Der trennende Zaun ist abgebrochen

Teil 3: Begegnungen zwischen Tschechen und Deutschen

3a) Einführung

Heute gibt es eine kaum noch überschaubare Fülle von Kontakten, Begegnungen und Beziehungen zwischen Tschechen und Deutschen. Zahlreiche persönliche Verbindungen und Freundschaften sind über die Jahre gewachsen. Die wirtschaftlichen Beziehungen werden immer enger und führen die Menschen zusammen. In allen Bereichen der Musik, der Literatur, des Theaters, der Bildenden Kunst findet ein reger kultureller Austausch statt. Es gibt öffentliche Institutionen, Stiftungen und Programme, aber auch viele private Initiativen und Gruppen, die den deutsch-tschechischen Dialog fördern und vertiefen. Wer will, findet ein weitgefächertes Angebot für die Begegnung zwischen Tschechen und Deutschen.

Die Kirchen haben ihren selbstverständlichen Platz in diesem Angebot. Sowohl die römisch-katholische Kirche wie auch die evangelischen Kirchen pflegen die deutsch-tschechische Begegnung, freilich ihrem jeweiligen Selbstverständnis entsprechend in teilweise unterschiedlichen Formen. Vielfältige Kontakte und Partnerschaften sind auf evangelischer Seite zwischen Kirchen und Gemeinden in den letzten Jahrzehnten entstanden, feste persönliche Verbindungen gewachsen. Sie reichen oft weit in die Zeit vor der politischen Wende des Jahres 1989 zurück. Das gilt insbesondere für die Begegnungen zwischen Christen und Gemeinden aus dem Bereich der ehemaligen DDR und der damaligen CSSR. Sie befanden sich in einer vergleichbaren Situation. Sowohl in der DDR wie in der CSSR mußten Christen und Kirchen ihren Platz in einem Staat finden, der den Sozialismus und Atheismus auf seine Fahnen geschrieben hatte. Sie unterlagen ähnlichen Zwängen und hatten mit ähnlichen Problemen zu kämpfen, konnten sich jedoch andererseits in der Regel ohne große Schwierigkeiten gegenseitig besuchen. Dagegen waren die Kontaktmöglichkeiten zwischen Christen in der cSSR und der früheren Bundesrepublik Deutschland sehr eingeschränkt, vieles mußte im Verborgenen geschehen. Doch bot die CSSR immer wieder Gelegenheit zu dreiseitigen Begegnungen und Rüstzeiten zwischen Christen aus der CSSR und den beiden Teilen Deutschlands wie auch zu innerdeutschen Ost-West-Treffen.

Heute können wir einander ohne staatliche Behinderung besuchen und die Begegnung frei nach unseren Interessen gestalten. So haben sich in den letzten Jahren viele deutsch-tschechische Kontakte und feste Partnerschaften zwischen evangelischen Gruppen, Gemeinden, Kirchenkreisen und kirchlichen Einrichtungen - viele davon in grenznahen Regionen - gebildet, die diese Möglichkeiten ausnutzen und mit unterschiedlichen Schwerpunkten die deutsch-tschechische Begegnung pflegen. Eine Umfrage hat allein in der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern etwa 50 solcher Beziehungen ergeben, in der Evangelisch-Lutherischen Landeskirche Sachsens 35 - die Liste ist sicher nicht vollständig. Darüber hinaus gibt es feste partnerschaftliche Verbindungen zwischen Kirchen in Deutschland und in Tschechien auf gesamtkirchlicher Ebene mit vielerlei Begegnungs- und Austauschprogrammen. Im vierten Teil dieser Handreichung sind solche Angebote aufgelistet.

Diese Entwicklung kann nur begrüßt und weiter gefördert werden. Durch die persönliche Begegnung der Menschen können Fremdheit und Vorurteile abgebaut werden, Nachbarschaft und ökumenische Gemeinschaft über die Grenzen hinweg wachsen. Gleichwohl bleiben Probleme, die alle bedenken sollten, die sich für die Begegnung von Christen aus Tschechien und Deutschland interessieren. Einige davon sollen hier genannt sein.

Die evangelischen Christen in der Tschechischen Republik leben in einer extremen Diasporasituation. Die Evangelische Kirche der Böhmischen Brüder hat 140 000 Gemeindeglieder. Bei einer Gesamtbevölkerung von etwas mehr als 10 Millionen ist das ungefähr 1,3 Prozent. Im Vergleich dazu ist die evangelische Christenheit in Deutschland mit 28 Millionen - das sind 34 Prozent der deutschen Bevölkerung - riesig. Von deutscher Seite wird immer wieder Enttäuschung laut, daß es so schwierig sei, eine tschechische Partnergemeinde zu finden. Wenn man sich jedoch diese Relationen klar macht, werden die Gründe dafür verständlich. Die tschechischen Partner fühlen sich mit ihren begrenzten Kräften durch die vielen Erwartungen auf deutscher Seite, zu denen Partnerschaftswünsche aus mehreren anderen Ländern hinzukommen, oft überfordert.

Hinzu kommt die Aufgabe der sprachlichen Verständigung. Wie viele Deutsche sprechen Tschechisch? Man erwartet in aller Regel von der tschechischen Seite, daß sie Deutsch spricht - der kleine Nachbar muß sich nach dem großen Nachbarn richten. In der jüngeren Generation ist jedoch mehr und mehr Englisch die erste Fremdsprache. Gerade unter Jüngeren wird deshalb die Kommunikation oft auf Englisch stattfinden müssen. Vielleicht ist das um des Gleichgewichts der Partnerschaft willen ganz gut.

Auch das finanzielle Gefälle wird trotz zunehmender Angleichungstendenzen in den nächsten Jahren weiterhin bestehen. Noch ist beim gegenwärtigen Wechselkurs Deutschland für Besuche aus Tschechien sehr teuer, während umgekehrt Deutsche in der Tschechischen Republik relativ billig leben, auch wenn sich die Preise stetig nach oben bewegen. Das Preisgefälle hat in den letzten Jahren nicht nur den Deutschen in den Grenzregionen billige Einkaufsmöglichkeiten erschlossen, Touristen zur Erholung in die vielen malerischen Winkel in den Böhmischen Ländern oder zum Kurzurlaub nach Prag gelockt, sondern auch umgekehrt für Tschechen günstige Arbeits- und Verdienstmöglichkeiten im deutschen Grenzgebiet gebracht. Mit all diesen Vorteilen hin und her sind freilich auch viele unerfreuliche Erscheinungen bei der deutsch-tschechischen Begegnung verbunden - vom Auftrumpfen des "reichen" Nachbarn bis hin zum Sex-Tourismus von Deutschland in die Tschechische Republik.

"Tschechen und Deutsche" - diese Bezeichnung ist eigentlich nicht präzise genug. Gerade wo es um die heutigen Möglichkeiten zum Dialog und zur Begegnung geht, sollte man unterscheiden zwischen "Deutschen" und "Sudetendeutschen" bzw. "Deutschen aus den böhmischen Ländern". Denn diese nehmen in großer Zahl die neuen Möglichkeiten der Verbindung zu ihrer ehemaligen Heimat bzw. zur Heimat ihrer Voreltern wahr und bilden mit ihren besonderen Prägungen und Interessen eine eigene Gruppe. Oft ist die Begegnung zwischen Deutschen böhmischer Herkunft und Tschechen nicht einfach. Erinnerungen an die Vergangenheit und gegenwärtige Ängste stehen zwischen ihnen. Vielfach aber sind aus solchen zunächst durch Vorbehalte belasteten Kontakten feste Verbindungen und herzliche Freundschaften geworden. Viele sehen gerade in solchen Begegnungen zwischen "böhmischen Deutschen und böhmischen Tschechen" ein besonders wichtiges Element für die Verständigung der beiden Nachbarn und für eine gemeinsame europäische Zukunft in dieser Region.

Solche Beobachtungen zeigen, daß für die Begegnung zwischen Tschechen und Deutschen nach wie vor Sensibilität, Rücksichtnahme und ein Gespür für die besondere Situation der jeweiligen Partnerinnen und Partner notwendig ist. Begegnung kann nicht nur alte Vorurteile abbauen, sondern auch verhärten und neue hervorbringen. Gleichwohl gibt es gerade in der Tschechischen Republik eine große Offenheit für spontane Kontakte und unmittelbare menschliche Begegnungen. Sie werden erleichtert und gefördert durch die wachsende Gemeinsamkeit unserer Lebenssituation im Herzen Europas und den bevorstehenden Beitritt der Tschechischen Republik zur Europäischen Union. Tschechen und Deutsche verbindet ein reiches geistiges und kulturelles Erbe, das sie gemeinsam haben. Sie sollten es auch gemeinsam pflegen und weiterführen.

3b) Anregungen zum Gespräch

Wenn sich christliche Gruppen und Gemeinden aus Deutschland und Tschechien treffen, werden sie in der Regel ein Programm haben, in dem es zunächst um die geschwisterliche Begegnung selbst geht: man lebt ein paar Tage zusammen, ißt gemeinsam, erzählt und öffnet sich einander, betet und singt miteinander, hört auf das Wort der Bibel. Die ökumenische Gemeinschaft in diesem elementaren Sinn ist der unverzichtbare Grund, in den alles andere eingebettet sein muß, wenn es fruchtbar werden, Menschen bewegen und Zukunft gestalten soll. Wer eine Begegnung plant, sollte sorgfältig darauf achten, genügend Raum und Impulse für solches gemeinsame Erleben zu bieten. Der fünfte Teil dieser Handreichung enthält ein Angebot an Liedern, Gebeten und anderen liturgischen Stücken, jeweils in deutscher und tschechischer Sprache. Dieses Angebot kann helfen, miteinander Andacht zu halten, Gottesdienst zu feiern und gemeinsam den spirituellen Reichtum unserer kirchlichen Traditionen zu entfalten.

Für die inhaltliche Füllung der tschechisch-deutschen Begegnung bietet sich ein breites Spektrum ganz verschiedener Themen an. In den beiden ersten Teilen dieser Handreichung sind zwei besonders wichtige Aufgabenfelder beschrieben: das Gespräch über die Geschichte und die Bemühung um die tschechisch-deutsche Versöhnung. In diesem Abschnitt sollen zwei weitere Bereiche genannt und einige wenige inhaltliche Anregungen zum Gespräch gegeben werden: das Feld des kirchlich-theologischen Dialogs und der geistig-kulturelle Austausch. Daß es sich dabei nur um einzelne, aus einer großen Fülle herausgegriffene Beispiele und keinesfalls um eine umfassende Auflistung handeln kann, versteht sich von selbst. Auch ist es selbstverständlich, daß inhaltlicher Schwerpunkt und Gestaltung von der Zielgruppe und von der Art der Veranstaltung abhängig sind. Ein Treffen von Kirchenvorstehern und -vorsteherinnen geht von anderen Erwartungen und Inhalten aus als ein wissenschaftlich-theologisches Symposium. Und die Thematik einer deutsch-tschechischen Akademietagung ist anders zu formulieren und zu präsentieren als diejenige einer Jugendbegegnung, auch wenn sich beide Veranstaltungen möglicherweise mit denselben Inhalten befassen.

Seit je gab es enge kirchliche Beziehungen zwischen Deutschland und den Böhmischen Ländern bzw. der späteren Tschechoslowakei. Es ist aufschlußreich und für das Verständnis unserer gegenwärtigen Begegnung hilfreich, diesen Beziehungen an wichtigen geschichtlichen Knotenpunkten nachzugehen und die gegenseitigen Einflüsse und Prägungen im Zusammenspiel und Gegensatz kennenzulernen. Aus der Fülle möglicher Themen seien einige genannt:

  • Jan Hus, der Prager Theologe und Reformprediger zu Anfang des 15. Jahrhunderts steht am Beginn der böhmischen Reformation. Es gab vielerlei Wechselwirkungen zwischen der hussitischen" Bewegung und der deutschen Kirchen- und Theologiegeschichte. Nikolaus von Dresden ist dafür in anschauliches Beispiel.
         
  • Im 16. Jahrhundert gab es zwischen der "Lutherischen" und der "Böhmischen" Reformation vielfältige gegenseitige Kontakte und Einwirkungen. Das läßt sich beispielsweise an den Beziehungen zwischen Martin Luther und Lukas von Prag oder Philipp Melanchthon und Jan Blahoslav studieren.
         
  • Die Böhmischen Brüder hatten seit dem 15. Jahrhundert eine reiche und besondere kirchliche Liedtradition. Melodien und Texte der Böhmischen Brüder beeinflußten die Entwicklung des evangelischen Kirchenliedes in Deutschland tiefgreifend - wie auch umgekehrt. Bis heute enthalten die evangelischen Gesangbücher zahlreiche Lieder der Böhmischen Brüder.
         
  • Johann Amos Comenius (1592-1670) ist ein Theologe, Pädagoge und Kirchenführer, an dessen Leben und Werk die besondere geistige Prägung der böhmischen evangelischen Tradition und ihre Gefährdung durch die römisch-katholische Gegenreformation eindrücklich abzulesen sind. Er war eine Gestalt von europäischem Format und sein erzwungenes Wanderleben führte ihn auch zu längeren Aufenthalten in Deutschland. Seine Nachwirkungen in Tschechien, Deutschland und darüber hinaus in Europa reichen bis heute.
         
  • Im 20. Jahrhundert gab es zwei Phasen eines intensiven theologischen und kirchlich-politischen Dialogs zwischen tschechischen und deutschsprachigen Theologen. In diesen Gesprächen und Korrespondenzen sind die wichtigen theologischen, kirchlich-ökumenischen und politischen Zeitfragen angesprochen. In den 30er Jahren war der Dialog durch Karl Barth bestimmt, seine tschechischen Partner waren vor allem Josef L. Hromádka und Josef B. Soucek. In den 50er und 60er Jahren waren es auf tschechischer Seite wieder Josef L. Hromádka sowie Josef B. Soucek und andere, auf deutscher Seite aus dem Westen Martin Niemöller, Hans Joachim Iwand, Helmut Gollwitzer und ihre Schüler, aus dem Osten Heinrich Vogel, Werner Schmauch, Albrecht Schönherr und andere, die das Gespräch unter den veränderten Bedingungen der Nachkriegszeit führten.

Die aktuelle kirchliche Situation in unseren beiden Ländern macht den gegenseitigen Erfahrungsaustausch und ein gemeinsames Nachdenken dringlich:

  • Kirchen und Christen in beiden Ländern stehen vor der gleichen Herausforderung durch die weitgehende Säkularisierung der Gesellschaft. Daraus ergeben sich Fragestellungen und Themen, die auf ganz unterschiedlichen Ebenen, von der praktischen Erfahrung und missionarischen Aufgabe in den Gemeinden bis zur religionssoziologischen Analyse und theologischen Reflexion aufgenommen werden können und müssen. Wie kann die Kirche das Evangelium von Jesus Christus unverkürzt und glaubwürdig bezeugen? Wie ist die biblische Botschaft für den säkularisierten Menschen zu interpretieren?
         
  • Die Partnerschaft der Gemeinden selbst ist ein wichtiges deutsch-tschechisches Thema. Welches sind die Kriterien für eine gute Partnerschaft? Welche menschlichen, geistlichen, materiellen Voraussetzungen müssen erfüllt sein, damit eine Partnerschaft gelingt? Was ist ihr Ziel?
         
  • In diesem Zusammenhang ist auch auf die besonderen Möglichkeiten des ökumenischen Dialogs in der deutsch-tschechischen Begegnung hinzuweisen. Während die Beziehungen zur Römisch-katholischen Kirche in Tschechien stark durch die Mehrheits- und Minderheitensituation bestimmt sind, ist dies in Deutschland nicht der Fall. So können sich in einem deutsch-tschechischen ökumenischen Dialog neue Konstellationen und Impulse ergeben.

Neben dem kirchlich-theologischen Dialog bietet sich der geistig-kulturelle Austausch als besonders ergiebiges Feld für die deutsch-tschechische Begegnung an. Jahrhundertelang lebten Deutsche und Tschechen in einem gemeinsamen Kulturraum. Bis heute zehren beide aus diesem reichen Erbe, das einen gemeinsamen Wurzelboden bildet und sie miteinander verbindet. Selbst als sich im 19. Jahrhundert, angezeigt durch die immer schärfer betonte jeweilige Sprachzugehörigkeit, die beiden Nationen in ihrem politischen Selbstverständnis auseinander - und später sogar gegeneinander bewegten, blieb die innige Verbindung im Geistigen und Kulturellen erhalten. Sie kann hier nicht nachgezeichnet werden; es kann lediglich auf die reiche Landschaft der böhmischen Kultur verwiesen und dazu eingeladen werden, in ihr miteinander zu wandern und Entdeckungen zu machen.

Den Sudetendeutschen könnte hierbei eine besondere Brückenfunktion zukommen. Jahrzehntelang standen sie in ihren Verbänden und mit der Pflege des sudetendeutschen Erbes gegen das Unrecht der Vertreibung und für das Recht auf die angestammte Heimat. Nun eröffnen der zeitliche Abstand und die mit ihm verbundenen biographischen Entwicklungen sowie die politischen Veränderungen in einem zusammenwachsenden Europa neue Ansätze und Möglichkeiten. Den sudetendeutschen Verbänden und Institutionen bietet sich dadurch eine bedeutsame und zukunftsweisende Aufgabe als Sachwalter des deutsch-böhmischen Kulturerbes an. Sie können dieses Erbe pflegen und in die gemeinsame europäische Zukunft einbringen.

Eine der sudetendeutschen Institutionen hat diese Aufgabe ausdrücklich zum Programm erhoben: der Adalbert Stifter Verein. Der Verein wurde 1947 mit Sitz in München gegründet. Satzungsgemäß hat er zum Ziel, "die schöpferischen Kräfte der Deutschen aus den Ländern Böhmen, Mähren und Schlesien zu sammeln und die deutsche wissenschaftliche und künstlerische Tradition der Sudetenländer im Bereich der gesamtdeutschen und europäischen Kultur weiterzutragen".Die Veranstaltungen und Publikationen des Adalbert Stifter Vereins illustrieren in eindrücklicher Weise, wie sich eine solche kulturelle Brückenfunktion konkret gestalten läßt.

Die evangelische Johannes Mathesius Gesellschaft mit Sitz in Hersbruck bei Nürnberg - benannt nach dem lutherischen Pfarrer und Reformator im böhmischen Joachimsthal (gestorben 1565) - bemüht sich in ähnlicher Weise auf dem kirchlichen Feld, das Erbe der Deutschen Evangelischen Kirche in Böhmen, Mähren und Schlesien lebendig zu erhalten und mit einschlägigen Publikationen, Tagungen usw. in den gesamtkirchlichen und geistigen Dialog einzubringen.

Kirche hat sich immer auch einem kulturellen Auftrag verpflichtet gewußt. Evangelische Gruppen aus Tschechien und Deutschland, die zusammenkommen, sollten nicht zögern, sich miteinander an dem reichen gemeinsamen Kulturerbe zu freuen und es für ihre Begegnung fruchtbar zu machen. Ein gemeinsamer Musikabend, ein kunsthistorischer Streifzug durch Prag, das Gespräch über einen Text von Franz Kafka sind unverzichtbar, wenn etwas aufscheinen und erlebt werden soll von der künstlerischen Kreativität und gegenseitigen Befruchtung, die die tschechisch-deutsche Symbiose mit sich brachte und die heute mit der zwischen Nostalgie und Zukunftshoffnung schillernden Chiffre "böhmisch" gekennzeichnet wird.

  • Eine einzigartige Verdichtung dieser geistig-künstlerischen Dimension der deutsch-tschechischen Begegnung stellt die Prager Literaturszene in den ersten Jahrzehnten unseres Jahrhunderts dar. Sie dokumentiert zugleich, daß die tschechisch-deutsche Symbiose vielfach auf jüdischem Boden wuchs und sich entfaltete und erst damit die geistige und kulturelle Weite erfaßt ist, die damals in Prag erreicht war und von deren Erbe wir bis heute zehren. Neben Franz Kafka waren es Max Brod, Franz Werfel, Egon Erwin Kisch und viele andere Schriftsteller und Literaten, die den "Prager Kreis" bildeten und hier zu nennen wären.
         
  • Böhmen war seit je ein Land mit einer reichen musikalischen Tradition. Was wäre die "deutsche" Musik ohne die böhmischen Musiker und Komponisten? Wer möchte in dieser böhmischen Musiktradition deutsche und tschechische Anteile trennen? Franz Schubert stammt ebenso aus Böhmen wie Gustav Mahler. Mozarts Oper "Don Giovanni" wurde in Prag uraufgeführt - es gibt aber auch die Edition "Und die Musik spielt dazu" mit Chansons und Satiren aus dem KZ Theresienstadt. Was für eine Spannbreite bezeichnen diese Extreme!
         
  • Auf vielen Ebenen läßt sich der kulturellen und geistigen Tradition der böhmischen Länder nachspüren. Sie haben Wissenschaftler wie Gregor Mendel oder Sigmund Freud und Techniker wie Ferdinand Porsche hervorgebracht. Philosophen wie der Tscheche Jan Patocka und der Deutsche Edmund Husserl bezeugen die geistige Verwandtschaft. Prag bietet kunsthistorisches und städtebauliches Anschauungsmaterial ohnegleichen für die europäische Entwicklung vom Mittelalter bis in den Jugendstil und die Architektur des 20. Jahrhunderts.

Christen haben sich immer am gesellschaftlichen Diskurs beteiligt und zu den geistigen und ethischen Fragen ihrer Zeit Stellung bezogen. "Suchet der Stadt Bestes" - diesem Auftrag wissen sie sich verpflichtet. Was bedeutet das für die Begegnung von Tschechen und Deutschen? Wie ist der Auftrag, dem Gemeinwohl zu dienen, im Rahmen der deutsch-tschechischen Nachbarschaft und im Herzen Europas heute wahrzunehmen? Darüber müssen wir miteinander nachdenken. Eine Fülle von Fragen stellen sich in diesem Zusammenhang! Ein paar Beispiele wenigstens seien genannt:

  • Die Sudetendeutschen klagen um den Verlust der Heimat, viele von ihnen fordern ein Recht auf ihre Heimat ein. Was ist "Heimat"? Staatspräsident Havel hat in seiner Rede vor dem Deutschen Bundestag am 24. April 1997 auf die Offenheit zur Welt im ursprünglichen Verständnis von "Heimat" hinwgewiesen (vgl. die Dokumentation im Teil 3c). Kann heute ein Gespräch zwischen Tschechen und Sudetendeutschen zum Thema "Heimat" stattfinden - 50 Jahre nach dem Geschehen, das die einen "Aussiedlung" und die anderen "Vertreibung" nennen? Was bedeutet in diesem Zusammenhang die Schaffung von grenzüberschreitenden "Euregionen"? Vorerst dienen sie der Verbesserung wirtschaftlicher Zusammenarbeit - haben sie auch etwas mit der "Heimat" der dort lebenden Menschen zu tun?
         
  • Die schmerzliche und in der Katastrophe endende deutsch-tschechische Geschichte in der ersten Hälfte unseres Jahrhunderts, der eine lange Periode der Trennung folgte, scheint sich am Ende des Jahrhunderts unter der Perspektive eines zusammenwachsenden Europa wieder auf eine offene Nachbarschaft hinzubewegen. Was bedeutet diese Perspektive "Europa" für die Tschechen, was für die Deutschen und was für ihr künftiges Zusammenleben? Welche Erwartungen und welche Ängste verbinden sie damit? Welche Gestaltungskräfte sind am Werk und welche Verantwortung tragen wir Christen für die europäische Zukunft?
         
  • "Gerechtigkeit, Frieden, Bewahrung der Schöpfung" - mit diesen drei Worten beschreiben Christen heute den Auftrag Gottes, das Zusammenleben der Menschen und die Zukunft der Welt verantwortlich zu gestalten. Viele einzelne Christen und christliche Gruppen haben sich diesen Auftrag bewußt zu eigen gemacht und versuchen mit unterschiedlichen Akzenten, ihn in ihrer Lebensweise und ihrem Verhalten zu verwirklichen. Auch die Kirchen sind von dem Prozeß erfaßt, die Erste Europäische Ökumenische Versammlung in Basel 1989 hat ihn europaweit ins Bewußtsein gerückt. Wenn Christen aus Tschechien und Deutschland zusammenkommen, bedeutet jedes dieser drei Worte eine besondere Herausforderung für gemeinsames Nachdenken und ganz konkretes Tun. "Bewahrung der Schöpfung" - um nur eines herauszugreifen - trägt höchste Dringlichkeit in sich angesichts der Umweltschäden in den deutsch-polnisch-tschechischen Nachbarregionen oder auch angesichts der Ursachen für die Jahrhundertflut im Sommer 1997 und der damit verbundenen Zukunftsaufgaben.

3c) Auszüge aus Dokumenten, Reden, Predigten

In diesem Abschnitt sind wichtige Texte zur Versöhnung und Verständigung zwischen Tschechen und Deutschen zusammengestellt. Es sind Texte aus Kirche und Politik, Gesellschaft und Öffentlichkeit. Sie sprechen für sich selbst und bedürfen keiner Erläuterung, wohl aber der Beherzigung.

Verzeichnis

  1. Synode der Evangelischen Kirche der Böhmischen Brüder, Stellungnahme vom 18. November 1995
  2. Kundgebung der Synode der EKD vom 7. November 1997
  3. Gemeinsames Wort der tschechischen und der deutschen römisch-katholischen Bischöfe aus Anlaß des 50jährigen Gedenkens an das Ende des Zweiten Weltkrieges vom 9. März 1995
  4. Vollversammlung der römisch-katholischen Deutschen Bischofskonferenz, Pressemitteilung vom 27. September 1996
  5. Deutsch-tschechische Erklärung über die gegenseitigen Beziehungen und deren künftige Entwicklung vom 21. Januar 1997
  6. Bundeskanzler Dr. Helmut Kohl zur Deutsch-Tschechischen Erklärung am 31. Januar 1997 im Deutschen Bundestag
  7. Präsident Václav Havel am 24. April 1997 im Deutschen Bundestag
  8. Bundespräsident Roman Herzog vor Vertretern beider Kammern des Tschechischen Parlaments am 29. April 1997
  9. Rede von Synodalkurator Dr. Zdenek Susa beim 3. Euregionalen Kirchentag am 29. September 1996 in Cheb/Eger
  10. Ansprache von Oberkirchenrat Wilfried Beyhl beim 3. Euregionalen Kirchentag am 29. September 1996 in Cheb/Eger
  11. Predigt von Synodalsenior Th. Mgr. Pavel Smetana am 31. Oktober 1997 in Bayreuth

1) Synode der Evangelischen Kirche der Böhmischen Brüder
Prag, 18. November 1995

(Auszug)
.

4. Kontinuität der Verantwortung
4.1. Die Folgen sind auch unsere Sache

Auch wir empfinden die Verantwortung für die Auseinandersetzung mit den Folgen dessen, was im Namen des tschechischen Volkes in der Grenzsituation des Jahres 1945 und der nachfolgenden Jahre geschehen ist, obwohl die meisten von uns damals im Kindesalter oder noch gar nicht geboren waren. Wir sind uns dessen bewußt, daß die Tschechen, obwohl die Standpunkte und Handlungsweisen unserer Väter und Großväter in den damaligen Jahren in vieler Hinsicht begreiflich sind, ihren ehemaligen deutschen Mitbürgern, ebenso wie vorher die Deutschen den Tschechen ein Trauma verursacht haben, dessen Folgen sich auch in den nachfolgenden Generationen äußern. Obwohl es nicht einfach ist, (nach allem, was zwischen uns geschah,) einen eindeutigen Standpunkt zu der vor fünfzig Jahren erfolgten Aussiedlung der böhmischen Deutschen einzunehmen, erklären wir folgendes:

4.2. DEKLARATION

a) Die radikale und scheinbar endgültige Lösung des Problems des Verhältnisses der Tschechen zu den Deutschen in den böhmischen Ländern durch ihre kollektive Aussiedlung nach dem Zweiten Weltkrieg erscheint uns, trotz alles vorangegangenen Unrechts, als moralisch verfehlter Schritt. Wir stürzen uns dabei auf die Bewertung konkreter Umstände, die wir bereits berührt haben, wie auch auf die allgemeine Überlegung zum babylonischen Hochmut einer administrativen Maßnahme, die mit einem Schlage eine Jahrhunderte alte Kultur ihrer Heimat beraubt und dadurch entwurzelt und sich anmaßt, ein Volk zu deportieren, dessen Anzahl und Ausmaß seiner Siedlungen der Einwohnerschaft der von manchen europäischen Ländern entspricht. Wir sind überzeugt, den dies ein politisch nicht umsichtiger Schritt war, der uns der Möglichkeit beraubte, eine weise Souveränität im Zusammenleben der Völker zu bezeugen, und uns statt dessen Anschuldigungen aussetzte.

b) Gänzlich zu verurteilen sind die Verbrechen, die viele Tschechen an Deutschen vor und während des "Transfers" begingen, ohne Rücksicht auf ihr Ausmaß und die Anzahl der Opfer, und ohne Rücksicht auf eine etwaige amtliche Rückendeckung solcher Taten. Als schändlich muß auch das Gesetz 115/1946 über ihre summarische Exkulpation (falls sie vor dem 28. 10. 1945 verübt wurden) betrachtet werden, das bereits in seiner Zeit als "monströs" und "in der zivilisierten Welt einzig dastehend" kritisiert wurde, ein Gesetz, durch das der Rechtsnihilismus besonders gestärkt wurde

c) Wir bedauern auch zutiefst die Art, wie mit dem Eigentum der ehemaligen deutschen Mitbürger umgegangen wurde, das oft skrupellos beschlagnahmt, weggerafft oder zerstört wurde, besonders in den ersten Jahren der wilden Besiedlung der Grenzgebiete. Um so mehr wurden auch wir seither um unzählige wirtschaftliche und kulturelle Werte ärmer, die die böhmischen Deutschen über Jahrhunderte geschaffen haben, und die ihnen auf einen Schlag mit ihren Siedlungen genommen wurden

5. Gegenwärtiger Stand und Perspektiven unserer gegenseitigen Beziehungen
5.1. Einmalige Lösungen werden auch nicht jetzt helfen Zurückweisung irrealer Ansprüche

Ebenso wie sich die Endgültigkeit des einmaligen Aktes der Aussiedlung der böhmischen Deutschen nach dem Krieg, als eines Versuchs, unsere gegenseitige Beziehung "ein für allemal" zu lösen, als illusorisch erwies, sehen wir auch heute keine mögliche Lösung dieses Verhältnisses in irgend einem neuen einmaligen Akt der Art, wie er von einigen Kreisen sudetendeutscher Organisationen gefordert wird (wenn sie aus dem Menschenrecht auf Heimat den Anspruch auf die rechtliche und eigentumsbezogene Restitution des Vorkriegszustandes ableiten). Mit Bedauern stellen wir fest, daß die korrekte und aufrichtige Entschuldigung unseres Präsidenten aus dem Jahr 1989 nicht als ausgestreckte Hand zur Tilgung der unseligen Vergangenheit durch gegenseitige Versöhnung verstanden wurde, sondern als Gelegenheit zur Aufstellung von politischen und vermögensbezogenen Forderungen. Wir sind überzeugt, daß der Weg derartiger Forderungen und Proklamationen zu keiner Versöhnung führt, sondern im Gegenteil die gegenseitige Entfremdung noch vertiefen wird.

5.2. Die Verluste sind beiderseitig
Auch das Verständnis muß beiderseitig sein.

Während wir die Gefühle jener verstehen, die einmal von amtlichen tschechischen Stellen mit einem Minimum an persönlichem Eigentum über die Grenze geschickt wurden, sowie ihrer Nachkommen, einschließlich der tiefen Wunden der Kinder und Enkel derer, die umkamen oder ermordet wurden, rufen wir sie auf, auch die Tiefe des Traumas zu sehen, das vorher Deutsche den Tschechen verursacht haben, indem sie sich an der Zerschlagung des gemeinsamen demokratischen Staates beteiligt und damit das ganze tschechische Volk an den Rand des Verderbens gebracht haben. Es leben noch viele unter uns, die in nazistischen Gefängnissen und Konzentrationslagern gefoltert wurden, und viele Kinder und Enkel derer, die dort umkamen. Wir sind uns jedoch bewußt, daß der Weg in die Zukunft nicht durch nie endende Schuldzuweisungen, sondern durch aufrichtige Reue, gegenseitiges Bemühen um Verständnis, und durch die Sehnsucht nach Versöhnung geöffnet wird.

5.3. Die einzige Möglichkeit: Ein neuer Anfang

Wenn wir es auch bedauern können, eine Rückkehr zu früheren Verhältnissen ist unmöglich: was wir alle verloren haben, muß zu den Kriegsverlusten gezahlt werden. Das einzige, was uns übrigbleibt, ist, vom Status quo ohne gegenseitige Beschuldigungen und Forderungen auszugehen und unsere Beziehungen von Grund auf neu aufzubauen (im übrigen ist auch der deutsch-tschechische Staatsvertrag dafür ein gutes Fundament). Sicherlich sollten wir dabei von tschechischer Seite aus den notwendigen Respekt gegenüber all denen erweisen. die kommen, um ihre alten Heimatstätten zu besuchen, die auch Offenheit gegenüber denen, die unter heutigen Bedingungen zu der tschechischen Staatsbürgerschaft zurückkehren möchten. Auch sollten wir Interesse an dem von Deutschen geschaffenen Anteil an der böhmischen Landeskultur haben.

5.4. Appell zu einem Aufbau im christlichen Geist gegen den Geist des Nationalismus

Während wir uns dessen bewußt sind, daß ein solcher Weg lang ist und gesäumt von Scharen solcher, die auch heute noch nicht dem Geist des Nationalismus (oft verbunden mit faschistischer und kommunistischer Nostalgie) entsagen wollen, appellieren wir hiermit an alle, die im christlichen Geist leben wollen (Angehörige verschiedener Konfessionen), wie auch an alle anderen, gemeinsam am Aufbau neuer Beziehungen mitzuwirken. Wir wollen zu diesem neuen Aufbau bereit sein und bitten deshalb um Vergebung dessen, worin wir uns wirklich an jemandem schuldig gemacht haben, und sind bereit, denen zu vergeben, die sich an uns schuldig gemacht haben. Und zu dem Übrigen möge Gott uns allen helfen!

2. KUNDGEBUNG
der 8. Synode der Evangelischen Kirche in Deutschland
auf ihrer 7. Tagung
zur
Versöhnung zwischen Tschechen und Deutschen
Borkum, 7. November 1996

(Auszug)

...

5. Die Evangelische Kirche der Böhmischen Brüder hat tschechische Schuld bekannt. Es ist ausgeschlossen, dagegen die Verbrechen aufzurechnen, die im deutschen Namen und von Deutschen an den Tschechen begangen wurden und die der Vertreibung der Deutschen vorausgegangen sind.

Die Zerschlagung der Tschechoslowakischen Republik und die Annexion ihres Gebietes waren ein frühes Ziel nationalsozialistischer Politik. Der durch das Münchener Abkommen erfolgte Anschluß des Sudetenlandes an das Deutsche Reich und die widerrechtliche Okkupation der verbleibenden Teile von Böhmen und Mähren gaben den Weg frei für die Gewaltherrschaft des nationalsozialistischen Regimes, welche Erniedrigung und Verfolgung, Krieg, Verwüstung und Tod über Land und Volk der Tschechoslowakei brachte. Ausbeutung, Zwangsarbeit und Terror hatten das Land im Griff, Tausende litten und starben in den Konzentrationslagern. Die jüdische Bevölkerung wurde verschleppt und vernichtet. Lidice und Theresienstadt sind Namen, die für das schreckliche Geschehen zwischen 1938 und 1945 stehen. Für die Tschechoslowakei waren Fremdbestimmung und Unterdrückung mit dem Kriegsende nicht vorbei. Mehr als vierzig Jahre Kommunismus gehören zu den Folgen der nationalsozialistischen Kriegspolitik.

Ein großer Teil des deutschen Volkes, auch der Sudetendeutschen, folgte dem NS-Regime auf seinem Wege. Die Kirchen haben ihm ebenfalls nicht genug widerstanden. Alle unsere Mitbürgerinnen und Mitbürger bitten wir, unsere gemeinsame Verantwortung für das den Menschen in der Tschechoslowakei angetane Unrecht anzunehmen. Die Zuweisung von Kollektivschuld lehnen wir nachdrücklich ab. Unabhängig von einer persönlichen Unschuld heute Lebender sagen wir: Uns alle belastet die Schuld unseres Volkes.

Mit Ehrfurcht und Ernst vor Gott suchen wir Vergebung dieser Schuld. Wir bitten unsere tschechischen Schwestern und Brüder um Vergebung und gewähren, soweit es uns zukommt, ebenfalls Vergebung.

6. Die ernsthafte Bereitschaft zur Versöhnung verpflichtet uns, auch unwillkommene und schwer erträgliche Wahrheiten auszusprechen. Die noch Zurückhaltenden unter unseren sudetendeutschen Landsleuten bitten wir, den Weg zur Versöhnung mit den Nachbarn in der verlorenen böhmischen, mährischen und schlesischen Heimat mitzugehen.

Dem Unrecht der Enteignung und Vertreibung steht die schwerwiegende Realität gegenüber, daß nach der geschichtlichen Entwicklung eines halben Jahrhunderts heute andere Menschen dort ihre Heimat gefunden haben. Diese Entwicklung kann und darf nicht umgekehrt werden. Rechtsansprüche widerstreben der Versöhnung, wenn sie auf Veränderungen abzielen, die ohne neue Verletzungen nicht zu haben sind. Versöhnung erfordert den für viele immer noch schmerzlichen Verzicht auf Ansprüche, die nicht eingelöst werden können.

Das gilt für die Verwirklichung des Heimatrechts und individueller Vermögensansprüche ebenso wie für Forderungen, die aus ihnen abgeleitet werden. Ein durch Versöhnung gestärktes gutnachbarschaftliches Miteinander von Deutschen und Tschechen bringt mancherlei Öffnung mit sich, bisher verschlossene Zugänge werden sich auftun. Zahllose gute Erfahrungen mit anderen Nachbarn Deutschlands stützen diese Hoffnung. Sie hat jedoch keine Chance, solange Ansprüche vor die Verständigung gestellt werden. Das Beharren auf Ansprüchen erschwert es den Partnern, sich der Verständigung zu öffnen. Offene Worte werden zurückgehalten in der Sorge, sie könnten zur Grundlage von Ansprüchen gemacht werden.

Die Folgen der Schuld, die das deutsche Volk in der Vergangenheit auf sich lud, wurden den sudetendeutschen wie allen anderen Vertriebenen durch den Verlust ihrer Heimat in besonderer Weise aufgebürdet. Wir bitten unsere Mitbürgerinnen und Mitbürger, einen Verzicht der Vertriebenen auf Ansprüche in der Tschechischen Republik und in den ehemaligen deutschen Ostgebieten als einen stellvertretenden Beitrag zur Versöhnung und zum Frieden mit unseren Nachbarn zu würdigen und ihnen dafür Dankbarkeit und Achtung entgegenzubringen.

...

3. Gemeinsames Wort der tschechischen und der
deutschen römisch-katholischen Bischöfe
aus Anlaß des fünfzigjährigen Gedenkens an das Ende des Zweiten Weltkriegs
vom 9. März 1995

(Auszug)

...

Wiedergutmachung zwischen den Menschen verschiedener Völker ist vor allem "ein geistiger Vorgang". Eine Revision all dessen, was vor fünfzig Jahren geschah, ist kaum möglich. Wiedergutmachung zwischen Tschechen und Deutschen ist daher in erster Linie "die Bereitschaft, sich innerlich von alter nationaler Feindschaft abwenden und mitzuhelfen, daß die Verletzungen geheilt werden, die anderen aus solcher Feindschaft zugefügt worden sind" (Erzbischof Giovanni Coppa, Apostolischer Nuntius in Prag, bei der 800-Jahr-Feier des Stiftes Tepl/Teplá, September 1993).

Damit dies gelingt, muß der Gesinnungswandel auch in Taten manifest werden. Dies ist gerade im kirchlichen Raum in vielerlei Weise geschehen. Dieser Prozeß muß freilich noch größere Verbindlichkeit erhalten. Es liegt daher bei den verantwortlichen Politikern in beiden Ländern, der gemeinsamen und konstruktiven Erörterung der strittigen Fragen nicht auszuweichen und die daraus folgenden Konsequenzen zu ziehen. Dabei müssen die berechtigten Anliegen aller beteiligten Seiten Gehör finden. Nur solche Lösungen werden Bestand haben, die dem Gemeinwohl beider Staaten und Europas verpflichtet sind. Sie müssen die jeder menschlichen Gerechtigkeit gesetzten Grenzen beachten; deshalb dürfen sie nichts Unerfüllbares fordern und müssen die Folgen für alle Betroffenen bedenken. Vor allem aber darf dabei nicht übersehen werden, daß es unzulänglich ist, "durch Gebote der Gerechtigkeit allein den Frieden unter den Menschen wahren zu wollen ..., wenn nicht unter ihnen die Liebe Wurzeln schlägt" (Thomas von Aquin, Summa contra gentiles 3, 130).

Erzwungene Umsiedlung und Vertreibung sind Unrecht, wo immer sie geschehen sind und in unseren Tagen geschehen. Sie trafen viele Tschechen während der deutschen Okkupation und sie trafen die Sudetendeutschen nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs. Auch heute darf dieses Mittel der Gewaltpolitik von niemandem für Recht erklärt werden. Die Rechte der nationalen Minderheiten und Volksgruppen müssen besser geschützt werden, um für die Zukunft den Frieden innerhalb der Staaten und zwischen den Gliedern der Staatengemeinschaft zu erhalten.
...

4. Pressebericht
der Herbst-Vollversammlung der römsich-katholischen Deutschen Bischofskonferenz
vom 23. bis 26. September 1996 in Fulda
(Auszug)
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2. Deutsch-tschechisches Verhältnis

Im Hinblick auf deutsch-tschechische Verhandlungen über eine gemeinsame Erklärung beider Regierungen bekräftigen die zur Herbst-Vollversammlung der Deutschen Bischofskonferenz in Fulda zusammengetroffenen Bischöfe aller deutschen Diözesen ihren Willen zu einer umfassenden Aussöhnung beider Völker.

Wir begrüßen die verstärkten Bemühungen der Bundesregierung und der Regierung der Tschechischen Republik, die Verhandlungen über eine gemeinsame deutsch-tschechische Erklärung nunmehr erfolgreich zum Abschluß zu bringen. Die Erklärung wird - so hoffen wir zuversichtlich - wesentlich dazu beitragen, daß endlich unsere Völker in ihrer Gesamtheit den Weg zu einer umfassenden Aussöhnung beschreiten, den einzelne bereits gegangen sind. Die Zeit hierfür ist reif.

Wir erinnern voller Dankbarkeit an den Briefwechsel zwischen den katholischen Bischöfen der damaligen Tschechoslowakei, angeführt von Kardinal Tomasek, und der Deutschen Bischofskonferenz, im Jahre 1990, dem fünf Jahre später ein gemeinsames Wort aus Anlaß des fünfzigjährigen Gedenkens an das Ende des Zweiten Weltkrieges gefolgt ist. In dem Briefwechsel haben beide Seiten das Unrecht, das unsere Volker sich gegenseitig zugefügt hatten, beim Namen genannt und den Willen zu Vergebung und Versöhnung bezeugt. Wiedergutmachung zwischen Tschechen und Deutschen, so haben wir 50 Jahre nach Ende des Zweiten Weltkrieges gemeinsam erklärt, muß vor allem ein geistiger Vorgang sein. Eine Revision all dessen, was vor über 5O Jahren geschah, ist im materiellen Sinne kaum möglich; was aber möglich ist, soll gemeinsam ausgelotet und ausgehandelt werden. Von uns allen aber wird die Bereitschaft verlangt, "sich innerlich von alter nationaler Feindschaft abzuwenden und mitzuhelfen, daß die Verletzungen geheilt werden, die anderen aus solcher Feindschaft zugefügt worden sind". Diese Worte, zu denen die deutschen und tschechischen Bischöfe sich gemeinsam bekannt haben, sind heute so wahr wie 1993, als sie erstmals vom Apostolischen Nuntius in Prag ausgesprochen wurden.

Das Ziel, dem sich die Bischöfe in unseren Ländern vor sechs Jahren feierlich verpflichtet haben, kann nur erreicht werden, wenn es sich immer mehr Menschen zu eigen machen: die zwischen unseren Völkern liegende Hinterlassenschaft, die "Unrecht und Leid, Mißtrauen und Gleichgültigkeit zwischen den Menschen wachsen ließ, dieses unselige Erbe beiseite zu räumen und die Herzen der Menschen für den gemeinsamen Bau an einem neuen Europa zu gewinnen" (vgl. "Die Wahrheit und die Liebe machen uns frei". Erklärung der deutschen Bischöfe zur Versöhnung mit dem tschechischen Volk, 8. März 1990, in: Stimmen der Weltkirche Nr. 30).

5. Die Regierungen der Bundesrepublik Deutschland und
der Tschechischen Republik
Deutsch-tschechische Erklärung über die gegenseitigen Beziehungen
und deren künftige Entwicklung
Prag, 21. Januar 1997
(Auszug)

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II

Die deutsche Seite bekennt sich zur Verantwortung Deutschlands für seine Rolle in einer historischen Entwicklung, die zum Münchner Abkommen von 1938, der Flucht und Vertreibung von Menschen aus dem tschechoslowakischen Grenzgebiet sowie zur Zerschlagung und Besetzung der Tschechoslowakischen Republik geführt hat.

Sie bedauert das Leid und das Unrecht, das dem tschechischen Volk durch die nationalsozialistischen Verbrechen von Deutschen angetan worden ist. Die deutsche Seite würdigt die Opfer nationalsozialistischer Gewaltherrschaft und diejenigen, die dieser Gewaltherrschaft Widerstand geleistet haben.

Die deutsche Seite ist sich auch bewußt, daß die nationalsozialistische Gewaltpolitik gegenüber dem tschechischen Volk dazu beigetragen hat, den Boden für Flucht, Vertreibung und zwangsweise Aussiedlung nach Kriegsende zu bereiten.

III

Die tschechische Seite bedauert, daß durch die nach dem Kriegsende erfolgte Vertreibung sowie zwangsweise Aussiedlung der Sudetendeutschen aus der damaligen Tschechoslowakei, die Enteignung und Ausbürgerung unschuldigen Menschen viel Leid und Unrecht zugefügt wurde, und dies auch angesichts des kollektiven Charakters der Schuldzuweisung. Sie bedauert insbesondere die Exzesse, die im Widerspruch zu elementaren humanitären Grundsätzen und auch den damals geltenden rechtlichen Normen gestanden haben, und bedauert darüber hinaus, daß es aufgrund des Gesetzes Nr. 115 vom 8. Mai 1946 ermöglicht wurde, diese Exzesse als nicht widerrechtlich anzusehen, und daß infolge dessen diese Taten nicht bestraft wurden.

IV

Beide Seiten stimmen darin überein, daß das begangene Unrecht der Vergangenheit angehört und werden daher ihre Beziehungen auf die Zukunft ausrichten. Gerade deshalb, weil sie sich der tragischen Kapitel ihrer Geschichte bewußt bleiben, sind sie entschlossen, in der Gestaltung ihrer Beziehungen weiterhin der Verständigung und dem gegenseitigen Einvernehmen Vorrang einzuräumen, wobei jede Seite ihrer Rechtsordnung verpflichtet bleibt und respektiert, daß die andere Seite eine andere Rechtsauffassung hat. Beide Seiten erklären deshalb, daß sie ihre Beziehungen nicht mit aus der Vergangenheit herrührenden politischen und rechtlichen Fragen belasten werden. ...

VII

Beide Seiten werden einen deutsch-tschechischen Zukunftsfonds errichten. Die deutsche Seite erklärt sich bereit, für diesen Fonds den Betrag von 140 Millionen DM zur Verfügung zu stellen. Die tschechische Seite erklärt sich bereit, ihrerseits für diesen Fonds den Betrag von 440 Millionen Kc zur Verfügung zu stellen. Über die gemeinsame Verwaltung dieses Fonds werden beide Seiten eine gesonderte Vereinbarung treffen.

Dieser gemeinsame Fonds wird der Finanzierung von Projekten gemeinsamen Interesses dienen (wie Jugendbegegnung, Altenfürsorge, Sanatorienbau und --betrieb, Pflege und Renovierung von Baudenkmälern und Grabstätten, Minderheitenförderung, Partnerschaftsprojekte, deutsch-tschechische Gesprächsforen, gemeinsame wissenschaftliche und ökologische Projekte, Sprachunterricht, grenzüberschreitende Zusammenarbeit). Die deutsche Seite bekennt sich zu ihrer Verpflichtung und Verantwortung gegenüber all jenen, die Opfer nationalsozialistischer Gewalt geworden sind. Daher sollen die hierfür in Frage kommenden Projekte insbesondere Opfern nationalsozialistischer Gewalt zugute kommen.

VIII

Beide Seiten stimmen darin überein, daß die historische Entwicklung der Beziehungen zwischen Deutschen und Tschechen insbesondere in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts der gemeinsamen Erforschung bedarf und treten daher für die Fortführung der bisherigen erfolgreichen Arbeit der deutsch-tschechischen Historikerkommission ein.

Beide Seiten sehen zugleich in der Erhaltung und Pflege des kulturellen Erbes, das Deutsche und Tschechen verbindet, einen wichtigen Beitrag zum Brückenschlag in die Zukunft.

Beide Seiten vereinbaren die Einrichtung eines deutsch-tschechischen Gesprächsforums, das insbesondere aus den Mitteln des deutsch-tschechischen Zukunftsfonds gefördert wird und in dem unter der Schirmherrschaft beider Regierungen und Beteiligung aller an einer engen und guten deutsch-tschechischen Partnerschaft interessierten Kreise der deutsch-tschechische Dialog gepflegt werden soll.

6. Bundeskanzler Dr. Helmut Kohl
am 30.01. 1997 im Deutschen Bundestag
(Auszug)

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Geschehenes kann nicht ungeschehen gemacht werden. Gewalt und Unrecht haben auf beiden Seiten tiefe Wunden geschlagen und Bitterkeit hinterlassen. Dies alles kann nicht mit einer Erklärung aus der Welt geschafft werden. Es geht darum, als Nachbarn in Europa ehrlich miteinander umzugehen. Tschechen und Deutsche bekennen sich in der Erklärung zu ihrer geschichtlichen Verantwortung.

Wir Deutschen wissen um das schwere Unrecht, das das nationalsozialistische Deutschland den Tschechen zugefügt hat. Das tschechische Volk - das wollen wir nie vergessen - hat damals länger als andere unter deutscher Okkupation, unter Unrecht und Krieg gelitten. Der Rassenwahn der Nationalsozialisten hat nicht zuletzt den Juden in der damaligen Tschechoslowakei Furchtbares angetan. Wir haben in diesem Haus am Montag dieser Woche auch der Opfer von Theresienstadt gedacht.

Es entspricht christlich-jüdischer und humanistischer Tradition, auf den einzelnen Menschen zu schauen. Das millionenfache Leiden darf uns nicht den Blick auf das einzelne Opfer verstellen. Ich denke, es ist unsere menschliche Pflicht, das Leid der Heimatvertriebenen und Flüchtlinge nicht zu vergessen. Trauer ist kein Akt kleinlicher Aufrechnung. Weder wird deutsche Schuld durch das Unrecht der Vertreibung auch nur um ein Jota gemindert, noch hebt deutsche Schuld das Unrecht der Vertreibung auf.
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7. Präsident Vàclav Havel am 24.04. 1997 im Deutschen Bundestag
(Auszug)

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Durch ihre Verabschiedung (Deutsch-tschechische Erklärung, vgl. Text Nr.5) zeigen unsere beiden Staaten ganz Europa, daß sie den guten Willen haben, seine ohnehin überladenen Verhandlungstische nicht auch noch mit ihren Differenzen zu belasten, welche überdies auf Ereignisse zurückzuführen sind, die vor langer Zeit geschahen und nicht ungeschehen gemacht werden können. So wie das heutige Deutschland nicht in der Lage ist, die Zehntausende tschechischer NS-Opfer ins Leben zurückzurufen und uns in die Zeit vor 1938 zurückzuführen, in der Tschechen, Juden und Deutsche bei uns zusammenlebten, so wenig kann die heutige Tschechische Republik den vertriebenen Deutschen ihr altes Zuhause zurückgeben. Durch diese Erklärung haben wir meines Erachtens klar gesagt, daß wir nicht das Unmögliche anstreben, das heißt, daß wir nicht versuchen, die eigene Geschichte zu ändern und ihre nicht wiedergutzumachenden Folgen wiedergutzumachen, sondern daß wir diese Geschichte unvoreingenommen erforschen, ihre Wahrheit suchen und dadurch die einzig möglichen und sinnvollen Grundlagen unseres künftigen guten Zusammenlebens legen wollen.

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Nur eine Gemeinschaft, welche die Wahrheit über ihre eigene Geschichte erkennen kann und darf, ist tatsächlich eine freie Gemeinschaft. Nur in einer tatsächlich freien Gesellschaft - hier schließt sich der Kreis - können sich auch die Politiker tatsächlich frei benehmen. Zumindest empfinde ich persönlich es so. Ein kleines Beispiel: Wenn ich - sehr wohl wissend, warum - vor zwei Jahren nur sagte, daß die aus unserem Land stammenden Deutschen bei uns als Gäste willkommen sind, so kann ich heute ohne Befürchtungen auch hinzufügen, was ich damals nicht sagte: daß sie nicht nur als Gäste. sondern auch als unsere einstigen Mitbürger bzw. deren Nachkommen willkommen sind, die bei uns jahrhundertealte Wurzeln haben und das Recht darauf haben, daß wir diese ihre Verbundenheit mit unserem Land wahrnehmen und achten.

Freiheit im tiefsten Sinne des Wortes bedeutet jedoch mehr, als ohne Rückhalt zu sagen, was ich denke. Freiheit bedeutet auch, daß ich den anderen sehe, mich in seine Lage hineinzuversetzen, in seine Erfahrungen hineinzufühlen und in seine Seele hineinzuschauen vermag und imstande bin, durch einfühlsames Begreifen von alledem meine Freiheit auszuweiten. Denn was ist das gegenseitige Verständnis anderes als die Ausweitung der Freiheit und die Vertiefung der Wahrheit? Konkret bedeutet es auch, daß wir in der Zukunft jene Begriffe oder Schlagwörter meiden sollten, die unter anderem dank ihrer poetischen Nebelhaftigkeit in dem historischen Bewußtsein der anderen eine andere Bedeutung als bei uns haben, oft sogar eine sehr negative Bedeutung. Sie wissen wohl, daß ich über solche Wortverbindungen wie zum Beispiel "Schlußstrich" spreche, verstanden in Deutschland als ein Ausdruck für den Versuch, böse Dinge zu vergessen, oder "Recht auf Heimat", was bei uns als gehobene Bezeichnung für einen schlichten territorialen Anspruch betrachtet wird.

Kurz gesagt: Die Tschechisch-Deutsche Erklärung schafft indem sie uns alle von der Angst vor der Wahrheit befreit sowohl für die Entwicklung unseres nachbarlichen Zusammenlebens als auch für unsere Zusammenarbeit auf der europäischen Bühne ein außerordentlich günstiges Klima.

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Heimat. Gewöhnlich verstehen wir darunter das Land, in dem das Volk lebt, dem wir angehören. Als sich allmählich Nationen im modernen Sinne des Wortes zu konstituieren begannen und Eigenstaatlichkeit gewannen und dadurch moderne Nationalstaaten entstanden, wurde unter dem Begriff Heimat offensichtlich immer deutlicher der eigene Nationalstaat verstanden und unter dem Begriff Patriotismus die Gefühlsverbundenheit sowohl mit dem eigenen Volk und dem von ihm bewohnten Land als auch - in zunehmendem Maße - mit dem Staat, welchen dieses Volk aufbaut, beschützt oder um welchen es kämpft.

Ich glaube, wenn man heute "Heimat" sagt, verbinden damit die meisten Menschen eben die zuletzt beschriebene Bedeutung. Anders gesagt, sie sehen die Heimat als ein. praktisch abgeschlossene, feststehende, genau definierbare Struktur, die zu keinen weiteren Überlegungen anregt. ...

In seiner Ursprünglichkeit bezeichnet also das Wort Heimat keine abgeschlossene Struktur, sondern das Gegenteil davon: eine Struktur, die öffnet, eine Brücke zwischen dem Menschen und dem Weltall, einen Leitfaden, der vom Bekannten auf das Unbekannte, vom Sichtbaren auf das Unsichtbare, vom Verständlichen auf das Geheimnisvolle, vom Konkreten auf das Allgemeine weist. Es ist der feste Boden unter den Füßen, auf dem der Mensch steht, wenn er sich zum Himmel hin ausrichtet. ...

Die Auffassung von Heimat als einer abgeschlossenen Struktur birgt in sich die Gefahr, daß die Heimat eher als ein ungelüftetes Loch statt als Sprungbrett der menschlichen Entfaltung betrachtet wird, eher als eine Höhle, die den Menschen vor der Welt schützt, statt als Raum für seinen Kontakt mit ihr, eher als ein Instrument der Isolierung des Menschen von den anderen statt als ein Tor, das ihm den Weg zu den anderen öffnet.

Ich finde in dieser Auffassung, insbesondere in ihren abgesunkenen Formen, viel Äußerlichkeit: Immer deutlicher verliert darin die Heimat jede geistige Dimension oder jeden geistigen Inhalt, immer weniger stellt sie eine Gesamtheit von empfundenen oder gemeinsam angenommenen Werten dar oder vom eigenen geistigen Erbe, so wie es erfaßt wird, und wird lediglich zu einem toten Paket ihrer äußerlichen, inhaltlich entleerten Attribute wie Trachten, Standarten, Aufrufen oder endlos wiederholten Melodien.

Ich glaube, daß die moderne Welt mit der Zeit die traditionelle Auffassung des Nationalstaates als eines Gipfelpunkts der nationalen Existenz, der de facto das Ende der Geschichte markierte, hinter sich läßt. In dieser Auffassung war die Tatsache, daß ein Volk seinen Staat hatte, wichtiger als die Frage, was für ein Staat es war und auf welchen Werten er beruhte. Durch eine allmähliche Überwindung des Nationalstaates in seiner traditionellen Auffassung sollte meines Erachtens auch eine neue Reflexion des Begriffs Heimat herbeigeführt werden.

Wir sollten lernen, die Heimat wieder - so wie es wahrscheinlich einst geschah - als unseren Teil der "Welt im Ganzen" zu empfinden, das heißt als etwas, das uns einen Platz in der Welt verschafft, statt uns von der Welt zu trennen. ...

... der bewundernswerte Prozeß der europäischen Vereinigung konzentriert sich heutzutage auf die institutionelle, wirtschaftliche, legislative und politische Vereinigung. Auf all diesen Ebenen kann er jedoch kaum erfolgreich sein, falls er nicht systematisch von einer Suche nach den vereinigenden Motiven im Bereich des Fühlens und des Denkens begleitet wird. Anders gesagt: Früher oder später werden die Europäer auch Europa als ihre Heimat, wenn auch besonderer Art, oder als eine gemeinsame Heimat ihrer Heimaten empfinden müssen.

Dies ist jedoch nur dann denkbar, wenn sie Heimat als eine offene Struktur betrachten, offen nicht nur in dem Sinne, daß ein Teil der Gefühle, die bisher dem Nationalstaat gewidmet waren, auch einer Region oder andererseits dem ganzen Kontinent gelten kann, sondern hauptsächlich in jenem tieferen Sinne, über welchen ich hier gesprochen habe. ...

... ich kann nicht anders als mit der Feststellung enden, daß vor unseren beiden Staaten eine große Aufgabe steht: Gemeinsam und erfüllt vom gegenseitigen Vertrauen sollen wir zu dem großen Werk der europäischen Vereinigung beitragen und, von unseren eigenen reichen geistigen Traditionen ausgehend, gemeinsam darin das bekräftigen, was die stärkste Bindung europäischer Staaten und Nationen darstellen kann, nämlich das Bewußtsein, daß wir miteinander eine gemeinsame Heimat der Gedanken, Werte und Ideale teilen.

8. Bundespräsident Roman H e r z o g vor Vertretern
beider Kammern des Tschechischen Parlaments
auf der Prager Burg am 29. April 1997

(Auszug)

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Ein Blick in unsere Geschichte zeigt, daß Deutsche und Tschechen ein viele Jahrhunderte umfassendes gemeinsames geistiges Erbe verbindet. Im unbefangenen Rückblick können wir sagen, daß das jahrhundertelange Zusammenleben von Tschechen und Deutschen, Christen und Juden in Ihrem Land unendlich produktiv war und aus der Geschichte nicht weggedacht werden kann. Das Gemeinsame ist tschechische, deutsche und europäische Geschichte geworden. Es wird in der Architektur sichtbar. Es lebt in der Literatur und in der Musik. Ihre wunderschöne Stadt Prag verkörpert exemplarisch das Wesen einer europäischen Stadt.

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Als Präsident des wiedervereinten Deutschlands bekenne ich mich zur ganzen deutschen Geschichte, zu ihren Höhen, aber auch zu ihren Tiefen. Die Gefühle, die die Nachkriegsgeneration der Deutschen beim Rückblick auf die Jahre 1933 bis 1945 bewegen, sind nicht mit einfachen Formeln zu beschreiben. Mich beherrscht nicht ein Gefühl der Kollektivschuld, wenn ich an jene Jahre denke, denn jeder denkende Mensch weiß, daß Schuld nur individuell möglich ist. Aber mich beherrscht ein Gefühl der Scham und noch mehr ein Gefühl der Empörung über das Unrecht und das Leid, das Millionen Menschen in jener Zeit von Deutschen zugefügt wurde. und vor allem beherrscht mich ein Gefühl der Trauer um die Opfer dieser verbrecherischen und sinnlosen Politik.

Das ist ein bitteres Erbe, aber es ist ein Erbe, das man nicht ausschlagen kann. Heute bekennen wir Deutschen uns zu der historischen Verantwortung, die daraus erwächst. Und es ist die Verantwortung, dafür zu sorgen, daß es eine Politik wie das Münchener Abkommen von 1938 und die Zerschlagung und Besetzung der Tschechoslowakischen Republik nie wieder gibt. Es ist die Verantwortung, sich gegen Gewaltherrschaft und Unrecht zu wenden, wo immer sie auftreten.

Wir bedauern das Leid und wir bedauern das Unrecht, das dem tschechischen Volk zugefügt wurde, und uns ist auch bewußt, daß diese Politik der Gewalt und des Verbrechens es war, die den Boden für die nachfolgende Flucht und Vertreibung geebnet hat.

Voraussetzung für Vergebung ist Einsicht in eigenes Versagen. Sie stehen am Beginn des langen Weges, an dessen Ende Versöhnung steht. Dazu gehört vor allem auch Erinnerung. "Das Geheimnis der Erlösung heißt Erinnerung" lautet eine jüdische Weisheit. Das Geheimnis der Versöhnung heißt Vergebung, und deshalb wollen wir uns erinnern. Nicht als dauerhaften Schuldvorwurf, sondern als Verpflichtung für ein "Nie wieder". All denen ,die vergessen wollen, sage ich: "Nicht vergessen oder verdrängen, nur erinnern macht frei. Frei für den Blick nach vorn und in die Zukunft." ...

9. Rede von Synodalkurator Dr. Zdenek Susa beim 3. Euregionalen
Kirchentag am 29. September 1996 in Cheb/Eger
(Auszug)

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Die Tschechen sehen ihre Zukunft in der Einbindung in die europäischen Strukturen, in die die Deutschen schon eingebunden sind. Der tschechische Wunsch, zu Europa zu gehören, ist nicht blind. Die Tschechen sehen auch die Schwächen und die Krankheiten des sich vereinigenden Europa, trotzdem wollen sie ein Teil dieses Europa werden. Ihre "Rückkehr nach Europa" betrachten sie als historische Gerechtigkeit. Mit allen Risiken und Verantwortlichkeiten möchten sie wieder dorthin gehören, wohin sie immer gehört haben. Vierzig Jahre Kommunismus sind in der Geschichte nur eine Episode, sie können nicht auf immer das tschechische Schicksal werden. Wir wollen nicht eine wie auch immer geartete seltsame Grauzone am Rande Europas bleiben, nicht nur durch eine politische, sondern auch durch eine ökonomische Grenze abgetrennt.

Wird den Tschechen die Integration in die europäischen Strukturen gelingen, oder werden sie draußen bleiben? Das liegt wesentlich am Willen der Deutschen. Die Deutschen sind schon in Europa, es könnte für sie auch günstig sein, wenn die gegenwärtige Situation erhalten bliebe, wenn sich die europäischen und damit auch deutschen Probleme in die ärmeren Länder im Osten verlagern würden. Ich denke an die Probleme der Migration aus den noch ärmeren Ländern, mit einem Anstieg an Kriminalität usw..

Freilich entstand der heutige Unterschied zwischen dem reichen geordneten Deutschland und der noch nicht genügend geordneten Tschechischen Republik nicht dadurch, daß die Deutschen fähiger sind, weiser und arbeitsamer. Nein, ich zweifle nicht an den Qualitäten der Deutschen. Aber die Unterschiede zwischen uns haben andere Ursachen. Schauen Sie den Unterschied zwischen den alten und den neuen Bundesländern an. Die Deutschen aus der ehemaligen DDR sind doch auch Deutsche - genauso fähig und arbeitsam wie die Deutschen aus dem Westen - und doch sieht ihr Land genauso aus wie die Tschechische Republik. Die Tschechen befinden sich heute in einer ungünstigen Situation, die sie freilich nicht verschuldeten - ähnlich wie die Deutschen aus der DDR.

Das stärkere Deutschland könnte zu seinem Vorteil ausnutzen, daß sich sein kleinerer Nachbar in einer ungünstigen Position befindet. Aber ich glaube, daß dies nicht geschehen wird. Die Gewähr dafür sind für mich die Christen auf beiden Seiten der Grenze. Zum Christentum gehört doch die Rücksichtnahme gegenüber dem Nächsten, der in Bedrängnis ist, die Bereitschaft zu helfen - das ergibt sich nicht nur aus dem biblischen Denken, sondern auch aus den humanitären Traditionen unserer Vergangenheit. Die Gewähr sind für mich die traditionell guten Beziehungen von tschechischen Christen und Christen aus Deutschland - wofür auch dieses Treffen heute ein Beleg ist. ...

10. Ansprache von Oberkirchenrat Wilfried Beyhl zur Hinführung
und Deutung einer Pantomime beim 3. Euregionalen Kirchentag
am 29. September 1996 in Cheb/Eger

(Auszug)

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Auf einer Tagung sagte ein tschechischer Pfarrer, dessen Vater im KZ gestorben war: "Je schrecklicher die Erfahrung, desto stärker ist die Sehnsucht." Vielleicht könnenSie das nachempfinden: Je schrecklicher die Verletzungen, desto stärker ist die Sehnsucht nach Versöhnung. Diese Sehnsucht steckt tief in den Menschen aller Völker und zieht sich durch die Menschheitsgeschichte.

Die Bibel, das Buch der Juden und Christen, erzählt uns viele Geschichten von dieser Sehnsucht der Menschen. Die Bibel erzählt uns, daß diese menschliche Sehnsucht ihren Ursprung hat in den Verheißungen Gottes. Die Urväter des Glaubens Abraham und Jakob, hatten eine Vision. Sie sahen den Himmel offen über einem fruchtbaren Land. Und eine Stimme sprach zu ihnen: "Ich bin der Herr, dein Gott. Die Erde ist des Herrn. Ich will dieses Land euch geben als Land des Friedens und der Gerechtigkeit. Hier will ich euch zusammenführen. Euer Zusammenleben will ich segnen und fruchtbar machen." (Aus 1. Mose 28 und Psalm 24)

Die einen verstanden diese Verheißung als Besitz, der nur ihnen gilt. Den anderen stritten sie den Segen Gottes ab. So begann immer wieder eine leidvolle Geschichte der nationalistischen Verirrungen und Besetzungen/Okkupationen, der Vertreibungen und der Flucht. Wie ein roter Faden zieht sich diese leidvolle Geschichte durch Familien und Völker, durch die Geschichte der Tschechen und Deutschen. War die Verheißung eines offenen Himmels und eines Zusammenlebens in Frieden und Gerechtigkeit falsch? ...

Es ist Kennzeichen der christlichen Gemeinde, daß sie nicht erst dann feiert, wenn am Ende alles geschafft und gut geworden ist. Im Vertrauen auf die Verheißung Gottes feiern wir schon am Anfang eines neuen Weges. Mit den bunten Farben des Regenbogens haben wir uns sozusagen die frohe Botschaft Gottes zugewunken.

Aber die bunten Bänder sind nicht nur zum Winken da. Es sind ja Schuhbänder. Damit werden die Schuhe geschnürt. Die Schuhe müssen gut geschnürt sein, denn wir haben einen weiten Weg vor uns. Die Wunden der Vergangenheit heilen nicht so schnell. Die Vorurteile und Ängste werden nicht so schnell von heute auf morgen abgebaut. Aber wir machen uns auf den Weg, die Schuhe geschnürt. Mit neu geschnürten Schuhen will ich von diesem Kirchentag gehen.

Trauen Sie sich, diese Schuhbänder einzuziehen und damit zu gehen? Damit falle ich ja ganz schön auf.

Natürlich würden Sudetendeutsche auffallen, wenn sie sagen: "Wir wollen keine materielle Wiedergutmachung." Das Thema "Wiedergutmachung" ist ein heißes Eisen in den Gesprächen zwischen Deutschen und Tschechen. Es wäre eine Befreiung, wenn das so klar gesagt würde: Wir wollen keine materielle Wiedergutmachung! Aber vielleicht können wir sagen: Wir wollen wieder etwas gut machen, nach allem, was schlecht gemacht worden ist. Wir wollen etwas wieder gut machen mit dem Geist der Versöhnung.
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Was Politiker oft schwer können, wollen wir als Christen versuchen: ein Gesprächsforum schaffen zwischen Sudetendeutschen und Tschechen. Wir wollen dafür werben, daß eine moralische und versöhnliche Wiedergutmachung wichtiger ist als Geld. Geld haben die meisten ja irgendwie genug. Damit kann man Verletzungen und Mißtrauen nicht wieder gut machen. Mit dem Geist der bedingungslosen Versöhnung wollen wir vieles wieder gut machen. So sind die Kirchen und Christen gefordert zu einer Art "politischer Seelsorge". Denn nötig sind Räume für Gespräche mit Menschen, die Opfer politischer Ereignisse geworden sind und heute noch an den Verletzungen innerlich leiden. Es sollen auch nicht neue Schmerzen zugefügt werden, indem die Wahrheit über Unrecht und Leid unter den Teppich gekehrt wird. Das Kreuz Jesu Christi lädt uns ein, daß wir alle Last und Leiden nun auch ablegen und befreit in eine neue gemeinsame Zukunft gehen.

Die Politiker brauchen uns. Sie bemühen sich mit völkerrechtlichen Gesetzen. "Frieden wird aber nicht von Juristen gemacht, sondern Frieden ist ein existenzielles Wagnis", sagte der tschechische Christ und Helfer vieler Menschen Premsyl Pitter. Zu diesem existenziellen Wagnis wollen wir Mut machen. Politisch wird nur das möglich sein, was das Volk will und selbst mitträgt. Wir sind das Volk einer neuen, versöhnten Zukunft zwischen Deutschen und Tschechen. Die Schuhe neu geschnürt gehen wir aufeinander zu unter dem offenen Himmel der Verheißungen Gottes..."

11. Predigt von Synodalsenior Th. Mgr. Pavel Smetana
am 31. Oktober 1997 in Bayreuth
(Auszug)

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So wuchs von beiden Seiten , die durch den eisernen Vorhang getrennt waren, Feindschaft, die durch benennbares Leid begründet war, begangen durch Angehörige beider Völker. Dann aber kam die Zeit, als die Grenzen fielen, als die übrigen Drähte niedergerissen und die Wege auf beiden Seiten frei wurden. Plötzlich begannen die Menschen, sich von Angesicht zu Angesicht zu begegnen. Sie fingen an, miteinander zu reden. Sie erzählten von ihren Erfahrungen, sie verglichen ihre Erlebnisse. Damals zeigte sich, daß es keine menschliche Kraft gibt, die fähig wäre, so geteilte und entfremdete Welten von Menschen einander anzunähern. Es gab freilich erleuchtete Männer und Frauen auf beiden Seiten, die den Mut hatten, das auszusprechen, was bisher als unberührbares Tabu galt. Es war der tschechische Dissident Václav Havel, der zum ersten Mal öffentlich eine Entschuldigung aussprach für das Leid, das die tschechischen revolutionären Garden unseren deutschen Mitbürgern zugefügt haben. Es waren aber auch Christen auf beiden Seiten, die unter der befreienden Macht des Evangeliums Christi den Mut hatten, die anderen um Vergebung zu bitten und die Hand zur Versöhnung zu reichen, im Namen ihrer Kirche und im Namen ihres Volkes. Dazu half ihnen die einzigartige Erfahrung des gegenseitigen Dienstes und der Solidarität in den Zeiten der Totalität.

Kaum einer weiß heute, welch große Hilfe die tschechische evangelische und katholische Kirche in der Zeit der Totalität erhalten hat - durch das Diakonische Werk, das Gustav-Adolf-Werk und durch weitere Hilfsorganisationen. Oft auch durch die heimliche Hilfe von Kirchenleitungen der Landeskirchen und von engagierten Einzelnen - besonders für verfolgte Dissidenten. Dies alles ermöglichte tschechischen Christen, in ihrem Dienst weiterzumachen inmitten eines kommunistischen Staates, der öffentlich proklamierte, daß die Religion binnen einer Generation aus der sozialistischen Gesellschaft verschwinden muß.

Ebenso wissen heute nur wenige Menschen, daß kirchliche Konferenzzentren, Gemeinden und Kirchen in den böhmischen Ländern ermöglicht haben, daß sich deutsche Familien aus dem Osten und aus dem Westen treffen konnten, und dies oft mit nicht geringem Risiko für die Pfarrer und Prediger der Kirchen. Darüber hinaus waren die Treue und der Mut tschechischer Christen Ermutigung für unsere Mitbrüder und Mitschwestern im Ausland.

Dies alles sage ich heute auch mit großer Beklemmung, mit dem Risiko, daß ich nicht richtig verstanden werde. Wenn ich heute auf dieser Kanzel stehen darf, dann ist das unzweifelhaft ein Zeichen erneuerter gegenseitiger Achtung und Liebe, einer tiefen Überzeugung, daß wir alle zu dem einen Volk Christi gehören. ER hat doch alle Grenzen aufgehoben, die uns getrennt haben, und hat aus uns ein neues Volk gemacht, neue Brüderlichkeit und Geschwisterlichkeit, eine neue Familie der Kinder Gottes.
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