Was Kirche vom Frauenfußball lernen kann
Interview mit Pfarrerin Stephanie Mages zur Frauenfußball-EM
Die Spielerinnen bei der Frauenfußball-EM in der Schweiz sind Vorbilder für viele Mädchen und junge Frauen. In den Vereinen haben sie inzwischen gute Möglichkeiten, ihren Idolen nachzueifern, sagt Stephanie Mages, Sportbeauftragte der bayerischen Landeskirche. Und auch in der Kirche stünden die Chancen für Frauen besser als in anderen Bereichen der Gesellschaft. Vom Sport lässt sich noch einiges abgucken, auch in Kirchengemeinden.

Der Frauenfußball bekommt zunehmend mehr Aufmerksamkeit. Das zeigt sich bei der laufenden EM in der Schweiz. Ist das ein Zeichen, dass die Gleichstellung vorankommt?
Stephanie Mages: Erstmal finde ich das total positiv. Lange Zeit wurde der Frauenfußball belächelt. Frauen spielten behäbig, es sei eben nicht so spritzig und attraktiv wie bei den Männern, hieß es. Das hat sich schon deutlich verändert seit 1984, als die erste Frauen-Europameisterschaft ausgetragen wurde. Das Interesse ist enorm gestiegen, und auch die Art, wie über Frauenfußball gesprochen wird, hat sich sehr positiv entwickelt. Was die Gleichstellung im Alltag angeht, so ist die noch sehr ausbaufähig, wie ich finde. In vielen Berufen, der Kindererziehung oder der Care-Arbeit bleiben Frauen deutlich benachteiligt.
Kann ein Ereignis wie die EM dazu beitragen, Gleichberechtigung und Empowerment von Frauen gegen den momentanen Trend voranzutreiben?
Mages: Als kleines Mädchen kann ich mich durch so eine EM schon ermutigt fühlen, zu sagen: Das könnte auch was für mich sein. Und ich habe die Möglichkeit, es auch auszuprobieren. Vor 30 Jahren war das noch nicht so. Als Grundschülerin hätte ich damals gerne Fußball gespielt. Meine Mutter hat alle Vereine abtelefoniert, aber es gab keine Mädchenmannschaft und auch nicht die Möglichkeit, bei den Jungs mitzumachen. Heute müssen Mädchen nicht mehr das Gefühl bekommen, aufgrund ihres Geschlechts ausgeschlossen zu sein. Ob Mädchen oder Junge, Mann oder Frau, wie es ja auch in der Bibel heißt – es ist möglich, das auch hinzukriegen und sich entfalten zu können.
Die Situation an der Basis, in den Vereinen, ist also wirklich besser geworden?
Mages: Auf jeden Fall. Ich habe erst neulich im Radio gehört, dass Mädchenfußball deutlich im Trend liegt. Die Zahlen gehen nach oben, stärker als bei den Jungen. Für die Vereine ist es jetzt en vogue, etwas für Mädchen anzubieten. Es gibt Mädchenfußballtage, da kann man vorbeikommen und schnuppern. Auch das Sportgymnasium, an dem ich unterrichte, wirbt um Mädchen für die Fußballklassen. Trotzdem stehen den rund 90.000 aktiven Fußballerinnen in Deutschland etwa zehn Mal so viele männliche Spieler gegenüber. Auch das ist also noch ganz stark ausbaufähig. Weil Fußball lange Zeit so extrem männlich dominiert und besetzt war, dauert es sicher noch, bis sich die Zahlen ausgleichen.
Als Pfarrerin haben Sie ja spirituelle und ethische Werte im Blick. Gibt es solche Werte, die durch den Frauenfußball besonders gut vermittelt werden können?
Mages: Was Teamgeist oder Fairplay betrifft, hat der Mannschaftssport generell gute Möglichkeiten, so etwas zu vermitteln. Als Sportlerinnen und Sportler treten wir natürlich an, um den Pokal nach Hause zu holen. Aber es gibt halt auch unlautere Mittel. Da sehe ich im Sport einen Kodex an ethischen Werten, an die ich mich zu halten lerne. Es wird gut und regelkonform gespielt und geht nicht unter die Gürtellinie. Bei kirchlichen Sportveranstaltungen, die häufig integrativ oder inklusiv sind, bekommt das noch Mal eine andere Dimension. Wenn die Stärken offensichtlich ungleich verteilt sind, eine Mannschaft deutlich dominiert, dann achtet die darauf, dass die anderen auch ihr Gesicht wahren können. Der Mensch als Ganzes wird gesehen, egal welche Handicaps er mitbringt.
„Beim Mannschaftsgeist ist uns der Sport noch voraus, finde ich.“
Das wäre dann eine Extra-Challenge in Fairplay sozusagen …
Mages: So ist es. Wenn dort Menschen mit und ohne Behinderung zusammenspielen, hat das einen ganz besonderen Spirit, finde ich. Neben dem reinen Sport ist da noch etwas anderes. Das hat ganz viel mit Menschenwürde und mit dem Wert des Menschen zu tun. Jeder, der dort antritt, vollbringt eine große Leistung. Da sind Menschen, die nach bestem Wissen, Gewissen und Können gemeinsam Sport betreiben und eine gute Zeit haben.
Was können Kirchengemeinden von Teamgeist und Gemeinschaftssinn im Mannschaftssport lernen?
Mages: Beim Mannschaftsgeist ist uns der Sport noch immer voraus, finde ich. Der Focus ist klar, man hat ein gemeinsames Ziel. In den Gemeinden gibt es auch solche Ansätze, aber eben häufig auch viele Untergruppen – Hauptamtliche, Ehrenamtliche – die verschiedene Ansätze verfolgen. Wie kommt es, dass sich die Leute im Verein engagieren, aber den Kirchen davonlaufen? Wir bieten ja eigentlich Ähnliches. Da müssten wir mal genauer hingucken.
Offensichtlich machen die Vereine etwas richtig, schaffen es, den Gemeinschaftssinn zu wecken. Vielleicht können sich Gemeinden da was abschauen?
Mages: Vielleicht brauchen wir mehr gemeinsame Events. Die meisten Gruppen machen so ihr Ding. Als Gemeinde trifft man sich einmal im Jahr zum Sommer- oder Weihnachtsfest. Auch im Fußball gibt es die A-, B- oder C-Mannschaft. Aber irgendwie habe ich den Eindruck, dass da trotzdem mehr Zusammenhalt ist.
Wie kann die Kirche junge Frauen gezielt unterstützen?
Mages: Es gibt in den Kirchengemeinden bereits viele Mädchen und junge Frauen, die sehr engagiert sind und auch Führungspositionen übernehmen. Das ist keine Ausnahme würde ich sagen. Jeder kann sich ausprobieren, unabhängig vom Geschlecht. Das müssten wir generell in allen Bereichen stärken, dass Frauen auch in Führungsämter gelangen, eben nicht immer die Sekretärin sind, sondern auch mal die Chefin.
Ist die Kirche in dieser Hinsicht also weiter als der Rest der Gesellschaft?
Mages: Ich glaube schon, dass wir Frauen ganz gut gefördert und begleitet werden. Bei den Hauptamtlichen ist der Frauenanteil inzwischen bei rund 50 Prozent – in einer Landeskirche etwas höher, in der anderen etwas niedriger. Und wir verdienen das Gleiche, es gibt keinen Gender Pay Gap wie in der freien Wirtschaft. Das finde ich schon gut. Männer und Frauen haben generell auch die gleiche Möglichkeit, in höhere Ämter zu kommen.
Frauen müssen aber dennoch weiter gefördert werden, auch in der Kirche?
Mages: Absolut. Im letzten Jahr gab es hier in der bayerischen Landeskirche eine Kampagne, mehr Frauen in Leitungspositionen, zu Dekaninnen und Regionalbischöfinnen zu wählen. Da haben wir als Frauen gut zusammengehalten und waren auch in den Medien präsent. Wir müssen explizit darauf achten, dass Frauen nicht nur in der Kinder-, Jugend- und Familienarbeit landen, Pfarrerinnen auch für Leitungspositionen kandidieren.
Zurück zur EM. Gibt es konkrete kirchliche Aktivitäten – Gottesdienste, Public Viewings oder andere – die das Ereignis begleiten?
Mages: Ich muss zugeben, dass ich das nicht weiß. Ich hoffe und glaube auch, dass einzelne Kirchengemeinden etwas machen, aber ich kriege davon wenig mit. Es ist jedenfalls anders als bei der Männer-EM vor einem Jahr. Da gab es einen großen ökumenischen Gottesdienst hier in München, zum Eröffnungsspiel. Das wurde recht groß aufgezogen – aber die Meisterschaft war natürlich auch im eigenen Land. Jetzt, bei der EM in der Schweiz, gibt es in Deutschland keinen Gottesdienst.
Welche Rolle sollten Kirchen generell bei sportlichen Großveranstaltungen spielen?
Mages: Das ist unterschiedlich würde ich sagen. Bei Olympia gibt es einen eigenen Seelsorger, Thomas Weber, der die Athlet:innen begleitet und im Hintergrund unterstützt. Es kann aber auch schwierig sein, durchzudringen. Zu den European Championships vor drei Jahren hier in München haben wir einen Gottesdienst angeboten. Da kamen vor allem die, die sonst auch Gottesdienste besuchen. Das hatten wir uns ganz anders vorgestellt.
Dass wir bei kleineren Events, auf städtischer oder regionaler Ebene Präsenz zeigen, ist allerdings wichtig und gut. Beim B2-Run in Nürnberg letztes Jahr sind wir von der Evangelischen Kirche mit knapp 100 Leuten an den Start gegangen. Das möchte ich 2026 in München gerne auch hinkriegen. Beim Munich Sportfestival, das gerade war, wollten wir mit einem Pop-Up-Stand dabei sein. Da wurden wir leider abgelehnt, weil wir vom Profil wohl nicht passten. Sehr schade. Denn dort war viel los. Da waren Jugendliche, Kinder, Familien, Erwachsene …
Eine verpasste Gelegenheit …
Mages: Ja, leider. Es ist wichtig, dass wir uns nicht hinterm Kirchturm verstecken, sondern mittendrin sind bei solchen Veranstaltungen, auf die Menschen zugehen.
Was wünschen Sie sich zusammengefasst von der Frauen-EM?
Mages: Es wäre natürlich toll, wenn die deutschen Frauen ins Finale kämen. Den Männern mal zeigen, wie weit es gehen kann. Das gäbe dann auch noch einmal deutlich mehr Aufmerksamkeit. So dass die Spielerinnen vielleicht auch mal mehr verdienen. Eine Bundesliga- oder Nationalspielerin bekommt rund 40.000 Euro im Jahr – verglichen mit den Beträgen bei den Männern ist das ein Witz. Das nächste Frauensport-Ereignis möchte ich auf jeden Fall mehr zum Thema machen – in meiner Gemeinde und auch darüber hinaus.
Interview: Jörg Echtler