Mehr Raum für Natur

Umweltbeauftragter der EKD warnt: Chance auf ökologischen Umbau der Wirtschaft nicht verspielen

Viele Milliarden Euro kostet das jüngste Konjunkturprogramm der Bundesregierung. Weitere Milliarden Euro fließen in Rettungspakete für Unternehmen. Viele Menschen fordern, die Vergabe der Gelder an soziale und ökologische Kriterien zu knüpfen. So auch der Heidelberger Wirtschaftswissenschaftler Hans Diefenbacher. Der Beauftragte für Umweltfragen bei der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) plädiert für einen konsequenten ökologischen Umbau der Wirtschaft nach der Corona-Krise. Gelder sollten nur in Maßnahmen fließen, die einen zukunftsfähigen Wirtschafts- und Konsumstil verbinden und die sozialen und ökologischen Folgen miteinbeziehen.

Wiese mit Wildblumen

Mit einem 130 Milliarden Euro Konjunkturprogramm will die Bundesregierung die Wirtschaft wieder in Schwung bringen, darunter sind Investitionen für Klimaschutz und Zukunftstechnologien. Für wie ökologisch und sozial halten Sie diese Maßnahmen? Es fehlen beispielsweise Abwrackprämien für Autos.

Hans Diefenbacher: Dass das Verschrotten von Gegenständen, die durchaus noch weiter benutzt werden können wie ältere Autos, nicht pauschal gefördert wird, ist eine im Grunde gute Entscheidung. Dass Investitionen in Klimaschutz gefördert werden sollen, ist hervorragend – was genau sich hinter dem Wort „Zukunftstechnologie“ verbirgt, muss man im Einzelfall prüfen. Wichtig wäre, dass es eine konsistente, das heißt, in sich stimmige Orientierung an Kriterien des Klima- und Umweltschutzes als Grundlage des Konjunkturprogramms geben sollte. Das ist, soweit ich sehe, noch nicht durchgehend der Fall.

Im Zusammenhang mit den Rettungspaketen für Unternehmen hatten Sie vor Kurzen bemängelt, dass ökologisch-soziale Kriterien keine Rolle spielen. Wird die Chance auf einen Umbau der Wirtschaft jetzt vertan?

Die Chance wäre, den Neustart der Wirtschaft nach dem „Shutdown“ als wirklichen Neustart der Wirtschaft zu gestalten, der ökologische und soziale Veränderungen zur Voraussetzung von Förderungen macht. Diese Chance würde vertan, wenn wir nur auf Wachstumsraten schielen und den „Erfolg“ nur daran messen, ob wir möglichst schnell wieder hohe Wachstumsraten erzielen. Aber das ist, von der Zukunft her betrachtet, ein Irrtum. 

Um welche sozialen und ökologischen Kriterien geht es Ihnen?

Bei den ökologischen Kriterien geht es zum Beispiel um die Frage, ob wirtschaftliche Aktivitäten etwas zum Klimaschutz oder zum Erhalt der Biodiversität beitragen. In sozialer Hinsicht geht es um die Frage, wie wir die Arbeiten gestalten und bewerten wollen, die vor der Krise in unserer Gesellschaft eher geringschätzig behandelt wurden: Arbeiten im Pflege- und im Betreuungsbereich gehören dazu, auch viele ehrenamtliche Tätigkeiten sind zu nennen.

Es hat sich gezeigt, dass andere Arbeitszeitmodelle und neue Formen der Arbeitsgestaltung in einem Ausmaß möglich sind, das vorher nicht für möglich gehalten wurde. Aber das Ganze darf nicht ausschließlich zu Lasten der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer gehen.

Wie würden sich Unternehmen verändern? Geben sie bitte ein, zwei konkrete Beispiele!

Eine öffentliche und kirchliche Verwaltung könnte zum Beispiel durchgängig mit einer anderen Arbeitszeitgestaltung arbeiten und eine neue Mischung aus Vor-Ort-Präsenz und Homeoffice ermöglichen.  Ein Produktionsunternehmen – etwa im Automobilbau – könnte seine Absatzchancen in neuen, konsequent ökologischen Produkten, etwa mit anderen Formen der klimafreundlichen Antriebe, suchen. Und Autos müssen auch nicht immer noch größer und schneller werden.

Welches Wirtschafts-Konzept haben Sie vor Augen?

Es wäre ein Wirtschaftssystem, in dem negative Effekte im Umwelt- und im Sozialbereich konsequent und möglichst vollzählig in den Preisen der Produkte und Dienstleistungen berücksichtigt würden. Würden wir in unserem Steuer- und Abgabensystem diese negativen Effekte durchgängig berücksichtigen und für solche Produkte auch keine Subventionen oder sonstige Förderungen mehr ausgeben. Dann wären wir recht schnell auf dem richtigen Weg des Umbaus unserer Wirtschaft. Wir müssen das Soziale an der sozialen Marktwirtschaft wieder ernst nehmen und die soziale Marktwirtschaft noch weiter in ökologischer Sicht ausbauen.

Wenn wir von rein wirtschaftlichen Maßnahmen absehen, welche ökologischen gehen damit einher?

Die Natur kann ihre Interessen nicht selbst vertreten, Feldhamster und Singvögel haben in der politischen Lobby-Arbeit erst mal keine eigene Stimme. Der heutige Tag der Umwelt ist Anlass zur Mahnung und zur Erinnerung daran, dass die Natur geschützte Räume auch in einem dicht besiedelten Land braucht, dass unser Einsatz für die Natur sich nicht immer in finanzielle Vorteile umsetzen muss.

Was kann Kirche, was können Kirchenkreise und -gemeinden unternehmen, was kann jeder und jede einzelne konkret tun?

Um nur Eines zu nennen: In den meisten Landeskirchen gibt es ein Klimaschutzkonzept; man kann an der Umsetzung dieser Konzepte auf vielen verschiedenen Ebenen arbeiten – von Kirchenleitungen über Kirchenkreise bis zu einzelnen Gemeinden sind hier alle Ebenen gefragt. Und auch die einzelnen Kirchenmitglieder können sich in die Umweltarbeit ihrer Gemeinde einbringen: durch eine Gestaltung von kirchlichen Aktivitäten, die an Prinzipien der Nachhaltigkeit orientiert sind, von der umweltfreundlichen Anreise zum Gottesdienst oder ökologischen und fair orientierten Beschaffung von Dingen, bis hin zu einer ökologischen Gestaltung der Außenanlagen.

Interview: Sven Kriszio (EKD)