt, sich heute zurücknehmen, damit andere die Nachgeborenen, die nichtmenschlichen Geschöpfe - nicht zuschanden werden. So wird gerade jeder Christ an seinen Spielraum für veränderte Lebensweisen erinnert.

(147) Angesprochen ist auch die christliche Ortsgemeinde. Konkret können in ihr Gemeindeglieder im Vollzug eines geschwisterlichen Miteinanders Anerkennung, Zuwendung und Entfaltung erfahren, so daß die Bedeutung anderer, mehr materiell ausgerichteter Bedürfnisse, sich relativiert. In einer solchen Gemeinschaft können sich auch andere Verhaltensweisen ausbilden, bestätigen und verstärken: Altruismus, Verantwortungsübernahme, Respekt vor der Schöpfung, angstfreies Miteinander, zweckfreie, ästhetische Weltwahrnehmung und Ausbrechen aus leistungsbezogener Statusfixiertheit. Solche Erfahrungen werden dann zum Fundament tiefgehender Änderungen der Lebenspraxis. Gemeindeglieder und Gemeindegruppen können so auch zu Vorreitern eines umweltbewußten Lebensstils werden.

(148) Durch ihre Organe, Synoden und Vertreter wirkt die Evangelische Kirche in Deutschland insgesamt auch als meinungsbildende Größe in der Öffentlichkeit. Zunächst muß einem möglichen Mißverständnis entgegengetreten werden: Viele kirchliche Gruppen und Kirchengemeinden, kirchliche Einrichtungen Kirchenleitungen und Synoden engagieren sich seit vielen Jahren und mit großem Einsatz für die Bewahrung der Schöpfung. Hier sind immer wieder jene Vorreiter zu finden, von denen bereits die Rede war, die sich mit großer Sachkunde um die Lösung praktischer Probleme bemühen oder die ihrer Verantwortung dadurch gerecht zu werden suchen, indem sie sich öffentlich zu Wort melden. Gerade im Bereich der Kirche geht es auch bei der Problematik der Erdklimagefährdung schon längst nicht mehr darum, bei Null anzufangen - und insbesondere auch nicht mehr darum, den sogenannten Experten das Feld zu überlassen. In zahlreichen kirchlichen Gruppen, Einrichtungen und Gremien ist der erforderliche Sachverstand durchaus vorhanden - es ist aber nötig, Strukturen zu entwickeln, um ihn nutzen zu können. Schließlich müssen kirchliche Aktivitäten besser bekannt, Informationen und Erfahrungen vermehrt aus getauscht werden. Anhang 8.1 führt einige Ansprechpartnerinnen sowie Ansprechpartner auf, bei denen Anregungen für eigene Aktivitäten in reichem Maße zur Verfügung stehen.

(149) In Fragen eines umweltbewußten Lebensstils sind Koalitionen zwischen den Kirchen und quer durch die großen Religionen und humanistischen Weltsichten anzustreben, denn hier werden sich vielfach gleiche Ziele finden. In diesem Sinne sagt das "Parlament der Weltreligionen" in seiner "Erklärung zum Weltethos" : "Wir sind alle voneinander abhängig. Jeder von uns hängt vom Wohlergehen des Ganzen ab. Deshalb haben wir Achtung vor der Gemeinschaft der Lebewesen, der Menschen, Tiere und Pflanzen, und haben Sorge für die Erhaltung der Erde, der Luft, des Wassers und des Bodens." Und an anderer Stelle: "Deshalb verpflichten wir uns ... auf sozialverträgliche, friedensfördernde und naturfreundliche Lebensformen." Gemeinsam gilt es, einer Ethik der globalen Verantwortung in der Gesellschaft öffentliche Geltung zu verschaffen, damit die Menschheit die Chance für eine menschenwürdige Zukunft behält.

(150) Was könnte - über alle diese Aktivitäten hinaus, über deren Existenz es zu informieren gilt - in der nächsten Zeit von den Kirchen getan werden? Gesellschaftliche und politische Initiativen und ihre Träger, die konkrete Vorhaben zum Klimaschutz realisieren wollen, sollten von der Kirche unterstützt werden. In manchen Bereichen muß die Kirche nicht erst auf gesetzliche Regelungen warten, sondern kann mit geeigneten Energiesparmaßnahmen in eigener Verantwortung und durch Selbstverpflichtung beginnen:

  • Im Baubereich sollte es ein höchstmögliches Maß an innerkirchlicher Verbindlichkeit zum energiesparenden und umweltschonenden Bauen - zum Beispiel unter Berücksichtigung der in Schweden verbindlichen Standards für die Wärmedämmung von Gebäuden (Schweden-Normen) - geben. Das Kirchliche Bauhandbuch, herausgegeben von der Konferenz der Bauamtsleiter der Gliedkirchen der EKD, sollte jeder Kirchengemeinde und allen diakonischen Einrichtungen zur Verfügung stehen.
         
  • Für die Anschaffung von kirchlichen Dienstwagen sollten Grenzwerte für den Kraftstoffverbrauch festgelegt werden. Die Ausstattung der PKW's mit maximalen Abgasreinigungs-Systemen ist beim Kauf ebenfalls zu beachten.
         
  • Eine Selbstverpflichtung zur KFZ-Geschwindigkeitsbegrenzung auf 30-80-100 km/h für alle Dienst- und dienstlich genutzten Privat-PKW könnte ebenfalls Signalwirkung haben.
         
  • Eine konsequente Handhabung der Dienstreiseverordnung mit Vorrang des ÖPNV vor KFZ wäre notwendig. Dazu gehört auch die Erleichterung der Benutzung von Taxi oder Mietwagen in Kombination mit Eisenbahnfahrten.
         
  • Dort, wo es von den Gegebenheiten her möglich ist, würde eine großzügige Vergabe von Job-Tickets und/oder Bahncards als Anreiz zum Umsteigen auf die Öffentlichen Verkehrsmittel bei gleichzeitig restriktiver Bereitstellung von kircheneigenen Parkplätzen ebenfalls einen Anreiz zum "Umsteigen" bieten.
         
  • Kirchengemeinden sollten jährlich im Haushaltsplan gezielt Finanzmittel in einem Fonds sammeln, um auf längere Sicht Energiesparmaßnahmen an ihren Gebäuden vornehmen zu können.
         
  • In den jährlichen Gemeindeberichten und Jahresstatistiken sollte auch der Energieverbrauch festgehalten werden. Ökologische Gesichtspunkte sollten zum festen Bestandteil von Visitationen werden.
         
  • Die aufwendige Beheizung großer, selten genutzter Kirchen sollte vermieden, Gottesdienste im Winter sollten in Gemeinderäumen abgehalten werden. Über den Sinn abendlicher Anstrahlungen von Kirchtürmen ist das Gespräch zu führen.
         
  • In Städten, die dem "Klimabündnis" beigetreten sind, sollten Kirchengemeinden sich intensiv mit anderen gesellschaftlichen Gruppen um eine Umsetzung der Anforderungen bemühen (u. a. Reduzierung des Ausstoßes von klimarelevanten Stoffen um die Hälfte bis zum Jahre 2010). In Städten, die dem Klimabündnis noch nicht beigetreten sind, sollten sich die Kirchengemeinden für einen Beitritt einsetzen.
         
  • Auf Gemeindetagen, regionalen und bundesweiten Kirchentagen und auf vielen anderen Wegen sollte das Thema "Neuer Lebensstil" in seiner ganzen Breite und Vielfalt immer wieder behandelt und so zu einem öffentlichen Thema gemacht werden. Zur Zeit können sich nur Eingeweihte etwas darunter vorstellen. Hier könnten kirchliche Gruppen, kirchlich orientierte Prominente und auch kirchenleitende Persönlichkeiten der Gesellschaft Anstöße geben und so nicht zuletzt auch öffentliche Aufmerksamkeit erregen. Nur wenn in unserer Gesellschaft viele Menschen umdenken und sich umorientieren, werden wir Lebensbedingungen schaffen, die auch unseren Kindern Leben ermöglichen.

Die Grenzen des Machbaren werden allerdings vor allem bei investiven Maßnahmen oft durch die Finanzkraft der Gemeinden gesetzt. Insbesondere in kleinen Kirchengemeinden verschärfen sich die Probleme der Gebäudelast. Aber je länger die Kirche mit energiesparenden Maßnahmen wartet, desto stärker wird ein hoher Energieverbrauch sie später finanziell treffen.

(151) Insgesamt sollten die Landeskirchen und ihre Werke sich ein ähnlich anspruchsvolles CO2-Reduktionsziel wie die Bundesregierung für den Gesamtbereich des kirchlichen Dienstes vornehmen.

(152) Um es noch einmal zu sagen: Die tiefgreifenden Veränderungen, die aufgrund der Klimaproblematik erforderlich sind, werden ohne weitreichende Lernprozesse in Politik und Alltagshandeln nicht gelingen. Ökologisch und sozial orientierte Lernprozesse müssen allerdings die derzeitigen Blockaden zwischen Wissen und Verhalten ernst nehmen und sie lokal überschaubar in praktischen Projekten angehen. Eine ökologische Gemeindearbeit, die sich in diesem Bereich engagiert, ist von ihrem Wesen her nichts "Zusätzliches" oder "Kirchenfremdes". Sie ist vielmehr die Suche nach einem gemeinsamen Weg in eine gerechtere und gewaltärmere Zukunft.

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