„Faire Arbeitsbedingungen durch den Dritten Weg - Aktuelle Anforderungen an das kirchliche Arbeitsrecht“

Nikolaus Schneider auf der 15. Fachtagung zum Kirchlichen Arbeitsrecht, Katholische Universität Eichstätt

Achtung! Es gilt das gesprochene Wort

Sehr geehrte Damen und Herren, liebe Schwestern und Brüder,

ich habe gern die Einladung der Zeitschrift für Mitarbeitervertretungen und der Universität Eichstätt angenommen, um heute hier vor Ihnen über das kirchliche Arbeitsrecht zu sprechen. Über die Gestaltung der Arbeitsbedingungen der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in Kirche, Caritas und Diakonie wird seit zwei Jahren viel und kontrovers diskutiert. Auch im Rat der Evangelischen Kirche in Deutschland beschäftigen wir uns intensiv mit den aktuellen Fragestellungen und suchen nach Problemlösungen. Diese Beschäftigung ist nun - nach den Beschlüssen der EKD-Synode vom November des vergangenen Jahres - besonders auf die Umsetzung dieser Beschlüsse und darauf konzentriert, die dafür notwendigen Voraussetzungen zu schaffen. Im Folgenden will ich mit Ihnen einen kurzen Gang durch das kirchliche Arbeitsrecht mit seinen gegenwärtigen Herausforderungen und Veränderungsanforderungen unternehmen und Ihnen dann im Anschluss zehn Thesen vorstellen, die als Grundlage unserer Diskussion dienen können.

Dass hier in Eichstätt 500 Menschen aus ganz unterschiedlichen Funktionen zusammenkommen, um über das kirchliche Arbeitsrecht zu diskutieren, ist eine wichtige und lebendige Facette der Dienstgemeinschaft in Kirche und Diakonie. Diese Gelegenheit nutze ich gerne, um Ihnen allen, die Sie sich neben Ihren beruflichen Tätigkeiten als Mitglieder der Mitarbeitervertretung, Gesamtausschüsse und Arbeitsgemeinschaften engagieren, herzlich zu danken. Sie nehmen diese Ehrenämter zum Wohle unserer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, aber auch im kirchlichen Gesamtinteresse wahr.

Der herzliche Dank gilt in gleichem Maße allen denjenigen, die sich um ein funktionierendes Mitarbeitervertretungssystem kümmern, insbesondere den ehrenamtlichen Richterinnen und Richtern der Kirchengerichte für Mitarbeitervertretungssachen.

I. Zur Dienstgemeinschaft in der Kirche und ihrer Diakonie

In der Bundesrepublik Deutschland arbeiten in über 60.000 kirchlichen Einrichtungen ca. 1,4 Mio. Menschen. Die Verlässlichkeit des Kirchensteuersystems und das Prinzip der Subsidiarität ermöglichen den Kirchen und ihrer Diakonie bzw. Caritas, der Gesellschaft mit Hilfe dieser Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter eine weltweit einzigartige Vielfalt an Angeboten und Dienstleistungen in den Bereichen Verkündigung, Sinnstiftung, Bildung, Daseinsbegleitung und Krisenintervention anzubieten.

Die Mitarbeiterzahlen in der verfassten Kirche sind leicht rückläufig. Die Mitarbeiterzahlen in der Diakonie und Caritas steigen. Dies ist in erster Linie bedingt durch den Ausbau des Sozialstaates und die Konsequenzen aus der "demographischen Unwucht" unserer Gesellschaft.

Deutlich ist: Aufgrund der hohen Zahl von Menschen, die beruflich für die Kirche tätig sind und der Bedeutung der Aufgabenfelder kommt der Gestaltung der Arbeitsbedingungen unserer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter eine besondere Bedeutung zu.

Wir stehen im kirchlichen Dienst gemeinsam in einer Dienstgemeinschaft. Der Begriff "Dienstgemeinschaft" hat für mich eine unaufgebbare theologische Qualität: Wir arbeiten gemeinsamen im und für den Auftrag unseres Herrn Jesus Christus! Wir wollen einander und der Welt dienen, ein jeder und eine jede mit den Gaben, die sie empfangen haben, als gute Haushalter und Haushalterinnen der mancherlei Gnadengaben Gottes (vgl. 1. Petrus 4,10).

Von uns gemeinsam - unabhängig von unserer beruflichen Funktion oder Stellung - hängt es ab, ob und inwieweit diese Dienstgemeinschaft gelebt wird. Und ob in ihr unser Verkündigungsauftrag, der allen kirchlichen Diensten gemeinsam aufgetragen ist, mit Leben gefüllt wird.

Ich halte die Wahrung dieser Dienstgemeinschaft für unverzichtbar bei der Erfüllung unseres kirchlichen Auftrag. Wir dürfen sie uns nicht von außen zerreden und in Frage stellen lassen - etwa durch die Diskussion darüber, was als "verkündigungsnahe" und was als "verkündigungsferne" Aufgabe innerhalb unserer kirchlichen Dienste gelten kann. Gleichzeitig ist der Begriff und der Anspruch der Dienstgemeinschaft aber auch eine Herausforderung, der wir uns immer wieder neu stellen müssen.

Dienstgemeinschaft ist mehr als eine Bestimmung des kirchlichen Arbeitsrechts. Aber die Bestimmungen des kirchlichen Arbeitsrechtes sind deshalb nicht ohne Einfluss und Bedeutung für unsere Dienstgemeinschaft. Dienstgemeinschaft muss immer auch ganz konkret in der Unternehmenskultur, im Führungsverständnis und im Umgang mit den anvertrauten Menschen gelebt werden.

Das Leitbild der Dienstgemeinschaft erfordert für die Gestaltung der Arbeitsbedingungen, dass die Wesensmerkmale des "Dritten Weges" - Parität, Partnerschaft, Gleichberechtigung und Unabhängigkeit - ernst genommen werden. Und die auf dem Dritten Weg gefundenen Regelungen müssen in allen kirchlichen Einrichtungen vollständig zur Geltung gebracht werden. Einseitig gestaltete Regelungen, die das Niveau kirchlicher Arbeitsrechtsregelungen unterschreiten, sind schlicht nicht akzeptabel und beschädigen die Dienstgemeinschaft sowie das Ansehen unserer Kirchen insgesamt.

So gilt im Besonderen: Bei der beruflichen Mitarbeit in der Kirche und in ihrer Diakonie müssen die Gehälter und Arbeitsbedingungen fair und angemessen sein und in einer gleichberechtigt ausbalancierten Sozialpartnerschaft geregelt werden.

In dem Impulspapier der EKD "Kirche der Freiheit. Perspektiven für die evangelische Kirche im 21. Jahrhundert" heißt es meines Erachtens zu Recht:

"Die Kirche braucht Menschen, die motiviert sind und gemeinsame Ziele verfolgen. Die evangelische Kirche wird nur Menschen neu gewinnen, wenn das Niveau ihrer Arbeit stimmt und wenn ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter qualitätsvolle Leistungen erbringen und Überzeugungen einladend vertreten. Dies gilt auch für die Herausforderungen der kommenden Jahre."

II. Zu den Herausforderungen der kommenden Jahre

II.1 Herausforderungen der verfassten Kirche

Die Kirchengemeinden, Kirchenkreise und Landeskirchen sind in der Notwendigkeit, sich kontinuierlich anzupassen. Neben den vielfältigen Veränderungen, die dabei an der organisatorischen Gestalt der Kirche vorgenommen werden, müssen sich die Kirchen mit den Grundproblemen der tendenziell sinkenden und alternden Mitgliedschaft auseinander setzen. Dies kann nur mit guten, engagierten und motivierten Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern gelingen. Weiterhin ist wichtig, dass die Mitarbeiterschaft in der richtigen Balance bleibt. Weder eine auf Pastoren und Pastorinnen reduzierte noch eine Kirche, die ihre Mittel überwiegend für die eigene Verwaltung ausgibt, wird die Anforderungen erfolgreich meistern können. Ferner müssen die Arbeitsbedingungen in der verfassten Kirche ansprechend und verlässlich bleiben, um gute Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter gewinnen zu können.

II.2 Herausforderungen der Diakonie

Das Sozial- und Gesundheitswesen ist auf vielen Feldern in Bewegung und unter steigendem Druck. Sie kennen alle die Stichwörter "Aufgabe des Kostendeckungsprinzips", "Schaffung von Wettbewerbsstrukturen" oder "Ausschreibungen von Angeboten". Unsere Krankenhäuser, Altenheime, Einrichtungen der medizinischen und beruflichen Rehabilitation müssen sich kontinuierlich verändern, ihre Kosten senken oder Fallzahlen erhöhen. Der Rat der Evangelischen Kirche in Deutschland setzt sich mit Nachdruck dafür ein, die dadurch bedingten Fehlsteuerungen wahrzunehmen und übermäßige Arbeitsverdichtungen und Absenkungen des Lohnniveaus in Einrichtungen der Kirche und der gemeinnützigen Wohlfahrtspflege nicht hinzunehmen. Der Wunsch nach einer Rückkehr des bis Ende der neunziger Jahre geltenden Selbstkostendeckungsprinzips für das gesamte Sozial- und Gesundheitswesens wird bei realistischer Betrachtung allerdings für die meisten Aufgabenfelder unerfüllt bleiben.

Trotz des Kostendruckes müssen die aus dem Leitbild der Dienstgemeinschaft resultierenden Anforderungen an die Arbeitsbedingungen weiterhin zur Geltung kommen. Wir müssen sowohl nach innen als auch nach außen deutlich sagen, dass wir Angebote nicht mehr aufrechterhalten können und wollen, wenn es den Einrichtungen unmöglich gemacht wird, Gehälter nach den kirchlichen Arbeitsrechtsregelungen zu zahlen.

III. Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Kirche: Kirchlich geprägt und gebunden an den christlichen Glauben?

III.1 Zur Spannung zwischen Anspruch und Wirklichkeit in Sachen kirchliche Prägung und Glaubensbindung

Nach meiner Einschätzung haben wir in Kirche und Diakonie insgesamt eine engagierte und loyale Mitarbeiterschaft. Wer sich für die typischen Berufsbilder im kirchlichen Dienst entscheidet - sei es als Diakon, Ärztin, Kirchenmusikerin, Altenpfleger oder Sozialarbeiterin - tut dies in aller Regel aus innerer Überzeugung und christlicher Motivation. Im Allgemeinen waren und sind kirchliche Prägung, das christliche Menschenbild und ein hohes Maß an Engagement und Professionalität Markenzeichen der Einrichtungen in Caritas und Diakonie.

Die Frage ist, ob und in wie weit eine kirchliche Prägung und ein bewusst gelebter christlicher Glaube bei den einzelnen Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen vorhanden sein und zum Ausdruck gebracht werden muss. Auf jeden Fall sind die kirchliche Prägung und die christlich-theologische Verankerung der Einrichtungen eine gemeinsame Verantwortung von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, der Einrichtungsleitungen und der Kirchenleitungen. Es sollte deutlich werden, dass alle unsere Angebote und Dienstleistungen für die Menschen Ausdruck und Zeugnis unseres christlichen Glaubens und insofern "Tat-Verkündigung" des Evangeliums sind.

Dies wird von unseren Kirchenmitgliedern erwartet, aber auch von der Politik und anderen gesellschaftlichen Kräften. Anspruch und Wirklichkeit dürfen nicht zu weit auseinanderklaffen, um die Kirchlichkeit der Einrichtungen, Werke und Dienste deutlich genug erkennen zu können.

III.2 Zur besonderen Situation in den neuen Bundesländern

Wir alle kennen das Problem der starken Entkirchlichung in vielen Regionen der neuen Bundesländer. Teilweise liegt der Anteil katholischer und evangelischer Christinnen und Christen zusammen unter 20 % der Gesamtbevölkerung. Nach der Wende haben sich beide Kirchen - auch auf Bitten des Staates und der Kommunen - im caritativen Sektor durch die Übernahmen vormals staatlicher und kommunaler Einrichtungen engagiert.

Gerade in diesen "entkirchlichten" Regionen gilt es meines Erachtens jetzt, die kirchliche Prägung der Einrichtungen erkennbar zu machen und zu fördern. Auch in "kirchlich dünn besiedelten Gegenden" sollten flächendeckend gute kirchliche Angebote vorhanden sein. Allerdings muss den vielen kirchlich nicht gebundenen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern gegenüber, die bei Übernahme von Einrichtungen nicht entlassen werden können und schon gar nicht sollten und/oder die weithin das Aufrechterhalten der vielen diakonischen und caritativen Angebote ermöglichen, der Grundsatz gelten: in Gewissens- und Glaubensfragen kann es keinen Zwang geben. Dem widerspricht aber nicht, dass Informationen über den christlichen Glauben, Selbstverständnis, Geschichte und aktuelle Ziele der Träger und spirituell geprägte Zeiten angeboten werden. Auch die Erwartung, den Zielen und dem Selbstverständnis der Träger gegenüber loyal zu sein, ist legitim. Dies erfordert eine fachlich und christlich-theologisch kompetente, feinfühlige, engagierte und motivierte Leitung auf allen Ebenen, die sich couragiert dieser besonderen Herausforderung stellt.

IV. Der "Dritte Weg"

IV.1 Der "Dritte Weg": Ein theologisch inspiriertes Modell der Definition von Arbeitsbedingungen

In den vergangenen zwei Jahren ist in beiden Kirchen über den Dritten Weg im Arbeitsrecht intensiv diskutiert und gestritten worden. Ihnen als Expertinnen und Experten muss ich dieses Modell der Definition der Arbeitsbedingungen in paritätisch besetzten neutralen und unabhängigen Kommissionen verbunden mit einer verbindlichen Schlichtung nicht näher erläutern.

Das theologisch inspirierte Leitbild der Dienstgemeinschaft läuft meines Erachtens auf ein Modell einer paritätischen und gleichberechtigten Sozialpartnerschaft hinaus, in dem die naturgemäß immer wieder auftretenden Sachkonflikte in einer dem Friedens- und Versöhnungsauftrag der Kirche entsprechenden Weise fair gelöst werden. Vor diesem Hintergrund haben sich beide Kirchen in den 70-er Jahren gemeinsam mit Interessenvertretungen der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter für den "Dritten Weg" in Wahrnehmung des kirchlichen Selbstbestimmungsrechts aus Art. 140 GG i.V.m. Art. 137 Abs. 3 WRV entschieden.

Für die zurückliegenden 35 bis 40 Jahre ist festzustellen, dass der Dritte Weg immer dann gut und für alle Seiten zufriedenstellend funktioniert hat, wenn die beteiligten Partner die grundsätzlichen Wesensmerkmale dieses Modells respektiert und sich an die "Spielregeln" gehalten haben.

Ich bin überzeugt, dass der Dritte Weg auch für die Zukunft ein kirchengemäßes und effektives Verfahren der partnerschaftlichen Regelung der Arbeitsbedingungen unserer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter darstellen kann und wird. Dazu allerdings müssen am Verfahren selbst wesentliche Verbesserungen vorgenommen werden. Wichtig ist darüber hinaus die verpflichtende Bindung an die Ergebnisse des Dritten Weges. Darauf werde ich im Folgenden noch näher eingehen.

Wesentlich ist für mich: Der Dritte Weg sollte als Teil der sozialen Gestalt der Kirche nicht theologisch überhöht, sondern kritisch gewürdigt und fair diskutiert werden. Dazu wollen meine Ausführungen einen Beitrag leisten.

IV.2 Dritter Weg und Koalitionsfreiheit

Die positive und negative Koalitionsfreiheit des Artikels 9 Absatz 3 unseres Grundgesetzes gelten selbstverständlich auch für die kirchlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter uneingeschränkt. Jede Mitarbeiterin, jeder Mitarbeiter hat das Recht, sich Gewerkschaften oder Mitarbeiterverbänden anzuschließen und sich in deren Sinne in den Einrichtungen zu engagieren. Die christliche Sozialethik begrüßt es, wenn Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer sich zusammenschließen und für gute Arbeitsbedingungen engagieren.

Von daher sind die Gewerkschaften und Mitarbeitervereinigungen seit den 70er Jahren im Bereich der evangelischen Kirche und ihrer Diakonie ausdrücklich eingeladen, sich am Dritten Weg zu beteiligen, sei es als Institutionen, sei es durch individuelles Engagement der Mitglieder. So können kirchliches Selbstbestimmungsrecht und Koalitionsfreiheit in Einklang gebracht werden. In der Vergangenheit haben sich die Gewerkschaften in vielen Fällen in den Arbeitsrechtlichen Kommissionen engagiert. Dies ist im Moment nicht der Fall, obwohl die evangelische Kirche offen und nachdrücklich zur Mitarbeit einlädt.

IV.3 Dritter Weg aktuell: Kritischer Befund

Aus meiner Sicht drängt für den Dritten Weg derzeit der folgende kritische Befund auf Abhilfe:

In der stark föderativ geprägten EKD existieren 16 Arbeitsrechtliche Kommissionen und damit deutlich zu viele, wie dies auch die Synode in ihrer Kundgebung vom 9. November 2011 festgestellt hat. Diese Vielzahl Arbeitsrechtlicher Kommissionen produziert mit zunehmender Dynamik unterschiedliche Regelungen; das Arbeitsrecht in der evangelischen Kirche befindet sich in einem Stadium der Zersplitterung. Unterschiedliche kirchliche Tarife dürfen nicht zu einer innerdiakonischen Konkurrenzsituation mit "Kannibalismusgefahr" führen. Die Synode hat zu Recht gefordert, dass an die Stelle dieser Zersplitterung wieder ein einheitlicheres Recht treten muss. Nicht zuletzt zugunsten der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter müssen für die Diakonie die Arbeitsvertragsrichtlinien des Diakonischen Werks der EKD wieder die Leitwährung werden. Sind für bestimmte Arbeitsfelder oder Regionen besondere Regelungen erforderlich, können diese in den Arbeitsvertragsrichtlinien getroffen werden.

In den Regionen, in denen der Dritte Weg schlecht oder derzeit gar nicht funktioniert, liegt dies in erster Linie daran, dass die Verfahrensbeteiligen die Spielregeln verletzen. Dies ist der Fall, wenn Dienstgeber sich dem kirchlichen Arbeitsrecht entziehen oder innerhalb des Dritten Weges nicht akzeptable Positionen vertreten. Dies ist aber auch der Fall, wenn Interessenvertreter der Mitarbeiterschaft die Mitarbeit im Dritten Weg verweigern und das Funktionieren des Systems dadurch verhindern.

Der Streit um das Verfahren der Arbeitsrechtssetzung darf nicht auf dem Rücken unserer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ausgetragen werden. Diese Feststellung richtet sich an die Dienstgeber- und Dienstnehmerseite gleichermaßen.

IV.4 Dritter Weg: Anforderungen an die EKD und die Gliedkirchen

Der Rat der EKD hat sich im vergangenen Herbst intensiv mit dem Dritten Weg auseinandergesetzt und dabei eindeutig festgestellt, dass der Dritte Weg auch für die Zukunft das gebotene Verfahren der kirchlichen Arbeitsmarktpolitik darstellen kann und sollte. Allerdings sind Aufgrund der veränderten Strukturbedingungen im Sozial- und Gesundheitswesen Änderungen und Anpassungen des Dritten Weges unumgänglich. Darüber hinaus müssen die geschehenen Verletzungen der Regelungen des kirchlichen Arbeitsrechts - insbesondere des Rechts der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer - mit Nachdruck sanktioniert und unterbunden werden.

Zur Entwicklung der entsprechenden Vorschläge hat der Rat eine paritätische Arbeitsgruppe eingesetzt, in der etwa von der Mitarbeiterseite Vertreterinnen und Vertreter der Arbeitsgemeinschaften, der Mitarbeitervertretungen aus der Diakonie sowie Dienstnehmervertreter-/innen aus Arbeitsrechtlichen Kommissionen mitwirken. Diese Arbeitsgruppe hat am vergangenen Freitag ihre Tätigkeit aufgenommen. Der Rat der EKD erwartet bereits im Frühling dieses Jahres einen Bericht mit konkreten Vorstellungen für substanziell und nachhaltig wirkende Verbesserungen. Die Landeskirchen sind gebeten, diesen Prozess mit zu tragen und dessen Ergebnisse in ihre Rechtsordnungen zu übernehmen.

Die verbandliche Diakonie und die diakonischen Einrichtungen sind eingeladen und aufgefordert, an diesem Prozess mitzuwirken. Diejenigen Einrichtungen, die den Dritten Weg verlassen haben, sind aufgefordert, auf ihn zurückkehren.

IV.5 Dritter Weg: Stärkung der Parität

Ich habe bereits dargelegt, dass die veränderten Strukturbedingungen eine Stärkung der Parität der Mitarbeiterseite erfordern. Dies wird umso nötiger, sollten die Gewerkschaften für die Mitarbeit im Dritten Weg weiterhin nicht zur Verfügung stehen.

Gleichberechtigte Parität erfordert das gleichwertige Know-how beider Seiten. Hier soll es den Fachleuten überlassen bleiben, ob dies durch die Zurverfügungstellung von zusätzlichem Personal, eines entsprechenden Budgets oder durch die Schaffung eines der Dienstnehmerseite zur Verfügung stehenden "Tarifinstituts" am besten gelöst werden kann.

V. Umgang mit Regel-verletzenden Dienstgebern

In den vergangenen Monaten war wiederholt von diakonischen Dienstgebern zu lesen, die sich nicht an den Dritten Weg halten. Dies erfolgt zum Teil auf der Grundlage von Ausnahmenregelungen in den Satzungen der diakonischen Werke, zum anderen Teil durch faktisches Handeln der Dienstgeber, das die Mitgliedschaftsverpflichtungen der Einrichtung verletzt.

Hier müssen zunächst die Ausnahmebestimmungen in den Satzungen gründlich geprüft werden. Die heterogen geregelten Verpflichtungen diakonischer Einrichtungen, kirchliches Arbeitsrecht anzuwenden, bedürfen dringend der Harmonisierung. Diakonische Unternehmen, die über privatrechtliche Konstruktionen dauerhaft auf den Ersten Weg ausweichen wollen, müssen mit ihrem Ausschluss aus dem Diakonischen Werk rechnen. Missstände wie "Lohndumping" durch "Outsourcing", dauerhaft ersetzende Leiharbeit oder Niedriglöhne unterhalb der kirchlichen Arbeitsrechtsregelungen müssen zu ernsthaften Konsequenzen führen.

Daher sind klare Regelungen und konsquentes Vorgehen für die Fälle erforderlich, in denen Dienstgeber ihre Verpflichtungen verletzen, kirchliches Arbeitsrecht anzuwenden. Hierfür müssen klare Verfahren verbindlich definiert werden. Dazu gehört u.a.:

  • Beratung und Begleitung,
  • Ermahnung,
  • Abmahnung.

Auch der Verbandsausschluss und damit der Ausschluss aus der Diakonie kann als ultima ratio erforderlich sein.

Es ist bedauerlich, wenn Einrichtungen die Gemeinschaft der Diakonie verlassen müssen. Zu den Qualitätskriterien diakonischer Einrichtungen gehört aber, dass das in der kirchlichen Sozialpartnerschaft des Dritten Weges gefundene Arbeitsrecht zur Geltung gelangt. Ist dies aus wirtschaftlichen Gründen - etwa in Notlagesituationen - nicht möglich, ist es die Aufgabe der Arbeitsrechtlichen Kommissionen, hierfür angemessene Lösungen zu finden, wie dies in der Vergangenheit in vielen Fällen auch gelungen ist.

VI. Bessere Arbeitsbedingungen durch Tarifverträge?

Wenn auch in Einzelfällen bislang diakonische Dienstgeber das kirchliche Arbeitsrecht unterschreiten oder nicht anwenden, ist in der Gesamtschau dennoch festzustellen, dass der Dritte Weg einen sehr hohen Grad an Tarifbindung generiert. Nach verlässlichen Experteneinschätzungen beträgt die Anzahl der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die treu nach den Kirchlichen Tarifen bezahlen, über 80 Prozent. Ich will damit den Anteil der Fälle, in denen dies nicht geschieht, in keiner Weise klein reden, aber doch aufzeigen, dass die Tarifbindung in beiden Kirchen neben der des öffentlichen Dienstes mit die höchste in der deutschen Erwerbswirtschaft ist. Darauf können wir und darauf können Sie stolz sein.

Immer wieder werde ich mit der Aussage konfrontiert, dass die kirchlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter durch tarifvertragliche Beziehungen per se bessere Arbeitsbedingungen und höhere Gehälter erhielten. Eine Analyse der Tarifverträge im Sozial- und Gesundheitswesen widerlegt diese These eindeutig. Die auf dem Dritten Weg gefundenen Tarife brauchen den Vergleich mit den tarifvertraglich vereinbarten Arbeitsbedingungen für das Sozial- und Gesundheitswesen nicht zu scheuen. Dies hat in der vergangenen Woche auch der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, Erzbischof Dr. Robert Zollitsch, in einer Pressemitteilung bekräftigt (PM der DBK vom 28.2.2012). Im vergangenen Jahr haben sich die Interessenvertretungen der Mitarbeiterschaft in der katholischen Kirche und ihrer Caritas geschlossen für den Dritten Weg positioniert und Verbesserungen an diesem System gefordert. Ein wesentliches Motiv dafür dürften die von mir formulierten Einschätzungen der Alternativen sein.

Ich habe die deutliche Besorgnis, dass das bestehende hohe Maß der Bindung an die kirchlichen Arbeitsrechtsregelungen durch die Einführung tarifvertraglicher Beziehungen erheblich reduziert würde. Weiterhin würde die bereits konstatierte Rechtzersplitterung erheblich gefördert, da keine Einrichtung gezwungen werden könnte, sich einen bestimmten kirchlichen Arbeitgeberverband anzuschließen. Größere Träger würden - wie das die Situation im übrigen Sozial- und Gesundheitswesen zeigt - Haustarifverträge abschließen. Diese gegenüber dem Status Quo noch viel größere Tarifvielfalt, dürfte kaum zu Gunsten der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ausfallen.

Das höchste Maß von Bindung an Arbeitsrechtsregelungen erzeugte eine Allgemeinverbindlichkeit im Sinne des Tarifvertragsgesetzes. Damit gelänge es, die Entgelte und weiteren Arbeitsbedingungen in einem Zweig der Erwerbswirtschaft identisch zu regeln. Wettbewerb stünde dann unter den gleichen Lohnkonditionen und würde nicht zu Lasten der Beschäftigten ausgetragen. Wir sind bereit, über eine Lösung zu diskutieren, die Allgemeinverbindlichkeit unter Wahrung der verfassungsrechtlichen Position der Kirchen herstellt. Hierfür wäre die rechtliche Gleichstellung des Dritten Weges mit Tarifverträgen in Bezug auf Allgemeinverbindlichkeit erforderlich.

VII. Streit um Streik

Einer der wesentlichen Konfliktpunkte in der Auseinandersetzung um den Dritten Weg ist die Forderung nach einer Möglichkeit des Streiks kirchlicher Mitarbeitender und die Behauptung, dabei handele es sich um ein nicht zu verweigerndes Grundrecht aller Arbeitnehmenden.

Nach dem Modell des Dritten Weges sind Arbeitskämpfe obsolet, da zur Konfliktlösung eine neutrale und verbindliche Schlichtung zur Verfügung steht. Dieses Modell funktioniert. In der Vergangenheit hatte die Frage, ob im kirchlichen Dienst Streik zulässig ist, eine nur abstrakte Bedeutung. Das hat sich geändert. Warnstreiks und Streiks haben diakonische Einrichtungen, diakonische Werke und einige Landeskirchen im Jahr 2010 dazu gebracht, diese Frage gerichtlich prüfen zu lassen. Mit entsprechenden Entscheidungen des Bundesarbeitsgerichtes wird im zweiten oder dritten Quartal dieses Jahres gerechnet. Ob der "Streit um Streik" dann beigelegt ist, muss sich zeigen, da mit einiger Wahrscheinlichkeit von der unterlegenen Seite das Bundesverfassungsgericht angerufen werden wird.

Im vergangenen Jahr wurde leidenschaftlich über den sperrigen Begriff "Arbeitsrechtsregelungsgrundsätzegesetz" diskutiert, das von der Synode der Evangelischen Kirche in Deutschland einhellig beschlossen wurde. Darin sind die Prinzipien des Dritten Weges in zeitgemäßer Form geregelt. Weiterhin ist vorgesehen, dass Streik in einem funktionierenden Dritten Weg aufgrund der verbindlichen Schlichtung sachlich nicht erforderlich ist und für diesen Fall ausgeschlossen ist. Es bleibt abzuwarten wie die Bewertung durch das Bundesarbeitsgericht und/oder das Bundesverfassungsgericht ausfallen wird.

VIII. Stärkung der Mitbestimmung

Die Synode hat in ihrer Kundgebung beschlossen: "Die Mitarbeitervertretungen in Kirche und Diakonie müssen in ihren Beteiligungsmöglichkeiten bestärkt werden und brauchen eine bundesweit durchgehend legitimierte Struktur".

Dem schließt sich der Rat der EKD an. Die Interessenvertretung der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter soll EKD-weit von den Mitarbeitervertretungen vor Ort über die Gesamtausschüsse und Arbeitsgemeinschaften bis zu den Bundeskonferenzen möglich sein, die mit eigenen Rechten ausgestattet werden sollten.

Auch an anderen Stellen ist die Prüfung erforderlich, ob die Beteiligungsrechte im Hinblick auf veränderte Rahmen- und Strukturbedingungen nicht konkretisiert oder erweitert werden sollten.

Wie oben dargelegt, müssen sich viele diakonische Einrichtungen im Wettbewerb bewähren. Ihnen wird erheblich mehr Flexibilität abverlangt als in den vorangegangenen Jahren. Dies hat entsprechende Konsequenzen für die Mitarbeiterschaft. Hier ist es meines Erachtens an der Zeit, über eine kirchengemäße Unternehmensmitbestimmung in diakonischen Einrichtungen nachzudenken.

Lassen Sie mich einen weiteren Punkt benennen: Sofern die Gestaltung von Entgelten über den Einzelfall hinaus in der individuellen Einrichtung erfolgen sollte, legen das Leitbild der Dienstgemeinschaft sowie das Prinzip des Dritten Weges nahe, für derartige Fälle ein Mitbestimmungsrecht der Mitarbeitervertretung vorzusehen.

Über diesen Rahmen hinaus, ist es Aufgabe der benannten paritätischen Arbeitsgruppe, auch andere Vorschläge zu entwickeln.

IX. Zehn Thesen als Zusammenfassung

  1. Das Leitbild der Dienstgemeinschaft ist wesentlich für die Gestaltung der Arbeitsbedingungen in Kirche, Caritas und Diakonie. Dieses Leitbild der Dienstgemeinschaft erfordert, dass die Arbeitsbedingungen der kirchlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter fair, angemessen und transparent sein müssen.
  2. Die Arbeitsbedingungen müssen in einem Verfahren geregelt werden, dass dem Leitbild der Dienstgemeinschaft in ausreichendem Maße gerecht wird. Hierfür sind die Kriterien Partnerschaft, Parität und Gleichberechtigung in der Sozialpartnerschaft unverzichtbar.
  3. Der Dritte Weg ist auch für die Zukunft das angemessene Verfahren. Der Dritte Weg bedarf aber an einigen Stellen der Reparatur zugunsten der Interessenvertretungen der Mitarbeiterschaft, an anderen Stellen der Korrektur und der Stärkung.
  4. Selbstverständlich gilt auch im kirchlichen Dienst das Grundrecht der Koalitionsfreiheit. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sind frei, dies in Anspruch zu nehmen und sich durch Mitarbeiterorganisationen an der Gestaltung der Arbeitsbedingungen zu beteiligen. So können Koalitionsfreiheit und kirchliches Selbstbestimmungsrecht sinnvoll in Einklang gebracht werden. Jede Form von Repression wegen der Wahrnehmung dieses Rechts ist unzulässig und hat zu unterbleiben.
  5. Je zersplitterter das kirchliche Arbeitsrecht wird, desto fragwürdiger wird es. Je einheitlicher und konzentrierter das Recht gestaltet ist, desto überzeugender wirkt es. Daher sollte eine möglichst einheitliche und verbindliche Gestaltung des kirchlichen Arbeitsrechts unser gemeinsames Ziel sein.
  6. In kirchlichen Einrichtungen muss kirchliches Recht zur Geltung kommen, somit auch kirchliches Arbeitsrecht. Eine staatlich auferlegte Definition kirchlichen Selbstverständnisses greift in ureigene Belange der Kirchen ein. Die Gestaltung der Arbeitsbedingungen darf aber auch nicht zur Disposition der Dienstgeber stehen.
  7. Verletzen Dienstgeber diese Regel, müssen sie in einem geordneten und verbindlichen Verfahren auf den Dritten Weg zurückgeführt werden. Gelingt dies nicht, entziehen sie sich der kirchlichen Rechtsordnung und müssen in Konsequenz ihres Handelns durch Ausscheiden aus der Diakonie den kirchlichen Rechtskreis verlassen.
  8. Dass durch Tarifverträge per se günstigere Arbeitsbedingungen für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter entstehen, ist widerlegbar. Die Einführung tarifvertraglicher Beziehungen würde im Gegenteil zu einer deutlich erhöhten Rechtszersplitterung in der Diakonie führen.
  9. Nicht nur die Veränderungen der Rahmen- und Strukturbedingungen auf dem Sozial- und Gesundheitsmarkt sind Anlass, Veränderungen am Dritten Weg vorzunehmen. Auch die Rechte der Mitarbeitervertretungen sollten den veränderten Bedingungen im Sinne einer Stärkung der Beteiligungsrechte angepasst werden.
  10. Alle Beschäftigten im Sozial- und Gesundheitswesen erbringen einen wichtigen Beitrag zum Gemeinwohl und sichern das Sozialniveau unserer Gesellschaft. Alle Bürgerinnen und Bürger sollten für angemessene Entgelte der Beschäftigten in diesem Sektor eintreten. Dies gilt in besonderem Maß für die Kirche, die Parteien und die Gewerkschaften. Es gehört zum Kern kirchlicher Aufgaben, sich in dieser Frage verbindlich und deutlich zu artikulieren. Dazu leistet auch diese Tagung einen Beitrag.

Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!