Reformation und Emanzipation stehen nicht unverbunden nebeneinander

Systematischer Theologe Bernd Oberdorfer sieht historische Lernprozesse der lutherischen Kirchen

Auf der Generalsynode der Vereinigten Evangelisch-Lutherischen Kirche Deutschlands (VELKD) hat Professor Dr. Bernd Oberdorfer, Ordinarius für Systematische Theologie an der Universität Augsburg, auf die historischen Lernprozesse der lutherischen Kirchen für die Durchsetzung des modernen Freiheitsbegriffs hingewiesen. „Martin Luther ging es um die Freiheit. Aber ging es ihm auch um Emanzipation?“ Der Weg vom reformatorischen zum gegenwärtigen Freiheitsbegriff sei ein vielschichtiger Prozess gewesen.

Weder sei die Moderne eine direkte Wirkung der Reformation, noch sei sie eine von außen übernommene Entwicklung. „Wir stehen vielmehr in einer Verantwortungsgemeinschaft mit der Gesellschaft, in der wir leben, weil wir an ihrem Aufkommen als Akteure beteiligt waren und weil in ihren emanzipatorischen Werten Grundimpulse reformatorischen und lutherischen Christentums lebendig sind.“

Die lutherischen Kirchen mussten erst lernen, „dass Volkssouveränität, allgemeines Wahlrecht und parlamentarische Kontrolle der Regierung den Gedanken rechter Obrigkeit“ nicht aushöhlten, sondern die reformatorische Forderung der Beteiligung des Einzelnen erfüllten. „Auch die Bejahung der Demokratie vollzog sich als Aneignung eines Eigenen“, so Oberdorfer weiter.

Er sehe in der Reformation vier emanzipatorische Aspekte grundgelegt, „die direkt oder indirekt durchaus geschichtsmächtig wurden und kulturprägend wirkten“. Erstens gewinne der Einzelne eine prinzipielle Selbständigkeit gegenüber der Kirche. „Die religiöse Verselbständigung des Individuums durch die Reformation gehört sicher in die Freiheitsgeschichte der Neuzeit.“ Zweitens gehörten für die Reformatoren Glaube und Verstehen zusammen. „Es ging den Reformatoren um gebildeten Glauben.“ Drittens habe Luthers Vorstellung vom allgemeinen Priestertum aller Getauften eine bis heute nachhaltige Bedeutung für die kirchliche Organisation. Viertens gehöre die Aufwertung des weltlichen Berufs zu einer dem geistlichen Stand gleichwertigen göttlichen Berufung zu den Errungenschaften der Reformation. Insofern könne man sagen, „dass Reformation und Emanzipation nicht unverbunden nebeneinander stehen“.

Oberdorfer sprach unter dem Titel „Reformation und Emanzipation“. Das Schwerpunktthema der VELKD-Synode lautet in diesem Jahr „Lutherische Kirchen auf dem Weg: Zugänge zum Reformationsjubiläum 2017“. Drei Gastbeiträge haben Aspekte der Inkulturation, der Tradition sowie der Emanzipation thematisiert.

Die 5. Tagung der 11. Generalsynode der VELKD findet vom 1. bis 3. und am 6. November 2012 in Timmendorfer Strand statt.

Timmendorfer Strand, 2. November 2012

Dr. Eberhard Blanke
Pressesprecher der VELKD