Auf Grenzen achten - Sicheren Ort geben

Prävention und Intervention. Arbeitshilfe für Kirche und Diakonie bei sexualisierter Gewalt

Vorwort

Kinder und Jugendliche in ihrer Entwicklung und der Entfaltung ihrer Persönlichkeit zu unterstützen, ist grundlegendes Anliegen von Kirche und Diakonie im Bereich der Bildung. Weil wir davon überzeugt sind, dass jeder einzelne Mensch als Geschöpf und Abbild Gottes eine unantastbare Würde besitzt, müssen Angebote und Einrichtungen im kirchlichen und diakonischen Bereich dies widerspiegeln und sich durch eine Kultur der Achtsamkeit, des Respekts und der Wertschätzung auszeichnen. Die kirchlichdiakonische Arbeit mit Kindern und Jugendlichen ist im hohen Maße Beziehungsarbeit und hat von ihrem Selbstverständnis her den Anspruch, Kindern und Jugendlichen einen sicheren und geschützten Raum zur Entfaltung zu bieten.

In besonders scharfem Gegensatz zu diesem Anliegen steht es, wenn Kinder, Jugendliche oder junge Erwachsene sexualisierte Gewalt erfahren. Sexualisierte Gewalt kommt jedoch überall vor auch in kirchlichen und diakonischen Diensten und Einrichtungen. Davon zeugen nicht zuletzt Berichte über sexualisierte Gewalt an Kindern und Jugendlichen, die vor allem im Jahr 2010 öffentlich wurden. Durch den Mut der Betroffenen, die diese Fälle an die Öffentlichkeit getragen haben, wurde ein gesellschaftlicher Diskurs initiiert.

Die Bundesregierung hat dazu einen Runden Tisch „Sexueller Kindesmissbrauch“ und die Stelle eines Unabhängigen Beauftragten zur Aufarbeitung des sexuellen Kindesmissbrauchs eingerichtet. Kirche und Diakonie verpflichten sich mit den Vereinbarungen zur Umsetzung der Empfehlungen des Runden Tisches „Sexueller Kindesmissbrauch“ zur Übernahme der dort getroffenen Absprachen. Auch mit ihrer aktiven Beteiligung am „Runden Tisch Heimerziehung“ haben Kirche und Diakonie deutlich gemacht, dass Verdrängen und Verschweigen von Übergriffen nicht zugelassen werden und Betroffene solidarische Unterstützung erhalten.

Kirche und Diakonie sehen sich in besonderer Weise verpflichtet, in ihren Einrichtungen und Diensten in diakonischer Trägerschaft anvertraute Kindern und Jugendliche wirkungsvoll vor sexualisierter Gewalt zu schützen. Leitungskräfte kirchlicher und diakonischer Einrichtungen haben die Aufgabe, in ihrem Zuständigkeitsbereich durch Präventionsmaßnahmen sexualisierte Gewalt zu verhindern. Alle Mitarbeitenden haben die Aufgabe, achtsam zu sein und gegen Taten einzuschreiten.

Zu einer wirkungsvollen Prävention gehören die Förderung von Sensibilität und Aufmerksamkeit gegenüber sexualisierter Gewalt, aber auch konkrete Leitlinien, anhand derer Einrichtungen und Träger passgenaue Konzepte entwickeln können. Die vorliegende Arbeitshilfe gibt einen Überblick über die grundlegenden Mindeststandards zur Prävention von sexualisierter Gewalt in Kirchengemeinden und in diakonischen Einrichtungen. Sie ist in enger Zusammenarbeit zwischen der EKD und dem Diakonie Bundesverband entstanden und ist als Anregung und Maßstab für die Schaffung einer „Kultur der Achtsamkeit“ gedacht.

Die Arbeitshilfe gliedert sich wie folgt: Sie beginnt mit einer theologischen Auseinandersetzung und der Begründung des Schutzauftrages, der bei Kirche und Diakonie im Lichte der christlichen Tradition einen ganz besonderen Stellenwert einnimmt.

Teil 1 liefert allgemeine Informationen zum Thema „Sexualisierte Gewalt“. Im weiteren Verlauf werden Hintergründe und Ursachen für sexualisierte Gewalt beschrieben sowie Risikofaktoren und Täterstrategien innerhalb kirchlicher und diakonischer Handlungsfelder vorgestellt. Hinweise zur Sexualentwicklung bei Kindern und Jugendlichen sowie Hinweise für einen professionellen Umgang mit Nähe und Distanz sind wichtige Bestandteile der Arbeitshilfe.

Teil 2 widmet sich den konkreten Empfehlungen und spezifischen Maßnahmen zu Prävention und Intervention. Der an dieser Stelle vorgestellte Maßnahmenkatalog soll als Anregung für die Erarbeitung von Konzepten dienen und muss an die jeweiligen Bedarfslagen der Gemeinden, Einrichtungen oder Dienste angepasst werden. Zu diesem Zweck werden grundlegende Mindeststandards der Präventions- und Interventionsarbeit benannt. Es wird gezeigt, welche Maßnahmen Gemeinden, Einrichtungen und Dienste ergreifen können, um eine Kultur der Achtsamkeit zu implementieren. Hier sind grundsätzlich alle gefordert: Leitungsebene, Mitarbeitende, Eltern, Kinder und Jugendliche.

Ergänzt wird die Arbeitshilfe durch Vorlagen und Muster beispielsweise für Selbstverpflichtungserklärungen sowie Informationen zu rechtlichen Grundlagen im Anhang.

In den vergangenen Jahren sind sehr qualitätsvolle Präventionsleitfäden im kirchlichen Bereich veröffentlicht worden. Die Entwicklung und Bereitstellung eines eigenen Leitfadens zur Prävention und Intervention ist für das Selbstverständnis jeder Einrichtung oder Institution als ein Qualitätsmerkmal zu verstehen, das den Schutz von Kindern und Jugendlichen langfristig und nachhaltig verbessern und sichern soll.

Deshalb werben die EKD und die Diakonie Deutschland mit dieser Arbeitshilfe für das zentrale Anliegen, in allen kirchlichen und diakonischen Einrichtungen offen mit dem Thema sexualisierte Gewalt umzugehen und die Herausforderung anzunehmen, aktiv und nachhaltig gegen jegliche Übergriffe sowie gegen Täter und Täterinnen vorzugehen.

Diese Arbeitshilfe ist ein Teil einer kleinen Veröffentlichungsreihe. Sie wird ergänzt durch ein Handlungskonzept der EKD, das in der Broschüre „Hinschauen - Helfen - Handeln“ Hinweise für den Umgang mit Verletzungen der sexuellen Selbstbestimmung durch beruflich und ehrenamtlich Mitarbeitende im kirchlichen Dienst schriftlich niedergelegt ist. Es ist für die evangelischen Landeskirchen mit ihren Kirchengemeinden und deren Einrichtungen gedacht.

Weiter ergänzt die Handreichung „Unsagbares sagbar machen“ die Veröffentlichungen. Diese ist vornehmlich für Kirchengemeinden erstellt worden, in deren Mitte sich ein Vorfall sexualisierter Gewalt ereignete. Die Auswirkungen eines solchen Falles und Handlungsmöglichkeiten zur Bewältigung der Krise werden in der Broschüre anhand von Fallbeispielen erörtert.

Wir wünschen der Arbeitshilfe eine breite Aufnahme in der Praxis, so dass von ihr wirksame Impulse für die kirchlichdiakonische Arbeit mit Kindern und Jugendlichen ausgehen können.

Dr. Hans Ulrich Anke
Präsident des Kirchenamtes
Evangelische Kirche in Deutschland

Maria Loheide
Vorstand Sozialpolitik
Diakonie Deutschland

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