Tischrede zur Eröffnung des Studienzentrums der EKD für Genderfragen in Kirche und Theologie

Nikolaus Schneider

Meine sehr geehrten Damen und Herren, liebe Schwestern und Brüder,

schön, dass wir die Errichtung des neuen Studienzentrums „ma(h)l anders“ – also mit Nahrung für Geist und Körper in der Verbindung von Tischreden und einem festlichen Essen – begehen und feiern können. Mit dem heutigen Tag kommt der Prozess der Neustrukturierung des ehemaligen „Frauenstudien- und –bildungszentrums“ (FSBZ) der EKD zu seinem Abschluss. Dieses Zentrum entsprang der Vision von einer kirchlichen Gemeinschaft aus Frauen und Männern, in der jede und jeder unabhängig vom Geschlecht individuelle Charismen gleichberechtigt einbringen und entfalten kann. Vor zwanzig Jahren ging es vordringlich darum, gegenwärtige Benachteiligungen von Frauen in unserer Kirche zu identifizieren und abzubauen. Die jahrhundertelange Abwertung und Marginalisierung von Frauen in Theologie und Kirche wurde dabei sichtbar gemacht – auch die Verfolgung und Ermordung von Frauen als „Hexen“.

Mittlerweile stellt uns die Vision von einer geschlechtergerechten Kirche vor neue Aufgaben und Herausforderungen: Wir haben erkannt, dass nicht nur Frauen unter Rollenfixierungen und Rollenklischees leiden. Auch Männer unterdrücken manche ihrer individuellen Charismen, um tradierten „Männlichkeitsbildern“ gerecht zu werden. Die historisch notwendige Frauenperspektive der feministischen Bewegung wird deshalb innerhalb und außerhalb unserer Kirche zunehmend von einer Gender-Perspektive abgelöst.

Diese Gender-Perspektive aber, die wir als eine Chance zu mehr Gleichberechtigung erkannt haben, wird von manchen Menschen als Irrweg und Bedrohung wahrgenommen. Mit einem „Aufschrei gegen den Gleichheitswahn“ kritisiert die Kolumnistin Birgit Kelle mit vorurteilsvollen Argumentationsketten das angeblich ideologische Gender-Anliegen. So schreibt sie:„Wenn die Ideologie nicht zum Volk passt, gibt es nur zwei Alternativen: Entweder man verändert die Ideologie oder das Volk. Gender-Mainstreaming hat sich der zweiten Variante verschrieben. … Man findet Gender-Mainstreaming auf der Homepage unseres Familienministeriums, in unserer Gesetzgebung, in den Dokumenten der EU, …, ja, sogar die Kirchen und ihre Gremien wurden erobert.“ (Birgit Kelle, Dann mach doch die Bluse zu, Ein Aufschrei gegen den Gleichheitswahn, S.84, Aßlar 2013)

Für Frau Kelle geht es bei Gender angeblich nicht um Geschlechtergerechtigkeit, sondern um eine Neutralisierung des biologischen Geschlechts. Solche polemische Kritik und die Zustimmung zu ihr lassen darauf schließen, dass mit „Gender“ Gefühle und Ängste bei Menschen angesprochen werden, weil es immer um die eigene Identität geht.

Es wird nicht nur um überzeugende wissenschaftliche Arbeit im Zentrum gehen, sondern um genau so überzeugende Vermittlung der Forschungsergebnisse. Bei ihrer Veröffentlichung müssen Ängste und Vorurteile mit berücksichtigt werden, um die „Gutwilligen unter den Verächtern“ zu gewinnen. Und auch das wird nicht leicht sein.

Ich weiß, wovon ich spreche: Es ist mir in den letzten 40 Jahren nicht immer leicht gefallen, Einsichten und Forderungen der Frauenbewegung und der feministischen Theologie zu respektieren oder zu akzeptieren. Eine Gleichstellung der Frauen in Kirche und Gesellschaft war und ist schließlich nicht zu verwirklichen, ohne dass wir Männer auf tradierte männliche Privilegien verzichten.

Ich habe in diesen „frauen-bewegten“ Jahren gelernt, dass es mir und auch unserer Kirche gut tut, tradierte geschlechtsbezogene Rollenzuschreibungen in Frage stellen zu lassen. Aber ich habe auch gelernt und erfahren, dass tradierte Rollenbilder für Männer und Frauen nicht nur Gefängnisse, sondern auch Identität-stiftende Halteseile sein können.
Deshalb, auch wenn ich Frau Kelles „Aufschrei“ gegen einen vermeintlichen „Genderwahn“ zu einem großen Teil nur als eine populistische Anbiederei an veränderungsunwillige konservative Kreise zu lesen vermag: Wir müssen gemeinsam darauf achten, dass neue Einsichten, Erkenntnisse und Forderungen im Blick auf Frau-Sein und Mann-Sein und auf Geschlechtergerechtigkeit nicht zu neuen Klischees und Fixierungen führen.

Die sozialwissenschaftliche wie die theologische Genderforschung interessieren sich für die interaktive Dynamik zwischen den Geschlechtern. Dabei unterscheiden sie zwischen den körperlichen Unterschieden und den kulturell gewachsenen sozialen Normierungen von Geschlechtsrollen. Wie nötig diese Forschung ist, wird deutlich, wenn wir zu bestimmen versuchen, was – jenseits der körperlichen Unterschiede – eine Frau im Unterschied zu einem Mann ausmacht. Dann merken wir nämlich schnell, dass unsere Beschreibungen nicht ohne Rollenzuschreibungen auskommen. Und gleichzeitig müssen wir diesen Zuschreibungen gegenüber kritische Distanz wahren. Damit sie keine Entwicklungen verhindern, die uns allen gut tun.

 Das neue "Studienzentrum für Genderfragen in Kirche und Theologie" soll die Integration von Genderperspektiven in kirchliches Handeln unterstützen und sie für die Entwicklung unserer Kirche fruchtbar machen:„Ziel ist es, zur Gestaltung einer Kirche beizutragen, in der die Vielfalt menschlicher Begabungen auf allen Ebenen unabhängig von Geschlechtsrollen und Geschlechtsidentitäten zum Tragen kommt“, so schreibt es unsere Ordnung in formaler Sprache fest. „Hier ist nicht Jude noch Grieche, hier ist nicht Sklave noch Freier, hier ist nicht Mann noch Frau; denn ihr seid allesamt einer in Christus Jesus.“ (Galater 3, 28) – so sagt es Paulus im Galaterbrief. Diese biblische Zusage nährt unsere Vision von einer kirchlichen Gemeinschaft aus Frauen und Männern, in der jede und jeder sich gleichberechtigt einbringen und entfalten kann.

Vieles ist in unserer Kirche schon geschehen: Verkrustungen einer jahrtausendealten Männertheologie und Männerkirche wurden – Gott sei Dank! – in den letzten 40 Jahren von Frauen schon aufgebrochen.

Die biblische Vision von einer geschlechtergerechten Einheit in Christus weiter mit konkretem Leben zu füllen, bleibt aber eine herausragende Aufgabe unserer Kirche. Das Studienzentrum für Genderfragen wird dabei eine wesentliche Rolle spielen.

Liebe Frau Jansen, liebe Frau Mantei, Sie werden Erkenntnisse und Konzepte aus genderorientierter Theologie und Sozialwissenschaft in unsere Kirche einbringen. Bleiben Sie dabei mutig und anstößig!

Gottes Segen wünsche ich Ihnen und uns allen vielfältige Früchte aus dieser Arbeit.