Zur Verantwortung des Menschen für das Tier als Mitgeschöpf

V. Aufgaben von Kirche und Politik

(49) Verbesserungen beim Schutz der Tiere sind im wesentlichen in die konkrete Verantwortung derer gestellt, die mit Tieren umgehen und sie und ihre Produkte nutzen. Diese persönliche Verantwortung kann nicht an die strukturelle oder institutionelle Ebene abgegeben werden. Gleichwohl können auch Kirche und Politik hier auf ihre Weise zu einer stärkeren Achtung der Tiere als Mitgeschöpfe beitragen.

(50) Zum Auftrag der Kirche gehört es, 'den Mund aufzutun für die Stummen und für die Sache aller, die verlassen sind' (Spr 31,8). Zu diesen gehören auch die Tiere.

(51) In Unterricht und Gottesdienst hat die Kirche wichtige Möglichkeiten, in den Kindern, den Heranwachsenden und den Erwachsenen die Liebe zur Schöpfung zu wecken und den Grund für ein sorgfältiges, barmherziges, humanes Umgehen mit allen Geschöpfen zu legen. In gottesdienstlichen Texten spielen Tiere vorläufig eine bescheidene Rolle. Beispiele bieten im Gesangbuch vornehmlich einige Lieder zum Lob des Schöpfers (z.B. EKG 197,3; 232,6; 370,1; 371); die Verantwortung für Wohlergehen und Wohlbefinden der Mitgeschöpfe kommt im jetzigen Gesangbuch überhaupt nicht vor. Es wäre freilich unbillig, von Texten vergangener Jahrhunderte zu erwarten, daß sie bereits die Probleme der Gegenwart widerspiegeln und aufnehmen. Die Gebete der Kirche sind, wenn es um Klage, Bitte und Fürbitte geht, weitgehend schöpfungs- und insbesondere tiervergessen; dabei könnte sich die gottesdienstliche Gemeinde durch die Einbeziehung der Mitgeschöpfe in die sonntägliche Fürbitte gerade Rechenschaft darüber geben, was die Bitte des Vaterunser "Dein Reich komme" für die ganze Kreatur bedeutet; kleine Anfänge finden sich seit 1986 in dem jedes Jahr von der Evangelischen Kirche in Deutschland und dem Bund der Evangelischen Kirchen (in der ehemaligen DDR) herausgegebenen Formular für einen "Bittgottesdienst für den Frieden in der Welt" (z.B. 1989: Wir "bitten für die ganze Schöpfung: Du hast sie wunderbar gemacht. Schärfe unsere Sinne, das Wunder des Lebens in Demut und Dankbarkeit zu erkennen, störe uns auf, daß wir das Seufzen und Stöhnen um uns her nicht überhören. Fördere alle Anstrengungen, die Gewalt gegen unsere Mitgeschöpfe zu vermindern").

(52) Überall, wo die Kirche mit ihren Einrichtungen, Häusern und Mitarbeitern in die Öffentlichkeit hineinwirkt, hat sie - ob sie will oder nicht - eine Vorbildfunktion. Diese Funktion ist auch im Blick auf einen schöpfungsverträglichen Lebensstil ernstzunehmen; so hat beispielsweise eine Reihe von Evangelischen Akademien in ihren Speiseplänen das Fleischangebot deutlich eingeschränkt. Soweit in kirchlichen Anstalten landwirtschaftliche Betriebseinheiten bestehen, müssen Aufzucht und Haltung der Tiere artgerecht erfolgen und von liebender Sorge geprägt sein.

(53) In die kirchlichen Umweltbeiräte auf den verschiedenen Ebenen sollten, wo immer dies persönlich möglich ist, auch Fachleute für Tierschutzfragen berufen werden.

(54) Auf der politischen Ebene ist die Forderung noch uneingelöst, den Umweltschutz und damit auch den Tierschutz im Grundgesetz zu verankern. Die Formulierung muß so gefaßt werden, daß die Nötigung, bei jeder Entscheidung zum Umweltschutz abzuwägen zwischen dem Nutzungsinteresse der Menschen und dem Eigenwert des betroffenen nichtmenschlichen Lebens, verstärkt wird. Die Evangelische Kirche in Deutschland hat vorgeschlagen, ein Staatsziel Umweltschutz im Grundgesetz folgendermaßen zu formulieren: "In Verantwortung für die Schöpfung schützt der Staat die natürlichen Grundlagen des Lebens."

(55) Die Tierschutzgesetzgebung bedarf der Weiterentwicklung. Einzelne Hinweise wurden in Teil IV gegeben. Der Tierschutz hängt aber nicht nur von geeigneten Vorschriften ab; die gegenwärtigen Mängel betreffen auch den Gesetzesvollzug.

(56) Nach dem Vorbild des Bundeslandes Hessen sollten auch in den anderen Ländern staatliche Tierschutzbeauftragte bestellt werden, die als Anwälte der stummen und unmündigen Kreatur auftreten.

(57) Von wachsender Bedeutung für den Tierschutz wird die Entwicklung übernationalen Rechts in der EG sein. Dabei muß verstärkt darauf geachtet werden, daß neben der Förderung der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit auch die Belange des Tierschutzes beachtet werden. Die Kirchen haben bisher auf EG-, gesamteuropäischer und globaler Ebene noch keine wirkungsvollen Instrumente geschaffen, um ihre Einsichten und Anregungen zu einer Verantwortung für die Tiere als Mitgeschöpfe in die politische Willensbildung einzubringen.

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