Predigt zum Abschlussgottesdienst in St. Johannis Würzburg (Johannes 15, 1-8)

Landesbischof Ulrich Fischer

Es gilt das gesprochene Wort.

Gnade sei mit uns und Friede von Gott, unserem Vater, und dem Herrn Jesus Christus. Amen.

Liebe Gemeinde hier in St. Johannis und daheim!

„Jedem Anfang wohnt ein Zauber inne.“ Das wusste nicht nur der Dichter Hermann Hesse, das spüren wir alle in diesen Tagen. Die Natur ist aus ihrer Winterstarre zu neuem Leben erwacht. Nicht nur Winzerinnen und Hobbygärtner sind erfasst vom Zauber des Anfangs nach rauen Wintermonaten.
„Jedem Anfang wohnt ein Zauber inne.“ Das wissen alle frisch verliebten Paare und solche, die vor den Traualtar treten. Den Zauber des Anfangs kennen alle, die sich über die Geburt eines Kindes freuen oder selbst einen neuen Lebensabschnitt beginnen. „Jedem Anfang wohnt ein Zauber inne.“ Das erfahren auch all jene, die sich hier in Würzburg zur konstituierenden Tagung der EKD-Synode zusammengefunden haben.

Mit der Integration der Generalsynode der Vereinigten Evangelisch-Lutherischen Kirche und der Vollkonferenz der Union Evangelischer Kirchen in der EKD-Synode wurde ein Neuanfang synodaler Arbeit gewagt; plötzlich tagen wir alle, die wir jahrzehntelang kaum etwas voneinander wussten, zusammen an einem Ort, zur selben Zeit. Wie zauberhaft! Aber jedem Anfang wohnt eben nicht nur ein Zauber inne. In jedem Anfang stecken auch die Wehmut des Abschieds von Gewohntem und die Unsicherheit im Blick auf Kommendes. Was hilft uns, Anfänge wirklich als zauberhaft zu erleben, ohne an Überkommenem krampfhaft festzuhalten? Was hilft uns, in Umbrüchen des Lebens die nötige Neugier zu gewinnen, ohne Bewährtes aufzugeben?

Wir haben dazu  nun die Worte Jesu aus dem 15. Kapitel des Johannesevangeliums im Ohr: Ich bin der Weinstock, ihr seid die Reben. Wer in mir bleibt und ich in ihm, der bringt viele Frucht, denn ohne mich könnt ihr nichts tun. Vorhin haben wir von der Arbeit einer Winzerin gehört: Wichtig für einen guten Wein ist vor allem der knorrige Weinstock, welcher die Reben trägt. Jedes Jahr wieder fasziniert es mich, wie aus Weinstöcken, die im Frühjahr scheinbar vertrocknet dastehen, neue Zweige hervor wachsen. Zauberhaft, wie Weinstöcke im Sommer treiben, ehe dann im Herbst die Trauben geerntet werden. Jahr für Jahr kann ich dieses Wunder nicht nur im Frankenland bestaunen, sondern auch in meiner badischen Heimat, die bekanntlich von der Sonne verwöhnt ist. Jahr für Jahr wird mir klar, wie sehr die Reben auf die Lebenskraft aus dem Weinstock angewiesen sind.

„Ich bin der Weinstock, ihr seid die Reben.“ Als Jesus diese Worte sprach, da hatte er diesen Zauber des Neuanfangs vor Augen: Aus dem Wurzelstock des Weinstocks erwächst Neues – aber eben nur, wenn den Reben aus dem Weinstock neue Lebenskräfte zuströmen. Abgeschnitten vom Weinstock verdorren die Reben in kurzer Zeit. Jesus nimmt von seinen Jüngern Abschied. Im Weggehen aus dem irdischen Leben sagt er mit seinem Bildwort vom Weinstock Grundlegendes zu denen, die ihm nachfolgen: Die bei ihm bleiben, schöpfen neue Lebenskräfte und bringen Frucht. Allen, die ihr Leben an seinen Worten und Taten ausrichten, ist schier Undenkbares möglich: „Wenn ihr in mir bleibt und meine Worte in euch bleiben, werdet ihr bitten, was ihr wollt, und es wird euch widerfahren.“

Jesus Christus ist Kraftquelle unseres Lebens. Bei ihm bleibend können wir Früchte des Lebens und des Glaubens ernten. Können wir in unserem Leben den Zauber des Neuanfangs wahrnehmen. Abgeschnitten von Jesus wird uns die Kraft fehlen, Neues zu wagen. Darum: Grund unseres Christseins ist das Bleiben bei Jesus. Dagegen verlieren wir unsere Kraft, wenn wir abgeschnitten sind von ihm. Warnung und Verheißung an uns ist sein Wort: „Ohne mich könnt ihr nichts tun“.

Bleiben bei Jesus, darauf also kommt es an - für uns persönlich und für unsere Kirche. Aber können wir mit solchem Bleiben die Zukunft der Kirche gestalten und Neues wagen? Können wir mit einem Bleiben Wichtiges beitragen angesichts der umstürzenden Wandlungsprozesse, die wir derzeit in unserer Gesellschaft erleben? Diese Frage ist nur zu berechtigt, wenn mit dem Bleiben eigene Unbeweglichkeit gemeint wäre. Aber dieses Bleiben bei Jesus ist nichts Statisches. Das hat etwas zu tun mit wachem Hören auf seine Worte. Wenn wir bei Jesus bleiben, dann begegnen wir in ihm einem Gott, der uns gerade dadurch, dass wir bei ihm bleiben, mit auf den Weg in die Zukunft nimmt. Denn der Gott, dem wir in Jesus Christus begegnen, ist ein Gott der Bewegung und des Neuanfangs. Ein Gott, der sich selbst treu bleibt, indem er Menschen durch alle Veränderungen des Lebens hindurch begleitet. So wie er sein Volk einst durch die Wüste begleitet und sich gerade in seinem Mitwandern als treuer, bleibender Gott erwiesen hat. Menschen, die beharrlich an diesem Gott bleiben, die können nicht anders, als mit Gott auf Neues zuzugehen. Können nicht anders, als mit Gott mutig aufzubrechen in die Zukunft. Je fester wir bei ihm bleiben, desto offener werden wir für Neues. Je fester wir wie Reben an ihm als unserem Weinstock verwachsen sind, desto bessere Trauben wachsen in unserem Leben. Je überzeugter wir singen „Bei dir, Jesu, will ich bleiben“ desto mehr können wir uns auf neue Glaubensfrüchte freuen.  Und umgekehrt: Wenn wir uns auf den Zauber neuer Anfänge einlassen, dann werden wir entdecken, dass gerade darin Gott bei uns bleibt.

Was heißt das konkret? In unserer Kirche sind große Veränderungen im Gange: Zu Beginn dieses Jahres haben sich in Mitteldeutschland zwei Landeskirchen zu einer neuen zusammengeschlossen, im März fiel die Entscheidung für die Bildung einer Nordkirche, die den gesamten deutschen Ostseeraum umfassen wird.
Im Reformprozess unter dem Leitmotiv „Kirche der Freiheit“ wachsen derzeit erste wunderbare Früchte wie Reben an einem Weinstock heran:  Die Gründung von Kompetenzzentren für die Qualitätsentwicklung im Bereich der Gottesdienst und Liturgiee, für missionarische Arbeit in den Regionen und für eine Verbesserung der Leitungskompetenz in der Kirche ist auf den Weg gebracht. Im Rahmen einer Dekade bereiten wir uns auf das große Reformationsjubiläum im Jahr 2017 vor und setzen - z.T. gemeinsam mit Schwestern und Brüdern aus anderen Kirchen und Konfessionen - Jahr für Jahr neue fruchtige Akzente. Die Synode der Evangelischen Kirche in Deutschland hat in diesen Tagen ein neues Präsidium gewählt und Veränderungsprozesse in ihrer Arbeit begonnen.

Schließlich werden wir im September in Kassel bei einer großen Zukunftswerkstatt weitere Früchte des Reformprozesses ernten.

All dies tun wir nicht aus Lust am Aktionismus, sondern weil wir wissen: Aus dem Bleiben an Jesus gewinnen wir Kraft zu einem vielfältigen Leben in unserer Kirche. Wie gut solche Vielfalt schmecken kann, das wissen nicht nur jene, die gern Wein trinken. Dass die Vielfalt kirchlichen Lebens aber noch viel mehr Menschen gut mundet, darauf wird es ankommen. Ziel aller kirchlichen Veränderungsprozesse muss es sein, dass immer mehr Menschen Bleibendes für ihr Leben entdecken. Sie sollen spüren, dass wir selbst in allen Veränderungen bemüht sind, ganz bei Jesus zu bleiben, unserem Weinstock, der unserem Glaubensleben Kraft schenkt.

Dies mag dann auch helfen, in den umwälzenden gesellschaftlichen Veränderungen zu bestehen, die uns derzeit bedrängen. Bisherige Sicherheiten haben sich als Scheinsicherheiten erwiesen. Viele Menschen fürchten angesichts trüber Konjunkturaussichten um ihren Arbeitsplatz. Die unaufhaltsame Globalisierung birgt Angst erregende Risiken, denen auch ich mich bisweilen machtlos ausgesetzt fühle. Und ich spüre immer wieder Angst in mir, weil ich nicht sicher weiß, wo ich selbst bleibe inmitten aller Veränderungen. Die sich abzeichnenden gesellschaftlichen Veränderungen mit all den zu wagenden Neuanfängen kann ich jedenfalls nicht als zauberhaft bezeichnen, eher machen sie mir Angst. Dabei weiß ich: Wer sich verändert, kann verlieren. Wer sich nicht verändern will, hat schon verloren. Dabei lerne ich zugleich vom Winzer, dass nicht jedes Beschnittenwerden auch zugleich Verlust bedeutet. Und ich frage mich: Lasse ich mich wirklich bedingungslos ein auf den Gott, der in Jesus Christus bei mir bleibt und mich in alle Zukunft begleitet? Lasse ich mich selbst verändern von dem Gott, der mit mir unterwegs ist?

Liebe Schwestern und Brüder,  Jesus Christus hat seinen Jüngern den Geist zugesagt, der sie allezeit trösten und schließlich in die Wahrheit führen wird. Auf diese Zusage könnt Ihr vertrauen. Ihr könnt Euch wirklich bedingungslos einlassen auf den Gott, der in Jesus Christus und mit seinem Heiligen Geist bei Euch bleibt und Euch in alle Zukunft begleitet. Ihr könnt darauf vertrauen, dass Ihr von Jesus Christus Kraftströme des Lebens empfangt. Von ihm werdet Ihr gestärkt wie Reben an einem Weinstock - durch sein Wort, mehr noch aber: an seinem Tisch, in Brot und Wein. Auch aus scheinbar verdorrten Zweigen wächst wieder neues Leben. So dürfte Ihr darauf vertrauen: Wer sich an Jesus Christus, an seinen Worten und Taten orientiert, erhält neue Lebenskraft. Und die Frucht des Weinstocks, in der sich Jesus an seinem Tisch selbst schenkt, schenkt Euch die Kraft, bei ihm zu bleiben und auf alle anstehenden Veränderungen mutig zuzugehen.

Amen.