Predigt am Pfingstmontag in Hamburg, HafenCity

Antje Heider-Rottwilm

Liebe Gemeinde,

Landauf und Landab finden im Moment Veranstaltungen statt zum Thema: Braucht Europa Gott?

Wann immer ich danach gefragt werde, antworte ich: Aber sicher - die Menschen in Europa brauchen Gott. Ihre Tradition, ihre Kultur ist doch gewachsen aus dem Glauben vieler Generationen an den Gott ihrer Väter und Mütter. Und auch heute ist es Gottes heiliger Geist, der sie erleuchtet, der sie stärkt und erfüllt, um Europa gerecht und solidarisch zu gestalten.

Die Menschen in Europa brauchen Gott - das ist eine ungeheure Herausforderung für die Kirchen, für alle gemeinsam. Wir, die wir hier versammelt sind aus den verschiedenen Kirchen, wir spiegeln einerseits die kulturelle Vielfalt Europas. Aber wir wissen, dass wir nur dann glaubwürdig sind, wenn wir gemeinsam die Botschaft von Gottes Liebe und die Einladung zum Glauben durch die Kraft des Heiligen Geistes verkündigen.

Deshalb haben die  Kirchen Europas, die großen Konfessionsfamilien der römisch-katholischen, protestantischen, anglikanischen und orthodoxen Christen im Jahre 2001 das erste Mal in der Geschichte ein gemeinsames Dokument erarbeitet und unterzeichnet: die ‚Charta Oecumenica - Leitlinien für die wachsende Zusammenarbeit unter den Kirchen in Europa’.

Sie enthält die Feststellung, dass es der eine Grund der Kirche ist, der uns verbindet wie auch starke Aussagen über unsere gemeinsame Verantwortung in Europa.

Aber sie enthält auch Selbstverpflichtungen und ist damit eine Einladung an Gemeinden, Kirchen und Gruppen, diese Verpflichtungen aufzugreifen, mit den ökumenischen Nachbarn und Partnern zu unterschreiben - und umzusetzen.

Die jüngste Unterschrift unter die Charta Oecumenica haben vor 10 Tagen 23 christliche Kirchen in Niedersachsen gesetzt - von dort kommen die 12 Fahnen hierher nach Hamburg, die uns nun  bei diesem Pfingstgottesdienst sichtbar - unübersehbar-sichtbar - machen, auf welchem gemeinsamen Weg die Kirchen Europas sind.

In der Charta Oecumenica werden große europäische Aufgaben genannt:

auf dem Weg zur sichtbaren Einheit der Kirchen gemeinsam zu beten und zu handeln

Europa mitzugestalten, Völker und Kulturen zu versöhnen, die Schöpfung zu bewahren

die Gemeinschaft mit dem Judentum zu vertiefen, die Beziehungen zum Islam zu pflegen und sich der Begegnung mit anderen Religionen und Weltanschauungen zu stellen.

Und in ganz Europa - von Hamburg bis Novi Sad, von Stockholm bis Rom, von Brüssel bis Moskau - buchstabieren Menschen miteinander durch, was diese Aufgaben für sie und für Europa bedeuten. Zusammengetragen wird dies als Dritte Europäische Ökumenische Versammlung im September in Hermannstadt.

„Das Licht Christi scheint auf alle. Hoffnung auf Erneuerung und Einheit für Europa.“

Diese Zusage und diese Hoffnung steht über diesem Gottesdienst. Sie ist das Motto der 3. EÖV in Hermannstadt / Sibiu.

Das Licht Christi fällt auf alle - hier in Hamburg, in der HafenCity, in Deutschland, in Hermannstadt, in Rumänien, in ganz Europa und weltweit.

Das Licht Christi fällt auf alle. Das heißt doch: jede und jeder ist im Blick, steht im Rampenlicht, ist wahrgenommen in seiner oder ihrer unverwechselbaren, unverletzbaren Würde.

Jede und Jeder von Ihnen hier heute nachmittag, die Menschen in den Häusern und Straßen Hamburgs, die Menschen, die schon jetzt in der HafenCity leben oder arbeiten und die vielen, die zukünftig hier sein werden.

Alte und Junge, Erwachsene und Kinder, hier Wohnende und hier Arbeitende, Menschen aus Deutschland oder anderer Herkunft, Bauleute, Architekten, Wirtschaftsleute, Lehrer/innen, Reisende, Touristen von den Kreuzfahrtschiffen, Kulturschaffende und Kultursuchende, Studierende und Pensionäre, Servicepersonal und Konsumierende. Niemand ist vom Licht Christi ausgeschlossen, niemand soll im Schatten stehen. Alle verbindet miteinander, dass das Licht Christi auf sie scheint.

Die Pfingstgeschichte, die wir eben gehört haben, dieser Bericht von der Verwirklichung der Prophetie aus uralten Zeiten, spricht mit anderen Worten von dem selben Wunder:

"Und es soll geschehen in den letzten Tagen, spricht Gott, da will ich ausgießen von meinem Geist auf alles Fleisch; und eure Söhne und eure Töchter sollen weissagen und eure Jünglinge sollen Gesichter sehen und eure Alten sollen Träume haben!" (Acta 1, 16-17)

Der Geist Gottes gilt allem Fleisch - und allen geht ein Licht auf,

so dass sie die Gegenwart und die Zukunft deuten,

so dass sie einander im Lichte Christi sehen können,

so dass die Grenzen zwischen dieser und der zukünftigen Welt durchsichtig werden.

Wer kann da bleiben wie er immer war? Wer kann da denken, was sie immer gedacht hat?

"Blinde sehen und Lahme gehen, Aussätzige werden rein und Taube hören, Tote stehen auf und Armen wird das Evangelium gepredigt" (Mt 11,5) antwortet Jesus auf die Frage des Johannes, ob er der erwartete Erlöser ist.

Diese erlösende und verwandelnde Kraft Gottes ist es, die wir an Pfingsten feiern. Und die Pfingstgeschichte berichtet in fast anstößiger Weise, dass es erschreckend, ja schockierend war, was die Menschen erlebten.

Sie sahen den Geist, das Licht Christi wie Feuerzungen, sie wurden voll davon, sie predigten wie verwandelt, wie betrunken, sie verstanden einander in der Glut der Begeisterung - und sie wurden zum Gespött derer, die das Licht des Geistes ignorierten, die sich blind stellten.

Das Licht Christi klärt und heilt, das Feuer seines Geistes verwandelt und verbindet - und gebiert Gemeinschaft, unwiderrufliche Zusammengehörigkeit.  Auch wenn  schon bald nach Pfingsten unter denen, die in der Nachfolge Christi lebten, der Streit um die Wahrheit entstand. Hinter diese Zusammengehörigkeit gibt es kein Zurück.

Und es  gilt auch: es gab immer schon - selbst zu den Zeiten, als Christus, das Licht der Welt, leibhaftig sichtbar war, als der Auferstandene sich zeigte, als sein Geist mit Wind und Brausen spürbar wurde - es gab immer schon die Tatsache, dass Menschen das Licht ignorieren.

Wird es gelingen, in der HafenCity die klärende, heilende, verwandelnde und verbindende Kraft des Lichtes Christi spürbar und sichtbar werden zu lassen?

Wird es gelingen, die Aufgaben, die hier zu bewältigen sind  - von den Erdverschiebungen über die riesigen Bauwerke bis hin zu dem sozialen und gesellschaftlichen Zusammenleben - wird es gelingen, diese Aufgaben im Lichte des Evangeliums anzuschauen  und zu gestalten?

Und wie sieht der Weg zur sichtbaren Einheit der Kirchen in der HafenCity aus? Sicher gehört dazu, dass die Kirchen gemeinsam das Evangelium verkündigen, auf die Menschen zugehen, mit ihnen beten und handeln – wie es in der Charta Oecumenica  verabredet ist.

Gemeinsam müssen sie sich der Frage stellen: was brauchen die Menschen in der HafenCity, hier, wo es bisher keine gewachsenen Strukturen und Räume der Begegnung gibt.  Brauchen sie Gott?

Sie brauchen, wir alle brauchen doch zunächst andere, die offen sind für unsere Fragen und unsere Geschichten, die mit gehen, wohin uns unsere Wege führen - oder die uns dort erwarten. Wir alle brauchen Orte, an denen wir willkommen sind, gastfreundliche Orte. Wir alle brauchen Räume für zweckfreies Tun und Lassen, für Entschleunigung und Stärkung, für Ritual und Feier.

Wir alle brauchen Begegnung und Berührung mit den Quellen unseres Lebens. Wir alle brauchen Erleuchtung, um das Leben, unser Leben in einem anderen Licht zu sehen.

Ist unsere Gemeinschaft als Kirchen, die aus dem Geist und im Lichte Christi leben, so tragfähig und glaubwürdig, dass wir Zuhörende, Begleiter, Gastfreunde, Feiernde, Spielende sein können - und gebraucht werden, um das Licht Christi spürbar und sichtbar werden zu lassen?

Ihr seid das Licht der Welt! sagt Jesus zu seinen Jüngerinnen und Jüngern.

Diese Fragen, diese Aufgaben stellen sich hier inmitten dieser riesengroßen Baustelle HafenCity,

Diese Fragen und Aufgaben stellen sich an vielen Orten, ja überall in Europa. Sie stellen sich in Hermannstadt, der Kulturhauptstadt Europas, -  der immer noch eine riesigen Baustelle nach den Umbrüchen der 90ger Jahre ist.

In Dörfern, Städten und Ländern, in denen Menschen unendlich viele Quellen nutzen, um sich zu wärmen und vor der Dunkelheit zu schützen, aber das Licht Christi nicht spüren, sollen Christinnen und Christen Zeugen des Lichtes sein.

Als Zeuginnen und Zeugen für das Licht Christi sind wir miteinander auf einem Pilgerweg - Kirchen, Gemeinschaften, Kommunitäten, Gemeinden - verbunden im Gebet:

"O komm du Geist der  Wahrheit und kehre bei uns ein.

Verbreite Licht und Wahrheit, verbanne Trug und Schein".

Ja, und wo Licht und Wahrheit ist, kann auch Trug und Schein angesprochen bzw. angeschaut werden. Wo das Licht Christi scheint, werden auch die im Dunkeln sichtbar.

Wo Menschen den Auftrag Christi, Licht der Welt zu sein, annehmen, weichen sie nicht aus vor den düsteren Themen, den Problemen und unheilvollen Entwicklungen dieser Welt, sondern beleuchten sie und tun alles, um aufzuklären und sie zu verwandeln.

Deshalb haben sich die Kirchen verpflichtet, an der Gestaltung Europas und damit an der Weiterentwicklung von Versöhnung, Gerechtigkeit, Solidarität und Nachhaltigkeit, also an der Überwindung von Gewalt und Konflikten, Ungerechtigkeit, Entsolidarisierung und Umweltzerstörung mitzuarbeiten, ob in Hamburg, Hermannstadt oder Brüssel.

Ich kann hier nur mit zwei Stichworten andeuten, wie Hamburg, wie insbesondere die HafenCity gesellschaftlich, wirtschaftlich und ökologisch untrennbar vernetzt ist  mit den europaweiten und globalen Umbrüchen und der Suche nach Gerechtigkeit, Solidarität und Nachhaltigkeit.

Da geht es zum einen um die Bedeutung des Hafens bzw. des Meeres. Im Juni 2006 hat die EU ein Grünbuch zur europäischen Meerespolitik herausgegeben, das ein Jahr lang auf breiter Ebene beraten werden sollte - also bis zum Ende des nächsten Monats, so dass dann zum Oktober ein Aktionsplan erarbeitet werden kann. In diesem Zusammenhang wird diskutiert, ob das Meer vor Allem eine ökonomisch und heute nun auch ökologisch relevante Größe ist - oder ob es auch einen Schutz des Ökosystems Meer geben muss über seine ökonomische Verwertbarkeit bzw. ökologische Gefährdung dieser Verwertbarkeit hinaus.

Das betrifft das Spektrum der Themen, die auch für die HafenCity existentiell wichtig sind: die Schiffsemissionen, die Stickstoffbelastung durch die Landwirtschaft, die Munitionsaltlasten, die Überfischung, die Seehafenkonzepte, die Schiffssicherheit und nicht zuletzt der Tourismus.

Das sind Themen von existentieller Bedeutung für die Menschen hier, für die wirtschaftliche Entwicklung, für die Lebensqualität. Und das  sind zugleich Themen, die ebenso energisch in Hamburg wie in anderen europäischen Hafenstädten angegangen werden müssen, denn dafür kann es nur  europaweite Lösungen geben.

Und das andere aktuelle Stichwort ist die Stadt.

In Hannover tagte in der letzten Woche ein deutsch-französisches Forum zur Architektur und Stadterneuerung. Dort fiel der Satz "Stadtplaner gehören zu den ‚Platzanweisern’ der Gesellschaft, die sich über die Platzierung der Bevölkerung im städtischen Raum Gedanken machen müssen“ - und darüber entscheiden, ob Menschen in Nachbarschaften, mit Zugang zu Mobilität, in einem ökologisch nachhaltigen Umfeld ihren Platz erhalten - oder herausfallen (wie in den Vororten vieler Großstädte weltweit).

Der deutsche Städtetag hat bis Samstag in München das Thema ‚Stadtpolitik in Zeiten der Globalisierung’ debattiert. Es ging darum, ob Stadtplanung mit dem gesellschaftlichen Wandel Schritt hält und welche Aufgaben Städte in Zeiten massenhafter Bevölkerungswanderungen haben.

Diskutiert wurde, wie stark Stadtplanung dazu beiträgt, ob sich in einer Parallelgesellschaft aggressive Potentiale ansammeln oder ob sie Integration, Rückwanderung in die Innenstädte‚ „Orte sozialer und kultureller Begegnung und damit Orte der Identifikation der Bürgerinnen und Bürger mit ihrer Heimat“ ermöglichen.

Das Washingtoner Worldwatch Institut hat im Auftrag von Germanwatch und der Heinrich-Böll-Stiftung in diesem Monat eine Studie veröffentlicht zum Thema "Our Urban Future" (Der Planet der Städte). Darin wird deutlich, dass spätestens 2008 die Hälfte der Weltbevölkerung in Großstädten lebt, dass damit 2% der Erdoberfläche aber zugleich 80% der Ressourcen gebunden werden, dass die Urbanisierung Bedrohung und Chance zugleich ist.

Die Städte werden vom Klimawandel am meisten betroffen sein - und haben das größte Potenzial dem entgegen zu wirken. Ob die globale Klimakatastrophe abgewandt werden kann, hängt von der Entwicklung der urbanen Ballungsräume der Welt ab, so der Bericht.

Wie gut, dass zu dieser Studie die katholische Akademie im Rahmen der Evangelischen Akademie am 12.06.2007 ein politisches Forum anbietet, denn:

wir haben eine unaufkündbare gemeinsame Verantwortung für Europa und die Welt, für menschenfreundliche Stadtentwicklung und nachhaltige Städtepolitik, für Meeresschutz und Klimawandel.

Möge das Licht Christi uns erfüllen und uns erleuchten, klären und begeistern, damit Erneuerung und Einheit in Europa möglich werden - und in unseren Häusern, den  Betrieben, Büros, Geschäften, in der HafenCity, in  den Gemeinden und den Kirchen dieser Stadt.

Amen.