Gemeinsam gesellschaftliche Verantwortung tragen

Kooperationspapier des Zentralen Besprechungskreises Kirche-Handwerk

1. Unser gemeinsamer Weg seit 1945

Ein Blick auf die Geschichte zeigt, dass die Zusammenarbeit zwischen Handwerk und Kirche eine lange Tradition hat.

Wiederaufbau im Westen

Der Katastrophe des Zweiten Weltkrieges folgte der Zusammenbruch des Staates und der Wirtschaft. Millionen vertriebener Menschen aus den ehemaligen deutschen Ostgebieten und die Millionen heimkehrender Soldaten siedelten sich vor allem in den westlichen Besatzungszonen an. Aber überall trafen die Vertriebenen und Heimkehrer auf Menschen, die in zerbombten Städten mit zerstörten oder demontierten Industrien hungerten und notdürftig ihr Leben fristeten.

Die damals selbstverständlich vom Handwerk erbrachten Leistungen für die Versorgung der Menschen dürfen auch heute nicht vergessen werden. Die örtliche Partnerschaft zwischen Handwerkern [1] und ihren Kirchengemeinden bewährte sich. Selbstverständlich halfen Bauhandwerker, die Kirchengebäude, Kindergärten, Gemeindehäuser und Pfarrwohnungen instand zu setzen, wenn auch oft nur behelfsmäßig. Erfindungsreich reparierten Schuhmacher und Schneider Schuhwerk und Kleidung für die kirchlichen Hilfswerke. Und ohne die Hilfe von Bäckern und Fleischern hätte die schmale Kost für Altenheime, Kindergärten und Flüchtlingsunterkünfte meist gar nicht beschafft werden können.

Systemwechsel im Osten

Ebenso schwierig wie im westlichen Bundesgebiet stellte sich die Situation im Gebiet der späteren DDR dar. Die Verluste durch Demontage und Reparationen waren ungleich größer als im Westen. Hinzu kam der Systemwechsel. Die Überführung von Handwerksbetrieben in die sogenannten „Produktionsgenossenschaften des Handwerks“ (PGH) verstärkte die politischen und parteipolitischen Kontrollmöglichkeiten des SED-Staates und schloss offizielle Beziehungen kirchlicher Institutionen zu den Institutionen des Handwerkes faktisch aus.

In nicht wenigen Fällen geschah die Vereinigung zu den PGHs unter Druck, und manche Handwerker erfuhren das als eine faktische Enteignung ihrer Betriebe. Andere versuchten durch den offensiven Beitritt zu den PGHs sich einen relativ eigenständigen Status zu erhalten. Oft genug bestand in diesen Zeiten die Beziehung der Kirchen zum Handwerk in der seelsorgerlichen Begleitung von Handwerkern, wie sie die Kirchen auch für viele mittelständische Unternehmen, die enteignet wurden, und für viele bäuerliche Betriebe, die zum Eintritt in die Landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften (LPG) genötigt wurden, zu leisten hatten.

Der besonderen gesellschaftlichen Situation der DDR war es geschuldet, dass die Beziehungen von Handwerkern zur Kirche und von kirchlichen Mitarbeitern zu Handwerkern viel weniger institutionell verankert waren als in der jungen Bundesrepublik. Schon bald nach der Auflösung der Länder (1952) spürten auch die Organisationen des Handwerks den überall stattfindenden Abbau von Eigenverantwortung und Selbstorganisation. Aus den „Innungen“ wurden „Berufsgruppen“, und die Kreishandwerkerschaften wurden zu „Kreisgeschäftsstellen“, also zu Außenstellen der Bezirkshandwerkskammern.

Die Schwierigkeiten der DDR-Wirtschaft sorgten für eine – nun allerdings viel stärker im Verborgenen stattfindende – Beziehung zwischen Kirche und Handwerk. In vielen Fällen ging es in der DDR weniger um Geld für Bau- oder Reparaturmaßnahmen als um Baukapazitäten (die sogenannten „Bilanzen“), um Material und vor allem um Ersatzteile. Die Kirchengemeinden haben oft davon profitiert, dass ihnen von Handwerkern „unter der Hand“ geholfen wurde. Auch nicht der Kirche verbundene Handwerker schienen manchmal die Kirchengemeinden besonders zu unterstützen, weil sie in ihnen eine staatskritische Institution sahen. Freilich spielte es auch eine Rolle, dass manche Kirchengemeinden über begehrtes „Westgeld“ verfügen konnten oder mit Materiallieferungen durch die Partnergemeinden in der Bundesrepublik unterstützt wurden. Eine weitere Besonderheit der Beziehungen ist dem Umstand zu danken, dass ein großer Teil der Pfarrerschaft der DDR selbst einen handwerklichen Beruf erlernt hatte. Zum Teil war es Pfarrern oder Pfarrerskindern nur über den Umweg einer Berufsausbildung und eine abendliche Volkshochschule möglich, zu einem Abitur und damit zu einem Studium zu gelangen.

Praktisch bedeutete dies, dass manche Pfarrer und Pfarrerinnen bei den Arbeitseinsätzen an Kirche, Pfarrhaus und auf dem Friedhof, die auch von Handwerkern oft in „Feierabendtätigkeit“ geleistet wurden, mit angepackt haben. Manche er Pfarrerinnen und Pfarrer haben dadurch ein weitgespanntes Beziehungsnetz in die Handwerkerschaft geknüpft. Im Gegensatz zu den Friedens- und Menschenrechtsfragen blieben der Pfarrerschaft wirtschaftspolitische und -ethische Zusammenhänge dennoch meist fremd.

Institutionelle Zusammenarbeit in der Bundesrepublik

In der jungen Bundesrepublik kam es zwischen der Handwerksorganisation und den Kirchen bereits seit ihrer Gründung zu einer intensiven Zusammenarbeit. Die evangelischen Akademien, besonders Haus Ortlohn in Iserlohn, Hofgeismar und Bad Boll luden zu Tagungen „Kirche und Handwerk“ ein. Auf anspruchsvollem Niveau wurden in großen und engagierten Teilnehmerkreisen aktuelle und zukunftsweisende Fragen, die den Aufbau der Bundesrepublik, die Soziale Marktwirtschaft und die christlich-ethische Orientierung betrafen, diskutiert und beantwortet.

Die Handwerksorganisation erkannte, dass die Akademien und Gesprächskreise wichtige Beiträge zur Meinungsbildung in Politik und Öffentlichkeit leisteten. So lag es nahe, die Bildung einer Einrichtung Kirche und Handwerk innerhalb der evangelischen Kirche anzuregen. Die Handwerksorganisation wünschte sich einen kompetenten Gesprächspartner für den gesamten evangelischen Bereich, ähnlich dem Kolpingwerk in der katholischen Kirche.

Auf Einladung von Dr. Friedrich Karrenberg, bekannt durch seine Arbeit für den Deutschen Evangelischen Kirchentag und als Herausgeber des Evangelischen Soziallexikons, legte man in seinem Haus in Velber die weiteren Schritte fest. Am 26. August 1952, während des Stuttgarter Kirchentages, wurde dann die Handwerkerbewegung der Evangelischen Kirche in Deutschlang als „offene Laienbewegung“ gegründet.

Auch nach der Gründung der evangelischen Handwerkerbewegung hatte der ZDH den Wunsch, für die Arbeitskontakte mit der EKD eine institutionelle Grundlage zu schaffen. So vereinbarten das Präsidium des Zentralverbandes des Deutschen Handwerks und Vertreter der Evangelischen Kirche in Deutschland im Jahr 1966 die Gründung des Zentralen Besprechungskreises.

Der als Gremium für die Gesamtkontakte gegründete „Zentrale Besprechungskreis Kirche und Handwerk“ (in Anlehnung an das sozialethische Referat der Kirchenkanzlei der EKD in Bonn) setzte sich zunächst zusammen aus Repräsentanten des Handwerks (ZDH, Handwerkskammern und Handwerksunternehmer), der Evangelischen Kirche und der Evangelischen Bundesarbeitsgemeinschaft Handwerk und Kirche der EKD.

Entwicklung nach der Wiedervereinigung

Nach der Wiedervereinigung leisteten viele Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der westdeutschen Handwerksorganisationen wichtige Hilfestellung beim erneuten Systemwechsel. Oft standen diese Helfer der christlichen Handwerkerarbeit nahe. In mehreren evangelischen Landeskirchen der neuen Bundesländer gründeten sich Arbeitskreise „Handwerk und Kirche“, die sich unter anderem des Themas „Kultur der Selbständigkeit“ annahmen. Eine besondere Bewährungsprobe bestanden die Beziehungen zwischen der Handwerkerschaft in Ost und West während der sog. Jahrhundertflut.

In den 1990er Jahren erweiterte sich der Zentrale Besprechungskreis um Vertreter von Kirche und Handwerk aus den neuen Bundesländern und Repräsentanten der Zentralfachverbände des Handwerks. Seit 1997 sind auch Vertreter der katholischen Deutschen Bischofskonferenz (DBK) Mitglied im Zentralen Besprechungskreis. Von Seiten der katholischen Verbände kam später der KKV – Verband der Katholiken in Wirtschaft und Verwaltung – und das Kolpingwerk hinzu. Durch diesen Schritt hat die katholische Kirche ihre institutionelle Beziehung zum Handwerk weiter vertieft. Denn neben den seit langem bestehenden Kontakten der katholischen Verbände zum Handwerk besteht nun zusätzlich eine direkte Verbindung der Bischöfe zum Zentralverband des Deutschen Handwerks (ZDH). Innerhalb der Deutschen Bischofskonferenz werden die Kontakte zum Zentralen Besprechungskreis von der Kommission für gesellschaftliche und soziale Fragen (VI) wahrgenommen. Der Besprechungskreis initiiert zudem regelmäßig Spitzengespräche des ZDH-Präsidiums mit den höchsten Repräsentanten der beiden großen christlichen Kirchen.

Arbeitsweise des Zentralen Besprechungskreises

Der Zentrale Besprechungskreis ist der Impulsgeber und das zentrale Gesprächsgremium für die Kontakte zwischen Handwerk und Kirchen. Er fördert durch den regelmäßigen Gedankenaustausch über die gesamte Bandbreite der sozial- und gesellschaftspolitischen Themen das Verständnis füreinander und ermöglicht die Zusammenarbeit in konkreten Fragen.

Die Sitzungen des Besprechungskreises finden in der Regel zu Jahresbeginn an unterschiedlichen Tagungsorten statt, um den Austausch in die Fläche zu tragen. Sie dienen der Diskussion und der gemeinsamen Positionierung in gesellschaftspolitischen Fragen. Die Mitglieder des Besprechungskreises bringen die Beratungsergebnisse als Multiplikatoren in Handwerk und Kirchen ein. Darüber hinaus wird durch Pressearbeit und Publikationen über die Ergebnisse der Sitzungen informiert.

Das Spektrum der Themen, mit denen sich der Besprechungskreis beschäftigt, hat sich im Laufe der Jahre erweitert und gewandelt. Er war und ist stets auch Spiegel der jeweils bedeutsamen und vorherrschenden gesellschaftspolitischen Agenda. Während zu Beginn Grundsatzfragen der neu etablierten Arbeits- und Sozialordnung in der jungen Bundesrepublik im Fokus standen, kamen später wirtschaftspolitische und ökologische Fragen sowie die Auseinandersetzung mit der Wiedervereinigung und einem zusammenwachsenden Europa hinzu.

Zu den Beratungsschwerpunkten des Besprechungskreises gehören inzwischen auch die Folgen des demografischen Wandels sowie die Frage, wie eine umweltfreundliche und effiziente Energieversorgung sichergestellt werden kann. Weiterhin erörtert der Besprechungskreis die Chancen und Herausforderungen der Digitalisierung sowie die Zukunft der europäischen Integration.

Die schriftliche Grundlage für diese Zusammenarbeit lieferte das Kooperationspapier des Zentralen Besprechungskreises Kirche und Handwerk, das im Jahr 1972 in der Residenz des Landesbischofs Dr. Hermann Dietzfelbinger durch OKR Dr. Horst Echternach vorgestellt wurde. Der damalige Ratsvorsitzende der EKD, Landesbischof Dietzfelbinger, und ZDH-Präsident Joseph Wild bekräftigten darin ihre Empfehlungen zur Zusammenarbeit zwischen der Evangelischen Kirche und dem Handwerk.

Anlässlich des 40jährigen Bestehens des Kooperationspapiers im Jahr 2012 beschloss der Zentrale Besprechungskreis, dieses fortzuschreiben und in der vorliegenden Fassung das Selbstverständnis des Besprechungskreises sowie die Grundlagen der inzwischen ökumenischen Zusammenarbeit im Lichte der heutigen Herausforderungen darzustellen, verbunden mit Empfehlungen für die weitere Festigung des gemeinsamen Austauschs.


  1. Obwohl aus Gründen der Lesbarkeit im Text die männliche Form gewählt wurde, beziehen sich die Angaben auf beide Geschlechter.
Nächstes Kapitel