Predigt am 2. Advent 2008 in der Schlosskirche zu Wittenberg über Lukas 21, 25-33

Stephan Dorgerloh

Gnade sei mit Euch und Friede von Gott, unserem Vater und dem Herrn Jesus Christus.

Amen.

Liebe Gemeinde,

Die Predigt über das Evangelium des Adventssontages soll immer wieder unterbrochen werden vom Liedruf: „ Seht auf und erhebt eure Häupter, weil sich eure Erlösung naht, weil sich eure Erlösung naht.“ (EG 21)

Es ist ein merkwürdiger Kontrast der sich zwischen Predigttext und heutiger Adventszeit auftut. Die zweite Kerze brennt, der eine oder andere Engel hat schon seinen Platz gefunden, einige Strohsterne hängen bereits an den Zweigen und Lebkuchen und Kekse laden ein zu stillen Zeiten mit Musik und Kerzenschein. Sicherlich ein wenig Kitsch. Ich finde das muss und kann auch sein – es sind ja nur vier Wochen.

Diese scheinbar heile Welt durchbricht Jesus mit seiner Rede über das Ende dieser Welt. Eine zornige Rede über die Endzeit – mitten hinein in die Zuckerwatte-Jahreszeit. Der Advent ist eng verwoben mit Passion und Ostern, mehr als wir auf den ersten Blick – jahreszeitlich getrübt -  glauben.

Letzten Sonntag, am 1. Advent, war der Einzug in Jerusalem Thema in vielen Gottesdiensten, und geläufig als der klassische Palmsonntagtext. Heute steht vor unserem Evangelium in unmittelbarer Nachbarschaft zur Rede über das Ende Jerusalems, quasi als Präambel zum Predigttext, das Ende Jerusalems und daran schließt nahtlos unser Predigttext an: „…es werden Zeichen geschehen an Sonne und Mond und Sternen, und auf Erden wird den Völkern bange sein und sie werden verzagen vor dem Brausen und Wogen des Meeres und die Menschen werden vergehen vor Furcht und in Erwartung der Dinge, die kommen sollen über die ganze Erde; denn die Kräfte der Himmel werden ins Wanken kommen.“

Endzeitstimmung wie auf Golgatha, wo die Erde erbebte und der Vorhang im Tempel zerriss von oben an bis unten durch.

Vor meinem inneren Auge steigen Bilder auf, wie eine ganze Region gebannt auf den Hurrikan Katrina wartet. Tausende fliehen in ihren Spritfressern und viele Geländewagen kommen erstmals ins Gelände. Hab und Gut zurücklassend, das nackte Leben rettend, viele bleiben,  den Vorhersagen und Warnungen nicht glaubend und werden vom Sturm und den Fluten brutal getroffen… und die Menschen werden vergehen vor der Furcht und in Erwartung der Dinge.

Apokalypse now.

Ähnlich angstgeweitet müssen die Augen der Börsenhändler und Investmentbanker gewesen sein, als sich die große Lotterie Mitte des Jahres an der Wallstreet plötzlich aufhörte zu drehen. Ein Wirtschaftbeben kündigt sich an und an vielen Standorten weltweit halten in der Adventszeit die Menschen den Atem an, weil die Bänder plötzlich stillstehen. Wenn im mittleren Westen der USA Immobilienkredite nicht mehr bedient werden können, verlieren im fernen Osten Menschen ihre Arbeit. Nicht nur an den Finanzmärkten beginnen Menschen zu fragen: wann und wie wird es mich treffen? Während wir noch fröhlich Geschenke packen, schnürt die Politik verschieden große Konjunkturpakete. Gleich nach – süßer die Glocken nie klingen – wird das Jahr der schlechten Nachrichten eingeläutet. Das große Beben hat schon begonnen und die Schockwellen wabern als unheilvolle Ahnungen zunächst nur durch Morgenzeitungen und abendliche Gedanken. Globale Erschütterungen für die scheinbar so unerschütterbare, unumstößliche  Wirtschaftsordnung zwischen Himmel und Erde. Gottes Maßstäbe waren schon lange aus viele Managementetage vertrieben worden – aber wie wir jetzt hören, auch aus den Anlagestrategien der kleinen Leute, die vor lauter Prozentzeichen in den Augen das kleine Vermögen in Island oder mit den Lehmann Brothers um die Wette verwetteten. Die Ehrfurcht heischenden Banktürme sind längst zu dem heimlichen Kathedralen der Postmoderne geworden und statt mittelalterliche Glasmalerei  faszinieren und verführen uns blinkende Neonlichter. Die Sparbücher und Zertifikaten hütet und vererbt Erika Mustermann heute wie früher die Familienbibel.

Apokalypse now.

Kirche und Gläubige bekamen Nischenplätze zugewiesen und nahmen nicht selten bequem darauf Platz. Kein Wunder, das nun nur noch um das letzte Siebtel der Woche gerungen wird, die Sonntagsruhe. Mehr Zeit ist eben nicht.

In Sachsen-Anhalt dürfen auf Druck des Landtages nun auch endlich wieder Rassegeflügelschauen am Karfreitag stattfinden. Willkommen auf dem Markt der Tugendlosigkeiten, an dem nach Geschäftsschluss auch gerne einmal gelehrt über die Wichtigkeit des Wertegerüstes lamentiert werden darf. Gottes Wort verkommt zu intellektuellen Wertekitsch-Debatten oder  steht als soziales Bindemittel bei Kulturpessimisten hoch im Kurs.

Wir singen des Liedruf (EG 21): „ Seht auf und erhebt eure Häupter, weil sich eure Erlösung naht, weil sich eure Erlösung naht.“

Wenn das die Behausung der Menschen ist, in der wir uns zwischen Himmel und Erde eingerichtet haben, dann kann man nur  fragen: Lebst Du noch oder wohnst Du schon? Und es ganz anders als die Möbelkette meinen. Soll man sich nicht angesichts dieser Unordnungen und Maßlosigkeiten ob in Klima-, Wirtschafts- oder Politikfragen ein kräftiges Beben herbeiwünschen, das alles ins Wanken gerät, dass wir Zeichen sehen und endlich Kräfte des Himmels kommen, die unsere Ordnungen vom Kopf auf die Füße stellen, das ein kräftiger Wind uns die verklebten Ohren durchpustet und unsere Augen von Prozentzeichen und Neonfarben befreit werden, damit wir sehen wer Weihnachten zu uns auf die Erde kommt, damit wir hören können was Gott zu uns sagt, uns zusagt,  damit unser Herz wieder frei zu schlagen und zu wärmen anfängt und wir uns von unserer Selbstfixierung befreien können um Zeit , Kraft und Zuwendung für Anderen aufzubringen?

Wir singen des Liedruf (EG 21): „ Seht auf und erhebt eure Häupter, weil sich eure Erlösung naht, weil sich eure Erlösung naht.“

Der Evangelist Lukas lebt in der Generation nach Ostern, die noch lebendige Vorstellungen von der Wiederkehr Gottes hat. Inzwischen leben wir in der vielhundertfachen Generation nach Ostern. Wir leben in der Zwischenzeit. Die Zwischenzeit will der Teufel nutzen so glaubten die Alten und lehrt es die Tradition. Gut und Böse werden miteinander ringen. Das Teuflische kann gewinnen, wenn wir aufhören auf die Wiederkehr Gottes zu hoffen, darum zu beten und in unserem Alltag mit ganzer Kraft daran zu glauben – und nicht nur mit einem Siebtel. Die teuflische Maßlosigkeit wird versuchen uns von Christus abzubringen. Aber leben wir mit Christus und dem Maßstäben Gottes; sind wir mit Christus, dem Gekreuzigten,  Begrabenen und Auferstandenem im Bunde – wer kann wieder uns sein?

Vielleicht muss ein Donnerwetter über uns hereinbrechen, damit wir uns neu ausrichten können. Die Krise als Weckruf für den Neuanfang. Die brechenden Dämme in New Orleans werden so zu einem Symbol für einen anderen Lebenswandel. Der Zusammenbruch der Finanzmärkte ist das Zeichen für einen wirklichen Neubeginn mit Tugenden und Gottes Maßstäben… seht auf und erhebt eure Häupter, weil sich eure Erlösung naht – so schreibt der Evangelist und so haben wir gesungen. Das ist unsere frohe Botschaft vom Advent, das auf Weihnachten schaut und vor der Passion wie von Ostern er denkt.

Gott kommt zu uns. Keine Verneigung mehr vor falschen Göttern sondern im Angesicht der Krippe begreifen, was Gott will. Dein Wille geschehe – Gott. Vielleicht muss manches erst in sich zusammenbrechen bevor wir wieder neue klare Orientierung bekommen, die alten Abhängigkeiten müssen sich auflösen – unter Zittern und Zagen - bevor wird bereit sind für die froh und frei machende Botschaft, dass uns ein Retter verheißen ist. Bald wird er geboren, kommt mitten unter uns. Zwei Wochen sind noch Zeit. Kommt macht Euch bereit für den Stall von Betlehem und dem Wunder, dass uns ein Retter naht.

Wir singen des Liedruf (EG 21): „ Seht auf und erhebt eure Häupter, weil sich eure Erlösung naht, weil sich eure Erlösung naht.“

Und der Friede Gottes der höher ist als alle unsere Vernunft bewahre unsere Herzen und Sinne in Jesus Christus.

Amen