Neuorientierung für eine nachhaltige Landwirtschaft

2 Situationsbeschreibung

2.1  Strukturwandel

(7) Der überaus tiefe Strukturwandel, der sich in der Landwirtschaft seit längerer Zeit mit hohem Tempo vollzieht, hat einerseits eine ausreichende Ernährung in der Europäischen Union sichergestellt, zugleich aber auch zu ökonomischen, sozialen und ökologischen Problemen geführt, die sich zunehmend wechselseitig beeinflussen. Ökonomisch war die Entwicklung der Landwirtschaft in den letzten Jahrzehnten in den Industrieländern gekennzeichnet durch einen zunächst zunehmenden, inzwischen aber teilweise wieder verringerten Einsatz von Düngemitteln. Auch ertragssteigerndes Saatgut, mechanische Rationalisierungsmaßnahmen und die chemische Unterstützung der Bodenbearbeitung, ein hoher Einsatz von Pestiziden sowie die Aufstockung und Rationalisierung der Viehhaltung, insbesondere in der Geflügel- und Schweinehaltung, führten in Deutschland zu einer kontinuierlichen Erhöhung der Flächen- und Arbeitsproduktivität und damit zu einer Steigerung der landwirtschaftlichen Produktion um jährlich 2,5 – 3 % bei einem gleichzeitigen Bevölkerungswachstum von durchschnittlich 0,7 %. Diese Entwicklung wurde seit der Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft forciert und beginnt allmählich auch die Strukturen der neuen Beitrittsländer der Europäischen Union zu erfassen.

(8) Konnte im Jahr 1950 ein Landwirt zehn Personen mit seiner Produktion ernähren, so waren es 1985 bereits 65 Personen und sind es heute 119(5). Diese Entwicklung hat einen dramatischen Verlust von Arbeitsplätzen in der Landwirtschaft nach sich gezogen. Gleichzeitig stieg aber die Zahl der Beschäftigten in den der Landwirtschaft vor- und nachgelagerten Bereichen. Parallel zu den Ertragssteigerungen erfolgte in der Landwirtschaft ein Konzentrationsprozess, der zur Abnahme der Zahl von Betrieben, zu betrieblicher Spezialisierung, der Herausbildung einer bodenunabhängigen Tierhaltung und der Zunahme der durchschnittlichen Betriebsgrößen und Flächenausstattung führte. Zugleich kam es auch zur räumlichen Konzentration der Produktion und der Bildung größerer Betriebe in standortbegünstigten Agrarregionen. Aus den weniger begünstigten Gebieten zog sich die Landwirtschaft zurück, vor allem aus Mittelgebirgslagen und Grünlandgebieten.

(9) Seit 1960 wurden in Deutschland zwei Drittel aller Höfe aufgegeben. Während 1960 noch ca. 2 Mio. Vollerwerbskräfte in der westdeutschen Landwirtschaft gearbeitet haben, waren es im Jahr 1999 im vereinigten Deutschland nur noch 382 500(6) . Die Erwerbstätigen in der Landwirtschaft in den neuen Bundesländern (einschließlich Berlin) sind von 316 000 im Jahr 1992 auf 202 000 im Jahr 2001 um mehr als ein Drittel zurückgegangen. Immer mehr Betriebe wechseln in den Nebenerwerb. Auf vielen Höfen steht ein Generationswechsel an. 22 % der Höfe haben keinen Hofnachfolger, in vielen Fällen ist die Hofnachfolge ungeklärt(7) . Die relativ geringe Zahl der jungen Berufseinsteiger lässt in der nächsten Generation einen Rückgang auf ein Drittel der heutigen Vollerwerbsbetriebe erwarten. Die Öffnung der europäischen und globalen Märkte hat den Verdrängungswettbewerb beschleunigt und wird ihn künftig weiter anheizen. Dabei wird die Landwirtschaft als reiner agrarischer Rohstoffproduzent mehr und mehr ein abhängiges Glied zwischen vorgelagertem Sektor (z. B. Chemie-, Futtermittel-, Saatgut- und Landmaschinenindustrie) und nachgelagertem Sektor (Be- und Verarbeitungsindustrien der Ernährungswirtschaft, Groß- und Einzelhandel). Der Strukturwandel in der Landwirtschaft findet seine Parallele im Konzentrationsprozess des vor- und nachgelagerten Bereiches. So etwa im Lebensmitteleinzelhandel, wo die fünf größten Handelsgruppen inzwischen 62,4 % des Marktanteiles halten(8) . Langfristig stellt sich daher die Frage, ob die wichtigen gesellschaftlichen Funktionen der Landwirtschaft, nämlich

  • Ernährungssicherung durch die Erzeugung hochwertiger Lebensmittel,

  • Schonung der natürlichen Ressourcen Boden, Wasser und Luft,

  • infrastrukturelle, wirtschaftliche, soziale und kulturelle Belebung der ländlichen Räume und

  • Pflege der Kulturlandschaft und Erhalt der Artenvielfalt,

von immer weniger, jedoch zunehmend kapitalintensiv und einseitig auf Ertragssteigerung ausgerichteten Betrieben überhaupt noch erfüllt werden können.

(10) Weltweit bahnt sich mit der Gentechnik in der Landwirtschaft und der Ausweitung geistiger Eigentumsrechte auf alle Elemente des Lebens und der Natur durch entsprechende Patentierungen eine neue grüne Revolution an, die zu tiefgreifenden Veränderungen in Produktion, Handel und Ernährung führt. Im Blick auf die Schädlingsresistenz und die gezielte Veränderung einzelner Eigenschaften (z. B. Vitaminanreicherung bei Reis) hat die grüne Gentechnik Erfolge vorzuweisen. Es fehlt jedoch an einer umfassenden und langfristigen Abschätzung der vielschichtigen Chancen und Risiken. Eine breite Umsetzung der großen Versprechungen ist bisher ausgeblieben. So wird die Grüne Gentechnik von den einen als große Hoffnung der weltweiten Armutsbekämpfung angesehen, von den anderen als der Einstieg in die Abhängigkeit landwirtschaftlicher Betriebe von großen transnationalen Konzernen, die sich die Kontrolle über Pflanzen, Saatgut und Nutztiere mit Hilfe von Patenten aneignen. Die Ambivalenz der Entwicklung liegt auf der Hand und nötigt zu einer grundsätzlichen Reflexion über die Leitwerte einer zukunftsfähigen Landwirtschaft und Agrarpolitik.

(11) Primär durch Unterstützung vorhandener Strukturen im Ernährungsbereich gibt die EU rund 50 Mrd. Euro pro Jahr für Agrarsubventionen und direkte Einkommenshilfen aus. Davon werden 38 Mrd. für die Produktionsregelung einschließlich der Lagerung und Vernichtung von Lebensmitteln verwendet. Bisher hat die gegenwärtige Subventionspolitik eine ökologisch negative Steuerungswirkung und kann langfristig auch sozial keine hinreichende Sicherheit schaffen. Die Interessengegensätze der EU-Mitgliedsländer und unterschiedliche Bewertungen der Situation behindern die Einigung auf eine nachhaltige Reform, die ökonomisch, ökologisch und sozial tragfähig wäre. Die ökonomischen Vorteile der Produktivitätssteigerungen werden von immer größeren Gemeinlasten und Sozialkosten – nicht zuletzt bei der Trinkwassergewinnung – aufgezehrt. Die Verbraucher und die aufkaufenden Betriebe der Ernährungswirtschaft profitieren von den deutlich gefallenen Preisen für landwirtschaftliche Rohstoffe. Die in der Landwirtschaft Tätigen müssen ihre Produkte unter den Herstellungskosten verkaufen und erhalten zum Ausgleich staatliche Zuschüsse. Für den Welthandel bedeuten die auf diese Weise künstlich gesenkten Preise ein wettbewerbsfeindliches Dumping, das gegenüber den Anbietern aus anderen Weltregionen, die keine Subventionen erhalten, ungerecht ist.

2.2  Soziale Situation in der Landwirtschaft

(12) Die in der Landwirtschaft Tätigen sind von den genannten strukturellen Umbrüchen sozial und ökonomisch stark belastet, wobei es auch hier Gewinner und Verlierer gibt. In den neuen Bundesländern brachte die Wiedervereinigung einen sehr abrupten Strukturwandel mit sich. Der größte Teil der ehemaligen LPG- Arbeitsplätze ging verloren. Einige wenige hatten den Mut, als „Wiedereinrichter“ eine selbständige landwirtschaftliche Existenz aufzubauen. Viele von ihnen haben es nicht durchgestanden. Die erfolgreichen Wiedereinrichter haben heute in der Regel Betriebsstrukturen, die äußerst wettbewerbsfähig sind. Dafür musste jedoch ein hoher Preis der sozialen Verwerfung auf dem Lande bezahlt werden. Viel Land ging an Betriebsleiter, die aus dem Westen kamen und die Gunst der Stunde zu ihrem Vorteil nutzten. Der meiste ackerfähige Boden wird von LPG-Nachfolgeorganisationen bewirtschaftet. Meist waren es Personen aus der ehemaligen LPG- Leitung, die eine Gruppe ehemaliger Mitarbeiter zusammenführten und ein neues Unternehmen gründeten.

(13) Heute zeigt sich, dass die Personengesellschaften und die Juristischen Personen in der Landwirtschaft insgesamt in der Bundesrepublik inzwischen sogar ein wenig erfolgreicher gewirtschaftet haben als die Einzelunternehmen(9). Dennoch ist nicht zu übersehen, dass diese Großbetriebe politisch äußerst verletzlich sind, denn sie existieren vor allem auf der Grundlage der Hektar- und Tierprämien der EU. Die sich politisch abzeichnenden Programme der degressiven Staffelung dieser Prämien nach Betriebsgröße und die diskutierten Maßnahmen zur artgerechten Tierhaltung sind für einige dieser Betriebe existenzgefährdend. Eine arbeitsplatzfördernde Struktur der zukünftigen Agrarprogramme würde sich weniger an der Betriebsgröße der Unternehmen als an der Zahl ihrer Beschäftigten orientieren.

(14) Auf den bäuerlichen Familienbetrieben Westdeutschlands lastet der Entscheidungsdruck im Blick auf „Wachsen, Neuorientieren oder Weichen“, um eine passende Antwort auf den Strukturwandel in der Landwirtschaft zu finden. Folgende Entwicklungen prägen ihre soziale Lebenssituation: Für viele Ehepaare in klein- und mittelbäuerlichen Betrieben ist es eine schmerzliche Erfahrung, dass sich ihre Kinder nicht zur Hofnachfolge entschließen können. Die fehlende Hofnachfolge verhindert Wachstum, zugleich aber erfordert die noch mehrjährige Berufstätigkeit bis zum Rentenalter die betriebliche Existenzsicherung. Die Betriebsleiterinnen und Betriebsleiter versuchen, mit niedrigen Einkommen ein Auskommen für sich und ihre Familien zu erwirtschaften. Solche Betriebe fühlen sich technisch und wirtschaftlich abgehängt und sichern ihre Marktfähigkeit durch ein hohes Maß an Überarbeit und Konsumverzicht.

(15) Die jüngeren landwirtschaftlichen Betriebsleiterinnen und Betriebsleiter sind auf der Suche nach einer Weichenstellung für die betriebliche Zukunftssicherung. Dabei stehen sie im Spannungsfeld der unterschiedlichsten Empfehlungen aus Agrarwissenschaft, Agrarpolitik und Gesellschaft: Neuorientierung der Existenzsicherung im Wettbewerb entweder durch Größenwachstum oder veränderte Betriebsausrichtung, z. B. Umstellung auf ökologischen Landbau oder neue Dienstleistungen. Auch die jungen landwirtschaftlichen Familien spüren ein enormes Übermaß an Arbeitsbelastung, das wenig Zeit für Familie und Freizeit lässt. So sind soziale Spannungen innerhalb der Familie und psychosoziale Problemlagen immer häufiger anzutreffen, wie die Berichte der landwirtschaftlichen Familienberatung der Kirchen belegen.

(16) Ältere Betriebsleiter und Altenteiler, die den Hof bereits übergeben haben, aber oft noch intensiv mitarbeiten, empfinden zunehmend Unverständnis für das Spannungsverhältnis, in das die heutige Landwirtschaft geraten ist. Über Jahrzehnte hinweg war landwirtschaftliche Produktivitätssteigerung das ausschließliche Ziel, an dem sich die Agrarpolitik und die landwirtschaftliche Praxis orientierten. Die neuen ökologischen, tierethischen und kulturellen Erwartungen unterschiedlicher Gruppen der Gesellschaft werden oft nur als Zumutung, selten als Chance wahrgenommen. Nach eigenem Selbstverständnis haben sie als „ordentliche“ Landwirtinnen und Landwirte immer mit der Natur gewirtschaftet, so dass sie Tierschutz, Umweltschutz oder Landschaftspflege als selbstverständlichen Bestandteil ihrer Tätigkeit ansehen, der nicht erst von außen eingefordert werden muss. Viele sehen ihr Lebenswerk in Frage gestellt.

(17) Eine besondere Rolle in der sozialen Lage der Landwirtschaft nehmen die Frauen ein. Als Ehefrau eines Betriebsleiters oder als Betriebsleiterin sind sie nicht nur von den vielfältigen betrieblichen Umstellungen in hohem Maße mit in Anspruch genommen, sondern müssen auch die oft schwieriger werdenden familiären Kommunikations- und Organisationsprozesse, die Kinder- und Altenbetreuung sowie die Einbindung in soziale Netzwerke bewältigen, die sich auf dem Land besonders stark verändern. Gerade die heute politisch gewollte Multifunktionalität in Form vielfältiger landwirtschaftlicher Dienstleistungen bindet die Frauen in eine neue, zusätzliche Verantwortung für die betriebliche Einkommensentwicklung mit ein. Fällt eine Arbeitskraft plötzlich wegen Scheidung, Krankheit oder Tod aus, bricht die gesamte Betriebsorganisation zusammen. Dies wiederum belastet die psychosoziale Situation der Betroffenen sowie die reale Existenzchance des Betriebs erheblich.

(18) Der Wandel der klassischen Bäuerinnenrolle führt in vielen bäuerlichen Familie zu erheblichen Orientierungsschwierigkeiten und oftmals zu Generations- und Partnerschaftskonflikten. Viele jüngere Frauen bringen eine eigene, oft außerlandwirtschaftliche berufliche Qualifikation mit und wollen diese auch zur Geltung bringen. In der Praxis führt der berechtigte Wunsch nach eigenständiger außerlandwirtschaftlicher Beruftätigkeit zu erheblichen Spannungen, da die Wahrnehmung der vielfältigen Betriebsaufgaben auf die intensive Mitarbeit der Frauen ebenso wie auf die Unterstützung der Altenteiler angewiesen ist. So stehen dem Zugewinn durch eine Vielzahl neuer beruflicher Qualifikationen der Frauen oft konfliktreiche Erfahrungen im Wandel des traditionellen Gefüges aus Altenbetreuung, Kindererziehung, Haushaltsführung sowie Mitarbeit im landwirtschaftlichen Betrieb gegenüber. Die Suche nach der Vereinbarkeit von Familie, Erwerbstätigkeit und Freizeitgestaltung ist gerade für die Landwirtschaft eine große Herausforderung und führt zu neuen Formen des partnerschaftlichen und familiären Zusammenlebens.

(19) Das traditionelle Berufsverständnis der Landwirtinnen und Landwirte wird mit gesellschaftlichen Anfragen konfrontiert, auf die sie weder durch ihre Ausbildung noch durch ihren Berufsstand oder die Agrarpolitik hinreichend vorbereitet sind. Dabei erfahren sie sich als in ihrer sozialen Stellung verunsichert und oft einseitig mit ökologischen und kulturellen Erwartungen konfrontiert, die sie in der Praxis ohne agrarpolitische oder gesellschaftliche Rückendeckung nicht wahrnehmen können. Hier besteht ein wichtiger seelsorgerlich-diakonischer Auftrag für die Kirchen. Sie versuchen, in konkreten Problemsituationen die in der Landwirtschaft Tätigen mit ihren Familien zu begleiten und in Gesellschaft und Politik um Verständnis für ihre schwierige berufliche und soziale Positionsfindung im Übergang zu einer Neuorientierung der Landwirtschaft zu werben. Dabei kann an viele positive Entwicklungen angeknüpft werden, wie z. B. die neuen Chancen für Berufskombinationen, Freizeitgestaltung und Frauenrollen in vielen landwirtschaftlichen Betrieben. Bei allen Schwierigkeiten der heutigen Situation ist nicht zu übersehen, dass es gerade in Deutschland eine Vielzahl prächtiger, hervorragend geführter Höfe und intakter Familiengemeinschaften gibt.

2.3  Umweltbelastungen

(20) Das Leitbild der Produktivitätssteigerung (EWG-Vertrag, Art. 39) ist seit 1957 unverändert in Kraft. Eine an der Erhöhung der Arbeitsproduktivität orientierte Praxis gerät jedoch zunehmend in Konflikt mit dem Schutz der Vielfalt des Lebens, der Komplexität ökologischer Systeme, den Erwartungen an Transparenz und Sicherheit in der Lebensmittelproduktion sowie den Anforderungen an Tierschutz, Naturschutz und Landschaftspflege. Die Agrarreform von 1992 hat zwar einige Verbesserungen erbracht (z. B. die Förderung „umweltgerechter und den natürlichen Lebensraum schützender landwirtschaftlicher Produktionsverfahren“), eine umfassende Trendwende blieb bisher jedoch aus.

(21) Aktuelle Problembereiche sind vor allem: Nitrateintrag in die Gewässer, Artenrückgang mangels geeigneter und entsprechend vernetzter Biotope auf land- und forstwirtschaftlich genutzten Flächen, verarmte Fruchtfolgen und Rückstandsprobleme aus dem Pestizideinsatz. Weltweit wird die Bodenfruchtbarkeit an zahlreichen Standorten durch Erosion und nicht standortangepassten Pflanzenbau gefährdet.

(22) Da die negativen ökologischen Wirkungen in der Regel erst mit erheblicher zeitlicher Verzögerung spürbar werden, orientiert sich die Landwirtschaft häufig am Ziel der kurzfristigen Ertragssteigerung, ebenso wie Verbraucherinnen und Verbraucher oftmals billige, aber nicht umweltgerecht produzierte Lebensmittel bevorzugen. Viele in der Landwirtschaft Tätige sehen aufgrund des hohen Wettbewerbdrucks keinen Ausweg aus diesem Dilemma. Weite Teile der Bevölkerung sind noch nicht bereit, einen größeren Teil ihres Einkommens für qualitativ hochwertigere, gesundheitlich und ökologisch unbedenkliche Nahrungsmittel zu verwenden. So ist die Landwirtschaft heute zum Seismographen einer gesellschaftlichen Entwicklung geworden, der die Balance zwischen Ökologie und Ökonomie verloren gegangen ist. Deutlich zeigt sich dies auch in einem ständig steigenden Landschaftsverbrauch, bei dem fruchtbare Böden in Gewerbe-, Siedlungs- und Freizeitflächen umgewidmet werden.

2.4  Fragen des Tierschutzes

(23) Die Tierhaltung in landwirtschaftlichen Betrieben ist seit Jahrzehnten von einer enormen Produktionssteigerung und Intensivierung geprägt. Arbeitsteilige Produktionsmethoden, steigender Maschineneinsatz und zunehmende Mobilität sind Kennzeichen dieser Entwicklung. Spätestens seit dem Aufkommen von BSE (Bovine Spongiforme Enzephalopathie), dem Ausbruch von Schweinepest und MKS (Maul- und Klauenseuche) sind die Grenzen moderner Produktionsmethoden auch für die Öffentlichkeit sichtbar, für die betroffenen Landwirte ökonomisch und psychisch schmerzhaft und für die Steuerzahler sehr teuer geworden.

(24) Das gesamte System von Züchtung, Haltung, Fütterung, Transport, Vertrieb und Verzehr von Tieren ist zu hinterfragen. Dabei muss die problematische Gesamtentwicklung der kommerziellen Nutzung von Tieren für den massenhaften menschlichen Konsum insgesamt in den Blick genommen werden. Dies kommt meist zu kurz bei den öffentlich diskutierten Einzelaspekten wie Artgerechtigkeit der Haltung, Einsatz verbotener Futtermittel und Tiermedikamente, Tiertransport über weite Strecken, massenhafte Vernichtung männlicher Küken gleich nach der Geburt, Verfütterung von Tiermehl aus Kadavern oder der hohe prophylaktische Medikamenteneinsatz, vor allem in modernen Großställen.

(25) Die gesamte landwirtschaftliche Tierhaltung ist einem extremen ökonomischen Verwertungsdruck ausgesetzt, der bereits globalisiert ist. Die problematischen Methoden sind Teil einer Intensivtiernutzung, bei der das einzelne Tier unter dem Gesichtspunkt der Erzielung maximaler Leistungen in immer kürzerer Zeit betrachtet wird. Auf dieses einseitige Ziel hin wurden mit wissenschaftlicher Akribie die Züchtung der Hochleistungsrassen betrieben, die Fütterungsmethoden entwickelt, die Stalltechnologie erprobt und die Verarbeitungs- und Vertriebswege konzipiert. Die Kehrseite eines so hohen Leistungspotentials liegt in einer höheren Krankheitsanfälligkeit der Tiere und Bestände. Insgesamt dient die Intensivtiernutzung einem extrem hohen Pro-Kopf-Verbrauch tierischer Produkte, der auch aus gesundheitlichen Gründen zu hinterfragen ist.

(26) Die Empörung über die Keulung von ganzen BSE-Rinderbeständen und über die entsetzlichen Bilder von brennenden Kuhkadaverbergen hat viele Verbraucher zu einem Aufschrei und einer Infragestellung ihres Einkaufsverhaltens veranlasst, die Mehrzahl allerdings nur für wenige Monate. Offenbar sind die Bewusstseinsbildungsprozesse und politischen Maßnahmen nicht nachhaltig genug, um tragfähige Zukunftschancen für eine breite Schicht von Bauernhöfen mit neuen Methoden und Strukturen in der Fleischwirtschaft aufzubauen. Es fehlt an Kooperationen zwischen Landwirtschaft, Nahrungsmittelindustrie und Verbrauchern für den mühsamen Prozess einer Neuorientierung im Umgang mit landwirtschaftlichen Nutztieren.

2.5 Probleme der Landwirtschaft im Rahmen der Ost-Erweiterung der EU

(27) Im Juni 1993 beschloss der Europäische Rat bei seinem Treffen in Kopenhagen, den mittel- und osteuropäischen Ländern Bulgarien, Estland, Lettland, Litauen, Polen, Rumänien, Slowakei, Slowenien, der Tschechischen Republik und Ungarn Beitrittsperspektiven zur EU zu eröffnen. Im Juni 1997 empfahl die Kommission, die Beitrittskandidaten in zwei zeitlich aufeinanderfolgenden Gruppen zu behandeln. Nachdem der Europäische Rat dieses Vorgehen bei einer Tagung im Dezember 1997 in Luxemburg gebilligt hatte, sind seit Dezember 2002 zehn Staaten (Estland, Polen, Slowenien, die Tschechische Republik, Zypern, Lettland, Ungarn, Litauen, die Slowakei und Malta) zum Beitritt eingeladen, der Beitritt zweier weiterer Staaten – Rumänien und Bulgarien – ist erst für eine spätere Phase vorgesehen.

(28) In allen diesen Ländern hat ein starker Wandel des landwirtschaftlichen Sektors eingesetzt. In der Zeit des wirtschaftlichen Rückganges nach der Marktöffnung der mittel- und osteuropäischen Länder (MOEL) ist oft auch die landwirtschaftliche Produktion in eine dramatische Krise geraten; in der tschechischen Republik betrug der Produktionsrückgang Anfang der neunziger Jahre über 30 Prozent.

(29) Die Maßnahmen, die ergriffen wurden, um diese Krise zu bewältigen, haben die Lebensumstände der Menschen auf dem Land oftmals nicht verbessert. Der Anteil der Landwirtschaft am Bruttoinlandsprodukt ist in den MOEL weiter zurückgegangen. Viele Bauern – vor allem jene mit kleinen Betrieben – sind mit den neuen Anforderungen, die die Privatisierung gebracht hat, nicht zurecht gekommen. Die Produktionskosten sind häufig viel schneller gestiegen als die Erlöse, die sie für die landwirtschaftlichen Produkte erzielen konnten. Die staatlichen Subventionen sind in vielen dieser Länder zurückgegangen, die schwache Kaufkraft der Bevölkerung und steigende ausländische Konkurrenz – oftmals mit Produkten aus der EU, deren Produktion sehr stark subventioniert wird – bedeuteten für viele Bauern, dass sie ihre neu gewonnene Unabhängigkeit wieder aufgeben oder sich in nahezu auswegloser Weise verschulden mussten.

(30) So ist beispielsweise in der tschechischen Republik der Anteil der Beschäftigten in der Landwirtschaft von 9,9 Prozent im Jahre 1989 auf unter 4 Prozent im Jahre 1999 zurückgegangen. Der durchschnittliche Lohn eines Angestellten in einem landwirtschaftlichen Betrieb lag 1989 noch bei 109 Prozent des tschechischen Durchschnittslohnes; 1999 lag diese Kennziffer nur noch bei 75 Prozent. Dieser Entwicklungsweg ist – sieht man sich die Landwirtschaft in den EU-Ländern an – in den MOEL noch lange nicht an ein Ende gekommen. In den Ländern Bulgarien, Lettland, Litauen, Rumänien, Slowakei und Malta sind die damit verbundenen Probleme weitaus gravierender. In Rumänien arbeiten im Jahre 2000 noch fast 43 Prozent aller Beschäftigten und über 70 Prozent der Arbeitskräfte in ländlichen Gebieten in der Landwirtschaft. Nur zwischen 0,1 und 1 Prozent der ländlichen Bevölkerung hat in Rumänien einen Universitätsabschluss, fast 8 Prozent der ländlichen Bevölkerung hat keinerlei Schulbildung. Über 72 Prozent der Höfe sind kleiner als 3 Hektar und werden unter den neuen Wettbewerbsbedingungen kaum wirtschaftlich betrieben werden können.

(31) Aufgrund dieser Ausgangsbedingungen lassen sich westliche Entwicklungskonzepte nur mit allergrößten Problemen auf die MOEL übertragen – zumindest nicht mit der Geschwindigkeit, die durch die Erfüllung des „acquis communautaire“ der vollständigen Übernahme des EU-Rechts – eigentlich vorgegeben ist. Es muss überlegt werden, ob der Begriff der Wettbewerbsfähigkeit in den ländlichen Regionen der MOEL nicht zumindest zunächst nur im Rahmen einer starken Förderung des Aufbaues lokaler und regionaler Strukturen sinnvoll definiert werden kann. Bislang sind diese Regionen nicht nur durch die geschilderte Verschlechterung der landwirtschaftlichen Produktionsbedingungen negativ betroffen. In der Regel haben sie auch sonst unter gravierenden Standortnachteilen zu leiden: eine schlechte Infrastruktur, vor allem wenig effiziente öffentliche Verkehrsmittel, eine schlechte Gesundheitsversorgung und keine ausreichenden Bildungsangebote.

(32) Ein sehr kleiner Teil der Bauern in den MOEL wird im zunehmenden globalen Wettbewerb bestehen können. Ein weiterer, noch kleinerer Teil wird überleben können, indem er ökologische und regionale Nischen besetzt, die auch für die internationalen Märkte interessant sind, etwa bei Gewürzen oder Heilkräutern. Es wäre zu prüfen, welche innovativen Elemente einer multifunktionalen Landwirtschaft unter den mittel- und osteuropäischen Bedingungen entfaltet werden können. Gute Chancen dafür bieten beispielsweise die relativ niedrigen Arbeitslöhne sowie die große biologische und landschaftliche Vielfalt. Aber der duale Charakter der Landwirtschaft in den MOEL bedeutet, dass nicht nur in diese auch nach konventionellem Verständnis wettbewerbsfähigen Bereiche investiert werden muss. Der weitaus größere Teil der Landwirtschaft besteht aus Betrieben, die im Grunde fast schon einer Subsistenzwirtschaft zuzuordnen sind, die aber eine bedeutende Rolle als soziales Sicherungssystem in ländlichen Gebieten spielen, auf das auf mittlere Sicht nicht verzichtet werden kann. Auch wenn man nur 50 Prozent der durchschnittlichen Produktivität eines landwirtschaftlichen Betriebes in der EU erreichen wollte, würde dies in den 10 MOEL-Beitrittsländern mindestens 4 Millionen Menschen ihren Arbeitsplatz kosten. Die gesellschaftlichen Kosten, die die persönlichen Schicksale dieser Menschen bedeuten würden, lassen sich nicht beziffern.

(33) Es ist völlig unstrittig, dass die geschilderten Entwicklungen nicht mehr aufgehalten werden können – sie können nur noch in ihren Folgen für die Betroffenen abgemildert werden. Vor allem aber müsste es in den EU-Ländern und den MOEL zu einer realistischen Debatte darüber kommen, welche Leistungen man von der Landwirtschaft als Teil der Ökonomie erwartet und welche nicht unmittelbar marktfähigen Leistungen sie für die Menschen erbringen sollte, die in ländlichen Regionen leben. Beide Zielbereiche werden nur in Kooperation und nicht in Konfrontation erfüllt werden können, wenn

  • das natürliche Kapital der ländlichen Regionen, insbesondere deren Biodiversität erhalten wird, da sonst keine Gerechtigkeit zwischen den Generationen entstehen kann;

  • das Schicksal armer Bauern und armer ländlicher Gegenden besondere Aufmerksamkeit erfährt, da sie auf mittlere Sicht keine Wettbewerbsfähigkeit herstellen können;

  • die gemeinsame Landwirtschaftspolitik der EU so verändert wird, dass sie ausreichend Zeit für Anpassungsprozesse lässt, da die sozialen Kosten den Gewinn durch Produktionssteigerungen sonst bei weitem überschreiten, und

  • hohe Aufmerksamkeit auf die Förderung lokaler und regionaler ökonomischer Strukturen gerichtet wird, da so die traditionellen ländlichen sozialen Sicherungssystemen graduell erhalten und weiter genutzt werden können.

2.6. Steigerung des Wettbewerbdrucks und Benachteiligung der Entwicklungsländer

(34) Die Globalisierung der politischen, ökonomischen und technologischen Prozesse in nahezu allen Lebensbereichen hat unter anderem zur Folge, dass sektoral orientierte Politikmuster keine effizienten Problemlösungen mehr hervorbringen. Auch die Landwirtschaft wird verstärkt in gesamtwirtschaftliche Interessen und globale Verantwortung eingebunden. Maßgebliche Rahmenbedingungen hierfür werden von der Welthandelsorganisation (World Trade Organisation, WTO) bestimmt. In ihr gibt es ein erstes völkerrechtlich-verbindliches Abkommen über Landwirtschaft. Ziele sind die umfassende Weltmarktintegration und schrittweise Liberalisierung des Weltagrarmarktes. Die Vertragsstaaten haben sich in diesem Abkommen darauf verständigt, die landwirtschaftlichen Zollsätze abzubauen (36 % von 1995 bis 2001), die interne Stützung zurückzuführen (um 20 %), den internationalen Handelspartnern einen Marktzugang von mindestens 5 % zu gewähren und die subventionierten Agrarexporte um 36 % zu reduzieren.(10)

(35) Seit 1999 wurden in der WTO die Diskussionen mit dem Ziel weiterer Agrarliberalisierung fortgeführt; seit Beginn 2002 laufen die Verhandlungen über ein neues Agrarabkommen, die noch 2003 abgeschlossen werden sollen. Die letzte Verhandlungsrunde hat noch keine direkten Folgen für die europäischen Landwirte im Blick auf Subventionsabbau und Marktkonkurrenz mit Drittlandprodukten gezeitigt; aber die gegenwärtigen Verhandlungspositionen der Vertragsstaaten lassen vermuten, dass der nächste Vertrag fühlbare Einschnitte bringen wird. Schon jetzt hat die WTO bewirkt, dass die Unterstützung der Landwirtschaft stark umgeschichtet wurde: weg von Preis- und Mengenstützung hin zu direkten Einkommensübertragungen. Den in der Landwirtschaft Tätigen ist dadurch ihre starke Abhängigkeit von staatlicher Einkommenssicherung spürbar geworden. Damit dieser Weg der Ergänzung des landwirtschaftlichen Einkommens angenommen wird, muss er zumindest mittelfristig verlässlich gesichert sein.

(36) Künftig ist mit einer weiteren Verschärfung des Wettbewerbs zu rechnen. Gründe dafür sind die fortschreitende Liberalisierung des Weltmarktes sowie die Osterweiterung der EU, die zu einer Öffnung unserer Märkte für landwirtschaftlich orientierte Länder mit niedrigem Lohnniveau führen wird. Zu den gegenwärtigen Weltmarktpreisen können unter europäischen Verhältnissen nur wenige kostendeckend produzieren. Die bisherigen Export-Subventionen und andere Exportdumpingmethoden sowie die Intensivierung der Nahrungsmittelproduktion in Schwellenländern haben ruinös niedrige Preise auf den Weltmärkten bewirkt, tragen so zur Destabilisierung des Weltmarktes für Agrarprodukte bei und verhindern weltweit ökonomisch und ökologisch sinnvolle Anpassungen.

(37) In den meisten Entwicklungsländern wird die einheimische Nahrungsmittelproduktion auf die Exportlandwirtschaft umgepolt, während gleichzeitig die Nahrungsmittel zur Ernährung importiert werden, weil sie auf den Weltmärkten durch das Dumping der Industrieländer billiger zu haben sind. Immer mehr Länder, die sich früher selbst ernährt haben, werden zu Nettoimporteuren von Nahrungsmitteln. Mit diesem Prozess ist ein erheblicher Strukturwandel verbunden, denn für die Exportmärkte qualifizieren sich in der Regel nur Agrarbetriebe, die genügend Umstellungskapital und gesichertes Eigentum an Boden haben, „fortschrittlich“ und dadurch für Berater zugänglich sind. Dieser Strukturwandlungsprozess geht auf Kosten der Ernährungssituation der Mehrheit der Bevölkerung, insbesondere der Frauen und Kinder. In vielen Ländern sind die Frauen für den Anbau der Subsistenzkulturen zuständig. Die Familien müssen weitgehend davon leben. Die meisten Frauen haben für ihre Äcker, auf denen sie ihre Selbstversorgung betreiben, keine Rechtstitel. Der Gewinn aus den Exportfrüchten dagegen kommt in der Regel nur den Männern, einer kleinen Gruppe der Bevölkerung und den transnationalen Unternehmen zugute. Nur zu einem kleinen Teil werden die Erlöse wieder für die Ernährung der in der Landwirtschaft arbeitenden Familien ausgegeben. Viel kulturell gewachsenes Wissen für einen standortgerechten Anbau sowie entsprechende Traditionen der Zubereitung gehen verloren. Auch volkswirtschaftlich gibt es im Zuge dieser Umstellung neue Verarmungsrisiken, denn die in der Landwirtschaft Tätigen und einheimische Verbraucherinnen und Verbraucher werden abhängig von ihrerseits unbeeinflussbaren Faktoren der Weltwirtschaft wie z. B. Zinssätzen, Wechselkursen, Verhandlungserfolgen ihrer Regierungen bei WTO und Internationalem Währungsfonds (IWF), Weltmarktpreisen und Agrarpolitiken der Industrieländer. Wie die Finanzkrisen in Südostasien und Südamerika gezeigt haben, kann über Nacht die Mehrheit einer ganzen Gesellschaft in Armut und Hunger gestürzt werden.

(38) In der Gestaltung der globalen Rahmenbedingungen für die Landwirtschaft in der EU sind es vor allem zwei Kräfteverhältnisse, die hier einwirken: erstens die Agrarkonkurrenz zu den USA und anderen großen Agrarexporteuren, und zweitens die Beziehungen zu den Entwicklungsländern. Bei den ständigen Agrarhandelsspannungen zwischen der EU und den USA scheint es keine Entspannung zu geben. Die beiden Agrarhandelsriesen bieten sich weiterhin ein Kopf-an-Kopf-Rennen um globale Marktanteile. Die EU hat von 13,5 % (1981) auf 17 % (2000) Weltagrarhandelsanteile zulegen können, die USA sind von 24 % auf 18 % abgesackt . Die neue US-Agrarpolitik sieht ein 170 Mrd. US-$ Subventionspaket in den nächsten zehn Jahren für die amerikanische Ernährungswirtschaft vor. Die EU bleibt nicht untätig. Nach Zahlen der OECD lag hier das Unterstützungsniveau bei 114,5 Mrd. US-$ für 1999, verglichen mit 54 Mrd. US-$ in den USA. Die Gesamtunterstützung aller Industriestaaten für ihre Landwirtschaften erreichte 1999 die Höhe von 361 Mrd. US-$; das ist laut UNCTAD doppelt so viel wie der Wert aller Agrarexporte aus Entwicklungsländern(12).

(39) Nachdem sich die Industrieländer davon überzeugt haben, dass die Entwicklungsländer ihren WTO-Verpflichtungen – insbesondere der Aufgabe ihrer Importbeschränkungen – nachgekommen und ihre Märkte für die Einfuhr der Agrarüberschüsse aus dem Norden offen sind, überbieten sich die USA und die EU mit der Gewährung von Agrarsubventionen, die das Preis-Dumping auf den Weltmärkten bewirken. Sie drücken dadurch die Weltmarktpreise weiterhin unter das Selbstkostenniveau und halten ihre Landwirtschaft durch direkte Einkommensübertragungen an in der Landwirtschaft Tätige am Leben – Einkommensübertragungen, die sie sich vorher bei der WTO genehmigen ließen. Die Märkte und Beschäftigungsmöglichkeiten für die in der Landwirtschaft Tätigen im Süden werden dadurch zerstört. Gleichzeitig nahm die weltweite Entwicklungshilfe für die Landwirtschaft und Welternährung im Zeitraum von 1995 bis 2000 von 25 % auf 18 % aller Hilfen ab(13). Die Hungerbekämpfung ist der Weltgemeinschaft nur rund 12 Mrd. US-$ wert und steht in keinem Verhältnis zu den riesigen Summen, die die Industrieländer für die Unterstützung der eigenen Landwirtschaften zahlen.

Fussnoten:

(5) Deutscher Bauernverband, Situationsbericht. Trends und Fakten zur Landwirtschaft, Bonn 2002, S. 28.

(6) Bundesministerium für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft (BMVEL), Agrarbericht 2001, Bonn 2001, S. 9.

(7) Deutscher Bauernverband, Situationsbericht, aaO., S. 94.
 
(8) AaO., S. 238.

(9) Bundesministerium für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft (BMVEL), aaO., S. 27 (Schaubild 11).

(10) WTO, The results of the Uruguay round of the multilateral Trade Negotiations – The Legal Texts, Geneve 1995, S. 39 ff.

(11) FAO, Trade Yearbook, Vol. 54, Rome 2001, Tab. 42 ff.

(12) OECD, Agricultural Policies in OECD countries – Monitoring and Evaluation, Paris 2000, Tab. 1.5 und folgende.

(13) OECD, ODA-Bericht, Paris 2001. In der Bundesrepublik ist dieser Trend nachvollzogen. Die öffentliche Entwicklungsleistung für die Land-, Forst- und Fischereiwirtschaft sank von 10,7 % oder 817 Mio. DM im Jahr 1999 auf 3,9 % oder 311 Mio. DM im Jahr 2000. Die Nahrungsmittelhilfe und das Ernährungssicherungsprogramm sank in dieser Zeit von 72 auf 51 Mio. DM. Vgl. Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit (BMZ): Elfter Bericht zur Entwicklungspolitik der Bundesregierung, Bonn, Juni 2001, S. 208 (Tab. 30).

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