Gute Schule aus evangelischer Sicht

Impulse für das Leben, Lehren und Lernen in der Schule, EKD-Text 127, Hrg. EKD, April 2016, ISBN: 978-3-87843-043-8

9. Schulreformen bringen die Spannung zwischen Strukturen und Flexibilität in eine Balance

Für die Erträge wie für die Versäumnisse von Schulen werden in der gesellschaftlichen Diskussion vorwiegend Strukturen der Schule, vor allem die unterschiedlichen Schulformen und das gegliederte Schulwesen, verantwortlich gemacht. Solche grundlegenden Merkmale sind auf den ersten Blick erkennbar; ihre kausale Wirkung auf Lernprozesse und -ergebnisse wird deshalb vielfach unterstellt.

Die bildungspolitische und gesellschaftliche Diskussion in Deutschland hat sich in den letzten Jahrzehnten weit gehend auf das Problem der Schulformen konzentriert. Schulstrukturen schaffen allerdings nur Rahmenbedingungen für schulisches Lernen. Auf das Lernen wirken jedoch so viele Faktoren ein, dass das Gewicht jedes einzelnen Faktors relativiert wird. Wie auch immer die Evidenz zur Frage der Mehrgliedrigkeit und der Zeit gemeinsamen Lernens beurteilt wird, die Schulformdebatte unterläuft die Komplexität der Frage, wie eine gute Schule erreicht werden kann.

"Bisher standen bei der Schulwahl die Fragen im Vordergrund, ob ein Kind ›schulfähig‹ ist. In einer inklusiven Schule muss die Frage nun lauten, welche Rahmenbedingungen geschaffen werden müssen, damit ein jedes Kind die optimalen Lernbedingungen bekommt, d. h. ob die Schule ›kindfähig‹ ist."

Schon jetzt ist zu beobachten, dass die Einschulung in eine bestimmte Schulform nicht mehr automatisch mit einem bestimmten Schulabschluss verknüpft ist. Die Zusammenführung des Systems am Ende der Schulkarriere ist weit fortgeschritten. In einer Schule, in der sowohl die individuelle Förderung im Mittelpunkt steht als auch ein schulbezogenes stringentes Profil ausgebildet wird, verliert die Frage nach der Schul form an Bedeutung. Je weiter die Inklusion voranschreitet, desto unwichtiger werden Schulformdebatten. Wie die Einzelschule einerseits ihr Profil im Sinne einer bestimm ten Schulform ausgestaltet und andererseits flexibel mit den individuellen Lernprofilen ihrer Schülerinnen und Schüler umgeht, dürfte ein entscheidender Aspekt der Schulentwicklung vor Ort sein. Angesichts der demografischen Entwicklung ist außerdem zunehmend die Frage zu stellen, wie die Aufgliederung in unterschiedliche Schul arten noch sinnvoll organisiert werden kann.

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