Im Geist der Liebe mit dem Leben umgehen

3. Konkrete Probleme am Anfang und am Ende menschlichen Lebens

3.1 Lebensanfang

Die christlichen Kirchen haben sich stets für den besonderen Schutz eingesetzt, dessen das vorgeburtliche menschliche Leben bedarf. Mit den neuen biologischen und medizinischen Möglichkeiten ist eine enorme Ausweitung der Eingriffsmöglichkeiten in den Prozess der Entstehung menschlichen Lebens verbunden. Dies macht es notwendig, Schutzbereich und Schutzniveau heutigen Kenntnissen entsprechend zu präzisieren.

Aus christlicher Sicht kann die schöpferische Liebe Gottes, der alle Menschen sich verdanken, nicht beschränkt werden auf bestimmte Entwicklungsformen und Reifungsgrade des menschlichen Lebens [12], noch kann die Tatsache ignoriert werden, dass werdende Eltern (aber auch andere Angehörige wie Geschwister und Großeltern) oft schon vom ersten Anfang an eine intensive personale Beziehung zu dem sich entwickelnden Kind aufnehmen, was schon lange vor den ersten spürbaren Kindesbewegungen im Mutterleib z. B. durch Ultraschall-Aufnahmen auch sinnlich wahrnehmbare Formen annimmt.

Von daher besteht in der Kammer Einmütigkeit darüber, dass die Menschenwürde und der Lebensschutz, der dem Menschen fraglos zukommt, bis in die allerersten Anfänge des Menschseins reicht und einen ethischen Schutzanspruch begründet. Uneinigkeit besteht jedoch darüber, ob alle menschlichen Embryonen als Menschen zu verstehen sind und ihnen deshalb Würde und Lebensschutz in vollem Umfang zukommt.

Der gemeinsame Ausgangspunkt für alle Überlegungen zu dieser Problematik liegt in der Tatsache, dass in christlicher Sicht das menschliche Leben schutzwürdig ist als Leben eines einzelnen Menschen und als Teil der Menschheit. Damit wird die Frage wesentlich, ob man im Blick auf das vorgeburtliche Leben in seinen verschiedenen Phasen in diesem Sinne von einem Menschen sprechen kann. Das betrifft in besonderer Weise das embryonale Stadium an dessen Beginn.

Die entscheidende Frage ist, ob im Blick auf den menschlichen Embryo in jedem Fall unterstellt werden kann bzw. unterstellt werden muss, dass er Mensch ist. Aus der hier dargelegten Perspektive des christlichen Glaubens ist es am angemessensten, im Blick auf den Embryo von einem sich (zur Geburt hin) entwickelnden Menschen [13] bzw., für den Fall der Mehrlingsbildung, von sich entwickelnden Menschen zu sprechen. Diese Formulierung vermeidet eine Festlegung bezüglich des Zeitpunkts, von dem an von der individuellen Existenz eines Menschen auszugehen ist, und bezieht gleichwohl das gesamte embryonale Stadium in den Schutzbereich ein.

Von diesem gemeinsamen Ausgangspunkt her lassen sich unterschiedliche Schlussfolgerungen ziehen. Die Differenzen lassen sich auf dem Hintergrund der veränderten Wahrnehmung [14] vorgeburtlichen Lebens begreiflich machen, welche mit den heutigen Reproduktionstechniken eingetreten ist. Bevor es diese Techniken gab, trat die Existenz eines neuen, sich entwickelnden Menschen mit der Schwangerschaft ins Blickfeld, d. h. in einer Phase, in der die Bedingungen für eine Entwicklung bis zur Geburt in der Regel gegeben waren. Der Status des Embryos war hier gleichsam durch den natürlichen Prozess vorgegeben. Das verändert sich mit der Anwendung der Reproduktionstechniken. Mit diesen rücken die Bedingungen dafür, ob ein Embryo sich zu einem vollentwickelten Menschen ausbilden kann, in den Entscheidungsbereich von Menschen, die die dafür erforderlichen Voraussetzungen schaffen oder vorenthalten können.

In dieser Situation stehen sich zwei Auffassungen gegenüber. Die eine hält entschieden daran fest, dass der menschliche Embryo menschlicher Verfügung entzogen und allem Entscheiden und Handeln verbindlich vorgegeben ist. Ihr zufolge handelt es sich bei jedem Embryo um einen sich entwickelnden Menschen, unabhängig von dessen tatsächlichen Entwicklungsmöglichkeiten. Vom Zeitpunkt der Verschmelzung von Ei- und Samenzelle an ist demnach von der Entwicklung eines Menschen auszugehen. Diesem kommt, wie einem jeden Menschen, als einem Geschöpf der Liebe Gottes Gottebenbildlichkeit und Menschenwürde zu. Das entscheidende Argument für diese Auffassung ist, dass es in der Entwicklung von der Keimzellenverschmelzung bis zum Ende der irdischen Existenz eines Menschen keine andere Zäsur gibt, die sich mit guten Gründen als Beginn des Menschseins verstehen ließe. Die einzigen dafür theoretisch in Frage kommenden und auch gegenwärtig diskutierten Einschnitte in der menschlichen Entwicklung, die Geburt und die Einnistung in die Gebärmutter, bilden nicht den Beginn des Menschseins, sondern sind nur Einschnitte innerhalb der Entwicklung als Mensch. Im Blick auf die Geburt ist dies offensichtlich durch die in der Regel schon bestehende biologische Lebensfähigkeit des Fötus unabhängig von der Mutter. Im Blick auf die Nidation ergibt es sich daraus, dass zwischen Zeugung und Einnistung zwar die Entscheidung über die Anzahl sich entwickelnder menschlicher Individuen und über die Chancen des Überlebens und der Entwicklung fällt, nicht jedoch über das Menschsein. Aufgrund seiner Teilhabe an der Menschenwürde darf der mit der Keimzellenverschmelzung entstehende, sich entwickelnde Mensch nie zum bloßen Objekt gemacht werden, sondern muss immer auch Selbstzweck bleiben. D.h. auch: Er ist Güterabwägungen zugunsten fremdnütziger Ziele entzogen.

Die andere Auffassung betont demgegenüber die konstitutive Bedeutung der Entwicklungsmöglichkeiten. Nach dieser Auffassung kann von einem sich entwickelnden Menschen nur gesprochen werden, wenn die äußeren Umstände für eine Entwicklung gegeben sind. Das vorgeburtliche Menschsein ist hiernach nicht bereits mit der Existenz des Embryos gegeben, sondern es stellt einen Entwicklungsprozess dar, für den die Interaktion des Embryos mit einer entsprechenden Umgebung konstitutiv ist, die dafür vorhanden sein muss. Nach dieser Auffassung verbinden wir gleichsam vom vorweggenommenen Ende dieses Prozesses her mit dem Embryo die an diesem selbst nicht aufweisbare Person, die im Verlauf der Schwangerschaft und dann definitiv mit der Geburt in Erscheinung treten wird. Voraussetzung hierfür ist, dass dieses Ende erwartbar ist, wenn auch diese Erwartung durch ein vorzeitiges Lebensende enttäuscht werden kann. Bei der Mehrzahl der Embryonen, die verschwenderisch auf natürlichem oder gezielt auf künstlichem Wege entstehen, kann davon nicht die Rede sein, weil die äußeren Bedingungen für eine Entwicklung, insbesondere die Einnistung in die Gebärmutter einer Frau, nicht gegeben sind. Im Blick auf alle diese Embryonen kann aus faktisch-empirischen Gründen nicht von sich entwickelnden Menschen gesprochen werden.

Während also für die erste Auffassung der Status als sich entwickelnder Mensch mit dem inhärenten Entwicklungsprozess des Embryos gegeben ist, macht die zweite Auffassung diesen Status von den äußeren Entwicklungsmöglichkeiten abhängig. Während es im ersten Fall das Datum der Verschmelzung von Ei- und Samenzelle ist, von dem ab mit dem Gegenüber eines neuen, sich entwickelnden Menschen zu rechnen ist, ist es im zweiten Fall die von äußeren Bedingungen abhängige Entwicklung, die auf die Geburt dieses Menschen zuläuft und in deren Verlauf er in den gemeinsamen Lebenszusammenhang eintritt.

Beide Auffassungen haben ersichtlich ihre Probleme und fordern zu Rückfragen heraus. Im Blick auf die erste stellt sich die Frage, ob es wirklich plausibel ist, alle Embryonen, auch jene, bei denen es niemals zur Einnistung gekommen ist oder kommen wird, als sich entwickelnde Menschen mit Gottebenbildlichkeit und Menschenwürde zu betrachten. Sie muss sich weiterhin fragen lassen, ob sie bereit ist, die praktischen Konsequenzen zu ziehen, die sich aus dieser Sicht zu ergeben scheinen: Zurückhaltung gegenüber nidationshemmenden Verhütungsmethoden sowie gegenüber der In-vitro-Fertilisation wegen derer Folgeprobleme; Lebensschutz für Embryonen von der Befruchtung an.

Die zweite Auffassung muss sich fragen lassen, ob sie nicht ungewollt einer fast unbegrenzten Verfügbarmachung und Verdinglichung menschlichen Lebens für technologische Zwecke Vorschub leistet. Wenn die technischen Arrangements so getroffen sind, dass kein Mensch entstehen kann; wenn also der schützende Status eines sich entwickelnden Menschen gezielt ausgeschlossen wird: Was spricht dann gegen die Erzeugung von Embryonen in vitro für die medizinische Forschung? Kommt auch im Blick auf die Embryonen, aus denen keine voll entwickelten Menschen entstehen, die theologische Einsicht zur Geltung, dass der Mensch sein Sein als Person der vorbehaltlosen Anerkennung durch Gott verdankt? Besteht hier nicht die Gefahr, dass von menschlicher Entscheidung abhängig gemacht wird, welche Embryonen als sich entwickelnde Menschen anerkannt werden und welche nicht?

Die Kammer ist sich einig in der dargestellten Diagnose des Problems, aber sie hat sich nicht auf eine gemeinsame Position in dieser Frage verständigen können. Die unterschiedlichen Sichtweisen kommen daher auch in den folgenden Erörterungen medizinethischer Einzelfragen zum Tragen.

Um das Gemeinsame noch einmal zu unterstreichen: Dieses liegt in der Intention, die Würde und das Leben eines jeden Menschen zu achten und zu schützen. Die Differenzen beziehen sich auf die Frage, unter welchen Voraussetzungen im Blick auf den menschlichen Embryo von einem sich entwickelnden Menschen gesprochen werden kann. Aus der gemeinsamen Prämisse, dass jeder Mensch sein Sein als Person und seine darin liegende Würde der Anerkennung durch Gott verdankt, lässt sich offenbar nicht mit letztlich zwingenden und jedermann überzeugenden Gründen ableiten, ab wann und unter welchen Voraussetzungen im Blick auf den Lebensbeginn vom Leben eines Menschen gesprochen werden kann. Wohl aber besteht Einmütigkeit darüber, dass in der rückblickenden Betrachtung auf den Lebensanfang stets der personalen Würde des Menschen Rechnung zu tragen ist und dass alle Formen menschlichen Lebens, auch die frühesten, im Licht der schöpferischen Liebe Gottes wahrzunehmen sind. Schon der Umgang mit diesen Lebensformen erfordert daher den Geist der Liebe.

3.1.1 Vorgeburtliche Diagnostik

3.1.1.1 Pränataldiagnostik (PND)

Vorgeburtliches menschliches Leben ist zu einem für die Medizin diagnostizierbaren und teilweise therapierbaren Gut geworden. Die seit einigen Jahrzehnten im klinischen Alltag verankerte vorgeburtliche Diagnostik wendet verschiedene Techniken an (nicht-invasiv: Ultraschall; invasiv: Fruchtwasseruntersuchung, Chorionzottenbiopsie; zusätzlich Hormonuntersuchungen im Blut). Die invasive Diagnostik wurde anfangs nur Schwangeren im Alter von mehr als 35 Jahren oder bei speziellen Indikationen angeboten. Es ist jedoch derzeit zu beobachten, dass das Spektrum vorgeburtlicher Untersuchungstechniken immer breiter wird und fast allen Frauen angeboten wird. Bei entsprechenden Befunden fällt die Entscheidung auf Grund der individuellen Möglichkeiten und Bedürfnisse der Schwangeren.

Die Techniken selbst können zunehmend früher im Verlauf der Schwangerschaft angewendet werden und sie liefern schneller ein Ergebnis. Mit diesen Möglichkeiten wird es für Schwangere und werdende Eltern immer schwerer, selbstbestimmt über die Inanspruchnahme der PND zu entscheiden oder auf dem Recht auf Nicht-Wissen zu bestehen. Werden die zukünftigen vorgeburtlichen Diagnosetechniken in den Leistungskatalog der Krankenkassen übernommen, wird sich über das Angebot auch die Nachfrage erhöhen. Haftungsrechtliche Probleme, ökonomische Interessen und Sicherheitsbedürfnisse der Schwangeren spielen bei dieser Tendenz auf Mengenausweitung eng zusammen.

Aus christlicher Sicht kann es keinen Zweifel daran geben, dass das behinderte menschliche Leben denselben Anspruch auf Leben, Fürsorge und Zuwendung hat wie das nicht-behinderte. Deshalb darf die Geburt eines behinderten Kindes auch niemals ein (den Eltern) vorwerfbarer Sachverhalt sein oder werden. Auch diejenigen, die aus christlicher Sicht für die Einführung der PND plädieren, stimmen dem Gedanken zu, dass die Gottebenbildlichkeit und die personale Bezogenheit auf Gott einem jeden Menschen zukommen, unabhängig von seinen Eigenschaften und Fähigkeiten. Dies gilt uneingeschränkt auch im Hinblick auf behinderte Menschen.

Insofern ist die Tatsache, dass die vorgeburtliche Diagnose einer Behinderung sehr häufig einen Schwangerschaftsabbruch nach sich zieht, als äußerst problematisch zu betrachten. Die gemeinsame Erklärung „Gott ist ein Freund des Lebens“ stellte daher fest, dass die vorgeburtliche Diagnostik nur unter folgenden Bedingungen vertretbar ist: „Die Diagnose darf keine Routinemaßnahme werden. Sie darf nur auf Wunsch der Schwangeren durchgeführt und ihr nicht vom Arzt aufgedrängt werden. Sie ist nur berechtigt, wenn eine starke Beunruhigung der Schwangeren auf andere Weise nicht behoben werden kann.“ [15] Faktisch ist es allerdings inzwischen so, dass die vorgeburtliche Diagnostik durchaus zu einer Routinemaßnahme geworden ist. Insbesondere die anderen, zusätzlich genannten Bedingungen sind damit keineswegs aufgehoben, sondern verdienen es erst recht, beachtet zu werden.

Werdende Eltern können sich durch die Vorstellung, ein behindertes Kind zu bekommen, überfordert fühlen und glauben, die innere Freiheit dazu nicht aufzubringen. Dies kann sie in einen schweren inneren Konflikt stürzen. Eine genetische und psychosoziale Beratung im Rahmen einer vorgeburtlichen Diagnostik bietet die Möglichkeit, sich über eigene Einstellungen eine gewisse Klarheit zu verschaffen und zu einer tragbaren Entscheidung zu kommen. Es gehört aber auch zu den Erfahrungen, die Eltern behinderter Kinder machen können, dass das Schockierende, das der Vorstellung einer Behinderung des eigenen Kindes anhaften kann, sich mit der Zuwendung zu dem behinderten Kind verliert. Eltern bei dieser Bewältigung zu helfen und sie zu unterstützen gehört zu den vorrangigen Aufgaben kirchlicher Seelsorge und Diakonie. Überdies stehen Kirche und Diakonie vor der Herausforderung, den Umgang mit der vorgeburtlichen Untersuchung innerhalb ihrer eigenen Einrichtungen kritisch zu reflektieren und sich ihrer besonderen Verantwortung bewusst zu sein.

Die Feststellung einer genetisch bedingten Erkrankung kann für sich genommen kein Rechtfertigungsgrund für einen Schwangerschaftsabbruch sein. In der Öffentlichkeit wird demgegenüber häufig behauptet, eine durch PND festgestellte Behinderung des Embryos (oder Fötus) stelle nach geltendem Recht eine legale und damit auch gesellschaftlich anerkannte Indikation für einen Schwangerschaftsabbruch dar. Wenn dies aber für den Embryo im Mutterleib gelte, müsse es auch für den Embryo in der Petrischale gelten; denn es könne nicht angehen, dass der Embryo in utero besser geschützt sei als der in vitro. Demgegenüber ist zunächst daran zu erinnern, dass die ursprünglich vom Gesetzgeber vorgesehene embryopathische Indikation insbesondere aufgrund der Stellungnahmen von Behindertenverbänden gestrichen wurde. Eine legale Abtreibung von genetisch erkrankten Embryonen oder Föten ist nicht möglich wegen deren zu erwartender Behinderung, sondern nur auf Grund einer Gefahr für das Leben oder den Gesundheitszustand der Schwangeren.

Die Erinnerung an diesen wichtigen Unterschied ist auch nötig im Blick auf die immer wieder anzutreffende Behauptung, der Schwangerschaftsabbruch werde auf Grund der derzeitigen Rechtslage in den ersten 12 Wochen ohne jede Indikation rechtlich akzeptiert. Tatsache ist vielmehr, dass ein solcher Schwangerschaftsabbruch rechtswidrig – also gerade nicht akzeptiert – ist, aber um des insgesamt erhofften besseren Lebensschutzes für Embryonen willen unter bestimmten Voraussetzungen straffrei bleibt [16].

Wenn die Möglichkeit eines Schwangerschaftsabbruchs bei schwerer Behinderung des Ungeborenen durch die Rechtsordnung eingeräumt wird, dann einzig im Hinblick auf die Tatsache, dass eine solche Schwangerschaft oder Geburt für die Mutter des behinderten Kindes eine schwere Beeinträchtigung oder Gefährdung ihrer physischen oder psychischen Gesundheit darstellen würde. Die Tatsache, dass werdende Eltern sich nicht im Stande sehen, ein behindertes Kind anzunehmen und aufzuziehen, rechtfertigt den Schwangerschaftsabbruch ethisch nicht, sondern qualifiziert ihn als eine Handlung in einer Dilemmasituation, die hinter dem eigentlich Aufgegebenen zurückbleibt.

Letztlich geht es um die Frage, ob Eltern ein behindertes Kind als eine ihnen hier und jetzt zugedachte Aufgabe verstehen und annehmen können: es im Rahmen seiner Möglichkeiten zu fördern, es zu begleiten, ihm sein Leben so gut wie möglich zu gestalten. Es geht hier aus christlicher Sicht um mehr als nur um die Frage des Status des vorgeburtlichen Lebens. Es geht um die Art und Weise, wie wir unser eigenes Leben sehen: ob als etwas, das wir in jeder Hinsicht selbstbestimmt führen, in Absicherung gegen unvorhergesehene Risiken, die nicht zum eigenen Lebensplan passen; oder als etwas, worin wir uns auch führen lassen im Vertrauen darauf, dass auch das Unvorhergesehene, auch das zunächst vielleicht Bestürzende und Belastende, einen Sinn und positive Lebensperspektiven für uns bereithalten kann.

3.1.1.2 Präimplantationsdiagnostik (PID)

Voraussetzung für die PID ist die Durchführung einer künstlichen Befruchtung. Mit der Technik der PID werden in vitro befruchtete Eizellen nach den ersten Zellteilungen und vor dem Einsetzen in die Gebärmutter auf bestimmte genetische Erkrankungen untersucht. Liegt eine entsprechende Veränderung vor, werden betroffene Embryonen nicht übertragen, sondern nur diejenigen, bei denen die gesuchte Veränderung nicht gefunden wurde. Die PID gilt jedoch technisch als noch nicht verlässlich genug, so dass im Verlauf der individuellen Schwangerschaft in der Regel weitere vorgeburtliche Untersuchungstechniken angewendet werden [17].

Eine diagnostische Variante und ethische Alternative zur PID, die Polkörperdiagnostik, untersucht sog. Polkörper, die bei zwei asymmetrischen Reifeteilungen einer Eizelle – vor und nach der Befruchtung - entstehen. Diese enthalten dasselbe genetische Material wie die Eizelle. Während in Deutschland die rechtliche Zulässigkeit der PID umstritten ist und sie derzeit nicht durchgeführt wird, ist die Polkörperdiagnostik rechtlich zulässig und wird vereinzelt im Rahmen von klinischen Studien angewendet.

Gestritten wird über die Frage, ob nicht dort, wo ein Paar aufgrund schwer wiegender genetischer Risikofaktoren sich nicht in der Lage sieht, ohne vorherige Diagnose eine Schwangerschaft einzugehen, zumindest in bestimmten Fällen die PID einer Diagnose während einer bereits bestehenden Schwangerschaft vorzuziehen ist. Das scheint sich vor allem dort nahe zu legen, wo eine prognostizierbare Wahrscheinlichkeit für eine erbliche Erkrankung gegeben ist und möglicherweise bereits ein Kind mit einer genetischen Erkrankung geboren wurde.

Für eine PID scheint auch zu sprechen, dass auf diese Weise möglicherweise ein Schwangerschaftskonflikt mit nachfolgendem Schwangerschaftsabbruch vermieden werden kann.

Gleichwohl erheben sich gegen die PID jedenfalls in der gegenwärtigen Situation schwer wiegende ethische Bedenken. Sie beziehen sich aber auch auf die Frage der Vergleichbarkeit einer Verwerfung des in-vitro erzeugten Embryos aufgrund einer PID und eines Schwangerschaftsabbruchs. Mehrere Kammermitglieder sehen eine solche Vergleichbarkeit nicht gegeben, da die Möglichkeit des Schwangerschaftsabbruchs nur zu begründen ist mit der besonderen Konfliktlage, in der die Schwangere sich aufgrund der leiblichen und seelischen Verbindung mit dem sich entwickelnden menschlichen Wesen befindet, eine Verbindung, die andererseits dazu führen könnte, das Kind doch auszutragen. Diese besondere Konfliktlage ist im Falle der PID aber so nicht gegeben.

Andere Kammermitglieder sind demgegenüber der Auffassung, es gebe hier möglicherweise doch eine vergleichbare Konfliktlage, die daraus resultiert, dass zwar keine Schwangerschaft besteht, wohl aber eine „Mutterschaft“ bzw. „Elternschaft“ [18] in einem extrakorporalen Frühstadium. Die Unfähigkeit, ein behindertes Kind zu akzeptieren, wäre also das Vergleichsmoment zum Schwangerschaftskonflikt, mit dem die Verwerfung eines Embryos aufgrund der PID allenfalls gerechtfertigt werden könnte. Dabei könnte es sich dann aber keinesfalls um die Analogie zu einem sog. „rechtswidrigen, aber straffreien Schwangerschaftsabbruch“ nach § 218 a Abs. 1 StGB handeln, sondern nur zu einem Schwangerschaftsabbruch nach § 218 a Abs. 2 StGB, also aufgrund einer Gefahr bzw. schweren Beeinträchtigung für Leben oder Gesundheit der Schwangeren.

Würde die Gesetzgebung die PID zulassen, so müsste sie zugleich erlauben, eine über die heute geltenden Regelungen hinausgehende Zahl von Embryonen künstlich zu erzeugen und unter diesen nur diejenigen auszuwählen, die sich nach ihrer Untersuchung als „gesund“- also frei von dem Risiko bestimmter genetisch bedingter Erkrankungen - erweisen, die anderen aber zu vernichten oder auf unbestimmte Dauer aufzubewahren. Somit würde der Schutz des beginnenden menschlichen Lebens von vornherein auf „gesundes“ Leben beschränkt. Damit würde nicht nur, wie bei dem Schwangerschaftsabbruch aufgrund medizinischer Indikation, eine der Mutter nicht zumutbare körperliche Notlage oder eine von ihr psychisch nicht zu bewältigende Konfliktlage anerkannt, sondern zugleich ein Recht eingeräumt auf Auswahl von Leben, das entweder als „lebenswert“ oder als „nicht lebenswert“ eingeschätzt würde. Dies wäre mit der gebotenen Achtung der Würde des Menschen - so wie dies oben dargelegt worden ist - unvereinbar.

Viele sehen in einer Ausweitung der vorgeburtlichen Diagnostik hin zur PID einen gefährlichen Schritt zur eugenischen Selektion menschlichen Lebens. Gerade in Deutschland wird diese Gefahr sehr stark empfunden. Das hat mit den nationalsozialistischen Unrechtstaten zu tun, die zu einer besonderen Sensibilität im Hinblick auf die Problematik der Eugenik geführt haben.

Bei der PID hat die Verpflichtung des Gesetzgebers, die Folgen dieser Methode zu erwägen, eine besondere Bedeutung. Die Frage, welche Erkrankungen die Verwerfung der hiervon betroffenen Embryonen rechtfertigen sollen, ist äußerst umstritten. Sie umfasst monogen vererbbare und chromosomale Störungen mit sehr unterschiedlichem Schweregrad und Symptomen unterschiedlicher körperlicher oder geistiger Behinderung. Die Gefahr liegt nahe, dass sich die Indikationen zur PID immer weiter ausdehnen werden und aller Voraussicht nach nicht auf schwer wiegende Erkrankungen beschränkt werden können.

Die PID hätte heute noch nicht abschließend einzuschätzende, aber jedenfalls unter dem Gesichtspunkt des Schutzes der Würde des Menschen sehr ernstzunehmende Folgen. Hierzu gehört vor allem das Bedenken, dass menschliches Leben nur „auf Probe“ erzeugt und vor der Entscheidung, ob es sich entwickeln darf, einer Qualitätsprüfung unterzogen würde. Die Entwicklung könnte – so wird gelegentlich argumentiert – dazu führen, dass künftig die Geburt kranker und behinderter Kinder als vermeidbares Übel angesehen würde. Das darf keinesfalls geschehen.

Besteht bei einem Paar die erhöhte Wahrscheinlichkeit, dass ein krankes oder behindertes Kind geboren würde, so bleibt die Möglichkeit, dass das betroffene Paar auf ein eigenes leibliches Kind verzichtet. Dies erscheint als eine harte Konsequenz, und sie führt zu einem menschlich schmerzhaften Verzicht. Diese Möglichkeit wäre aber gegenüber einem Schwangerschaftsabbruch oder einer Vernichtung des Embryos, der durch Befruchtung in vitro entstanden ist, ethisch eindeutig vorzugswürdig. Die Erzeugung von Embryonen „auf Probe“ und die Vernichtung von Embryonen mit einer nachgewiesenen genetischen Erkrankung steht in klarer Spannung zur christlichen Wahrnehmung des vorgeburtlichen menschlichen Lebens.

3.1.2 Nutzung embryonaler Stammzellen

Menschliche Stammzellen sind Zellen auf einer frühen Stufe der Entwicklung, d.h. in einem noch kaum differenzierten und nur wenig spezialisierten Stadium der Entwicklung. Sie können sich in verschiedene menschliche Gewebe und Organe weiterentwickeln.

Der embryonale Entwicklungsprozess beginnt im Stadium der Totipotenz, in dem die sich teilenden Zellen sich jeweils noch zu einem eigenen Menschen entwickeln könnten. Nach heutigen Kenntnissen sind die Zellen etwa ab dem 8-Zell-Stadium nicht mehr totipotent, d.h. sie beginnen sich auszudifferenzieren, um später in den einzelnen Organen des menschlichen Körpers spezielle Funktionen zu übernehmen.

Aus Stammzellen können Zelllinien gebildet werden, die eine unbegrenzte Vermehrung dieser Zellen ermöglichen. Man steht aber erst am Anfang der Charakterisierung der Stammzellen. Deshalb gibt es noch keine verbindliche Systematik. Derzeit werden unterschieden: Stammzellen, die auch noch in bereits ausgebildeten menschlichen Organen einschließlich dem Nabelschnurblut vorhanden sind (sog. adulte Stammzellen), von Stammzellen, die im Labor aus einer Blastozyste, d.h. aus einer einige Tage alten befruchteten Eizelle, gewonnen werden können (sog. embryonale Stammzellen). Dazwischen gibt es Übergangsstadien, deren Differenzierungsgrade derzeit wissenschaftlich untersucht und systematisiert werden.

Adulte Stammzellen hat man in den letzten Jahren in fast allen menschlichen Organen gefunden. Deren Funktion, Potentialität und evtl. therapeutischer Einsatz sind Gegenstand intensiver Forschungen. Besonderes Interesse haben jedoch die embryonalen Stammzellen gefunden. Man erhofft sich von ihrer Erforschung ein besseres Verständnis der zellulären Differenzierungs- und Entwicklungsprozesse. Möglicherweise ergeben sich daraus neue therapeutische Ansätze für bisher schlecht behandelbare oder unheilbare Erkrankungen.

3.1.2.1 Nutzung „überzähliger“ Embryonen [19] aus der In-vitro-Fertilisation

Die Gewinnung von Stammzellen aus so genannten „überzähligen“ Embryonen ist in ethischer Hinsicht besonders umstritten. Auf der einen Seite stehen hochrangige therapeutische Ziele, deren Realisierbarkeit freilich beim jetzigen Stand der Forschung schwer einzuschätzen ist. Dem steht auf der anderen Seite das schwer wiegende Bedenken gegenüber, ob menschliche Embryonen als bloße Mittel für fremde Zwecke verbraucht und in diesem Sinne instrumentalisiert werden dürfen.

Wer der Auffassung ist, dass alle Embryonen unabhängig von ihren Entwicklungsmöglichkeiten als sich entwickelnde Menschen, die mit Gottebenbildlichkeit und Menschenwürde begabt sind, anzusehen und zu behandeln sind, muss die verbrauchende Nutzung von Embryonen für die Gewinnung von Stammzellen ablehnen. Da nach dieser Auffassung allen Embryonen gegenüber eine Pflicht zur Lebenserhaltung besteht, ist zu erwägen, „überzählige“ Embryonen aus der In-vitro-Fertilisation zur Adoption freizugeben [20]. Das gilt allerdings nicht für solche Embryonen, die - z. B. aufgrund langer Aufbewahrung - geschädigt sind und daher aus medizinischen Gründen nicht für eine Implantation in Betracht kommen. Doch dürfen auch diese Embryonen nicht zu bloßen Objekten gemacht werden. Dies entzieht sie jeglicher Güterabwägung zugunsten fremdnütziger Ziele. Es erlaubt aber, solche Embryonen absterben zu lassen.

Zu einem anderen Urteil gelangt man, wenn man der Auffassung ist, dass erst bei einer tatsächlich stattfindenden Entwicklung, d. h. unter der Voraussetzung entsprechender Entwicklungsmöglichkeiten von einem sich entwickelnden Menschen gesprochen werden kann. Nach dieser Sicht sind Prädikate wie Gottebenbildlichkeit oder Menschenwürde auf solche Embryonen nicht übertragbar, da es sich nicht um sich entwickelnde Menschen handelt. Daher stehen in dieser Sicht der Verwendung solcher Embryonen für die Gewinnung von Stammzellen keine unüberwindlichen Hindernisse entgegen. Das gilt insbesondere für diejenigen Embryonen, die aus medizinischen Gründen für eine Implantation nicht in Betracht kommen.

Die Kammer hat sich in dieser Frage nicht auf eine gemeinsame Position verständigen können. Einigkeit besteht jedoch darin, dass die Herstellung von Embryonen in vitro für Zwecke der Forschung und Therapie strikt untersagt bleiben muss. Diese Forderung ergibt sich unmittelbar aus der ersten Auffassung, nach der ein Embryo nicht als bloßes Mittel für fremde Zwecke gebraucht werden darf. Aber auch die zweite Auffassung bedeutet nicht einen Freibrief für den Umgang mit Embryonen. Zwar ist mit den Möglichkeiten der Reproduktionsmedizin die „natürliche“ Entstehungsweise menschlichen Lebens in den Bereich menschlicher Verfügung gerückt. Doch bedeutet das nicht, dass auch die Ziele, die dabei verfolgt werden, menschlicher Verfügung freigestellt sind. Diesbezüglich ist die Perspektive wesentlich, unter welcher der Vorgang der Verschmelzung von Ei- und Samenzelle betrachtet wird. Man kann diesen Vorgang in einer rein biologischen Perspektive betrachten als Entstehung menschlichen Lebens. Man kann ihn aber auch als den natürlichen Beginn des Menschen betrachten, als Anfang jenes Werdeprozesses, mit dem ein Mensch ins Dasein tritt. Im zweiten Fall rückt der Vorgang in eine personale Perspektive, auch wenn dabei das Gegenüber unbestimmt und im Verborgenen bleibt. Wird der Vorgang in dieser Perspektive betrachtet, als Anfang des Werdeprozesses des Menschen, dann kann eine Verfügbarmachung für andere Zwecke als allein den, einem Menschen zur Existenz zu verhelfen, nicht in Betracht kommen. Die Erzeugung von menschlichen Embryonen in vitro für Zwecke der Forschung und Therapie scheidet wegen der einseitig biologischen Betrachtungsweise, die dabei leitend ist, als mögliche Option aus. Denn eine solche Reduktion der vorgeburtlichen Lebensprozesse auf deren rein biologische Aspekte enthielte ein Gefährdungspotential im Blick auf den Gedanken der Menschenwürde und ist deshalb nicht zustimmungsfähig.

3.1.2.2 Das reproduktive und das so genannte therapeutische Klonen [21]

Als ein weiterer Weg zur Gewinnung embryonaler Stammzellen als Zell- oder Gewebeersatz wird das so genannte therapeutische Klonen diskutiert. Bei diesem Verfahren wird – nach der „Dolly-Methode“ – der Kern einer körpereigenen Zelle des Patienten in eine entkernte Eizelle eingeführt und zum Wachstum stimuliert. Sofern dies gelingt, entsteht ein menschlicher Embryo, der dann in einer sehr frühen Entwicklungsphase für die Gewinnung von pluripotenten Stammzellen genutzt werden kann. Der große Vorteil dieser Gewinnungsmethode könnte darin bestehen, dass keine Verträglichkeits- bzw. Abstoßungsprobleme auftauchen, da es sich um körpereigene Zellen des Patienten handelt.

Die Klonierungstechnik ist jedoch, wie Tierversuche belegen, mit Risiken behaftet. Die physiologischen Mechanismen innerhalb des sich entwickelnden Organismus sind noch weithin unverstanden. Daher ist auch nicht mit einer klinischen Anwendung in absehbarer Zeit zu rechnen.

Die Klonierungstechnik hat das Bild biologischer Prozesse grundlegend verändert. Galt lange Zeit der Prozess der Entwicklung und Ausdifferenzierung als unumkehrbar, so wurde mit dem Klonen gezeigt, dass die Entwicklungsprozesse umkehrbar bzw. reprogrammierbar sind. Damit werden Abgrenzungen von Totipotenz und Pluripotenz unscharf. Die Technik des Klonens ermöglicht es, Prozesse der Entstehung von Leben zu stimulieren, ohne dass eine Verschmelzung von Ei- und Samenzelle nötig ist.

Die Klonierungstechnik kann zu verschiedenen Zwecken eingesetzt werden. Diese unterschiedlichen Zielsetzungen haben zur Unterscheidung von reproduktivem und therapeutischem Klonen geführt. Reproduktives Klonen zielt auf die Entstehung eines Menschen. Als therapeutisches Klonen wird eine Anwendung der Technik bezeichnet, die auf die Gewinnung von Zellen zielt, die zu medizinischen Zwecken (Gewebeersatz) dienen. In beiden Fällen handelt es sich jedoch um dieselbe Technik.

Das reproduktive Klonen ist mit einer Fülle von medizinischen Unwägbarkeiten und Risiken verbunden. So entstehen beim jetzigen Stand der Technik im Versuchsstadium eine große Zahl fehlgebildeter Embryonen und Föten, bevor auch nur einer lebensfähig und gesund ist. Im Blick auf die Erzeugung menschlicher Klone ist das eine inakzeptable Vorstellung. Sodann gibt es Indizien dafür, dass geklonte Lebewesen deutlich schneller altern als andere. Auch das müsste schon für sich genommen eine Klonierung von Menschen verbieten. Schließlich sprechen aber auch andere gravierende ethische Gründe gegen das reproduktive Klonen bei Menschen: Der Abkömmling ist zugleich Kind und genetischer Zwilling eines seiner beiden Elternteile, während er mit dem anderen Elternteil biologisch nicht verwandt ist. Was besagt das für das Selbstverständnis und die soziale Rolle eines so entstandenen Kindes – zumal dann, wenn hinter der Klonierung der Wunsch steht, genau ein solches Kind (mit diesen Erbanlagen) zu bekommen? Dies alles spricht eindeutig gegen die Möglichkeit des reproduktiven Klonens.

Während weitestgehende Einigkeit hinsichtlich der ethischen Verwerflichkeit des reproduktiven Klonens besteht, gehen die Auffassungen hinsichtlich der ethischen Verantwortbarkeit der Gewinnung von embryonalen Stammzellen durch Klonierung auseinander. Unstrittig ist zwar, dass z. B. nach deutschem (anders als nach englischem) Recht das sog. therapeutische Klonen verboten ist, aber es ist strittig, ob es dafür hinreichende ethische Gründe gibt.

Ist man der Auffassung, dass jeder Embryo ein sich entwickelnder Mensch ist, so spricht gegen das sog. therapeutische Klonen, dass es sich dabei um die Erzeugung von Embryonen handelt, die ausschließlich fremdnützigen Forschungs- und Therapiezielen dienen, d. h. um die Erzeugung von Embryonen zu Forschungszwecken, die lediglich als Mittel zum Zweck behandelt werden. Das verstößt gegen den Grundsatz der Menschenwürde; denn Embryonen, die durch Klonierung erzeugt werden, haben – wenn auch nur für kurze Zeit – den Status von sich entwickelnden Menschen. Dieser Status verliert nicht dadurch seine moralische Bedeutung, dass von Anfang an die Absicht besteht, aus diesen Embryonen keine voll entwickelten Menschen werden zu lassen, sondern sie nach kurzer Zeit zu Forschungszwecken oder zu therapeutischen Zwecken zu verbrauchen. Würde man die Schutzwürdigkeit und den Würdestatus von dieser Absicht abhängig machen, so hinge auch hier die Zuerkennung der Menschenwürde von menschlicher Entscheidung ab. Aus der Perspektive des christlichen Glaubens ist das eine inakzeptable Vorstellung.

Gegen das sog. therapeutische Klonen bestünden freilich dann keine ethischen Bedenken, wenn es ein Verfahren gäbe, bei dem nicht zunächst ein sich entwickelnder Mensch entsteht, sondern von vorneherein ein lediglich pluripotentes Zellgebilde, das geeignet ist, autologen Gewebeersatz hervorzubringen.

Anders stellt sich die Problematik des sog. therapeutischen Klonens dar, wenn man der Auffassung ist, dass nicht jeder Embryo unabhängig von seinen Entwicklungsmöglichkeiten den Status eines sich entwickelnden Menschen hat. Nach dieser Auffassung liegt die ethische Herausforderung sowohl der Reproduktionsmedizin als auch des sog. therapeutischen Klonens gerade darin, dass es von menschlichen Entscheidungen abhängig geworden ist, ob ein Embryo die Chance entsprechender Entwicklungsmöglichkeiten erhält oder nicht. Eben deshalb bedarf es der Begrenzung der menschlichen Verfügungsmöglichkeiten durch klare ethische Vorgaben.

Während die Erzeugung von Embryonen durch Befruchtung in vitro nur mit dem Ziel einer Herbeiführung einer Schwangerschaft ethisch legitim ist, darf nach dieser Auffassung die Erzeugung von totipotenten Zellen durch Klonierung gerade nicht mit dem Ziel der Hervorbringung eines Menschen praktiziert werden, sondern nur zu therapeutischen Zwecken. Das sog. therapeutische Klonen wirft freilich auch in der Perspektive dieser Auffassung eine Reihe von offenen Fragen medizinischer und ethischer Art auf. Doch greift der Einwand eines Verstoßes gegen die Menschenwürde hier nicht, da beim sog. therapeutischen Klonen dieser Auffassung zufolge kein sich entwickelnder Mensch erzeugt wird.

3.2 Lebensende [22]

Die demographische Entwicklung zeigt einen wachsenden Anteil älterer Menschen in unserer Gesellschaft. Auch die durchschnittliche Lebenserwartung wird voraussichtlich weiter ansteigen. Dadurch wird die Zahl der Demenzkranken, der chronisch Kranken und der Pflegebedürftigen weiter zunehmen. Die Etablierung von Pflegediensten in kirchlicher, öffentlicher und privater Trägerschaft sollte dieses Problem auffangen. In der Praxis zeigt es sich jedoch, dass auf diesem rasch wachsenden Sektor des Gesundheitswesens neue Konzepte entwickelt werden müssen, Finanzierungsfragen zu klären sind und Qualitätssicherung gewährleistet sein muss.

Die Medizin kann heutzutage verschiedene lebensverlängernde Maßnahmen auch bei schwerster Pflegedürftigkeit zur Verfügung stellen und anwenden. Technische Unterstützungen und medikamentöse Therapien bieten älteren Menschen, chronisch Schwerstkranken und Pflegebedürftigen einerseits eine Hilfe in der Bewältigung ihrer Schwierigkeiten und eine Verbesserung der Lebensqualität auch im hohen Alter. Andererseits können diese Unterstützungen aber auch dazu beitragen, die Begrenzung des Lebens und damit das Sterben hinauszuzögern, ohne dass hierin irgendein Sinn erkennbar ist.

Wenn medizinische Therapien versagen, so dass eine Heilung oder Abwendung des Sterbens nicht mehr möglich erscheint, sollte unter Änderung des Therapieziels eine palliative, d.h. an Versorgung und Schmerzlinderung orientierte, Behandlung einsetzen. Die vielen Hospizinitiativen, die häufig in direkter Anbindung an kirchliche Gemeinden stehen, nehmen ihrerseits das Bedürfnis auf, im Sterbeprozess Hilfestellung, Begleitung und Geborgenheit zu erfahren.

Die öffentliche Diskussion um menschenwürdiges Sterben wird zunehmend intensiver geführt. Eine besondere Bedeutung wird dabei Patientenverfügungen und Vorsorgevollmachten zuerkannt. Wo Patientenverfügungen vorliegen, beziehen sie behandelnde Ärzte bei Entscheidungen am Lebensende oder bei Einwilligungsunfähigkeit zunehmend ein. Die Christliche Patientenverfügung ist seit ihrem Erscheinen im Herbst 1999 auf einen großen Bedarf und positive Resonanz gestoßen. Dabei sind allerdings auch die Grenzen solcher Verfügungen deutlich geworden. Gleichwohl sollte jeder/jede prüfen, ob er/sie eine solche Verfügung aufsetzt, weil sie für Ärzte und Angehörige eine große Entscheidungshilfe sein kann.

In der Debatte um die Sterbebegleitung in Deutschland werden von verschiedenen gesellschaftlichen Gruppen strukturelle und finanzielle Voraussetzungen für eine angemessene Sterbebegleitung gefordert. Von indirekter Sterbehilfe, bei der eine Lebensverkürzung durch die Verabreichung von Schmerzmitteln zwar nicht intendiert, aber in Kauf genommen wird, ist im medizinischen Alltag auszugehen. Sie ist auch in ethischer Hinsicht grundsätzlich zu bejahen. Die aktive Sterbehilfe wird hingegen kontrovers diskutiert. Sie stößt zwar in der Gesellschaft bei vielen Menschen auf positive Resonanz [23], in der ethischen Diskussion hingegen bislang überwiegend auf Ablehnung.

Aus christlicher Sicht ist der Tod eines Menschen etwas, das abgewartet werden muss und nicht herbeigeführt werden darf [24]. Diese Sicht hat die Einstellung unserer Kultur zu Sterben und Tod wesentlich geprägt. Sie schlägt sich nieder in der Unterscheidung zwischen aktiver und passiver Sterbehilfe. Passive Sterbehilfe ist dadurch charakterisiert, dass bei ihr in allem, was einerseits an medizinischen Maßnahmen zur Lebensverlängerung unterlassen oder abgebrochen und andererseits an Maßnahmen zur Begleitung und Erleichterung des Sterbens unternommen wird, die Situation des Wartens auf den Tod gewahrt wird. Aktive Sterbehilfe ist demgegenüber dadurch charakterisiert, dass sie diese Situation beendet oder ihr sogar in einer Phase zuvorkommt, in der der Sterbeprozess nicht begonnen hat. Die Konkretisierung dieser Unterscheidung ist von Fall zu Fall zu vollziehen. Entscheidend ist jedoch, dass an ihr festgehalten wird.

Gerade bei der Frage der Sterbehilfe zeigt sich in besonderer Weise die Konflikthaftigkeit menschlichen Lebens. Es ist nicht auszuschließen, dass es in dieser Frage für den Arzt Grenzsituationen geben kann. Die öffentlich geführte Auseinandersetzung dreht sich darum, ob man solche Grenzsituationen rechtlich regeln soll. Dafür scheint zu sprechen, dass dies die Transparenz und Kontrolle des ärztlichen Handelns erhöht. Doch erhebt sich dagegen das schwer wiegende Bedenken, dass jede Regelung des Ausnahmefalls die Gefahr in sich birgt, aus diesem einen Regelfall zu machen. Sie könnte eine Dynamik in Gang setzen, die die Einstellung zum Sterben grundlegend verändert und erhebliche Auswirkungen auch auf das ärztliche Ethos hat. Die intuitive Wahrnehmung des Sterbens als etwas, das abgewartet werden muss und nicht herbeigeführt werden darf, könnte dabei verloren gehen.

Die Forderung nach einer rechtlichen Liberalisierung der aktiven Sterbehilfe wird häufig mit dem Recht auf Selbstbestimmung über den eigenen Tod begründet. Ohne Zweifel verdient die Selbstbestimmung eines Menschen unsere Achtung. Das gilt insbesondere für die Selbstbestimmung dessen, der anders denkt als wir selbst. Doch hat die Selbstbestimmung dort ihre Grenze, wo sie mit Folgen verbunden ist, durch die eine Person selbst oder andere in ihrer Integrität und Selbstbestimmung beeinträchtigt werden.

Solche Folgen sind zu befürchten, wenn die aktive Sterbehilfe zu einer durch das Recht akzeptierten Praxis würde. Es ist zumindest nicht auszuschließen, dass dadurch neue Zwänge entstehen in Gestalt des sozialen oder psychischen Drucks, anderen nicht zur Last zu fallen und daher das eigene Leben zu beenden bzw. um dessen Beendigung zu bitten. Der Selbstbestimmung des Einzelnen wäre damit gerade nicht gedient. Nicht auszuschließen ist auch, dass die Hemmschwelle gegenüber der Tötung eines Menschen gesenkt werden könnte, mit Auswirkungen auch auf die Gruppe einwilligungsunfähiger Personen, bei denen von Selbstbestimmung keine Rede sein kann. Denn wenn das Ziel der Freigabe der aktiven Sterbehilfe die Ermöglichung eines „humanen Sterbens“ ist, mit welchem Recht enthält man dann dieser Gruppe ein solches Sterben vor? [25].

Hinter der Forderung nach Zulassung der aktiven Sterbehilfe steht wohl zumeist die Angst vor einem schweren und möglicherweise auch einsamen Sterben. Diese Angst sollte dahingehend ernst genommen werden, dass die Anstrengungen im Bereich der Palliativmedizin verstärkt werden. Dies gehört auch zu den zentralen Forderungen, die gegenwärtig im Hinblick auf eine Neuorientierung der Medizin erhoben werden [26]. Außerdem ist noch einmal auf die große und wachsende Bedeutung der Hospizbewegung zu verweisen, die - neben und zusammen mit der Palliativmedizin - eine dem christlichen Glauben und seinem vom Geist der Liebe bestimmten Menschenbild angemessene Antwort auf die Angst vor dem schweren, einsamen Sterben darstellt.

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