Statement bei der Pressekonferenz zur Vorstellung der Ökumenischen Sozialinitiative, Frankfurt

Erzbischof Dr. Robert Zollitsch, Vorsitzenden der Deutschen Bischofskonferenz

Ich freue mich, Ihnen heute gemeinsam mit dem Ratsvorsitzenden, Nikolaus Schneider, unseren Text „Gemeinsame Verantwortung für eine gerechte Gesellschaft“ vorstellen zu dürfen, mit dem wir eine Ökumenische Sozialinitiative anstoßen möchten. Natürlich haben sich unsere Kirchen in den vergangenen Jahren jeweils auf ihre Weise und mit verschiedenen Schwerpunkten zu wirtschaftlichen und sozialen Fragen geäußert. Die verschiedenen Krisen der vergangenen Jahre sind für uns nun Anlass, uns wieder gemeinsam zu Wort zu melden, um eine breite Diskussion über unsere Wirtschafts- und Sozialordnung anzustoßen. Deutschland musste zwar vergleichsweise weniger Einschränkungen durch die Krisen hinnehmen als viele andere Länder. Die aktuell günstige Lage der Bundesrepublik darf aber keinesfalls dazu verleiten, sich in falscher Sicherheit zu fühlen und falsche Weichenstellungen vorzunehmen.

Dies gilt gerade in Bezug auf die Bewältigung des demographischen Wandels. Heute stehen die geburtenstarken Jahrgänge auf dem Höhepunkt ihrer Schaffenskraft. Die Lage der Sozialversicherungen stellt sich in einem glänzenden Licht dar. Viele der Sozialversicherungen erwirtschaften zurzeit gute Erträge. Das verführt allerdings dazu, großzügig mit diesen Mitteln umzugehen. Die Verführungskraft voller Kassen zeigt sich etwa bei der geplanten Rente mit 63. Mittelfristig stellen sich die Verhältnisse der Sozialversicherungen aber ganz anders dar: Im Lauf des nächsten Jahrzehnts gehen die geburtenstarken Jahrgänge in den Ruhestand. Dann werden nicht nur Millionen von Beitragszahlern fehlen, sondern auch die Zahl der Bezieher von Ruhestandsbezügen steigt massiv an. Deshalb brauchen wir gerade im Blick auf die Sozialversicherungssysteme eine langfristige und demographiefeste Politik.

Hier zeigt sich das zentrale Anliegen unserer Ökumenischen Sozialinitiative: Wir wollen anregen, stärker über den Tag hinaus zu denken. Unsere Verantwortung für eine gerechte Gesellschaft umfasst eben nicht nur das Heute. Wir müssen auch die intergenerationellen, ökologischen und globalen Aspekte der Gerechtigkeit im Blick behalten.

Ein weiteres politisches Thema, das sich in einem besonderen Spannungsfeld befindet, ist die Energiewende. Trotz der unbestreitbaren Schwierigkeiten bei der Umsetzung dieses Mammutprojektes dürfen wir das Ziel, den Klimaschutz – die Bewahrung der Schöpfung – nicht aus den Augen verlieren. Die Energiewende als Gemeinschaftsprojekt verlangt, dass Wirtschaft, Politik und Bürger zu Veränderungen bereit sind.

Wer unseren Text „Gemeinsame Verantwortung für eine gerechte Gesellschaft“ liest, wird feststellen, dass er einen positiven Grundakzent trägt. Wir setzen voraus, dass die Menschen angesichts der beschriebenen Herausforderungen bereit sind, nicht nur Verantwortung zu übernehmen, sondern auch dementsprechende Entscheidungen und Lebensweisen folgen zu lassen. Darin kommt ein grundlegendes Vertrauen in die Zukunft zum Ausdruck, eine Hoffnung, die uns Christen durch unseren Glauben geschenkt ist und uns auszeichnet. Der Hintergrund, vor dem unsere Ökumenische Sozialinitiative verfasst wurde, ist die Erwartung, dass die Menschen sich nicht von den Herausforderungen der Zeit überwältigen und überrollen lassen, sondern sich gestaltend einbringen und so gemeinsam eine Wende zu einer guten Zukunft gelingt. Wir Katholiken wissen uns darin auch durch Papst Franziskus ermutigt, wenn er in seinem Apostolischen Schreiben Evangelii gaudium formuliert: „Ein authentischer Glaube schließt immer den tiefen Wunsch ein, die Welt zu verändern und Werte zu übermitteln […] Wir lieben diesen herrlichen Planeten, auf den Gott uns gesetzt hat, und wir lieben die Menschheit, die ihn bewohnt […]. Die Erde ist unser gemeinsames Haus, und wir sind alle Geschwister, die sich um den Aufbau einer besseren Welt kümmern. Darum geht es, denn die Soziallehre der Kirche ist in erster Linie positiv und konstruktiv, sie bietet Orientierung für ein verwandelndes Handeln, und in diesem Sinn hört sie nicht auf, ein Zeichen der Hoffnung zu sein.“ (EG 183) Soweit Papst Franziskus.

Wir haben uns bei der Ökumenischen Sozialinitiative auf zehn Aspekte einer gerechten Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung konzentriert. Natürlich erheben diese Anregungen keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Das zentrale Anliegen unserer Sozialinitiative ist vielmehr der Appell an alle Christen und Menschen guten Willens, sich an der Gestaltung einer gerechteren Gesellschaft zu beteiligen und sich aktiv für die notwendigen Veränderungen einzusetzen.

Leitmotiv unseres Textes ist die gemeinsame Verantwortung auf den verschiedensten Ebenen und Bereichen des Lebens. Primär zielt dieser Auftrag zur gemeinsamen Verantwortung auf die institutionellen Verantwortungsträger in Staat, Gesellschaft und Wirtschaft. Damit soll aber nicht ausgesagt werden, dass die einzelnen Bürger nicht zu dieser Verantwortungsgemeinschaft gehören. Im Gegenteil: Als Wähler bestimmen wir die Zusammensetzung der Parlamente und entscheiden damit über die Politik; als Konsument nehmen wir Einfluss auf ökonomische Entscheidungen und tragen durch unseren persönlichen Lebensstil Mitverantwortung für die Verhältnisse in unserer Welt. Gemeinsame Verantwortung betrifft deshalb sowohl die institutionellen Verantwortungsträger als auch jede einzelne Bürgerin und jeden einzelnen Bürger. Wie wichtig und notwendig ein solcher Diskurs ist, darauf hat am vergangenen Montag Professor Franz-Xaver Kaufmann in der FAZ eindringlich aufmerksam gemacht, wenn er in seinem Beitrag „das Doppelgesicht des Sozialstaats“ schreibt: „Der Sozialstaat hat den Grundsätzen der Gerechtigkeit zu dienen, über die im Detail durchaus heftig gestritten wird. […] Denn die Belasteten suchen sich oft zu wehren, ohne zu sehen, dass auch sie an den Nutzen partizipieren.“ Ist doch der Sozialstaat ein wesentlicher Stabilisator unserer Gesellschaft.

Weil uns Kirchen dieser Diskurs mit Blick auf das Wohl der Menschen so wichtig ist, setzt das weitere Verfahren unserer Ökumenischen Sozialinitiative auf eine breite Beteiligung – sowohl gesellschaftlicher Gruppen und kirchlicher Verbände als auch Einzelner. Seit im Jahre 1997 das Gemeinsame Wort „Für eine Zukunft in Solidarität und Gerechtigkeit“ veröffentlicht wurde, haben sich nicht nur neue Herausforderungen auf vielen Feldern des gesellschaftlichen Lebens gezeigt, sondern durch den Siegeszug des Internets ergeben sich heute auch neue Möglichkeiten der Mitwirkung. Deshalb wurde bei unserer Ökumenischen Sozialinitiative nicht erneut ein mehrjähriger Konsultationsprozess ins Auge gefasst. Wir setzen vielmehr auf ein offenes Diskussionsforum, auf dem sich die verschiedenen Gruppen wie auch interessierte Einzelpersonen zum Text äußern können. So kann es zu einem fruchtbaren Austausch zwischen unserem Impulstext und den Erfahrungen und Einschätzungen vieler Gruppen und Personen kommen. Zeitgleich zu unserer Vorstellung hier geht die Internetseite www.sozialinitiative-kirchen.de online. Dort können das gesamte Dokument oder einzelne Kapitel mit kurzen Kommentaren oder grundsätzlichen Stellungnahmen diskutiert werden. Wir ermutigen alle und laden Gewerkschaften, Verbände, Stiftungen, kirchliche Gruppen und Akademien und jeden Einzelnen nachdrücklich ein, sich mit kritischen und konstruktiven Beiträgen an diesem Prozess zu beteiligen.

Mit einem Kongress wollen wir am 18. Juni 2014 in Berlin diesen Prozess abrunden. Dort wollen wir unsere Position mit Experten aus Politik und Wissenschaft und mit den gesellschaftlichen und kirchlichen Gruppen diskutieren. Dabei soll auch eine Auswertung der eingegangenen Kommentare vorgenommen werden, um Aufschluss darüber zu erhalten, wie unsere Vorschläge aufgenommen wurden.

Deshalb gilt auch bei der Ökumenischen Sozialinitiative, was bereits beim Gemeinsamen Wort von 1997 konstatiert wurde: Es soll „kein letztes Wort“ sein, sondern es soll offen sein für Diskussion und weitere Anregungen. Mit der Ökumenischen Sozialinitiative werfen wir einen Stein ins Wasser, gespannt darauf, welche Kreise dieser ziehen wird.