Berufsausbildungssicherungsgesetz

Gemeinsame Stellungnahme des Bevollmächtigten des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland, des Kommissariats der deutschen Bischöfe / Katholisches Büro in Berlin, des Deutschen Caritasverbandes und des Diakonischen Werkes der EKD

Gemeinsame Stellungnahme des Bevollmächtigten des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland, des Kommissariats der deutschen Bischöfe / Katholisches Büro in Berlin, des Deutschen Caritasverbandes und des Diakonischen Werkes der EKD zum Entwurf eines Berufsausbildungssicherungsgesetzes

(BT-Drucksache 15/2820 vom 30. März 2004 )

  1. Einleitung

    Die Zukunftsfähigkeit unserer Gesellschaft hängt wesentlich davon ab, dass die jungen Menschen berufliche Perspektiven und Zukunftschancen erhalten. Deshalb betrachten die Kirchen und ihre Wohlfahrtsverbände den Negativtrend auf dem Ausbildungsmarkt mit großer Sorge. Neben dem drohenden erheblichen Fachkräftemangel besteht die Gefahr, dass eine große Anzahl junger Menschen den gesellschaftlichen Anschluss verpasst und ins soziale Abseits gerät.

    In ihrem Wort zur wirtschaftlichen und sozialen Lage in Deutschland "Für eine Zukunft in Solidarität und Gerechtigkeit" aus dem Jahre 1997 haben der Rat der Evangelischen Kirche in Deutschland und die Deutsche Bischofskonferenz die Verpflichtung der Arbeitgeber zur Ausbildung betont. Im Interesse der Jugendlichen kann es aber auch Aufgabe der Politik sein, steuernd einzugreifen, wenn Appelle und Selbstverpflichtung nicht ausreichen, um möglichst allen ausbildungssuchenden Jugendlichen eine entsprechende Ausbildung zu ermöglichen ("Für eine Zukunft in Solidarität und Gerechtigkeit" Nr. 206). Deshalb sind alle Anstrengungen zu begrüßen, die geeignet sind, die Ausbildungssituation der Jugendlichen zu verbessern und ausreichend Ausbildungsplätze in Deutschland zu schaffen.

    Unabhängig davon, ob die Einführung einer Ausbildungsumlage ein geeigneter Schritt ist, die Zahl der Ausbildungsplätze zu erhöhen und die langfristigen Beschäftigungsperspektiven der jungen Menschen zu verbessern, enthält der vorliegende Entwurf eines Berufsausbildungssicherungsgesetzes jedoch eine Reihe von Regelungen, die den kirchlichen Gegebenheiten nicht gerecht werden und außerdem die erheblichen Ausbildungsleistungen der Kirchen und ihrer Wohlfahrtsverbände nicht berücksichtigen.

  2. Zu einigen Mängeln des Gesetzentwurfs

    1. Der Gesetzentwurf verengt den Begriff der Ausbildung auf die betriebliche Ausbildung. Gemäß § 2 Absatz 3 sind bei der Ermittlung der Ausbildungsquote nur solche Auszubildende mitzuzählen, die sozialversicherungspflichtig beschäftigt sind und mit denen ein Berufsausbildungsvertrag zur betrieblichen Ausbildung abgeschlossen worden ist. Im Hinblick auf die im kirchlichen und kirchlich-sozialen Bereich vorherrschenden Berufsbilder ist hier jedoch der Anteil der Personen, die außerhalb des dualen Berufsausbildungssystems ausgebildet werden, außerordentlich hoch. Dabei richten sich diese Ausbildungsgänge zum Teil nach staatlichem Recht (z.B. die schulische Ausbildung von Erzieherinnen und Erziehern, Heilerziehungspflegerinnen und Heilerziehungspflegern nach Landesrecht), zum Teil nach kirchlichen Ausbildungsregelungen. Dies sollen folgende Beispiele illustrieren.

      Diakoninnen/Diakone, Pastoralassistentinnen/Pastoralassistenten, Gemeindeassistentinnen/Gemeindeassistenten, Sozialarbeiterinnen/Sozialarbeiter sowie Sozialpädagoginnen/Sozialpädagogen absolvieren ihre Ausbildungen an kirchlichen oder staatlichen Fach-, Fachhoch- oder Hochschulen, Erzieherinnen und Erzieher werden an Fachschulen ausgebildet, Kirchenmusikerinnen und Kirchenmusiker an Fachschulen oder Hochschulen für Kirchenmusik. Die Ausbildung von Küsterinnen und Küstern richtet sich nach kircheneigenen Vorschriften. Die außerschulische Ausbildung nichtsatzungsmäßiger Mitglieder geistlicher Genossenschaften oder ähnlicher religiöser Gemeinschaften für den Dienst in ihrer Genossenschaft oder Gemeinschaft (vgl. § 5 Absatz 4a S.2 SGB V) bestimmt sich nach den jeweiligen Ordensregeln. Zu den Ausbildungsgängen gehören in der Regel längere Praktika, Vorbereitungsdienst- und Anerkennungszeiten. Allein in den 633 Ausbildungsstätten des deutschen Caritasverbandes werden – bei insgesamt etwa 490 000 hauptberuflichen Mitarbeiterinnen und –mitarbeitern – gut 100 000 junge Menschen zu Krankenpflegerinnen/Krankenpflegern, Altenpflegerinnen/Altenpflegern, Heilerziehungshelferinnen/Heilerziehungshelfern und für weitere soziale Berufe ausgebildet. (Anmerkung 1)

      Alle Personen, die sich in solchen Ausbildungsgängen befinden, werden nach dem Gesetzentwurf nicht als Auszubildende anerkannt und auf die individuelle Ausbildungsquote angerechnet, selbst dann nicht, wenn die Ausbildung in Schulen kirchlicher Trägerschaft erfolgt. Im Gegenteil: Soweit sie im Rahmen ihrer Ausbildung Praktika oder einen Vorbereitungsdienst absolvieren und dafür ein sozialversicherungspflichtiges Entgelt erhalten, erhöhen sie sogar noch die Bezugsgröße gemäß § 2 Absatz 4 zur Berechnung der Berufsausbildungssicherungsabgabe. Dieses Ergebnis dürfte dem Sinn des Gesetzes diametral entgegenstehen.

    2. Im Widerspruch zur Eingrenzung des Kreises der Auszubildenden in § 2 Absatz 3 werden bei der Ermittlung der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten nach § 2 Absatz 4 auch diejenigen Personen zur Berechnung der Ausbildungsquote und damit der Höhe der Ausbildungsplatzsicherungsabgabe mitgezählt, die eine Tätigkeit ausüben, die üblicherweise nicht im Rahmen eines Berufsausbildungsverhältnisses i.S.v. § 2 Absatz 3 erlernt wird. Die Kirchen und ihre Wohlfahrtsverbände würden somit in einem Umfang zur Finanzierung einer Art der beruflichen Bildung herangezogen, von der sie weder durch Rückgriff auf (von anderen Arbeitgebern) ausgebildete Berufsträger noch im Rahmen einer Förderung zusätzlicher Ausbildungsplätze nach dem Gesetz – der Kehrseite einer Abgabe – profitieren könnten. Die Mittel aus der Abgabe kämen in keiner Weise der schulischen Ausbildung oder der Ausbildung nach kircheneigenen Regelungen zu Gute. Deshalb kumuliert sich die Benachteiligung zahlreicher kirchlicher und kirchlich-sozialer Träger, die aufgrund ihrer Aufgabenstellung, der bei ihnen vorherrschenden Berufsbilder und ihrer Mitarbeiterstruktur nicht oder nur geringfügig Berufsausbildung im dualen System anbieten können. Besonders betroffen sind auch die vielen überwiegend mit Akademikern besetzten Einrichtungen in den Schul-, Bildungs-, Beratungs- und Betreuungsbereichen (z. B. Schuldnerberatungsstellen, Migrationsdienste, Bildungshäuser, Schulen), die mit einem vergleichsweise kleinen Verwaltungsapparat, dem häufig einzigen Bereich, in welchem in geringem Umfang auch Personen beschäftigt sind, die eine duale Ausbildung durchlaufen haben, ausgestattet sind. Die Erfüllung der Ausbildungsquote gerade bei diesen Trägern ist unter den Bedingungen des Gesetzentwurfs illusorisch.

    3. In dem Gesetzentwurf wird nicht berücksichtigt, dass insbesondere die sozialen Dienste stark durch gesetzliche Bestimmungen und enge finanzielle Vorgaben reglementiert sind, die Träger somit nur wenig Spielraum haben, eigenständig weitere Ausbildungsplätze zu schaffen.

      Die karitativen und diakonischen Einrichtungen sind fast ausschließlich auf die Refinanzierung aus Mitteln des Staates oder der Sozialversicherungsträger angewiesen. Sie sind daher in ihrer Entscheidung über die Zahl der zu schaffenden Ausbildungsplätze nicht frei. In dem von den Kostenträgern vorgegebenen Rahmen ist die Einrichtung weiterer Ausbildungsplätze nur durch Neuverhandlungen möglich. Die Träger sozialer Dienste und Einrichtungen können ihr Angebot, ihre Preise und ihren Stellenplan nicht frei festlegen sondern verhandeln ihre Entgelte mit den Kostenträgern (also z.B. den Sozialämtern, den Pflege- und Krankenkassen und den Jugendämtern). Hierzu gehören für die entgeltfinanzierten Einrichtungen (z. B. Krankenhäuser, Altenpflegeheime, stationäre Behindertenhilfe- und Jugendhilfeeinrichtungen) auch die Aufwendungen für die Ausbildung. Daher geht im Sozialbereich der mit der Ausbildungssicherungsabgabe verfolgte Anreiz zur Schaffung von mehr Ausbildungsplätzen nicht nur ins Leere; eine "Bestrafung" der Einrichtungen im Falle der Nichterfüllung der Ausbildungsquote träfe vielmehr die falschen Adressaten. Ein Mehr an Ausbildungsplätzen kann unter diesen Rahmenbedingungen nämlich nur dann geschaffen werden, wenn innerhalb des Sozialversicherungssystems die Ausbildung von jungen Fachkräften eine höhere Priorität erhält und damit von dem gegebenen Sozialbudget mehr Geld in die Ausbildung fließt.

      Die Nichtanerkennung von Ausbildungen außerhalb des dualen Systems bzw. aufgrund kircheneigener Ausbildungsregelungen in Verbindung mit der Einbeziehung aller sozialversicherungspflichtig Beschäftigten nach § 2 Abs. 4 würde schließlich dazu führen, dass finanzielle Mittel im Rahmen der bundesweiten Ausbildungsumlage in erheblichem Umfang aus dem Sozialsystem in die gewerbliche Wirtschaft abfließen. Angesichts der Finanznöte der Sozialkassen kann dies sicherlich nicht in allseitigem Interesse liegen.

    4. Der Gesetzentwurf berücksichtigt nicht, dass es bereits Bereiche gibt, in denen Umlageregelungen zur Sicherung von Ausbildungsplätzen bestehen. Zu erwähnen ist etwa § 25 des Altenpflegegesetzes.

    5. Nicht geklärt ist, wie Träger behandelt werden, die sich zu Ausbildungsverbänden zusammengeschlossen haben, um auf diese Weise Ressourcen zu bündeln. Dies gilt nicht nur für diakonisch-karitative Einrichtungen, bspw. Krankenhäuser mit einem Ausbildungsschwerpunkt, sondern auch für die verfasste Kirche, die im Hinblick auf die unterschiedliche Größe der einzelnen Arbeitgeber und ihrer Ungeeignetheit für die Berufsausbildung, Ausbildung auch als Gemeinschaftsaufgabe für ihre Untergliederungen wahrnimmt. Diese systemimmanente Ausbildung bleibt im Gesetzentwurf ebenfalls unberücksichtigt.

    6. § 13 des Gesetzentwurfs sieht einen Vorrang tarifvertraglicher Regelungen zur Schaffung von Ausbildungsplätzen gegenüber den gesetzlichen Bestimmungen vor. Verfassungsrechtlich erforderlich und sachlich geboten ist es, auch den öffentlich-rechtlichen Religionsgemeinschaften einen tarifgleichen Freiraum zur eigenverantwortlichen Sicherung der Ausbildungsplätze einzuräumen. Eine Gleichstellung der Arbeitsrechtsregelungen der Kirchen und öffentlich-rechtlichen Religionsgemeinschaften mit Tarifverträgen – eine Kirchenklausel – ist jedoch in dem Gesetzesentwurf nicht enthalten. Trotz der – im Vergleich mit anderen nicht kirchlichen Wohlfahrtsverbänden – durchaus gleichen Ausgangslage und eines teilweise sehr viel weiter gehenden Einsatzes für die Ausbildung des Nachwuchses, bleiben den Kirchen die notwendigen Dispositionsspielräume vorenthalten, die für Tarifvertragsparteien vorgesehen sind.

      Das in den Art. 4 und 140 GG i.V.m. Art. 137 Abs. 3 WRV verankerte Selbstbestimmungsrecht der Religionsgemeinschaften eröffnet und sichert ihnen eigene Wege, arbeitsrechtlicher Regelungen zu erlassen. Überdies stellt das von den Kirchen entwickelte Arbeitsrechtsregelungsverfahren eine eigenständige Ausprägung der Koalitionsverfahrensgarantie von Art. 9 Abs. 3 GG dar. Daher müssen entsprechende innerkirchliche Festlegungen (die unter Beteiligung der Arbeitnehmer entstehen) eine Gleichbehandlung mit Tarifverträgen erfahren; den Kirchen und ihren Einrichtungen also die gleichen Dispositionsspielräume eingeräumt werden, wie sie für Tarifvertragsparteien gelten sollen.

      Dies sollte im Gesetz expressis verbis festgehalten werden. Entsprechende Kirchenklauseln finden sich in einer Vielzahl arbeitsrechtlicher Bestimmungen, so etwa in § 2 I Nr. 1 VRG vom 13.4.1984, § 21 a III JArbSchG, § 6 III BeschFG 1985 und § 7 IV ArbZG vom 6.6.1994.

      Nur mit deren Einfügung kann der Gesetzgeber den Verfassungsgarantien der Art. 140 GG i.V.m. Art. 137 Abs. 3 WRV gerecht werden. Fehlt eine entsprechende Klausel, so wird man sie im Wege verfassungskonformer Auslegung aus dem Gesetz herleiten müssen. Somit ist die Aufnahme einer Kirchenklausel schon aus Gründen der Rechtsklarheit geboten.

      Entsprechendes gilt für § 12 des Entwurfs. Im Übrigen muss auch hier gelten, dass alle Formen der Ausbildung berücksichtigt werden.

    7. Schließlich ist fragwürdig, ob die Berufung auf die Billigung einer Ausbildungsplatzabgabe für Kirchen und Religionsgemeinschaften durch das Bundesverfassungsgericht (S. 28 der Begründung) hinsichtlich des vorliegenden Gesetzentwurfs trägt. Die zitierte Entscheidung befasste sich mit dem Ausbildungsplatzförderungsgesetz vom 7. September 1976, welches in einem wesentlichen Punkt von dem vorliegenden Entwurf abweicht: Es enthielt nämlich keine besondere Definition von Ausbildungsverhältnissen, bezog die mit der Abgabe zu finanzierenden Fördermaßnahmen vielmehr auf die "insgesamt angebotenen Ausbildungsplätze und die insgesamt nachgefragten Ausbildungsplätze". Insofern war folgerichtig eine Gesamtverantwortung sämtlicher Arbeitgeber für die Ausbildung ihres Fachnachwuchses zu begründen.

      Der vorliegende Entwurf dagegen nimmt sämtliche Arbeitgeber in die Pflicht, um die Förderung einer bestimmten Ausbildungsform zu finanzieren. Die vom Bundesverfassungsgericht verlangte besondere Verantwortung bei Sonderabgaben kann für die Bereitstellung von betrieblichen Ausbildungsplätzen also auch nur bei einem Teil der in § 9 des Entwurfs allgemein in die Verantwortung genommenen Arbeitgeber bejaht werden.

  3. Zusammenfassung

    Die im Gesetzentwurf vorgesehene undifferenzierte Gesamtlösung wird der Problematik nicht gerecht. Die Ausbildungsleistungen, die die Kirchen und ihre Wohlfahrtsverbände – neben der schulischen Ausbildung und anderen Formen kirchenspezifischer Ausbildung auch im Rahmen von Praktika, Vorbereitungsdiensten oder im Anerkennungsjahr – erbringen, dürfen nicht unberücksichtigt bleiben. Für die einzelnen Bereiche sollte differenziert und im Einvernehmen mit den Trägern entschieden werden, ob aufgrund der speziellen Bedingungen die Einführung eines Umlagesystems zur Förderung der Ausbildungstätigkeit sinnvoll ist. Dabei wären möglicherweise branchenspezifische Regelungen denkbar (vgl. § 25 Altenpflegegesetz).

    Sofern an der Eingrenzung des Kreises der Auszubildenden nach § 2 Absatz 3 festgehalten wird, müssen konsequenterweise in § 2 Absätze 4, 5 und 6 diejenigen Beschäftigten unberücksichtigt bleiben, die üblicherweise nicht im Rahmen eines Berufsausbildungsvertrages im dualen System ausgebildet werden (sondern bspw. an Schulen, Fachschulen, Fachhochschulen, Hochschulen oder nach kircheneigenen Regelungen).

    Innerkirchliche Arbeitsrechtsregelungen müssen den tarifvertraglichen Regelungen zur Schaffung von Ausbildungsplätzen nach § 13 des Gesetzentwurfs in ihrem Vorrang gleichgestellt werden. Auch hier ist es unbedingt erforderlich, dass dabei alle Formen beruflicher Ausbildung Berücksichtigung finden. Entsprechendes gilt für § 12 des Entwurfs. Sollte keine differenzierte Lösung erreichbar sein, wird keine andere Möglichkeit gesehen als eine Bereichsausnahme für die Kirchen und die sozialen Dienste und Einrichtungen.

Berlin, Freiburg und Stuttgart, den 22. April 2004

Anmerkung

(1) Die Ausbildungsquote im schulischen Bereich liegt in der Regel über der nach dem Gesetz erforderlichen Quote von 7 % der Gesamtzahl der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten, im Bereich der beruflichen Bildung, angesichts des tatsächlich geringeren Bedarfs, häufig darunter.