Tischrede zur Eröffnung des Studienzentrums der EKD für Genderfragen in Kirche und Theologie in Hannover

Prof. Dr. Claudia Janssen

 „Die Bibel als Schatz neu entdecken“ –

so könnte die Überschrift über meinen Arbeitsschwerpunkt im Studienzentrum für Genderfragen lauten. „Neu“ ist natürlich relativ, denn seit über 40 Jahren gibt es biblische Frauenforschung, feministische Exegese und aktuell entwickeln sich theologische Geschlechterstudien und kritische Männerforschung, die masculinity-Studies. Motor für diese verschiedenen Bewegungen war und ist die Bibelexegese. Damit stehen sie in der reformatorischen Tradition, die durch die Bibelübersetzung Martin Luthers ins Deutsche ihre Wirkungskraft entscheidend entfalten konnte.

Das Studienzentrum für Genderfragen will an diese Tradition anknüpfen und Menschen unterstützen, theologisch sprachfähig zu werden. Geschlechterbewusste Bibelauslegung ist immer kontextuell. Sie speist sich aus vielfältigen Dialogen: zwischen allen Geschlechtern, den Generationen, Dialogen zwischen Wissenschaft und Praxis, zwischen Gesellschaft, Politik und Theologie und Dialogen zwischen den Religionen; sie lebt vom Austausch weltweit.

Das Studienzentrum soll ein Forum für diese Dialoge sein und Expertisen zur Verfügung stellen. In den aktuellen Diskussionen über Familie, Lebensformen und soziale Verantwortung wird immer wieder deutlich nach dem biblischen Befund zu diesen Themen gefragt – auch in den öffentlichen nichtkirchlichen Medien. Wer fundierte Auskünfte über geschlechterbewusste Bibelauslegung, Predigten und Stellungnahmen zu aktuellen Themen aus biblischer Perspektive sucht, soll dazu hier finden können. Die Bibel ist unser Schatz – sie mit einer geschlechterbewussten Perspektive zu lesen, zeigt kostbare Seiten, die bisher unentdeckt blieben.

Meine Vision

für unser Studienzentrum ist, dass es ein Ort des Dialogs auf vielen Ebenen wird. Gender ist ein Begriff, der Räume öffnen kann. Ich persönlich nähere mich den Fragen des Geschlechterverhältnisses aus feministischer Perspektive und will aus den Dialogen lernen: nicht nur zwischen Männern und Frauen, sondern zwischen allen Geschlechtern, zwischen Menschen, die hetero-, bisexuell, lesbisch, schwul, transgender, intersexuell, queer sind. Der Begriff Gender öffnet sich für den ganzen Reichtum an Forschungsdiskursen, an die wir anknüpfen können: Feministische Theologien, Rassismus-Diskurse, insbesondere den Christlich-jüdischen Dialog, queer-Theologien, Postkoloniale Diskurse…

Gender ist ein offener Begriff, der mit Leben gefüllt werden muss. Ich will dafür arbeiten, dass eine neue Kultur der Wertschätzung in unsere Kirche, in unser theologisches Denken einziehen kann, eine Kultur, die Unterschiede hoch achtet und gleichzeitig darauf schaut, was uns verbindet. Das ist für mich nicht nur eine wissenschaftliche oder praktische Tätigkeit, sondern auch in einem spirituellen Sinn Gottes-Dienst – Gottesdienst im Alltag der Welt, wie ihn Paulus im Brief an die Gemeinde in Rom beschreibt:

Ich ermutige euch, Geschwister: Verlasst euch auf Gottes Mitgefühl und bringt eure Körper als lebendige und heilige Gabe dar, an der Gott Freude hat. Das ist euer vernunftgemäßer Gottes-Dienst. Schwimmt nicht mit dem Strom, sondern macht euch von den Strukturen dieser Zeit frei, indem ihr euer Denken erneuert. So wird euch deutlich, was Gott will: das Gute, das, was Gott Freude macht, das Vollkommene (Röm 12,1-2).