Auf Grenzen achten - Sicheren Ort geben

Prävention und Intervention. Arbeitshilfe für Kirche und Diakonie bei sexualisierter Gewalt

Anlagen

Anlage 1

Rechtsgrundlagen

1. Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung (StGB)

Die Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung sind in den §§ 174ff des Strafgesetzbuchs (StGB) geregelt. Für die Verfolgung von Straftaten sind ausschließlich die staatlichen Strafverfolgungsbehörden, also die Staatsanwaltschaften, zuständig. Der Abdruck im Folgenden dient nur der Information und beinhaltet keine Aufforderung, sich mit diesem Bereich des Strafrechts intensiv zu beschäftigen. Dafür sind die Juristinnen und Juristen in den Kirchenämtern und die Strafverfolgungsbehörden zuständig.

Wichtig sind vor allem die im Strafrecht gezogenen Schutzaltersgrenzen: Kinder bis zum Alter von 14 Jahren (0 bis 13 Jahre) sind absolut geschützt, das heißt jede sexuelle Handlung mit, an oder vor einem Kind unter 14 Jahren ist grundsätzlich verboten, ebenso das Vorzeigen oder Abspielen von Pornos sowie entsprechendes Reden darüber. Dadurch soll die von vorzeitigen sexuellen Erlebnissen ungestörte Gesamtentwicklung von Kindern sichergestellt werden.

Ab 14 Jahren (14 bis 17 Jahre) geht das Gesetz davon aus, dass Jugendliche grundsätzlich fähig sind, ihre Sexualität frei zu bestimmen. Bei Jugendlichen von 14 und 15 Jahren ist deshalb die sexuelle Freiheit und die ungestörte sexuelle Entwicklung nur innerhalb bestimmter Abhängigkeits- oder Obhutsverhältnisse geschützt beziehungsweise bei leiblichen oder angenommenen Kindern.

Mit allen Jugendlichen ab 14 Jahren (14 bis 17 Jahre) sind außerdem solche sexuellen Handlungen unter Strafe gestellt, die unter Ausnutzung einer Zwangslage oder gegen Entgelt stattfinden.

2. Sexuelle Belästigung (AGG)

Sexuelle Belästigungen sind keine Straftaten. Das Allgemeine Gleichstellungsgesetz (AGG) definiert sie in § 3 Abs. 4 als „eine Benachteiligung in Bezug auf § 2 Abs. 1 Nr. 1 bis 4 [92], wenn ein unerwünschtes, sexuell bestimmtes Verhalten, wozu auch unerwünschte sexuelle Handlungen und Aufforderungen zu diesen, sexuell bestimmte körperliche Berührungen, Bemerkungen sexuellen Inhalts sowie unerwünschtes Zeigen und sichtbares Anbringen von pornografischen Darstellungen gehören, bezweckt oder bewirkt, dass die Würde der betreffenden Person verletzt wird, insbesondere wenn ein von Einschüchterungen, Anfeindungen, Erniedrigungen, Entwürdigungen oder Beleidigungen gekennzeichnetes Umfeld geschaffen wird.“

Die so beschriebenen Verhaltensweisen führen zwar nicht zu strafrechtlicher Verfolgung. Entsprechende Handlungen sind aber rechtswidrig und können deshalb sowohl arbeitsrechtliche Folgen haben und als auch Anspruch auf Schadenersatz und Schmerzensgeld begründen.

3. Bundeskinderschutzgesetz

Am 1. Januar 2012 sind mit dem Bundeskinderschutzgesetz neben Bestimmungen zum Aufbau von Netzwerken für Frühe Hilfen und einer Erweiterung des Verfahrens zur Gefährdungseinschätzung bei möglichen Kindeswohlgefährdungen auch Bestimmungen zum präventiven Schutz von Kindern vor Gefahren in Kraft getreten, die Kinder in einer Einrichtung selber bedrohen können. Grundlage für diesen präventiven Schutz ist § 79a SGB VIII. Danach ist der Schutz von Kindern innerhalb der Einrichtung zentraler Aspekt der Qualitätssicherung und -entwicklung. Anknüpfend an diese Grundaussage ist die adäquate Ausgestaltung dieses Schutzes Voraussetzung sowohl für die Betriebserlaubnis nach § 45 SGB VIII wie auch für die finanzielle Förderung von freien Trägern gemäß § 47 SGB VIII.

Zielgruppe des § 79a SGB VIII sind zunächst die Träger der öffentlichen Kinder- und Jugendhilfe. Diese haben Grundsätze und Maßstäbe für die Bewertung der Qualität sowie geeignete Maßnahmen zu ihrer Gewährleistung zu entwickeln, weiterzuentwickeln, anzuwenden und regelmäßig zu überprüfen. Einrichtungsträger, die Vereinbarungen nach §§ 78a ff SGB VIII geschlossen haben, haben bereits in diesem Zusammenhang entsprechende Konzepte entwickelt und mit den öffentlichen Trägern abgestimmt; sie werden diese weiterführen können. Mit einer Anlehnung an § 79a SGB VIII macht § 74 SGB VIII neue Fassung diese Verpflichtung zum Entwickeln entsprechender Konzeptionen nunmehr auch zur Voraussetzung der künftigen Förderung.

Unabhängig von der Finanzierungsart macht § 45 SGB VIII die Erteilung einer Betriebserlaubnis davon abhängig, dass mit der Antragsstellung schlüssige Konzepte zur Qualitätsentwicklung und -sicherung sowie Qualitätssicherungskonzepte vorliegen (Abs. 3) und mit Beteiligungs- und Beschwerdeverfahren in persönlichen Angelegenheiten die Rechte der Kinder und Jugendlichen wirksam gesichert werden (Abs. 2) [93]. Damit ist ein wichtiges Instrument zur Aufdeckung von Kindesmissbrauchsfällen als unabdingbare Zulassungsvoraussetzung für Einrichtungen der Kinder- und Jugendhilfe gesetzlich verankert: Denn gerade das Vertrauen der Kinder und Jugendlichen in diese Beschwerdeverfahren ist eine unverzichtbare Bedingung dafür, dass sie den Mut fassen, über erlebte sexualisierte Gewalt zu sprechen [94].

Eine weitere Voraussetzung für die künftige Betriebserlaubnis und den Schutz von Kindern und Jugendlichen in Einrichtung ist die von der Einrichtungsleitung vorzunehmende Einsichtnahme in erweiterte Führungszeugnisse gemäß § 30 Abs. 5 und § 30a Abs. 1 des Bundeszentralregistergesetzes.

In der Umsetzung dieser Neuregelungen werden die zuständigen Jugendämter auch bestehende Einrichtungen daraufhin zu überprüfen haben, ob diese ihre Arbeitsweise den verschärften

Voraussetzungen nach dem Bundeskinderschutzgesetz anpassen. Für diese Kontrolle ist das Verfahren nach § 45 Abs. 6 SGB VIII (§ 45 Abs. 3 SGB VIII alte Fassung) zu beachten; dabei haben die Jugendämter freie Träger zunächst auf konkrete Anpassungsbedarfe hinzuweisen und ihnen eine Frist zur Abhilfe zu setzen. Erst wenn vereinbarte Korrekturen ausbleiben, ist es angemessen, das Wohl der in der Einrichtung betreuten Kinder durch weitreichendere Maßnahmen zu sichern [95] und die zuvor erteilte Erlaubnis zu widerrufen.

Im Ergebnis zielen diese neuen Regelungen auf einen Gesamtprozess der Qualitätsentwicklung ab, der öffentliche und freie Träger einbezieht und in dem der Schutz der Kinder und Jugendlichen einen zentralen Gesichtspunkt bildet [96]. Sie schaffen eine insgesamt tragfähige Grundlage für weitere vor Ort auszuarbeitende beziehungsweise. weiterzuentwickelnde konzeptionelle Arbeiten. Für diese Umsetzung und Weiterarbeit setzt das Bundeskinderschutzgesetz in vielfacher Weise auf die Zusammenarbeit von öffentlichen und freien Trägern. Hierbei kommt den öffentlichen Trägern zwar die abschließende Verantwortung für den Bestand und Ausbau der Infrastruktur zu.

Diese kann er aber letztlich nur erfolgreich wahrnehmen, wenn er die freien Träger partnerschaftlich in die Erfüllung seiner Gestaltungsaufgaben einbezieht und so die fachliche und organisatorische Erfahrung der freien Träger kooperativ einbezieht [97].

4. Erweitertes Führungszeugnis

Ein wichtiger Bestandteil des präventiven Kinderschutzes in Einrichtungen ist das bereits erwähnte sogenannte erweiterte Führungszeugnis. Dessen Inhalt und die Voraussetzungen für seine Anforderung regeln die §§ 30a bis 32 Bundeszentralregistergesetz (BZRG).

Das Führungszeugnis ist ein Auszug aus dem Bundeszentralregister und gibt Auskunft über Straftaten und Ordnungswidrigkeiten einer Person. Während die gewöhnlichen Führungszeugnisse mit Blick auf deren Bagatellcharakter oder den Zeitpunkt ihrer Begehung bestimmte Straftaten nicht aufführt (§§ 32 Abs. 2 Nr. 3 bis 9 BZRG), entfällt diese Modifizierung beim erweiterten Führungszeugnis, wenn sich diese Einträge auf Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung nach den §§ 174 bis 180 oder 182 StGB beziehen. Damit stellt das Gesetz sicher, dass das Zeugnis hinreichend Auskunft über die Zuverlässigkeit der überprüften Person Auskunft gibt.

Gerade im Hinblick auf diese weitgehenden Auskünfte, unterliegt die Ausgabe dieser Führungszeugnisse zusätzlichen Anforderungen, die Personen vor unbilligen Ausspähungen schützen sollen. Deshalb bedarf es grundsätzlich einer gesetzlichen Grundlage für dessen Einholung. Allerdings nimmt das BZRG die Hauptfälle vorweg, in denen ein erweitertes Führungszeugnis verlangt werden kann. Dies betrifft gerade den hier relevanten präventiven Schutz von Kindern vor sexualisierter Gewalt durch Mitarbeitende in Einrichtungen oder bei vergleichbaren Anlässen außerhalb des SGB VIII. So soll es aber gemäß § 30a Abs. 1 Nr. 2 BZRG zum Einsatz kommen, wenn dieses Führungszeugnis benötigt wird für die Prüfung der persönlichen Eignung nach § 72a SGB VIII – Kinder- und Jugendhilfe – (Buchstabe A), eine sonstige berufliche oder ehrenamtliche Beaufsichtigung, Betreuung, Erziehung oder Ausbildung Minderjähriger (Buchstabe B) oder eine Tätigkeit, die in einer Buchstabe B vergleichbaren Weise geeignet ist, Kontakt zu Minderjährigen aufzunehmen (Buchstabe C). Zudem wird das Führungszeugnis nur ausgestellt, wenn die Notwendigkeit eines erweiterten Führungszeugnisses von der Arbeitgeberin beziehungsweise dem Arbeitgeber oder der Organisatorin beziehungsweise des Organisator einer Veranstaltung, für die Ehrenamtliche eingesetzt werden, bestätigt wird.

So weitreichend die Informationen sind, die dieses Zeugnis gibt, ist dabei allerdings Folgendes zu beachten: gemäß § 4 Abs. 1 BZRG sind nur rechtskräftige (also durch kein Rechtsmittel mehr anfechtbare) Verurteilungen einzutragen. Es gibt also einen Rückblick darauf, ob Bewerbende bis zum Zeitpunkt der Einsichtnahme wegen einschlägiger Sexualdelikte rechtskräftig verurteilt worden sind. Das Führungszeugnis unterstützt damit die strafrechtliche Unschuldsvermutung und gibt weder Auskunft über laufende noch über eingestellte Verfahren beziehungsweise Ermittlungen, in denen die Schuld entweder noch nicht nachgewiesen ist oder nicht nachgewiesen werden konnte. Diese wichtige Selbstbeschränkung ist unter rechtsstaatlichen Gesichtspunkten unterlässlich. Sie macht allerdings deutlich, dass der Aussagegehalt des Führungszeugnisses begrenzt ist und dass dieses mithin nicht das einzige Instrument des präventiven Kinderschutzes sein kann. Gerade im laufenden Beschäftigungsverhältnis kann die Arbeitgeberin / der Arbeitgeber nicht abwarten, ob eine rechtskräftige Verurteilung gegen ihre / seine Mitarbeitenden vorliegt, sondern muss zum Beispiel im Dienstvertrag oder qua Dienstanweisung sicherstellen, dass er umgehend von einschlägigen Ermittlungen erfährt.

5. Schweigepflichten und Zeugnisverweigerungsrechte

Wer im Rahmen einer förmlichen Beichte (also mit Sündenbekenntnis und Absolution) von einem Fall sexualisierter Gewalt erfährt, muss darüber schweigen. Dasselbe gilt, wenn jemand im Rahmen der Seelsorge Kenntnis von einem Fall sexualisierter Gewalt bekommt. Bei Kenntnissen im Rahmen der Seelsorge ist es allerdings zulässig, andere, auch kirchliche Dienststellen oder die staatlichen Strafverfolgungsbehörden, zu unterrichten, wenn die Gesprächspartnerin oder der Gesprächspartner (nicht das Landeskirchenamt!) die Seelsorgerin oder den Seelsorger von der Schweigepflicht befreit. Bei der seelsorglichen Begleitung von Opfern sexualisierter Gewalt ist es daher wichtig, die Betroffenen so stark zu machen, dass sie einer Offenlegung der Gewaltanwendung zustimmen oder – noch besser – sie selbst gegenüber den staatlichen Strafverfolgungsbehörden anzeigen. Für Pfarrerinnen und Pfarrer sind Beichtgeheimnis und seelsorgliche Schweigepflicht in § 30 des Pfarrdienstgesetzes (PfDG) der EKD geregelt.

Privatrechtlich Beschäftigte sind an die seelsorgliche Schweigepflicht nur dann gebunden, wenn sie einen bestimmten Seelsorgeauftrag nach § 3 Abs. 2 des Seelsorgegeheimnisgesetzes der EKD besitzen.

Auch freiwillig Engagierte stehen unter seelsorglicher Schweigepflicht, wenn sie wie zum Beispiel Mitarbeitende in der Telefonseelsorge oder in der Notfallseelsorge einen besonderen Seelsorgeauftrag wahrnehmen und dafür besonders qualifiziert wurden.

Wer an die seelsorgliche Schweigepflicht gebunden ist, kann sich unabhängig von der Rechtsnatur des Dienst- oder Arbeitsverhältnisses gleichzeitig vor staatlichen Gerichten als Geistliche oder Geistlicher auf ein Zeugnisverweigerungsrecht berufen, soweit es um Sachverhalte geht, die im Rahmen der Seelsorge bekannt geworden sind.

Dieses Zeugnisverweigerungsrecht ist in § 53 der Strafprozessordnung (StPO) geregelt.

Dienstliche Vorgänge, die keine Seelsorgeangelegenheiten darstellen, aber trotzdem vertraulich sind (zum Beispiel Beratungen im Kirchenvorstand), dürfen nur offenbart werden, wenn eine Aussagegenehmigung vorliegt. Diese erteilt bei Pfarrerinnen und Pfarrern das Landeskirchenamt, im Übrigen der jeweilige Arbeitgeber. Zu beachten ist, dass die kirchliche Beratungsarbeit von staatlicher Seite nicht als Seelsorge anerkannt wird. Mitarbeitende kirchlicher Beratungsstellen können sich daher nur dann auf das Zeugnisverweigerungsrecht nach § 53 StPO berufen, wenn sie in einer anerkannten Schwangerschaftskonfliktberatungsstelle nach § 53 Abs. 1 Nr. 3a StPO arbeiten. Um die Vertraulichkeit der kirchlichen Beratungsarbeit zu schützen, wird die Aussagegenehmigung grundsätzlich verweigert. Das wird von den staatlichen Stellen in der Regel auch anerkannt. Wegen der gesamtkirchlichen Bedeutung einer Aussagegenehmigung in diesen Fällen liegt die Letztentscheidung über eine Aussagegenehmigung beim Landeskirchenamt.

Die Pflicht zur dienstlichen Verschwiegenheit ist für Pfarrerinnen und Pfarrer in § 31 des Pfarrdienstgesetzes der EKD geregelt.

Für privatrechtlich Beschäftigte ergibt sich die Verschwiegenheitspflicht aus dem Tarifvertrag, einer Dienstvertragsordnung, einer Zusatzvereinbarung zum Arbeitsvertrag oder Ähnliches.

Die Schweigepflichten aus dem Beicht- und Seelsorgegeheimnis und der Verschwiegenheitsverpflichtung stehen in einem gewissen Spannungsfeld zum Schutzauftrag nach § 8 a SGB VIII und zur Informationspflicht aus § 4 des KKG.

Es ist in jedem Einzelfall eine Rollenklärung vorzunehmen und zu prüfen, ob das Gesagte tatsächlich im Rahmen der Seelsorge oder vielleicht doch nur bei Gelegenheit anvertraut wurde. Nicht jedes vertrauliche Gespräch ist ein Seelsorgegespräch.

6. Datenschutz und Persönlichkeitsrechte

Das vorstehend beschriebene Seelsorgegeheimnis kommt nach dem Seelsorgegeheimnisgesetz der EKD (SeelGG) nur besonderen Gesprächskonstellationen zugute. Insbesondere bindet es nur Personen, die einen Seelsorgeauftrag im Sinne von § 3 SeelGG haben, der ihnen mit der Ordination oder bezogen auf eine bestimmte Tätigkeit ausdrücklich erteilt wird. Demgegenüber richtet sich der überwiegende Teil der diakonischen Arbeit nach arbeitsrechtlichen Verschwiegenheitspflichten, dem Datenschutzrecht und der im Strafrecht verankerten besonderen Schweigepflicht aus § 203 StGB, die im Folgenden erläutert werden sollen. Dass Scham über erlebte sexualisierte Gewalt und Angst vor dem Täter beziehungsweise der Täterin Kinder und Jugendliche häufig daran hindert, über ihre Erlebnisse zu reden und die Betreffenden bloßzustellen, ist in der Arbeitshilfe dargestellt worden. Eine wichtige Voraussetzung für die Überwindung dieser Befürchtungen, die letztlich vor allem den Täter oder die Täterin schützen und deshalb von diesem bekräftigt werden, ist die Gewährleistung von Vertraulichkeit. Eine besondere Herausforderung besteht dabei freilich darin, betroffenen Kindern den Unterschied zwischen diesem rechtlich garantierten Vertrauensschutz und der bisher erlebten von der missbrauchenden Person eingeforderten Heimlichkeit nahezubringen.

Die Rechtsordnung sieht ein differenziertes System aus Verpflichtungen (und Sanktionen) vor, das in seiner Gesamtheit die Vertraulichkeit dessen schützt, was ein Mißbrauchsopfer Mitarbeitenden der Einrichtung mitteilt. Mitarbeitenden kirchlicher und diakonischer Träger erlegt das kirchliche Datenschutzrecht [98] grundlegende Verpflichtungen auf. Vorrangige Bedeutung vor diesen kommt jedoch Regelungen zu, die speziell auf den Schutz von Sozialdaten und die Gesprächskonstellationen zugeschnitten sind, in denen diese in erster Linie mitgeteilt werden. Deshalb sind über die allgemeinen Regelungen des kirchlichen Datenschutzrechtes hinaus auch die besonderen Pflichten zum Schutz von Sozialdaten aus §§
61ff SGB VIII zu beachten; § 61 Abs. 3 SGB VIII verpflichtet dabei die Träger der öffentlichen Jugendhilfe dazu sicherzustellen, dass auch freie Träger den Schutz von Sozialdaten in entsprechender Weise gewährleisten.

Besonders enge Voraussetzungen gelten unabhängig von einem besonderen beruflichen Hintergrund für den Schutz von Sozialdaten [99], die Mitarbeitenden zum Zwecke persönlicher und erzieherischer Hilfe anvertraut worden sind (§ 65 SGB Abs. 1 VIII). Das SGB VIII schützt damit die im Rahmen persönlicher Beratung, Betreuung und Unterstützung entstandenen Vertrauensverhältnisse [100] und die Mitteilungen bzw. Eindrücke, die die Ratsuchenden den Mitarbeitenden in diesem Rahmen übermitteln [101]. Ohne die ausdrückliche Einwilligung der Betroffenen ist die Weitergabe dieser Daten an Dritte (insbesondere an das Jugendamt) entsprechend § 65 Abs. 1 Nr. 2 bis 4 SGB VIII nur als ultima ratio zur Abwehr von Kindeswohlgefährdungen zulässig. Bei einzelnen Berufsgruppen, die aufgrund ihrer Tätigkeit ein besonderes Vertrauen genießen, wiegt der Bruch dieses Vertrauens so schwer, dass die unbefugte Weitergabe des Anvertrauten gemäß § 203 StGB mit Strafe bedroht wird. Bei den hier relevanten Konstellationen dürften diese besonderen Erwartungen vor allem für die Psychologinnen und Psychologen mit staatlich anerkannter wissenschaftlicher Abschlussprüfung und staatlich anerkannten Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeiter oder staatlich anerkannten Sozialpädagoginnen und Sozialpädagogen zum Tragen kommen [102]. Eine Befugnis zur Weitergabe des Anvertrauten besteht nur, wenn die betroffene Person ausdrücklich damit einverstanden ist oder eine rechtliche Befugnis hierzu besteht (wie zum Beispiel § 65 Abs. 1 Nr. 2 bis 4 SGB VIII) [103]. Eine unbefugte Weitergabe des Anvertrauten kann zudem gerechtfertigt sein, wenn sie der einzige und überdies angemessene Weg ist, um eine Gefahr für Leib, Leben oder andere Rechtsgüter abzuwenden (so genannter Rechtfertigender Notstand im Sinne von § 34 StGB [104]).

Nicht immer entsprechen diesen Schweigeverpflichtungen gegenüber der Allgemeinheit auch Zeugnisverweigerungsrechte gegenüber der Polizei und Gerichten. Nur die in § 53 ausdrücklich genannten Personen [105] können vor der Polizei und den Gerichten ihre Aussage verweigern. Aussageverweigerungsberechtigt sind demnach zum Beispiel psychologische Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten, Kinder- und Jugendpsychotherapeutinnen und Kinder- und Jugendpsychotherapeuten, Mitarbeitende oder Beauftragte von staatlich anerkannten Schwangerschaftskonflikt- oder Suchtberatungsstellen. Für alle anderen Berufsgruppen, insbesondere Sozialarbeiter und Sozialpädagogen, gilt ungeachtet ihrer Schweigepflichten eine Ausnahme für die prozessrechtlichen Aussagepflichten. Diese berechtigen nicht nur, sondern verpflichten zu entsprechenden Aussagen. Derzeit haben vereinzelt Gerichte eine auf § 54 StPO gestützte Aussageverweigerung diakonischer Träger anerkannt [106].

Die besondere Frage, inwieweit sich eine Einrichtung oder Gemeinde auch gegen den Willen der betroffenen Kinder an die Polizei wenden darf, wird unter Teil 2, II, 1.2. Aufgaben der Leitung erörtert. Insoweit ist aber festzuhalten, dass hier das Recht mehr zulässt als psychologisch und pädagogisch opportun erscheint. Eine bewusste Selbstbeschränkung auf ein mit den Opfern abgestimmtes Vorgehen, das deren Veto gegen eine Mitteilung respektiert, ist rechtlich zulässig, solange das Opfer den rechtlich geschuldeten Schutz vor weiteren Übergriffen erfährt.




Anlage 2

Ethische Grundlagen – „Wozu wir uns verpflichten“ [107]

Hochdorfer Neun-Punkte-Programm

An diesen ethischen Grundlagen wollen wir uns selbst und gegenseitig messen:

  • Ich bin bereit, meine Fachkompetenz einzubringen, zu erhalten und weiterzuentwickeln sowie professionelle Standards einzuhalten.
  • Ich nutze die von der Einrichtung zur Verfügung gestellten professionellen Instrumentarien (zum Beispiel Fachberatung, Fortbildung), um meine Fertigkeiten und mein Fachwissen zu erweitern.
  • Ich achte auf meine körperliche und emotionale Gesundheit und nehme Hilfe in Anspruch falls diese nicht mehr gegeben ist, um den betrieblichen Anforderungen zu genügen.
  • Ich achte und würdige die Einmaligkeit und die Selbstbestimmung der jungen Menschen und richte mein Tun daran aus.
  • Ich richte mein professionelles Handeln am Wohl der jungen Menschen aus, indem ich ihre Stärken und Ressourcen nutze und ihre Grenzen achte.
  • Ich trete aktiv Gefährdungen junger Menschen entgegen und schütze sie in meinem Einflussbereich vor entsprechenden Erfahrungen.
  • Mein Handeln ist transparent und nachvollziehbar, entspricht fachlichen Standards und ist in einem wertschätzenden Umgang miteinander eingebettet.
  • Ich bin bereit zu vertrauensvoller Teamarbeit und trage auftretende Meinungsverschiedenheiten mit dem Ziel konstruktiver Lösungen aus.
  • Ich verhalte mich Kolleginnen und Kollegen sowie der Gesamtleitung gegenüber loyal und trete aktiv der Nichtbeachtung professioneller Standards entgegen.



Anlage 3

Gewalt? Nicht mit uns! [108]

Verhaltenskodex zur Verhinderung von Gewalt

Evangelische Kinder- und Jugendarbeit lebt durch die Beziehung der Menschen miteinander und mit Gott. In der Arbeit mit Kindern und Jugendlichen entsteht eine persönliche Nähe und Gemeinschaft, in der die Lebensfreude bestimmend ist und die von Vertrauen getragen wird. Dieses Vertrauen darf nicht zum Schaden von Kindern und Jugendlichen ausgenutzt werden.

Die Evangelische Jugend Kurhessen-Waldeck tritt entschieden dafür ein, Mädchen und Jungen vor Gefahren jeder Art zu schützen. Sie duldet keine körperliche, seelische oder psychische Gewalt. Sie wird alles ihr nur mögliche tun, einen Zugriff von Tätern und Täterinnen auf Kinder und Jugendliche auszuschließen. Eine klare Positionierung zum Kinder- und Jugendschutz, ein Klima der offenen und sensiblen Auseinandersetzung mit dem Thema sowie Transparenz und Sensibilisierung tragen maßgeblich zur Qualität unserer Jugendarbeit bei. Kinder und Jugendliche sowie Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in der Kinder- und Jugendarbeit erlaubt dies, sich wohl und sicher zu fühlen.

Deshalb hat die Jugendkammer der Evangelischen Jugend Kurhessen-Waldeck diesen Verhaltenskodex am 20.05.2011 beschlossen. Er gilt für kirchlich getragene und verantwortete Arbeit von und mit Kindern und Jugendlichen in der Evangelischen Kirche von Kurhessen-Waldeck auf allen Ebenen.

  1. Die Persönlichkeit und Würde von Kindern und Jugendlichen ist unantastbar
    Wir beziehen gegen sexistisches, rassistisches, diskriminierendes und gewalttätiges Verhalten jeder Art aktiv Stellung. Wir verpflichten uns, Kinder und Jugendliche unabhängig ihres Alters, Geschlechts, ihrer Herkunft und Religion wertzuschätzen, sie zu begleiten und zu beraten, die von ihnen gesetzten Grenzen zu achten und zu respektieren.
  2. Kinder und Jugendliche benötigen einen Entwicklungsraum, um sich frei zu entfalten
    Wir bieten Kindern und Jugendlichen in unseren Angeboten den Raum, Selbstbewusstsein, die Fähigkeit zur Selbstbestimmung und eine geschlechterbewusste Identität zu entwickeln.
  3. Gewalt und sexualisierte Gewalt dürfen kein Tabuthema sein
    Wir tolerieren keine Form der Gewalt, benennen sie offen und handeln zum Besten der Kinder und Jugendlichen. Wir beziehen in der öffentlichen Diskussion klar Stellung.
  4. Arbeit mit Kindern und Jugendlichen braucht aufmerksame und qualifizierte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter
    Wir alle tragen Verantwortung für Kinder und Jugendliche. Um dieser Verantwortung gerecht zu werden, entwickeln wir Konzepte, damit in der Arbeit mit Kindern und Jugendlichen keine Grenzverletzungen und keine sexualisierte Gewalt möglich werden. Hierfür behandeln wir diese Themen in unserer Ausbildung regelmäßig.
  5. Kinder und Jugendliche müssen vor Schaden geschützt werden
    Wir schützen die uns anvertrauten Kinder und Jugendlichen vor körperlichem und seelischem Schaden, vor Missbrauch und Gewalt.
  6. Grenzverletzungen wird konsequent nachgegangen
    Der Schutz der Kinder und Jugendlichen steht dabei an erster Stelle. Im Konfliktfall informieren wir die Verantwortlichen auf der Leitungsebene und ziehen professionelle Unterstützung und Hilfe hinzu. Die Vorgehensweisen und mögliche Ansprechpartner sind uns bekannt.



Anlage 4

Erklärung der Mitarbeiterin / des Mitarbeiters (Muster)

Vorname, Name

Geb. am


Gegen mich ist kein Verfahren wegen einer Straftat nach den §§ 171, 174 bis 174c, 176 bis 181a, 182 bis 184e, 225, 232 bis 236 des Strafgesetzbuches anhängig.

Ich verpflichte mich hiermit, meinen Arbeitgeber / Träger

sofort zu informieren, wenn ein Verfahren wegen Verstoßes nach den oben genannten Paragraphen gegen mich eröffnet werden sollte.


Ort, Datum und Unterschrift




Anlage 5

Name und Anschrift der Einrichtung bzw. Briefkopf


Bestätigung erweitertes Führungszeugnis (Muster)


zur Vorlage beim Einwohnermeldeamt für die Beantragung eines erweiterten Führungszeugnisses gemäß Paragraph 30a Abs. 2b BZRG

Hiermit wird bestätigt, dass die oben genannte Einrichtung / der oben genannte Träger / Verein gemäß § 72a SGB VIII die persönliche Eignung von Personen, die Aufgaben in der Kinder- und Jugendhilfe wahrzunehmen, durch Vorlage eines erweiterten Führungszeugnisses gemäß § 30a Abs. 1 BZRG zu prüfen hat.


Frau / Herr

geboren am .. in ..

wohnhaft in

ehrenamtlich tätig und benötigt dafür ein erweitertes Führungszeugnis gemäß § 30a Abs. 2b BZRG

oder

wird ab dem .. eine ehrenamtliche Tätigkeit aufnehmen und benötigt dafür ein erweitertes Führungszeugnis gemäß § 30a Abs. 2b BZRG.




Anlage 6

Checkliste zur Selbstreflexion bei Verdacht auf Fehlverhalten durch Mitarbeitende [109]

Alle Punkte sind der Reihe nach zu bearbeiten! Dadurch wird Handlungsdruck reduziert und es können – gut abgewogen – weitere Schritte geplant werden. Diese Selbstreflexion bleibt in der persönlichen Verwahrung der wahrnehmende Mitarbeitende / des wahrnehmenden Mitarbeitenden und wird bei unbegründetem Verdacht vernichtet. Arbeitsanleitungen sind kursiv gedruckt.

  1. Persönliche Daten des betroffenen Mädchen oder Jungen (Vorname, Alter…), Name der betroffenen Mitarbeitenden beziehungsweise des betroffenen Mitarbeitenden
  2. Aus Datenschutzgründen bitte Abkürzungen oder Codewort benutzen.
  3. Was habe ich beobachtet, was ist mir aufgefallen?
    Habe ich den Eindruck, dass sich Kolleginnen und Kollegen gemäß ihrer professionellen Rolle und beruflichen Stellung verhalten? Ist das Verhältnis Nähe und Distanz zu
    den Kindern und Jugendlichen stimmig? Hat mir jemand anderes Beobachtungen mitgeteilt?
    Welche, wann und wie (persönlich, schriftlich, anonym, über Dritte)?
  4. Informationen und Beobachtungen, Aussagen von Kindern / Jugendlichen sammeln und dokumentieren. Auf keinen Fall Kinder / Jugendliche befragen!
  5. Was lösen diese Beobachtungen und Informationen bei mir aus?
  6. Gibt es eine Person meines Vertrauens (innerhalb / außerhalb der Einrichtung) mit der ich meine Beobachtungen und Gefühle austauschen kann?
    Es ist hilfreich, in einem ersten Schritt auszusprechen, was Sie beschäftigt und beunruhigt und in einem zweiten Schritt eine Trennung von tatsächlichen Beobachtungen und Vermutungen, Interpretationen und Phantasien vorzunehmen.
    Hat sich dadurch etwas für mich verändert? Wenn ja, was?
  7. Welche verschiedenen Erklärungsmöglichkeiten gibt es für das Verhalten des Kindes, des Jugendlichen oder der Jugendlichen?
  8. Was ist meine Vermutung oder Hypothese, wie sich das Kind, die Jugendliche oder der Jugendliche entwickelt, wenn alles so weiter läuft wie jetzt?
  9. Welche Veränderungen sind aus meiner Sicht für das Kind, die Jugendliche oder den Jugendlichen notwendig?
  10. Wer im Umfeld des Kindes oder der Jugendlichen bzw. des Jugendlichen ist mir als unterstützend bekannt? Gibt es überhaupt jemanden, an den sich die betroffene Person wenden könnte?
  11. Was ist mein nächster Schritt im Rahmen der Verfahrensregelung „Umgang mit Fehlverhalten“? Wann werde ich wie weitergehen (zum Beispiel Kolleginnen oder Kollegen ansprechen, Einbringen in das Team, Fachberatung, Leitung informieren und so weiter)?
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