Xenotransplantation

Anhang

Probleme der Allotransplantation und der "Mangel an menschlichen Spenderorganen" sind für sich zu behandeln; aus ihnen läßt sich jedenfalls kein ethisches Gebot für die Beurteilung der Xenotransplantation und deren Entwicklung ableiten. Wir können menschliches Leben weder grundsätzlich vor dem Tod bewahren noch ein ethisches Gebot zur Verlängerung menschlicher Lebenszeiten auf Kosten von Mitgeschöpfen etablieren. Auch hier gilt, daß Schutzrechte vor Anspruchsrechten gehen, zumal der Schutz den Schwächeren, der Anspruch aber den Stärkeren zugute kommt. Ethisch geboten ist - angesichts der technisch initiierten Versuchungen, die Schutzrechte dennoch zugunsten der Anspruchsrechte hintan zu stellen -, daß wir Menschen lernen, unsere Probleme unter uns selbst zu lösen, und zwar vor allem

  • durch die Bereitschaft, unsere Grenzen zu akzeptieren, und durch eine Förderung der Hospizarbeit,
  • durch eine verantwortungsvollere Lebensführung, verstärkte Gesundheitsförderung (z.B. Verzicht auf exzessiven Fleischkonsum, um Mensch und Tier zu schonen) und Präventivmedizin;
  • durch Verlagerung von Mitteln und Kräften auf die Entwicklung von technischem Organersatz.

Die Herstellung transgener Tiere, die logisch eine Folge aus einem vermeintlichen Gebot zur Xenotransplantation darstellt, kennzeichnet aber genau die Überschreitung der Grenze, die durch die artspezifische Geschöpflichkeit von Mensch und Tier gegeben und unbedingt zu achten ist.

Dieses grundsätzliche Votum soll durch einige Bemerkungen ergänzt werden, mit denen ich an die im Mehrheitsvotum enthaltenen "Psychologischen Aspekte" anknüpfe:

  1. Menschen, denen ein fremdes menschliches Organ implantiert werden sollte und dann auch eingepflanzt worden ist, durchleben einen Prozeß höchster innerer Ambivalenz. Der Gedanke an die Entfernung eines eigenen und die Einpflanzung eines fremden Organs, zumal vom Arzt an den Patienten herangetragen, konfrontiert den Menschen in besonders dringlicher Weise mit der Schwere oder gar Todesnähe seines Zustandes. Die so ausgelöste Erschütterung und Angst, aber auch Hoffnung auf Weiterleben und Genesung bedürfen längerer Zeit-/Räume für eine innere Klärung. Vieles spricht dafür, daß das "Sterben auf der Warteliste" nicht allein damit begründet werden kann, daß nicht schnell genug Organe zur Verfügung stehen; dahinter kann auch eine unbewußte eigenständige Entscheidung der Kranken stehen, jetzt zu sterben, auch wenn eine geäußerte Bereitschaft zur Transplantation dagegen spricht.
  2. Bedeutsam ist auch, was sich seelisch bei Menschen nach einer geglückten Transplantation entwickeln kann: Entscheidend für ein positives Lebensgefühl mit dem fremden Organ ist die innere Überzeugung von der Freiwilligkeit der Spende. Sie bedingt ein langsam wachsendes Gefühl tiefer Dankbarkeit gegenüber der Person des Spenders. Schließlich wird auch das "Loch" im Körperbild des Kranken, das durch die mehr oder weniger empfundene "Minderwertigkeit" des kranken Organs und dessen Verlust entstanden ist, gefüllt - und zwar nicht allein durch das gesunde neue Organ selbst , sondern ebenso durch den bedeutsamen Trost der Freiwilligkeit des Geschenks, des Opfers. Was wird es bedeuten, daß dieser Trost für Xenotransplantierte nicht zur Verfügung stehen wird? Wird man sich stattdessen damit trösten, daß kein Mensch für diese Organspende sterben mußte? Oder wird man noch häufiger als jetzt schon Zuflucht zu einer rein mechanistischen Betrachtung der Organe (z.B. Herz nur als Pumpe) nehmen? Der Versuch aber, dieses Problem dadurch zu umgehen, daß man eine neue Geschwisterlichkeit von Menschen und Tieren proklamiert, diskreditiert sich durch die Tatsache, daß diese "Geschwister" nicht gefragt werden können, selbst.
  3. Das vorhandene Mißbehagen bzw. Schuldgefühl über unser Verhältnis zum Tier wird gerade am Problem Xenotransplantation heftig aktualisiert. Deren Befürworter vertreten häufig das Argument, daß wir Menschen Tiere ja auch züchteten, um sie zu schlachten und zu essen. Anderen aber wird angesichts der neuen geplanten Grenzüberschreitung zwischen Mensch und Tier gerade die Praxis der "gefallenen" Menschheit, uns auch von Tierfleisch zu ernähren (Gen 9,3), wieder fraglich. Sie verweisen auf die ursprüngliche "vegetarische" Schöpfungsordnung (Gen 1,29) und mahnen zur Askese im Blick auf die Bestrebungen der Neuzeit, den menschlichen Anspruch auf die übrige Schöpfung immer weiter auszudehnen. Durch die Tatsache, daß wir mittlerweile Tiere nicht nur züchtend produzieren, sondern auch in ihrer Genstruktur verändern, betrifft der Begriff "Produkt" nun auch die geschöpfliche Eigenart der Tiere und ihren gesamten Lebensablauf, der in einer artfremden, keimfreien Laborwelt stattfindet.
  4. Auch im Blick auf potentielle Empfänger von Tierorganen stellen sich Fragen: Wird ein Mensch mit einem Schweineherzen seelisch dadurch belastet sein, daß sein "Spender" weder einwilligungsfähig noch freiwillig ein Lebendopfer wurde? Wird er sich selbst deshalb als minderwertig gegenüber "ungeteilten" Menschen empfinden? Fühlt er sich von Angehörigen und Freunden beobachtet, in seinen Affekten, seinem Verhalten? Haben "herzliche" Emotionen noch menschliche Qualität? Muß nicht befürchtet werden, daß die verinnerlichte Verbindung aus Nichtfreiwilligkeit und nicht artgemäßem Leben des toten Tieres beim Empfänger zu einem Komplex von Selbstabwertung und destruktiver innerer Dynamik führt? Wie verantwortungsvoll wird mit einem Leben verfahren, wenn seine Rettung von Tieren stammt, über die man - in der Tierfarm neben dem Krankenhaus - beliebig verfügen kann?
  5. Fragestellungen dieser Art ergeben sich überwiegend dann, wenn es um die Implantation der großen, lebensnotwendigen Organe wie Herz, Niere u.ä. geht. Sie sind in unserem Leibgefühl eng verbunden mit psychosomatischen Prozessen, mit der Erfahrung von Versehrtheit, vor allem aber mit dem Gefühl des "Eins-mit-mir-selbst-Seins", der Identität. Die Angst vor der Auflösung dieser Einheit durch Krankheit und Tod ist m.E. der Hauptgrund für die fieberhafte Suche nach Organersatz und Phantomen der "Lebensrettung". Dabei verkümmern aber die seelischen und spirituellen Erfahrungen, die wir im Leiden und Sterben machen können.

Die Kirchen sollten deshalb nicht hinter Einsichten zur Verantwortung des Menschen für das Tier als Mitgeschöpf zurückfallen, die sie in den vergangenen Jahren mit der dringlichen Forderung nach Konsequenzen veröffentlicht haben. Die Zielvorstellungen Tierschutz und Achtung gegenüber dem Tier dürfen nicht folgenlos zitiert werden. Das Interesse an der Bewahrung des menschlichen Lebens und seiner Würde setzt das Gebot, Tiere in ihrer geschöpflichen Eigenart und Würde zu schützen, nicht außer Kraft. Der ethische Zielkonflikt muß von uns ausgehalten werden. Daher ist von der weiteren Erforschung der Xenotransplantation abzugehen und ihr gegenüber eine klare Grenze zu ziehen.