11-Punkte-Handlungsplan gegen sexualisierte Gewalt

Maßnahmenpaket der EKD zur systematischen Aufarbeitung von Fällen sexualisierter Gewalt in der evangelischen Kirche

Die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) hat auf der 5. Tagung der 12. Synode der EKD vom 11. bis 14. November 2018 in Würzburg beschlossen, ihre Maßnahmen zur Aufarbeitung von sexualisierter Gewalt deutlich auszuweiten. Dazu hatten Rat und Kirchenkonferenz der EKD im zweiten Halbjahr 2018 gemeinsam ein umfangreiches Maßnahmenpaket entwickelt. Bischöfin Kirsten Fehrs hat der Synode im Rahmen eines umfassenden Berichts einen 11-Punkte-Handlungsplan vorgestellt. Mit dem Beschluss dieses Plans unterstützt die Synode „ausdrücklich die Entscheidung des Rates der EKD und der Kirchenkonferenz, die folgenden elf Punkte zur Richtschnur des weiteren Handelns in der Evangelischen Kirche in Deutschland und in den Landeskirchen zu machen.“

  1. Beteiligung Betroffener: Das Hearing hat ergeben, dass eine Beteiligung der Betroffenen mehr als bisher erforderlich ist. Wir brauchen ihre Erfahrung bei allem, was wir im Bereich Aufarbeitung und Prävention tun. So wird sich die PIH-K, also die Konferenz unserer landeskirchlichen Präventionsexperten, u.a. im April 2019 zu einem Workshop mit Vertreterinnen und Vertretern der Gruppe der Betroffenen treffen, um Standards bei der Aufarbeitung und Qualitätsmerkmale für Ansprechpersonen zu diskutieren. So beabsichtigt der „Beauftragtenrat für Schutz vor sexualisierter Gewalt“ generell, die Betroffenenperspektive konsequent einzubinden.
     
  2. Individuelle Aufarbeitung: Es wird darauf hingewirkt, dass alle Gliedkirchen auf eine Unabhängige Kommission bzw. Unterstützungsleistungskommission zugreifen können, die in Verantwortung gegenüber den einzelnen Betroffenen Anerkennungsleistungen materieller wie immaterieller Art erarbeitet.

3. Institutionelle Aufarbeitung: Es wird eine externe wissenschaftliche Studie der systemisch bedingten Risikofaktoren speziell der evangelischen Kirche vorgenommen. Für diese Analyse werden vorhandenes Aufarbeitungsmaterial aus dem Bereich der EKD und ihrer Gliedkirchen und neu erhobene Daten ausgewertet, und zwar beispielsweise unter traumapsychologischen, sozialwissenschaftlichen, juristischen oder theologischen Gesichtspunkten. Diese zusammenschauende Analyse der Aufarbeitungsprozesse samt der Betrachtung aller bekannten Einzelfälle geschieht natürlich durch eine unabhängige externe Wissenschaftsexpertise. In der Konsequenz der Analyse sollen wissenschaftlich begründete Empfehlungen entwickelt werden, die Grundlage zur Optimierung verbindlicher Standards für Prävention, Intervention, Aufarbeitung und Hilfen sein können. Die Aufarbeitung des Vergangenen ermöglicht gute Prävention jetzt. Aber auch sie wird nicht gänzlich verhindern können, dass es in Zukunft Grenzverletzungen und sexualisierte Gewalt gibt. So müssen wir alles uns Mögliche daransetzen, dies zu verhindern und in den Gliedkirchen mit allen Menschen, die von sexualisierter Gewalt betroffen sind, sensibel, professionell und achtsam umzugehen.

4. Dunkelfeldstudie: Es wird eruiert, wie eine wissenschaftlich seriöse Ausleuchtung des sog. Dunkelfeldes in der evangelischen Kirche und der Diakonie erfolgen und gelingen kann. Das kann nur durch unabhängige Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen geschehen. Die noch zu findenden, einzuleitenden Formate für möglicherweise mehrere Studien sind gemeinsam von EKD und Landeskirchen sowie unter Einbeziehung der Erfahrungswerte von betroffenen Menschen zu entwickeln.

5. Unabhängige zentrale Ansprechstelle der EKD: Bitte melden Sie sich! Im Hearing ist von Betroffenen vielfach eine mangelnde Auffindbarkeit von kirchlichen Beratungs- und Hilfsangeboten kritisiert worden. Es liegt absolut in unserem Interesse auch im Blick auf eine gelingende Aufarbeitung, die Kontakte mit Betroffenen zu verbessern. Die EKD wird daher als unterstützendes subsidiäres Angebot eine unabhängige und zentrale Anlaufstelle etablieren, die fachlich qualifiziert eine Art Lotsenfunktion wahrnimmt, um Betroffene – behutsam – an die jeweiligen landeskirchlichen Zuständigkeiten zu verweisen. An der genaueren Umsetzung arbeiten die PIH-K und EKD mit Hochdruck. Der Sinn ist: Betroffene müssen nicht lange suchen, sondern wissen: Hier wird ihr Anliegen unter größtmöglichem Schutz mit größtmöglicher Fachlichkeit ernstgenommen und bearbeitet. Dies ersetzt wohlgemerkt nicht die bestehenden kirchlichen Ansprechpersonen bzw. Ansprechstellen in allen Landeskirchen, im Gegenteil. Dieses Angebot wird noch besser beworben und im Hinblick auf die Zusammenarbeit mit unabhängigen Fachberatungsstellen weiter ausgebaut. Das bundesweite Hilfetelefon und Hilfeportal des UBSKM wird in die verbesserten Strukturen stärker als bisher einbezogen. – An dieser Stelle möchte ich deutlich und klar an alle Betroffenen appellieren: Bitte melden Sie sich! Entweder bei uns oder bei unabhängigen Stellen! Kontakt zu Ansprechpersonen finden Sie im Schwerpunkt Prävention auf EKD.de.

6. Beauftragtenrat: Aufarbeitung und Prävention erfordert die intensive Begleitung durch die Leitungsebene. Unter Beachtung der föderalen Struktur der evangelischen Kirche hat die Kirchenkonferenz im September 2018 deshalb einen fünfköpfigen „Beauftragtenrat zum Schutz vor sexualisierter Gewalt“ eingesetzt, bestehend aus drei Bischofspersonen und 2 leitenden Juristinnen. Als Beauftragte der Landeskirchen stehen diese Personen öffentlich für das Thema ein und bringen die geplanten Maßnahmen innerkirchlich wie auch außerkirchlich voran. Dazu wird – wie schon gesagt – aktiv der Dialog mit den Betroffenen gesucht. Am 7.11. hat er beschlossen, dass ich für die ersten zwei Jahre die Sprecherinnenfunktion übernehme; danach wird neu entschieden.

7. UBSKM: Das Gelingen der Aufarbeitung hängt auch davon ab, dass der UBSKM seine Anlauf-, Ansprech- und Lotsenfunktion wahrnimmt und seine Expertise für das Design der systemischen Analysen zur Verfügung stellt. Wir setzen hier sehr auf ein konstruktives Miteinander, wie es ja weitgehend auch schon gelingt. Dazu dient z.B. die Einladung des UBSKM zu einem Gespräch in die Sitzung des EKD-Rates im Dezember, die er auch bereits angenommen hat.

8. Zentrale Meldestellen in den Gliedkirchen: Es wird auf einen Beschluss kirchenrechtlicher Vorgaben für eine Meldepflicht für kirchliche Mitarbeitende bei zureichenden Anhaltspunkten für Fälle von Grenzverletzungen und Sexualisierter Gewalt in den Landeskirchen hingewirkt. Zudem sollen dort, wo es noch nicht geschehen ist, zentrale Meldestellen in Landeskirchen eingerichtet werden, die bei Bedarf Aufarbeitungsprozesse durch externe Fachleute initiieren.

9. Die Vermittlungsfunktion der PIH-K zwischen EKD-Ebene und Landeskirchen wird gestärkt. Diese Konferenz aus Expertinnen und Experten spielt eine wesentliche Rolle bei der Konzeption des Designs der Aufarbeitungsprozesse.

10. Diakonie: Im Hinblick auf die Aufarbeitung durch systemische Analysen wird eine verbindliche Zusammenarbeit mit der Diakonie angestrebt. Zwar gibt es – wie erwähnt – Unterschiede: eine Kirchengemeinde ist ein anderer Tatort als ein Heim. Dennoch müssen wir beides auch zusammen betrachten, um durch eine solche Gesamtschau den Strukturen des Missbrauchs auf den Grund zu gehen. Hierüber werden mit dem Vorstand von Diakonie Deutschland Gespräche geführt.

11. Seelsorgegeheimnis: Es ist ein hohes Gut und für jedes seelsorgerliche Handeln konstitutiv, dass wir über anvertraute Geheimnisse Stillschweigen zu bewahren. Jedoch kann es in dem Falle, in dem erlittene Gewalt anvertraut wird, auch geboten sein, gemeinsam mit den Klienten behutsam zu klären, ob man den/die Seelsorger/in von der Schweigepflicht entbinden möchte. Die Kirchenkonferenz hat insofern die Landeskirchen gebeten, in der Ausbildungspraxis nicht nur von Theologinnen und Theologen darauf hinzuwirken, dass bei Wahrung des Seelsorgegeheimnisses im Kontext sexualisierter Gewalt sensibel und professionell verfahren wird.

Beschluss zur Verantwortung und Aufarbeitung bei sexualisierter Gewalt in der evangelischen Kirche

5. Tagung der 12. Synode der EKD vom 11. bis 14. November 2018 in Würzburg