Spiritualität hat in der evangelischen Kirche Heimatrecht

Wolfgang Huber würdigt Elisabeth von Thüringen

Spiritualität sei eines der „kräftigsten Widerstandsnester“ gegen religiösen Terrorismus und Fundamentalismus. Daher freue er sich über die Wiederentdeckung der Spiritualität, erklärte der Vorsitzende des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Bischof Wolfgang Huber, in einem Vortrag in der Reihe „Werke der Barmherzigkeit“ am 12. Juli in Eisenach. Die Zuwendung zu einer biblisch orientieren Spiritualität gehöre zu den „Kostbarkeiten in der derzeitigen Entwicklung“ der evangelischen Kirche. Die Einheit von Aktion und Kontemplation, von Beten und Arbeiten „hat auch in der evangelischen Kirche Heimatrecht.“

Wer sich an Elisabeth von Thüringen erinnere, deren 800. Geburtstag in diesem Jahr gefeiert wird, müsse sich die Frage stellen, ob in unserer Gesellschaft eine Kultur der Barmherzigkeit noch eine Chance habe. Auch dabei stoße man auf die Frage nach der Spiritualität. „Spiritualität ist nötig, um Menschen davor zu bewahren, dass sie innere oder äußere Verunsicherung dadurch beantworten, dass sie Opfer suchen.“ Ob Sorge um die Opfer und Barmherzigkeit in einer Gesellschaft lebendig seien, hänge davon ab, wie kraftvoll die Erzählungen präsent seien, auf der die Bereitschaft zur Barmherzigkeit beruhe. „Die Vergegenwärtigung dieser Erzählung und ihrer Bilder – im Gottesdienst, in der Meditation, im betrachtenden Gebet – hat für die Erneuerung einer Kultur der Barmherzigkeit große Bedeutung.“ Christliche Spiritualität finde ihr Genüge nicht darin, „dass wir uns selbst wohl fühlen, indem wir unserer religiösen Wellness einen Dienst tun.“ Christliche Spiritualität gehe es „um die Zuwendung zur Mitte wie um die Rückkehr zur Weite des Lebens; es geht darum, dass wir Einkehr halten in der Wirklichkeit Gottes und dadurch ankommen können in der Wirklichkeit unserer Welt.“

Auch wenn mitunter die spirituelle Suche in den „Sog des Konsumismus“ gerate, verbinde auch eine vagabundierende Spiritualität Menschen ohne kirchliche Bindung und kirchlich engagierte Menschen. „Sie suchen nach Erfahrungen, die stärker sind als die verwirrenden und kräftezehrenden Eindrücke des Alltags, sie suchen nach einer Mitte ihrer Lebenspraxis, die Orientierung gibt und wenigstens den Hinweis darauf, dass das Leben ‚mehr als alles’ ist.“ Bemerkenswert sei der wachsende Wunsch der Pfarrerinnen und Pfarrer, sich mit Fragen der persönlichen Frömmigkeit zu beschäftigen.

Wolfgang Huber erinnerte daran, dass der Begriff „Spiritualität“ im christlichen Verständnis ein Beziehungsgeschehen bezeichne: „Gottes Geist wirkt auf den Menschen ein, und der Mensch nimmt diese Wirkung wahr, er nimmt sie auf und setzt sie in sein Leben um.“ Christliche Spiritualität sei eine Spiritualität der Umkehr. „Das Gegenüber, auf das Christinnen und Christen sich beziehen, ist Gott, der sich in Jesus Christus gezeigt und auf den hin er gelebt hat. Insofern ist christliche Spiritualität exklusiv. Aber weil dieser Gott lebendig und unverfügbar ist, ist sie nicht eng. Wie jede Beziehung gestaltet sie sich gemäß der persönlichen Lebenssituation der Beteiligten, sie bleibt ein Prozess.“

Hannover, 12. Juli 2007

Pressestelle der EKD
Silke Römhild

Der Vortrag des EKD-Ratsvorsitzenden " "Die Durstigen tränken" - Quellen und Perspektiven christlicher Spiritualität - Eisenacher Vorträge zu den Werken der Barmherzigkeit"