Der trennende Zaun ist abgebrochen

Anmerkungen

Anmerkung 1:

Franticek Palacký (1798-1876), tschechischer Historiker und Politiker, Autor der "Geschichte des tschechischen Volkes in Böhmen und Mähren".

Anmerkung 2:

Im Land seßhafte Deutsche fühlten sich meistens als Böhmen (im Sinne des Landes). Eines von vielen Beispielen ist Johannes Mathesius, lutherischer Prediger in Joachimstal; obwohl er aus Sachsen stammte, bezeichnete er sich als Böhme (Bohemus). Auch viele von den 1621 nach dem mißlungenen Aufstand gegen den Habsburger Ferdinand II. hingerichteten "böhmischen" Herren waren ihrer Sprache nach Deutsche (z.B. Jáchym Ondrej Slik/Joachim Andreas Schlick.)

Anmerkung 3:

Johann Gottfried Herder (1744-1803), deutscher Theologe, Dichter und Philosoph, studierte in Königsberg, seit 1776 wirkte er in der Nähe von Goethe in Weimar.

Anmerkung 4:

Karel Kramár (1860-1937), tschechischer Politiker, Anhänger der Erneuerung des Königtums von Böhmen mit einem der russischen Romanows auf dem böhmischen Thron. 1916 zum Tode verurteilt, zur Exekution kam es nicht. 1918 wurde er zum ersten tschechoslowakischen Ministerpräsidenten.

Anmerkung 5:

Václav Klofár (1864-1942), tschechischer Politiker, im Ersten Weltkrieg inhaftiert.

Anmerkung 6:

Tomás G. Masaryk (1850-1937), Philosoph, Professor an der Tschechischen Universität in Prag, Abgeordneter des Wiener Parlaments, Führer des Auslandswiderstandes, erster Präsident der Tschechoslowakischen Republik (1918-1935).

Anmerkung 7:

Edvard Benec (1884-1948), Politiker, arbeitete mit Masaryk im Auslandswiderstand zusammen, Außenminister in der Ersten Republik, der zweite Präsident der Tschechoslowakei (1935-38), Führer des tschechoslowakischen Widerstands im Zweiten Weltkrieg, Präsident der Republik 1945-48.

Anmerkung 8:

Milan R. Stefánik (1888-1919), slowakischer Astronom und General der tschechoslowakischen Legion. Im Ersten Weltkrieg arbeitete er mit Masaryk und Benec zusammen. In die Tschechoslowakei zurückkehrend, verunglückte er tödlich.

Anmerkung 9:

Die Tschechoslowakische Republik wurde am 18.Oktober 1918 in Philadelphia (USA) und in Paris und am 28.Oktober 1918 in Prag ausgerufen. Ihre provisorische Regierung in Paris wurde von Frankreich schon am 15. Oktober 1918 anerkannt.

Anmerkung 10:

Das läßt sich beispielsweise am Schulwesen ablesen: im Jahr 1918 hatte die karpatendeutsche Minderheit keine einzige Grundschule, 1926 verfügte sie bereits über mehr als hundert Schulen.

Anmerkung 11:

Am 16. Oktober 1918 rief Kaiser Karl II. durch sein Manifest die Selbstbestimmung der Völker Österreichs aus. Deutschösterreich, einschließlich der von Deutschen bewohnten Teile der böhmischen Länder, und zwar auch der "deutschen Siedlungsgebiete Brünn, Olmütz und Iglau", wurde am 21. Oktober 1918 gegründet, zuerst als einer der Staaten der durch das Manifest ausgerufenen Österreichischen Föderation, später als vorgesehener Bestandteil Deutschlands.

Anmerkung 12:

Der Name Sudetenland/Sudety wurde erst nach 1918 als zusammenfassende Bezeichnung für die von Deutschen besiedelten Gebiete Böhmens, Mährens und Schlesiens benutzt.

Anmerkung 13:

Ferdinand Seibt (geb. 1927): deutscher, aus dem Sudetenland stammender Historiker, Mitglied der deutsch-tschechischen Historikerkommission, Autor u.a. des Buches "Deutschland und die Tschechen. Geschichte einer Nachbarschaft in der Mitte Europas", München, Zürich 31995.

Anmerkung 23:

Wenzel Jaksch (1896-1966), Vormann der sudetendeutschen SPD, erklärte sich erst im Jahre 1941 mit den Vor-München-Grenzen der CSR einverstanden. Bis dahin setzte er voraus, daß die Sudetendeutschen selbst nach dem Krieg entscheiden würden, wo ihr Gebiet hingehören sollte - ob zur Tschechoslowakei oder zu Deutschland. Eine ganze Reihe von sudetendeutschen Sozialdemokraten kämpfte jedoch in der tschechoslowakischen ausländischen Armee, manche gaben ihr Leben hin.

Anmerkung 24:

Reinhard Heydrich (1904-1942), Chef des Reichssicherheitshauptamtes, 1941-1942 Stellvertretender Reichsprotektor in Prag, vertrat diese Pläne in mehreren Reden.

Anmerkung 25:

Karl Hermann Frank (1898-1946), SdP-Abgeordneter vor 1938, 1939-1943 Staatssekretär beim Reichsprotektor, 1943-1945 deutscher Staatsminister

Anmerkung 26:

Im Tschechischen werden unterschiedliche Begriffe für die Zwangsaussiedlung der sudetendeutschen Bevölkerung gebraucht. Lange Zeit war "odsun=Abschiebung" der allgemein übliche und in offiziellen Texten benutzte Ausdruck. Vereinzelt taucht inzwischen das Wart "vyhnání" auf, das im Bedeutungsgehalt dem deutschen "Vertreibung" am ehesten entspricht. In der deutsch-tschechischen Regierungserklärung wird eine ziemlich unübliche intransitive Wendung "vyhánení" benutzt, die schwächer klingt als das aktive Wort "Vertreibung". Nach den Beschlüssen der Potsdamer Konferenz vom 2. August 1945 sollte der "transfer" der deutschen Bevölkerung "in an orderly and humane manner" erfolgen. Immer wieder wird deshalb die Zwangsaussiedlung auch als "Transfer" bezeichnet.

Anmerkung 27:

Die von der Gemeinsamen deutsch-tschechischen Historikerkommission unter dem Titel "Konfliktgemeinschaft, Katastrophe Entspannung" im Jahr 1996 herausgegebene "Skizze" zur deutsch-tschechischen Geschichte äußert sich vorsichtig zu den Zahlen. Im Jahr 1958 hatte das Statistische Bundesamt auf der Grundlage von Volkszählungen, Hochrechnungen und Schätzungen, bei der Berücksichtigung von Kriegsverlusten, Emigrationen und Massenmorden "eine Differenz von 225.600 Deutschen, deren Schicksal nicht geklärt ist", festgestellt. Nach dem Urteil der Historikerkommission ist es "unrichtig", diese Zahl mit der Zahl der Vertreibungstoten gleichzusetzen. Schätzungen auf der Grundlage von Arbeitsprojekten der Kommission bewegen sich zwischen 19.000 bis zu 30.000 Opfern. Diese Zahlen, so die Historikerkommission, wie auch die Zahl der tschechoslowakischen Verluste, die mit 360.000 angegeben wird, "bedürfen weiterer fachlicher Überprüfung" (S.68/69).

Anmerkung 28:

Bozena Komárková (1903-1997), tschechische Philosophin, Kämpferin für die Menschenrechte, in der Zeit des Nazismus eingekerkert und im Kommunismus verfolgt, Unterzeichnerin der Charta 77, in einem Vortrag aus dem Jahr 1966.

Anmerkung 29:

Josef B. Soucek (1902-1972), tschechischer evangelischer Pfarrer, später Professor der neutestamentlichen Theologie an der Prager evangelisch-theologischen Fakultät und Dekan dieser Fakultät.

Anmerkung 30:

Premysl Pitter, vgl. Teil 2a

Anmerkung 31:

Gesetz Nr. 115/1946 GS

Anmerkung 32:

Am 25. Februar 1948 fand der kommunistische Putsch in der Tschechoslowakei statt.

Anmerkung 33:

"Zum Staatsverständnis der Kirchen in der Tschechoslowakei" in: "Die Kirche und das Staatsproblem der Gegenwart", herausgegeben von der Forschungsabteilung des Ökumenischen Rates für praktisches Christentum, Genf 1934

Anmerkung 34:

Josef L. Hromádka schrieb Anfang November 1945 im Vorwort zu seinem mit Ottokar Odloilík veröffentlichten Buch "Z druhého brehna" (Vom anderen Ufer): "Wir sollten für keinen Augenblick unsere schicksalhafte geographische und kulturelle Lage aus den Augen verlieren. Durch die Trennung von den Deutschen wurden unsere Probleme nur vereinfacht, keineswegs gelöst. Unsere gemeinsamen Grenzen mit der deutschen Nation bestehen nach wie vor, wir dürfen uns keiner Täuschung hingeben, daß wir für alle Ewigkeit die schreckliche deutsch-tschechische Frage gelöst haben. Die Geschichte der letzten fünfzehn Jahre (1930-1945) ließ uns offensichtlich keine andere Möglichkeit, als daß wir das Land revolutionär (und es ist wahrlich eine große Revolution!) von dem deutschen Element reinigen. Aber selbst beim Einhalten peinlichster Humanität werden wir dadurch an der nördlichen, westlichen und südlichen Grenze Keime einer neuen Gefahr nicht vernichten, Keime der neuen leidenschaftlichen Versuche um Rache, um Retribution, um Zurückdrehen der Geschichte, um die Rückkehr derjenigen, die seit Jahrhunderten dort gelebt hatten. Die Geschichte kennt keine definitive Lösung. Mit einer grausamen Ironie antwortete die Geschichte auf Hitlers Traum vom Tausendjährigen Reich. Wir sollten acht geben, daß wir nicht leichtfertig eine andere ironische Antwort der Geschichte vorzubereiten helfen, die physisch sowie sittlich unsere Kinder und Enkelkinder trifft!" Josef B. Soucek äußerte sich ausführlich in einem allerdings nicht unterzeichneten Brief vom März 1948 nach dem kommunistischen Putsch: "Wir haben unser neues Leben nach der Befreiung im Geist eines hemmungslosen und ungezügelten Nationalismus begonnen... Die Verantwortung von uns allen dafür ist groß. Wir von der Kirche, wenigstens die meisten von uns haben es gesehen und haben versucht, etwas zu tun dagegen, aber unsere Anstrengungen waren eher lahm... Die konkrete Verwirklichung dieses nationalistischen Geistes war die Aussiedlung der Sudetendeutschen. Von Anfang an war ich in inneren Protest dagegen, aber darin war ich weithin isoliert und konnte nicht viel machen und machte auch nichts ... Jetzt, nach dem was in diesen Tagen geschehen ist, beginnt eine überraschend große Zahl von Männern und Frauen zu sehen, daß ein großer Fehler, eine Sünde begangen wurde..." Zitiert nach: "Freundschaft im Widerspruch", der Briefwechsel zwischen Karl Barth, Josef L. Hromádka und Josef B. Soucek, 1935-1968, herausgegeben von Martin Rohkrämer, Zürich 1995, S. 103.

Anmerkung 35:

Die viel zitierte entscheidende Passage lautet: "Mit großem Schmerz sagen wir: Durch uns ist unendliches Leid über viele Völker und Länder gebracht worden. Was wir unseren Gemeinden oft bezeugt haben, das sprechen wir jetzt im Namen der ganzen Kirche aus: Wohl haben wir gegen den Geist gekämpft, der im nationalsozialistischen Gewaltregime seinen furchtbaren Ausdruck gefunden hat; aber wir klagen uns an, daß wir nicht mutiger bekannt, nicht treuer geglaubt und nicht brennender geliebt haben."

Anmerkung 36:

Jakub Trojan "Das Stuttgarter Schuldbekenntnis aus mitteleuropäischer Sicht", in :"Erinnern, Bekennen, Verantworten - 50 Jahre Stuttgarter Schulderklärung", Stuttgart 1995, Seite 26

Anmerkung 37:

Besondere Aufmerksamkeit verdient Olga Fierz (1900-1990), schweizerische Lehrerin und Dolmetscherin, die sich entschloß, mit Pitter zu arbeiten. Sie lernte hervorragend Tschechisch, wich nie von seiner Seite und nach seinem Tode in der Schweiz sorgte sie für sein Archiv.

Anmerkung 38:

Dobroslava Stepánková, Lehrerin und Erzieherin auf dem Schloß in Kamenice, beschreibt, wie dringend sie für ältere Jungen Bücher brauchte, als im Winter der Tag kürzer wurde: "...Ich ging in Prag in einen Bücherladen, die kirchliche Buchhandlung "Kalich". Ich bat Bruder Mazel, ob er nicht deutsche Bücher für die Jugend hätte. Er hatte keine, nirgends konnte man im Dezember 1945 ein deutsches Buch kaufen. Ich erläuterte ihm, warum ich es brauchte. Er begriff. Er ging in den Nebenraum und kehrte zurück, die Arme voll von kleinen Neuen Testamenten, eine ganze Bibel war auch da. Nie kaufte ich fröhlicher ein und auch vergesse ich nie die Gesichter der deutschen Kinder, als sie die Bücher unter den Geschenken fanden..."

Anmerkung 39:

Die Rettungsaktion dauerte zwei Jahre. Allein in der Zeit von Mai 1945 bis April 1946 leisteten die Heime Hilfe an 673 Kindern verschiedener Nationalitäten.

Anmerkung 40:

Fierz, Olga: Kinderschicksale in den Wirren der Nachkriegszeit, Praha 1996, S. 27

Anmerkung 41:

Premysl Pitter, Civot-dílo-doba, Praha 1996, S. 45

Anmerkung 42:

Hovory s pisateli (Briefe mit Schreibenden) 1986 XXIVc.130, Marianne (Westfalen) Auch seine Berichte über die Mißstände in Internierungslagern, die wahrlich erschütternd sind, veröffentlichte Pitter nie im vollen Wortlaut. Er schrieb sie ausschließlich für Behörden, um sie zur Wiedergutmachung aufzurütteln. Cimsová, Milena: Brief vom 11.1.1998

Anmerkung 43:

Pitter, Premysl: Geistige Revolution im Herzen Europas, Jülich 1968

Anmerkung 44:

Pitter, Premysl: Schuld und Sühne, München 1965

Anmerkung 45:

Zitiert nach: Jakub Trojan "Das Stuttgarter Schuldbekenntnis aus mitteleuropäischer Sicht", in: "Erinnern, Bekennen, Verantworten - 50 Jahre Stuttgarter Schulderklärung", Stuttgart 1995, Seite 25f

Anmerkung 46:

Hans Joachim Iwand, Theologie in der Zeit, München 1992, S. 174-175

Anmerkung 47:

Allein in Pohoelice/Pohrlitz, südlich von Brünn bei der Landstraße nach Wien, starben mindestens 460 Menschen, als etwa 20.000 Deutsche am 1. Juni 1945 aus Brünn gewaltsam nach Österreich vertrieben wurden.

Anmerkung 48:

Jihlava/Iglau: ehemalige deutsche Sprachinsel auf der Böhmisch-Mährischen Höhe. Beim Marsch nach Iglau starben 300 Deutsche.

Anmerkung 49:

Von ungefähr 1.300 Deutschen, die aus Príbram in das 50 km entfernte Prag marschieren mußten, starben etwa 300.

Anmerkung 50:

Dort verübten tschechische "Revolutionsgarden" am 31. Juli 1945 ein Progrom gegen Deutsche, bei dem Hunderte ums Leben kamen.

Anmerkung 51:

Postoloprty/Postelberg bei Louny/Laun liegt nordwestlich von Prag im Egertal. Bei der "Säuberung" des Raumes durch die tschechoslowakische Arme wurden dort zahlreiche Deutsche getötet.

Anmerkung 52:

In Horní Mostenice, einem Dorf 5 km südlich von Prerov/Prerau in Mähren, wurde ein Transport von Karpatendeutschen durch Soldaten des 17. Infanterieregiments aus Bratislava/Preßburg erschossen. 265 Menschen starben.
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