Die evangelischen Kommunitäten

7. Kommunitäten und Ökumene

7.1 

Von Anfang an und in allen nach Herkommen und Lebensart verschiedenen Kommunitäten ist die Einheit der Kirche im Sinne des Nizänischen Glaubensbekenntnisses ein wesentliches Thema. Das hat seinen entscheidenden Grund in der zentralen Bedeutung von Gottesdienst und Gebet im praktischen Leben ihres Alltags. Wer so geistlich-intensiv aus dem ständig-wachen Hören auf die lebendige Stimme der Heiligen Schrift als Gemeinschaft lebt, vernimmt überall die letzte Bitte Jesu an seinen himmlischen Vater, "daß sie alle eins seien" (Joh 17,20-26), und bezieht das nicht nur konkret auf das Eins-Sein der Schwestern und Brüder in der eigenen Gemeinschaft, sondern zugleich auf die ganze Kirche (1Kor 1,1f). Daraus ergibt sich wie von selbst, daß in der eigenen Fürbitte für die Kirche diese letzte Bitte des Herrn für ihre Einheit entsprechend erste Priorität hat. Diese Einsicht teilen die Kommunitäten mit allen christlichen Gemeinden, die in gleicher Weise mit der Heiligen Schrift als dem der ganzen Kirche gegebenen Wort Gottes leben. Dieses geistliche Anliegen verdichtet sich noch durch die regelmäßige Teilhabe am Heiligen Abendmahl. Ist es doch der Herr, der für die Einheit seiner Kirche betet, dem wir in seinem Mahl leibhaftig begegnen! In den Kommunitäten wird in dieser z.T. täglichen, überall aber häufigen praktischen Erfahrung mit diesem Sakrament sehr realistisch nachvollziehbar, wie der Apostel Paulus aus der Einheit des im Brot gegenwärtigen Leibes Christi die Einheit seiner Kirche als des einen Leibes erwachsen sieht, dessen Glieder alle sind, die in der ganzen Welt von diesem gesegneten Brot essen und dem Kelch der Danksagung trinken (1.Kor 12,12-27, vgl. 10,16f). Bereits die älteste Gruppierung der kommunitären Bewegung dieses Jahrhunderts, die "Vereinigung vom gemeinsamen Leben im Ökumenischen Christusdienst", hat die Bitte um die Einigung der zerspaltenen Christenheit zur Mitte ihres täglichen Gebets gemacht. Noch heute wird dieses Einheitsgebet in vielen Kommunitäten mittags gebetet. (s.o. 2.4)

7.2

Aus der gleichen eucharistischen Erfahrung ergibt sich nun aber auch, daß die evangelischen Kommunitäten sich in einem besonderen kirchlich-geschwisterlichen Verhältnis zu allen Ordensgemeinschaften anderer Kirchen wissen. Daraus ist von Anfang an ein fundamentales Interesse erwachsen, zu möglichst vielen von ihnen Beziehungen aufzunehmen. Nahezu jede evangelische Kommunität pflegt so ihre je eigenen Verbindungen mit katholischen, anglikanischen und teilweise auch orthodoxen Klostergemeinschaften. Dabei zeigt sich, für alle überraschend, eine tiefe geistliche Verwandtschaft untereinander, die nicht erst durch diese Begegnungen entsteht, sondern im Vollzug des gemeinschaftlichen Lebens schlicht gegeben ist. So hat sich innerhalb der allgemeinen ökumenischen Bewegung zwischen den Kirchen noch einmal eine besondere ökumenische Nähe, ja Gemeinschaft zwischen den Kommunitäten entwickelt. Sie geht in der Praxis erstaunlich weit, ohne daß davon viel in die Öffentlichkeit gelangt. Es gibt regelmäßige Begegnungen zwischen den Novizinnen und den Schwestern, die für ihren Unterricht verantwortlich sind. Bei den Wahlen von Priorinnen und vor allem bei den Profeß-Feiern sind Vertreterinnen vieler anderer Ordensgemeinschaften als geschwisterliche Gäste dabei. Daß diese ökumenische Nähe auch über Deutschlands Grenzen hinaus gegeben ist, zeigt die Teilnahme evangelischer Kommunitäten am "Internationalen und Interkonfessionellen Kongreß für Ordensleute" (CIR). Der Kongreß 1995 hat erstmals in einer evangelischen Kommunität getagt: Die Kommunität Christusbruderschaft hat ihn in Selbitz ausgerichtet. Es ist kein Geheimnis, daß zwischen benachbarten und befreundeten Kommunitäten und Ordensgemeinschaften in völliger Selbstverständlichkeit und Herzlichkeit eucharistische Gastfreundschaft geübt wird. Als großes Vorbild gilt überall ein regelrechter ökumenischer Vertrag zwischen einem deutschen katholischen Benediktinerkloster und einer anglikanischen Ordensgemeinschaft in England, der außer täglicher Fürbitte füreinander regelmäßige Gastaufenthalte von Mönchen der einen in der anderen Gemeinschaft vorsieht, zu denen auch die gastweise Teilnahme an der Eucharistie gehört.

7.3

Hier und dort kommt die Besorgnis zu Wort, ob sich in all dem nicht ein Trend zur "Katholisierung" zeige. In einem tieferen theologischen Sinn läßt sich durchaus sagen, daß "Katholizität" nach dem Nizänischen Glaubensbekenntnis von den Kommunitäten als wesentlicher Horizont der "Gemeinschaft der Heiligen" ganz neu entdeckt und gelebt wird. Das geschieht in voller Übereinstimmung mit den evangelischen Kirchen selbst, die sich ja nicht weniger als "katholisch" wissen als die römisch-katholische Kirche. Die lebendige ökumenische Geschwisterschaft zwischen evangelischen Kommunitäten und katholischen Ordensgemeinschaften enthält jedoch keinerlei "katholisierenden" Trend im konfessionellen Sinn. Zwar gibt es vereinzelt hier und da Konversionen in beiderlei Richtung. Diese werden zwar als individuell-persönliche Entscheidungen von beiden Seiten respektiert, bewirken aber in jedem Fall innerhalb der betroffenen Gemeinschaft schmerzliche Verwundungen. Grundsätzlich jedoch ist auf beiden Seiten völlig klar: Durch Konversionen wird Ökumene nicht bewirkt, sondern nur belastet.

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