„Pandemie ist zur Bewährungsprobe für den Sozialstaat geworden“
Evangelische Kirche stellt Leitlinien für zukunftsfähigen Sozialstaat vor
Unter der Überschrift „Einander-Nächste-Sein in Würde und Solidarität“ hat die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) heute (29. Oktober) eine Schrift zu Leitlinien eines zukunftsfähigen Sozialstaates veröffentlicht. Erarbeitet hat den EKD-Text die Kammer für soziale Ordnung anhand der Beispiele Pflege und Inklusion. „Zusammenhalt ergibt sich nicht von allein. Würde, Selbstbestimmung, Teilhabe und Gerechtigkeit müssen geschützt und gefördert werden. Nicht zuletzt die Pandemie hat Zentrifugalkräfte verstärkt und ist auch zum Bewährungstest des Sozialstaates geworden“, so der EKD-Ratsvorsitzende Heinrich Bedford-Strohm im Vorwort des Textes. Zwar seien die Ziele des Sozialstaates unverändert, es komme aber darauf an, dass auch deren Umsetzung zuverlässig gelinge. „Wie können Würde, Selbstbestimmung, Teilhabe und Gerechtigkeit geschützt und gefördert werden, besonders im Alter, bei Krankheit und Pflegebedürftigkeit? Wie können Interessen zwischen individueller Entfaltung und Gemeinwohl ausgeglichen werden? Diese Fragen sind zu einem Bewährungstest auch des Sozialstaates geworden“, so Bedford-Strohm. Es sei zentral, Hilfsbedürftige nicht nur zu „versorgen“, sondern Teilhabe am sozialen Leben zu ermöglichen.
Wie christliche Sozialethik sozialstaatliches Handeln vor dem Hintergrund des Doppelgebotes der Lieben bewertet und ausrichtet, erörtert der Text konkret an den Beispielen Inklusion und Pflege. In der Corona-Pandemie sei die Systemrelevanz der Pflege besonders hervorgetreten, heißt es in einer der zwölf Thesen zum Wert des Sozialstaates. „Im Blick auf die Regulierung von sozialen Diensten bis hin zum Mangel an Fachkräften ist deutlich geworden, dass die Rolle der Beschäftigten aufgewertet und ihre Arbeitsbedingungen neu ausgehandelt werden müssen.“ Angesichts der vielfach beschriebenen problematischen Lage in der Pflege stehe eine grundlegende Reform der Pflegefinanzierung an. Diese müsse auf Bedarfsdeckung ausgerichtet sein mit deutlicher Begrenzung der Eigenbeteiligung, ermöglicht durch Anpassungen der Beiträge und deren steuerfinanzierte Ergänzung. „Auf diese Weise können Herausforderungen im Pflegebereich, die auch gerade in der Corona-Pandemie sichtbar wurden, besser bewältigt werden“, heißt es in den Thesen. Eine zentrale Rolle spiele dabei insbesondere die häusliche Pflege durch Angehörige.
Vorgestellt wurde der Text im Rahmen einer Fachdiskussion in Berlin. Der Text ist online als PDF abrufbar unter ekd.de/sozialstaat und kann dort auch als Druckexemplar bestellt werden.
Hannover, 29. Oktober 2021
Carsten Splitt