Diskriminierung aufgrund von Gentests

Stellungnahme der Evangelischen Kirche in Deutschland zu dem Grünbuch über "Gleichstellung sowie Bekämpfung von Diskriminierungen in einer erweiterten Europäischen Union

Am 3. Juni hat die Europäische Kommission die Öffentlichkeit aufgerufen, Anregungen und Vorschläge zu der künftigen Ausrichtung der europäischen Anti-Diskriminierungspolitik einzureichen.

Die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) begrüßt die Initiative der Europäischen Kommission, ihre Bemühungen zur Bekämpfung von Diskriminierungen und zur Förderung der Gleichbehandlung fortzuführen und zu verstärken. Die EKD betrachtet die Anti-Diskriminierungspolitik der EU als unerlässliches Instrument, um diese Ziele zu erreichen.

Um einen effektiven Schutz der Betroffenen sicherzustellen, ist es unabdingbar, die europäischen Rechtsvorschriften im Bereich der Anti-Diskriminierung regelmäßig den sich verändernden gesellschaftlichen Rahmenbedingungen anzupassen. Deshalb unterstützt die EKD die Bereitschaft der Union, die Debatte um die Anti-Diskriminierungsstrategie der EU auf bislang gesetzlich nicht erfasste Diskriminierungsgründe auszudehnen und die Zusammenarbeit mit den betroffenen Akteuren zu verstärken.

Mit der Entschlüsselung des menschlichen Genoms ist auch das Wissen um genetisch bedingte Krankheiten in kurzer Zeit enorm angewachsen. Prädiktive Gentests ermöglichen es, monogene Krankheiten nachzuweisen und auch für komplexere Krankheitsbilder eine erhöhte Erkrankungswahrscheinlichkeit zu bestimmen. Dabei grenzt diese erhöhte Wahrscheinlichkeit nur selten an die absolute Sicherheit, dass die Krankheit tatsächlich ausbrechen wird. Das Wissen um die eigenen genetischen Eigenschaften kann das Leben der Betroffenen dennoch in hohem Maße beeinflussen. Der Umgang mit den Ergebnissen von Gentests bedarf schon deshalb äußerster Sorgfalt, zumal die Grenze zwischen dem rein diagnostischen und dem prädiktiven Test oft fließend ist.

Das Wissen um ein mögliches Krankheitsrisiko birgt einerseits die Chance für neue Entwicklungen in der Präventivmedizin, andererseits die Gefahr von Diskriminierung in sich. Im Bereich der Beschäftigung und im Bereich des Versicherungswesen ist dem Missbrauch von genetischen Daten zu diskriminierender Selektion vorzubeugen. Die aus den Gentests gewonnenen Daten dürfen weder in der klinischen noch in der nicht-klinischen Anwendung Anlass zu diskriminierendem Verhalten geben. Insbesondere dürfen sie nicht zur Stigmatisierung von Familien mit erblichen Krankheitsdispositionen führen.

Die EKD lehnt jede Form von Diskriminierung oder Stigmatisierung aufgrund genetischer Merkmale ab. Die Menschenwürde kommt jedem menschlichen Leben gleichermaßen zu. Dies liegt nach christlichem Verständnis in der "Gottesebenbildlichkeit" des Menschen ("..und Gott schuf den Menschen zu seinem Bilde, Genesis 1, 27") begründet. Der Mensch darf nicht auf seine genetischen Merkmale reduziert werden. Menschlichen Leben umfasst mehr als nur das, was in biologisch-medizinischer Sicht an dem Menschen feststellbar ist. Nicht seine genetischen Merkmale machen den Menschen aus, sondern sein "Person-Sein", seine vorbehaltlose Anerkennung durch Gott. Wie auch immer das Ergebnis eines Gentests daher ausfallen mag, allen Menschen kommt uneingeschränkt dieselbe Würde zu.[1]

Die EKD regt deshalb an, auf europäischer Ebene eine interdisziplinäre, breit angelegte Debatte über Diskriminierung aufgrund genetischer Merkmale insbesondere im nicht-klinischen Bereich anzustoßen. Prädiktive Gentests dürfen nicht durchgeführt werden, um Zugangsbarrieren zu sozialen Sicherungssystemen, zu Ausbildungs- oder Arbeitsplätzen zu errichten oder Zugangsprivilegien zu erlangen.[2]

Ziel der Debatte sollte es sein, entsprechende gesetzliche Regelungen zum Schutz vor Diskriminierung aufgrund genetischer Merkmale auf EU-Ebene zu verankern und die Öffentlichkeit für diese Problematik zu sensibilisieren.

Als Diskussionsgrundlage können u.a. die von der Expertengruppe der Europäischen Kommission entworfenen und im Mai in Brüssel vorgestellten Empfehlungen[3] sowie die allgemeine Erklärung über das menschliche Genom und Menschenrechte[4] und die Internationale Erklärung zu menschlichen genetischen Daten der UNESCO dienen.[5]

Bislang ist der Diskriminierungsgrund "Genetische Merkmale" weder in Art. 13 EGV noch in einer der Anti-Diskriminierungsrichtlinien (Gleichbehandlungs- Richtlinie 2000/78, Anti-Rassismus-Richtlinie 2000/43/EG, Beschäftigungs-Richtlinie 2002/73/EG) aufgeführt.

2005 und 2006 wird die Europäische Kommission dem Rat und dem Parlament einen Bericht über den Umsetzungsstand hinsichtlich der Anti-Rassismus und der Gleichbehandlungsrichtlinie in nationales Recht vorlegen. Dieser Bericht soll ggf. auch Vorschläge für eine Revision der Richtlinien enthalten.

Aus Sicht der EKD wäre es zu begrüßen, wenn die Europäische Kommission die Initiative ergreifen würde, um die "genetischen Merkmale" als neuen Diskriminierungsgrund in den Richtlinientext aufzunehmen und sich dafür einsetzt, den Diskriminierungsschutz auch in den anderen europäischen Rechtstexten zu verankern.

[1] Siehe EKD-Texte 71: Im Geist der Liebe mit dem Leben umgehen, S. 17ff. Herausgegeben vom Kirchenamt der EKD, Herrenhäuser Straße 12, 30419 Hannover.

[2] Vgl. auch Ethikbeirat beim Bundesministerium für Gesundheit (2000): "Prädiktive Gentests: Eckpunkte für eine ethische und rechtliche Orientierung".

[3] 25 Empfehlungen zu den ethischen, rechtlichen und sozialen Fragen von Gentest, Europäische Kommission, Direktion C-Wissenschaft und Gesellschaft, Brüssel 2004, insb. Empfehlung Nr. 11.

[4] Universal Declaration on the Human Genome and Human Rights, 11. November 1997.

[5] International Declaration on Human Genetic Data, 16. Oktober 2003.