Predigt im ZDF-Gottesdienst zum Totensonntag aus der Stadtkirche St. Peter und Paul in Weimar

Superintendent Henrich Herbst

Gnade sei mit euch und Friede von Gott unserem Vater und dem Herrn Jesus Christus.
Amen

Liebe Gemeinde,

Es war vor vier Jahren als wir zum ersten Mal an das frische Grab unseres Freundes getreten sind. Wir haben geschwiegen. Wir waren zu dritt. Ich war froh, dass ich nicht allein war. Jeder suchte sich eine Aufgabe. Einer zupfte etwas Unkraut. Eine sorgte dafür, dass unser Blumenstrauß an der richtigen Stelle lag. Ich sagte: „Das hätte ihm gefallen. Das wir zusammen hier sind.“ Und dann begannen wir zu erzählen, über unsere gemeinsame Zeit, wie es war.

Heute erinnern wir uns an Menschen, die uns auf unserem Weg vorausgegangen sind. Das ist oft schwer. Deswegen tun wir es gemeinsam. Die Bibel sagt: Keiner ist allein unterwegs. Gott ist mit auf dem Weg. Wie ein Hirte. Der Herr ist mein Hirte. Ich sehe: Der Weg öffnet sich. Es geht leicht. Mir wird nichts mangeln. Er weidet mich auf einer grünen Aue und führet mich zum frischen Wasser. Vieles ist gelungen. Meine Erinnerung verbindet sich mit meinem Dank für gute gemeinsame Zeit.

Manchmal ging die Kraft aus. Da waren Durststrecken. Aber dann war es ein gutes Gefühl: Es war neue Kraft da – für Leib und Seele, für – Körper und Geist. Stärkung.

Da waren Zweifel. Bin ich auf rechter Straße, auf dem richtigen Weg? Brauche ich eine Kurskorrektur oder gar einen Richtungswechsel? Der Weg wurde auch eng, zu eng und finster, zu finster. Das hat viele Gesichter. Einer sagt: „Meine Mutter ist schon lange für mich gestorben“. Einer sagt: „Ich bin krank, unheilbar krank. Ich werde sterben. Lasst mich nicht allein.“ Angst kann sein wie ein Dickicht in dem man stecken bleibt. Eine sagt: „Im vergangenen Jahr ist mein Mann verstorben.“ Und sie fragt sich: Wie komme ich da durch? Eng und ganz finster fühlt es sich an, wenn wir an den schrecklichen Terror denken, dem so viele Unschuldige zum Opfer gefallen sind. In Paris, in Beirut, in Bamako.

Oft gelangen wir an die Grenzen des Helfens, aber wir brauchen Hilfe an der Grenze.
Und wir können einander beistehen. „Wir sind eins!“ hieß es nach den Anschlägen von Paris.

Damit wir unseren Blick weit machen – Und ob ich schon wanderte im finsteren Tal. Fürchte ich kein Unglück, denn du bist bei mir dein Stecke und Stab trösten mich.

Dass das möglich ist, haben wir eben gehört: ob im Krankenhaus, im Hospiz. – Wie auf unserem Bild. Es wurde für ein totes Kind des Weimarer Herzogpaares gemacht. Ein Engel und ein Kind unterwegs. Scheinbar – wie an einer Grenze nimmt der Engel ein kleines Kind bei der Hand. Er legt ihm seinen Mantel um. Mantel heißt in der latainischen Sprache „pallium“. Nun sind beide geschützt. Keiner ist allein. Ob es den Eltern geholfen hat? Ob Luise und Carl August – die Eltern – beides gespürt haben: die große Traurigkeit und eine tiefe Geborgenheit?

Unser Bild zeigt: Einer hält die Hand, die ich loslassen muss. Einer hat einen schützenden Mantel, wenn ich nicht mehr kann. Einer legt den schützenden Mantel um, das pallium. Wenn es wenig Chance auf Heilung gibt, muss es doch eine große Bereitschaft zur Hilfe geben. Es ist wichtig, dass der Bundestag gerade mehr Geld für Palliativmedizin zur Verfügung stellte. Palliativmedizin kann an der Grenze helfen. „Palliativ“ da steckt wieder das Wort „pallium“ – Mantel drinnen. Genau übersetzt könnte man sagen Schutzmantelmedizin Medizin an der Grenze. Menschen an der Grenze brauchen Schutz und Unterstützung. Hier sieht es aus als führt der Engel das Kind geborgen über die Grenze auf eine andere Seite.

Über die Zeiten hinweg erklingen die Worte aus dem Johannesevangelium: „Christus spricht: Ich gehe hin, unter die Himmel, und sorge dafür, dass ihr eine Heimat habt, dort, ein Zuhause.“ Heute am Totensonntag reden wir über menschliches Sterben, über Abschied und Tod. Aber heute werden wir nicht nur zurückschauen auf den Weg. Wir weiten den Blick nach vorn Ewigkeitssonntag.

Also lesen wir weiter in unserem Psalm und schreiten über die Grenze in ein neues Land ein Heimatland. Du bereitest vor mir einen Tisch im Angesicht meiner Feinde. Du salbst meine trockene Haut mit Öl und wenn ich durstig bin schenkst du mir voll ein. Komm „Wir setzen uns an den Tisch der Sehnsucht der nie leer wird“. Sagt einer. Die Angst schwindet.

Rilke schreibt: „Wenn etwas uns fortgenommen wird, womit wir tief und wunderbar zusammenhängen, so ist viel von uns selber mit fortgenommen. Gott aber will, dass wir uns wieder finden, reicher um alles Verlorene und vermehrt um jeden unendlichen Schmerz.“ Gott will, dass wir uns wieder finden. Wo? Wo ist diese andere Heimat dieses Zuhause?

Eine sagt: „Ich komme auch heute, nach fast zwei Jahren gern ins Hospiz. Es gehört nun zu unserem Leben, wie zum Beispiel der Kindergarten oder die Schule der Kinder. Die Zeit mit dem Hospiz hat mir persönlich die Angst vor dem Sterben genommen.“ Eine sagt: „Es muss kein Haus sein. Es gibt ein Hospiz im Herzen, nicht in Mauern! Gesucht und gebraucht wird eine Haltung, die die sterbenden Menschen und ihre Angehörigen gleichermaßen anspricht. Ihnen Raum, Selbstverständlichkeit und Schutz anbietet.“ Und dann berichtet die Pastorin: „Ich konnte sie wenige Stunden vor ihrem Tod ein letztes Mal im Krankenhaus besuchen. Es war der Ostermorgen. So las ich ihr das Osterevangelium vor. Zum Schluss heißt es da: „Fürchtet euch nicht.“

Gott aber will, dass wir uns wieder finden, reicher um alles Verlorene und vermehrt um jeden unendlichen Schmerz.“ Wiederfinden. Unser Psalm spricht davon, dass Gutes und Barmherzigkeit doch kein Ende haben und wir bleiben können im Hause des Herrn. Jesus sagt: Ich sorge dafür, dass ihr eine Heimat habt, dort, ein Zuhause. Ich denke gern an meinen Freund. Ich vermisse ihn auch. Ich denke an gemeinsame Zeit. Sie war zu kurz. Stimmt das: Gott aber will, dass wir uns wieder finden. Jesus sagt: Ich sorge dafür, dass ihr eine Heimat habt, dort, ein Zuhause.
Amen.

Und der Friede Gottes, der höher ist als all unsere Vernunft bewahre
Eure Herzen und Sinne in Christus Jesus unserem Herrn.