Mehr als blühende Narzissen

Osterbotschaft des Leitenden Bischofs der VELKD, Landesbischof Ralf Meister

Der Tod hat nicht das letzte Wort. Deshalb feiern wir Ostern. Es bleibt die Frage, wie unser Leben ohne den Schrecken des Todes aussehen soll. Der Tod wird in der Osterbotschaft ja nicht verneint oder für ungültig erklärt. „Entsetzt euch nicht! Ihr sucht Jesus von Nazareth, den Gekreuzigten. Er ist auferstanden, er ist nicht hier“, sagt der Engel zu den Frauen, die an das Grab Jesu kamen (Markus 16,6). Der Tod bleibt real. Für die Frauen damals. Und für uns. Er baut sich unser Leben lang mächtig vor uns auf. Er will alles beherrschen mit Gedanken, die er uns beständig einflüstert: „Du lebst nur einmal.“ – „Nach deinem Leben kommt nichts.“ – „Was du nicht hier gehabt, erlebt und gehortet hast, wird dir für immer verloren bleiben.“ – „Diese Jahre sind deine letzte Gelegenheit.“ Das sind die Argumente des Todes. Darin ist er verführerisch und stellt unsere Seele auf die Probe. Er will beweisen, dass Ostern nichts als eine schöne Illusion ist.

„Entsetzt euch nicht! Er ist auferstanden.“ Das kann uns der Verstand nicht sagen. So können nur Herz und Seele sprechen. Daraus will die Kraft wachsen, das Leben neu zu sehen, schon vor dem Tod. Denn Ostern entführt uns nicht in ein Irgendwann in einer anderen Welt, sondern mitten ins Hier und Jetzt. Die Auferstehungshoffnung ist das erfolgreichste Mittel gegen Resignation. Ein Ereignis, das der einzigen Sicherheit im Leben, nämlich seiner Endlichkeit, zugleich widerstandsfähig und mutig gegenübersteht. Der Vorwurf, Christen und Christinnen würden vertröstet und mit Blick auf das Jenseits leben, weil die entscheidenden Gotteserfahrungen noch in der Zukunft liegen, ist falsch. Das Gegenteil ist richtig. „Christen sind Protestleute gegen den Tod“, predigte der schwäbische Pfarrer Christoph Blumhardt im 19. Jahrhundert. Christen und Christinnen legen nicht die Hände in den Schoß und warten auf das jenseitige Leben, sondern versuchen, in diesem Leben etwas sichtbar zu machen von dem, was es heißt, gegen den Tod einzustehen.

Dieser Aufruf zum Protest gegen den Tod zieht sich wie ein roter Faden durch die Geschichte des Christentums. Schon in der Antike waren die Leidensbereitschaft der Christinnen und Christen und ihr soziales Gewissen eine Überraschung für die Menschen in ihrer Umgebung. Dass christliche Gemeinden alle, die sich zu Christus bekannten, in ihre Gemeinschaft aufnahmen, ganz unabhängig von der sozialen Stellung, der Herkunft und dem Geschlecht, löste Verwunderung aus. Und dass sie sich mutig gegen die Mehrheit der Gesellschaft stellten, führte zwar zu Verfolgungen, wurde aber zugleich mit großem Respekt von antiken Schriftstellern notiert. „Entsetzt euch nicht!“ ist mehr als eine Beruhigung. Es ist eine Aufforderung zum aktiven Einsatz gegen die Herrschaft des Todes in dieser Welt. Christlicher Glaube ist nicht das bisschen Glücksgefühl, das dem Leben noch fehlt, sondern eine grundsätzliche Erfahrung, die das Leben verändert. Eine Erfahrung, dass es unsere Aufgabe ist, Trost und Gerechtigkeit und Frieden in diese Welt zu bringen. Eine solche Glaubenserfahrung hat viele Christen und Christinnen bis in den eigenen Tod widerstehen lassen und bleibt bis in unsere Tage ein spiritueller Motor für Veränderungen. Die sichtbaren österlichen Zeichen sind nicht der Osterhase und die blühenden Narzissen, sondern der mutige Einsatz gegen die Todesschatten in dieser Welt. Das eint Christen und Christinnen in der ganzen Welt. Wo Menschen anderen Menschen mutig zur Seite stehen und dafür Ansehen riskieren und Bequemlichkeiten verlassen, wird Auferstehung sichtbar, mitten in Todeslandschaften. Das ist unsere Aufgabe, unsere Würde.

Ich wünsche Ihnen gesegnete und lebensfrohe Ostern!

Hannover, 18. April 2019

Henrike Müller
Pressestelle der VELKD