Erklärung des EKD-Ratsvorsitzenden zu den Anforderungen der USA im Blick auf die Bereitstellung von Bundeswehreinheiten

06. November 2001

Der Bundeskanzler hat heute Mittag die Öffentlichkeit darüber informiert, dass die Bundesregierung bereit ist, den Anforderungen der USA im Blick auf eine Beteiligung der Bundeswehr an den militärischen Operationen gegen den internationalen Terrorismus zu entsprechen. Die Entscheidung über die Bereitstellung für den Einsatz liegt jetzt in den Händen des Deutschen Bundestages.

Der Rat der EKD hat in seinen unter dem Titel "Schritte auf dem Weg des Friedens" veröffentlichten Orientierungspunkten für Friedensethik und Friedenspolitik die Feststellung getroffen: "Was friedensethisch und friedenspolitisch für die anderen Staaten der Vereinten Nationen gilt, das gilt auch für Deutschland". Ich knüpfe darum für eine Stellungnahme zu einem möglichen Einsatz von Soldaten der Bundeswehr an das an, was ich vor wenigen Tagen in meinem Bericht vor der Synode der EKD zum Kampf gegen den Terror und zu den aktuellen Fragen der Friedensethik ausgeführt habe:

1. Die Androhung und Ausübung von Gewalt gehören zu den legitimen Mitteln von Staaten, um für Recht und Frieden zu sorgen. Aber auch gegen die neuesten Formen des Terrorismus und gegen Staaten, die Terroristen begünstigen, ist der begrenzte Einsatz militärischer Mittel nur als ultima ratio zu rechtfertigen.

2. Im Blick auf die gegenwärtigen militärischen Operationen gegen Afghanistan sind auch kritische Fragen zu stellen:

  • Kann das terroristische Netzwerk überhaupt wirkungsvoll mit militärischen Mitteln bekämpft werden?
  • Können die Täter und ihre Helfershelfer auf diese Weise dingfest gemacht werden, ohne noch mehr Leid zu erzeugen, unschuldige Opfer zu treffen und neuen Terror zu produzieren?
  • Gelingt es den USA und ihren Verbündeten, den Menschen in den islamisch geprägten Ländern zu vermitteln, dass es bei den militärischen Aktionen allein um die Bekämpfung des Terrorismus und nicht um einen Angriff auf den Islam geht?
3. Meine Zweifel, ob militärische Mittel für das Erreichen der angestrebten Ziele taugen, sind seit dem 7. Oktober nicht geringer geworden - im Gegenteil. Die Lebensgrundlagen in einem ohnehin von jahrzehntelangen Kriegen geschundenen Land werden weiter zerstört. Fortschritte im Blick auf die angegebenen Kriegsziele sind mir dagegen nicht erkennbar.

Die Zugehörigkeit zur NATO, die Ausrufung des Bündnisfalls durch die NATO und die Beschlusslage im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen schaffen Verpflichtungen, denen sich die Bundesrepublik Deutschland jetzt zu stellen hat. Die Zweifel, ob die im Gang befindlichen militärischen Operationen gegen Afghanistan ausreichend klare politische Ziele verfolgen, ob sie noch dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit genügen und ob sie geeignet sind, die Bedrohung durch den internationalen Terrorismus zu vermindern, wiegen allerdings schwer.

Auf keinen Fall darf bei der Bekämpfung des internationalen Terrorismus die militärische Komponente im Vordergrund stehen. Unerlässlich und vorrangig sind gerade jetzt: die Fortsetzung der politischen Bemühungen, die Verstärkung der humanitären Anstrengungen, das Austrocknen der Finanzquellen des Terrorismus und die geistig-politische Auseinandersetzung mit ihm.

Wir werden die verbleibende Zeit auf dieser Tagung der Synode nutzen, um die Beratungen über diese Fragen voranzutreiben. Schon jetzt wird sichtbar, dass auch unter uns die aktuelle Lage unterschiedlich bewertet wird und es deshalb zu unterschiedlichen, ja gegensätzlichen Urteilen über die jetzt nötigen politischen Entscheidungen kommt. Dies ist auch dort der Fall, wo über die uns leitenden friedensethischen Grundsätze Einigkeit besteht.

Die Abgeordneten des Deutschen Bundestages werden in den kommenden Tagen eine schwierige Entscheidung zu treffen haben. Sie können es bei dem Abwägen des Für und Wider nicht belassen, sie müssen eine von jedem Abgeordneten nur persönlich zu verantwortende Entscheidung treffen. Ich respektiere diese Entscheidung und bitte auch diejenigen, die in ihrer eigenen Urteilsbildung zu einem anderen Ergebnis gelangen, den Abgeordneten des Deutschen Bundestages und der von ihnen getroffenen Entscheidung den Respekt nicht zu versagen.


Amberg, den 6. November 2001
Pressestelle der EKD