Stellungnahme des Bevollmächtigten des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland zum Entwurf eines Gesetzes zur Reform des Sorgerechts nicht miteinander verheirateter Eltern

Der Bevollmächtigte des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) dankt für die Gelegenheit, zum Referentenentwurf eines Gesetzes zur Reform des Sorgerechts nicht miteinander verheirateter Eltern Stellung zu nehmen und nimmt diese hiermit gern wahr.

Die EKD begrüßt grundsätzlich den nun vorgestellten Kompromiss der spätestens seit dem Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR)  und den Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG)  intensiv diskutierten Lösungsansätze von Sorgerechtskonflikten nicht miteinander verheirateter Eltern. Der Gesetzesentwurf bemüht sich, unter Beachtung und Bewahrung des Kindeswohlprinzips einen Ausgleich zwischen den Rechten beider Elternteile zu finden. Die EKD hatte sich, in Übereinstimmung mit der evangelischen Aktionsgemeinschaft für Familienfragen (eaf e.V.) und dem Diakonischen Werk der EKD, im Vorfeld des Kompromisses für die so genannten Antragslösung ausgesprochen. Diese sieht vor, der Mutter zunächst das alleinige Sorgerecht zuzusprechen, eröffnet dem Vater allerdings, bei Gericht die Ersetzung der fehlenden Zustimmung der Mutter zu beantragen, wenn die Ausübung der gemeinsamen Sorge dem Kindeswohl entspricht. Die EKD beurteilt es deshalb als positiv, dass der Gesetzesentwurf daran festhält, die Sorge zunächst allein der Mutter zu erteilen.

Der Gesetzesentwurf enthält in § 1626a Abs. 2 S. 2 BGB-E die gesetzliche Vermutung, dass eine gemeinsam ausgeübte Sorge dem Kindeswohl nicht widerspricht.  Er greift dabei den Grundgedanken des BVerfG auf, „dass die gemeinsame elterliche Sorge grundsätzlich den Bedürfnissen des Kindes nach Beziehungen zu beiden Eltern entspricht und ihm verdeutlicht, dass beide Eltern gleichermaßen bereit sind, für das Kind Verantwortung zu tragen.“  Diese Einschätzung teilt auch die EKD. Allerdings erscheint die prozessuale Umsetzung der materiell-rechtlichen Vermutung problematisch. Schweigt die Mutter auf den Antrag des Vaters, ist dem Gericht verwehrt, die Eltern persönlich anzuhören. Auch das Jugendamt kann nicht beteiligt werden. Durch diese prozessualen Einschränkungen ist die Entscheidungsgrundlage der Richter und Richterinnen erheblich und unnötig reduziert. Außerdem sollten die Einflussmöglichkeiten des Jugendamtes bei der Entscheidung über das Sorgerecht im Vergleich zu anderen Kindschaftssachen nicht beschränkt werden.

Darüber hinaus verwundert die Regelung, die Müttern ermöglicht, sorgeunwillige oder zumindest an der Ausübung des Sorgerechts noch desinteressierte Väter zu einer gemeinsamen Sorge zu zwingen. Wir regen an, diese Fallkonstellation nicht in die Regelung zur Ersetzung der Sorgeerklärung der Mutter miteinzubeziehen.

Zu den Regelungen im Einzelnen:

1. Art. 1 Nr. 1 § 1626a BGB-E

a. § 1626a Abs. 1 S. 1 BGB-E

§ 1626a Abs. 1 S. 1 BGB-E ermöglicht es beiden Elternteilen, auf Antrag die fehlende Sorgeerklärung des jeweils anderen Elternteils durch das Gericht ersetzen zu lassen. Die beiden damit umfassten Fallkonstellationen sind jedoch nicht miteinander vergleichbar. Stellt der Vater den Antrag auf Ersetzung der Sorgeerklärung, möchte dieser eine gemeinsame Sorge gegen den Willen der Mutter durchsetzen. Sein Engagement zeugt von einem Interesse an seinem Kind und dessen Entwicklung. Beantragt hingegen die Mutter bei Gericht die Ersetzung der Sorgeerklärung des Vaters und lässt dieser die Frist zur Stellungnahme ohne Einlassung verstreichen, kann das Gericht gerade nicht von einem Interesse des Vaters an seinem Kind und dessen Belangen ausgehen. Eine Erörterung der Frage mit den Eltern lassen die in § 155a FamFG-E vorgesehenen prozessualen Folgen der gesetzlichen Vermutung nicht zu. Insofern hat das Gericht auch keine Grundlage, auf der sie im Einzelfall prüfen kann, ob eine gemeinsame Sorge dem Kindeswohl widerspricht.  Will der Vater hingegen eine Einbeziehung verhindern, ist er gezwungen, sein Desinteresse dezidiert zu bekunden, was dem Kindeswohl in keinem Fall zuträglich sein kann. Die Mutter wird zwar nur in den Konstellationen versuchen, „den Vater in die Mitsorge zu zwingen“, in denen sie sich dabei etwas für sich oder das Kind erhofft, wie die Begründung des Entwurfes richtig ausführt.  Anders als bei der zwangsweisen Durchsetzung der Umgangsverpflichtung des umgangsunwilligen Vaters, die lediglich das physische Zusammentreffen des Vaters mit dem Kind voraussetzt,  lässt sich die Ausübung des Sorgerecht gemeinsam mit einem Elternteil ohne Interesse an einer Diskussion oder einer Mitentscheidung über das Kind betreffende bedeutende Belange jedoch gar nicht praktisch umsetzen. Die rechtliche Regelung dieser Konstellation ist darüber hinaus verfassungsrechtlich nicht geboten. Die EKD rät deshalb davon ab, sie in die gesetzliche Vermutung des § 1626a Abs. 1 S. 1 BGB-E mitaufzunehmen.

b. § 1626a Abs. 2 S. 2 BGB-E

§ 1626a Abs. 2 S. 2 BGB-E enthält die gesetzliche Vermutung, dass die gemeinsame Sorge dem Kindeswohl nicht widerspricht. Diese Einschätzung teilt die EKD. Allerdings erscheint uns die Einschränkung des Amtsermittlungsgrundsatz, für den Gesetzgeber eine Folge der Vermutungsregelung, problematisch. Dem Gericht ist somit die Grundlage für informierte Entscheidungen genommen. 

Der Entwurf eröffnet dem Vater, einen Antrag auf gemeinsame Sorge entweder (zunächst) beim Jugendamt oder aber direkt bei Gericht zu stellen.  Die Entscheidung des Vaters, welchem Weg er den Vorzug gibt, wird laut Begründung des Gesetzesentwurfes von den Chancen abhängen, die er sich für eine Zustimmung der Mutter zu seiner Sorgeerklärung vor dem Jugendamt ausrechnet. Obwohl die Regelung im Vergleich zu der Übergangsregelung in Art. 224 § 2 Abs. 4 S. 1 EGBGB den obligatorischen Antrag bei einer zuständigen Stelle hinfällig macht und in ausweglos erscheinenden Konfliktfällen eine Beschleunigung des Anliegens des Vaters verspricht, wird dem Jugendamt damit die Möglichkeit genommen, gegebenenfalls zwischen den Eltern zu vermitteln und dadurch unter Umständen Gerichtsverfahren zu vermeiden. Die EKD schlägt deshalb vor, an der Übergangsregelung festzuhalten und die Voraussetzung der Abgabe einer Sorgeerklärung gem. §1626d BGB für die Anrufung des Gerichts beizubehalten.

§ 155a FamFG-E

a. Karenzzeit der Mutter: 8 Wochen

Die EKD begrüßt, dass der Gesetzesentwurf in § 155a Abs. 2 S. 2 FamFG-E eine Karenz- und Schutzfrist vorsieht und damit der Situation der Mutter direkt nach der Geburt Rechnung trägt. Diese wird in einer Vielzahl von Fällen - trotz steter Zunahme der Anzahl nichtehelicher Lebensgemeinschaften, die mit ihrem Kind gemeinsam in einem Haushalt leben - dadurch gekennzeichnet sein, dass die Mutter das Kind allein versorgen muss. Die EKD regt an, die Dauer der Frist für eine Stellungnahme auf die Sorgeerklärung des Vaters in Anlehnung an die Mutterschutzfrist des § 9 Mutterschutzgesetz von 6 auf 8 Wochen auszudehnen, um der Mutter in der ersten Zeit nach der Geburt Erholung und eine Konzentration auf ihr neugeborenes Kind zu ermöglichen.

b. Erhebliche Reduktion der Entscheidungsgrundlage

§ 155a Abs. 3 FamFG-E enthält Verfahrensvereinfachungen, die die gesetzliche Vermutung des § 1626a BGB-E prozess-rechtlich umsetzen sollen. Schweigen Vater oder Mutter auf den Antrag des jeweils anderen Elternteils, soll das Gericht in einem beschleunigten und vereinfachten Verfahren über die gemeinsame Sorge befinden. Eine Anhörung der Eltern oder eine Beteiligung des Jugendamtes nach § 162 FamFG sind nicht möglich; das Gericht kann sich in seiner Entscheidung über die Frage, ob die gemeinsame Sorge dem Kindeswohl widerspricht, lediglich auf den Inhalt des Antrags des Elternteils oder andere gerichtsbekannte Tatsachen stützen oder aber nach § 159 FamFG das Kind selbst anhören.  Da es sich aber bei einer nicht unerheblichen Zahl um Fälle handeln wird, die kurz nach der Geburt verhandelt werden, wird diese Möglichkeit dem Gericht oftmals keine Hinweise liefern können. 

Gerade beim Vorliegen von Risikofaktoren in der Partnerschaft oder bei einem Elternteil wie Sucht- oder Gewaltprobleme kann das Verstreichenlassen der Frist zur Stellungnahme auf eine Überforderung der Mutter zurückzuführen sein - eine umfassende gerichtliche Prüfung wäre gerade dann angesagt.

Die EKD regt deshalb an, bei Schweigen der Mutter auch für das Verfahren zur Übertragung der gemeinsamen elterlichen Sorge ein beschleunigtes Verfahren wie in anderen Kindschaftssachen gem. §155 FamFG vorzusehen, das dem Gericht dennoch Zugang zu entscheidungserheblichen Informationen eröffnet.