Mutterschutz

Gemeinsame Stellungnahme des Bevollmächtigten des Rates der EKD und des Kommissariats der deutschen Bischöfe zum Mutterschutz

Gemeinsame Stellungnahme
zum Vorschlag der Kommission der Europäischen Gemeinschaft
für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates
zur Änderung der Richtlinie 92/85/EWG des Rates vom 19. Oktober 1992
über die Durchführung von Maßnahmen zur Verbesserung der Sicherheit und des Gesundheitsschutzes von schwangeren Arbeitnehmerinnen, Wöchnerinnen und stillenden Arbeitnehmerinnen am Arbeitsplatz

sowie zum Vorschlag der Kommission für eine
Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates zur Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung von Männern und Frauen, die eine selbständige Erwerbstätigkeit ausüben, und zur Aufhebung der Richtlinie 86/613/EWG


Wir, die beiden großen, christlichen Kirchen und ihre Werke, Caritas und Diakonie, in Deutschland, engagieren uns für eine familien- und kinderfreundliche Gesellschaft. Dazu tragen wir u. a. durch das Angebot von Kindergärten, Ehe- und Familienberatung, Mutter-Kind-Erholungskuren, die Organisation von Jugendfreizeiten, die Einrichtung von Eltern-Kind-Gruppen, Kinder- und Familiengottesdiensten bei. Gemeinsam setzen wir uns für eine menschengerechtere und familienfreundlichere Gestaltung von Wirtschaft und Arbeitswelt ein.

 

I. Allgemeine Erwägungen

Vor dem Hintergrund unseres Einsatzes für eine familienfreundliche Gesellschaft begrüßen wir, dass sich die Kommission in ihrem „Work-Life Balance“-Paket vom 3. Oktober 2008 des wichtigen Themas der Vereinbarkeit von Beruf, Privat- und Familienleben annimmt. In ihrer hierin enthaltenen Mitteilung richtet die Kommission aber unserer Ansicht nach den Fokus zu stark auf eine möglichst rasche Wiedereingliederung der Eltern in Beschäftigung und auf das Ausschöpfen des „hohe[n] Potenzial[s] der Frauen auf dem Arbeitsmarkt“  . Das Gebot der Stunde sollte aber weniger die Anpassung der Familien an die Arbeitswelt, sondern umgekehrt die menschengerechtere und familienfreundlichere Gestaltung von Wirtschaft und Arbeitswelt sein.

Bevor wir auf einige ausgewählte inhaltliche Aspekte der Vorschläge der Kommission genauer eingehen, noch eine Anmerkung zum gewählten Verfahren. Aus der Mitteilung ergibt sich, dass die Sozialpartner das Verhandlungsverfahren nach Artikel 138 EG-Vertrag über eine Reform der Richtlinie über den Elternurlaub eingeleitet haben und sich dabei auch mit anderen Modellen für Urlaub aus familiären Gründen, wie Vaterschafts-, Adoptions- oder Pflegeurlaub, befassen wollen . Wir weisen darauf hin, dass unter diesen Umständen eine bessere Koordination der Überlegungen von Kommission und Sozialpartnern empfehlenswert ist.

Wir begrüßen insbesondere das Anliegen der Kommission, die Rechte von schwangeren Arbeitnehmerinnen und Selbständigen sowie Wöchnerinnen zu stärken. Der ebenfalls im „Work-Life Balance“-Paket enthaltene Richtlinienvorschlag zur Änderung der Richtlinie 92/85/EWG über die Durchführung von Maßnahmen zur Verbesserung der Sicherheit und des Gesundheitsschutzes von schwangeren Arbeitnehmerinnen, Wöchnerinnen und stillenden Arbeitnehmerinnen am Arbeitsplatz  betont zu Recht, dass der Mutterschutz für die Gesundheit und Sicherheit von schwangeren Arbeitnehmerinnen und Wöchnerinnen von größter Bedeutung ist.  So soll auch nach der Auffassung des Bundesverfassungsgerichts „[d]ie Mutter … vor und nach der Geburt wegen der damit verbundenen Gesundheitsgefahren für sich und das Kind nicht arbeiten müssen.“ 

Dieser Gedanke spiegelt sich auch im Vorschlag zur Aufhebung der Richtlinie 86/813/EWG wieder. Selbständige Schwangere geraten aufgrund der Geburt ihres Kindes häufig in eine schwierige finanzielle Situation und in die Gefahr, durch das soziale Hilfsnetz zu fallen. Vor diesem Hintergrund begrüßen wir es, dass auch selbständigen Müttern die Möglichkeit eröffnet wird, Mutterschaftsurlaub in Anspruch zu nehmen, in welchem ihnen eine Sozialleistung entsprechend zumindest dem jeweiligen Krankengeld zu gewähren ist.

 

II. Zu den Vorschlägen im Einzelnen

1.  Flexibilisierung des obligatorischen Zeitraums

Die Kommission schlägt einen „Mutterschutzurlaub“ von zumindest 18 Wochen vor. Von diesen 18 Wochen sollen mindestens sechs Wochen nach der Entbindung obligatorisch sein. Das deutsche Mutterschaftsgesetz sieht bisher einen Mutterschutzzeitraum von 14 Wochen vor. Davon entfallen sechs Wochen auf die Zeit vor und acht Wochen auf die Zeit nach der Geburt. Für beide Zeiträume besteht nach deutschem Recht ein grundsätzliches Beschäftigungsverbot, jedoch kann sich die werdende Mutter – frei widerruflich – gegen die Inanspruchnahme des vorgeburtlichen Mutterschutzes entscheiden.
Dieses Regel-Ausnahme-Verhältnis des vorgeburtlichen Mutterschutzes nach deutschem Recht könnte angesichts des abgeänderten Art. 8 Abs. 1, 2 des Vorschlags zur Änderung der Richtlinie 92/85/EWG wohl nicht mehr erhalten bleiben. Denn hiernach gilt ein Beschäftigungsverbot allein nach der Entbindung. Ohne die Regel des vorgeburtlichen Beschäftigungsverbotes steht allerdings zu befürchten, dass die werdende Mutter viel stärker als bisher selbst- oder fremdinitiiertem Druck ausgesetzt sein wird, bis kurz vor der Geburt ihres Kindes zu arbeiten. Diese Situation kann hohe Risiken für die Gesundheit sowohl der Mutter als auch ihres ungeborenen Kindes bergen. Auch stünde zu befürchten, dass die Inanspruchnahme des vorgeburtlichen Mutterschutzes nach und nach an gesellschaftlicher Akzeptanz verlieren und zu einer rechtfertigungsbedürftigen Besonderheit werden könnte.
Die Kommission selbst betont in ihrer „Detaillierten Erläuterung“ zum Richtlinienentwurf (S.9) den hohen Stellenwert der Entscheidungsfreiheit der werdenden Mutter für oder gegen die Inanspruchnahme der vorgeburtlichen Mutterschutzzeit. Gerade um diese frei und ohne Zwang auszuüben, benötigt die werdende Mutter einen Schutzraum. Im Grundsatz eines vorgeburtlichen Beschäftigungsverbots mit Ausnahmeoption wird ihr ein solcher gewährt. Wir regen daher an, ein sechswöchiges vorgeburtliches Beschäftigungsverbot als Regel auch in die geänderte Mutterschutzrichtlinie aufzunehmen. In jedem Fall allerdings sollte dafür Sorge getragen werden, dass auf nationaler Ebene die Möglichkeit eines solchen Grundsatzes bewahrt werden kann.

Auch halten wir ein obligatorisches nachgeburtliches Beschäftigungsverbot von acht – nicht nur sechs – Wochen im Interesse von Mutter und Neugeborenem im Rahmen der Richtlinie für angebracht. Das nachgeburtliche „Wochenbett“ dauert sechs bis acht Wochen. Während dieser Zeit besteht ein höheres Infektionsrisiko. Die Geburtswunden der Mutter sollen abheilen, sie soll sich erholen können und nicht anderweitig belastet werden. Vor allem soll diese Zeit auch dazu dienen, die Bindung zwischen Mutter und Kind zu vertiefen. Sie darf daher nicht zu knapp bemessen sein.

 

2. Verlängerung der Mindestdauer auf 18 Wochen

Wir begrüßen die von der Kommission vorgeschlagene Verlängerung der Mindestdauer des „Mutterschaftsurlaubs“ von 14 auf 18 Wochen, da sie sich positiv auf die Gesundheit und Sicherheit der Mütter und Kinder und ihrer Bindung untereinander auswirkt. Zur Förderung der Vereinbarkeit von Beruf und Familie setzt z.B. das deutsche Familienrecht auf Modelle wie die Elternzeit. Die Elternzeit soll die Entscheidungsfreiheit der Eltern, nach der Geburt zeitnah wieder in Beschäftigung zurückzukehren oder sich in den ersten Monaten nach der Geburt selbst um die Erziehung zu Hause zu kümmern, verstärken. Insbesondere in den Fällen aber, in denen die Mutter oder der Vater relativ zeitig nach der Geburt wieder auf das volle Einkommen angewiesen sind und deshalb nicht auf die Elternzeit zurückgreifen kann, wirkt sich eine Verlängerung des Mutterschaftsurlaubs auf 18 Wochen positiv aus.

 

3. Kein künstlicher Gegensatz Mutterschutz - Elternzeit

Als Argument für die Verlängerung der in der bisherigen Mutterschutzrichtlinie (Art. 8 Abs. 1 Richtlinie 92/85/EWG) vorgesehenen Mindestdauer des Mutterschaftsurlaubs von 14 auf 18 Wochen führt die Kommission an, dass diese die Frauen veranlassen könnte, „weniger häufig Elternurlaub in Anspruch zu nehmen“.  Dieser Ansatz, Mutterschutz und „Elternurlaub“ gegeneinander auszuspielen, überzeugt nicht. Ein längerer Mutterschutz macht es Müttern einfacher, später Beruf und Familie zu vereinbaren. Das deutsche Recht räumt Müttern wie Vätern nach der Geburt eines Kindes die Möglichkeit ein, bis zu drei Jahre Elternzeit zu nehmen oder sich die Elternzeit mit dem Partner zu teilen und in den ersten 12 beziehungsweise 14 Monaten der Elternzeit Elterngeld zu beziehen. Diese 12 Monate sind vom deutschen Gesetzgeber ausdrücklich als ein besonderer „Schonraum“  und als eine Zeit gewollt, in der Vereinbarkeit von Beruf und Familie von beiden Elternteilen gelebt werden kann. Mutterschutz und Elternzeit ergänzen sich mithin und sind nicht in einen künstlichen Gegensatz zu bringen. Es sollte aus unserer Sicht alleine den Eltern überlassen werden, ob sie sich dafür entscheiden, nach der Geburt wieder zeitnah ins Berufsleben zurückzukehren oder aber mitgliedstaatlich eingeräumte Möglichkeiten wie etwa die Elternzeit in Anspruch zu nehmen. Wir regen daher an, den Hinweis auf eine seltenere Inanspruchnahme von „Elternurlaub“ aufgrund eines längeren Mutterschutzes zu streichen.

 

4. Kündigungsschutz

Nach dem von der Kommission vorgeschlagenen, neuen Art. 10 Abs. 2 der Richtlinie zur Änderung der Richtlinie 92/85/EWG soll die Kündigung einer Arbeitnehmerin vom Zeitpunkt ihrer Schwangerschaft an bis zum Ende des Mutterschaftsurlaubs verboten sein. Eine Begründung der Kündigung kann bis zu sechs Monate nach Ende des Mutterschaftsurlaubs verlangt werden. Das deutsche Mutterschaftsgesetz hingegen sieht ein Kündigungsverbot vom Beginn der Schwangerschaft bis vier Monate nach der Entbindung vor. Dies erscheint vorzugswürdig. Denn Mütter sind gerade nach Ende des Mutterschaftsurlaubs, in den ersten Wochen „zurück im Job“ besonders schutzbedürftig. In dieser Zeit haben sie vor Ort die ersten praktischen Auseinandersetzungen zur Vereinbarkeit von Beruf und Familie auszutragen. Wir regen daher an, das Fristende des Kündigungsverbotes nicht verpflichtend an das Ende des Mutterschaftsurlaubs zu binden. Die Möglichkeit, Mütter für mindestens vier Monate nach der Geburt Kündigungsschutz zu gewähren, muss erhalten bleiben.


Februar 2009

 


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