Schulen in evangelischer Trägerschaft - Eine Handreichung

Selbstverständnis, Leistungsfähigkeit und Perspektiven. Im Auftrag des Rates der EKD, Hrsg. Gütersloher Verlagshaus, 2008, ISBN 978-3-579-02388-5

5. Kirchliche Bildungsverantwortung und Schule

Evangelische Schulen leben vom Bezug auf das Evangelium und damit auf die Kirche, die nach reformatorischem Verständnis der Verkündigung des Evangeliums dient. Für die Kirche sind Schulen in evangelischer Trägerschaft unabdingbar für ihre Bildungsverantwortung, weil in solchen Schulen exemplarisch ein evangelisches Bildungsverständnis realisiert werden kann. Zum christlichen Verständnis von Mensch und Wirklichkeit gehört auch ein christliches Bildungsverständnis. Deshalb wird die Kirche auch in Zukunft für evangelische Schulen eintreten.

5.1 Evangelische Schulen als Teil des kirchlichen Auftrags

Schulen in evangelischer Trägerschaft gehören unverzichtbar zum kirchlichen Auftrag. Solche Schulen sind eine der Formen, in denen evangelische Bildungsverantwortung realisiert werden kann. Geschichtlich gesehen reicht die Spur kirchlicher Schulen weit zurück bis in die Alte Kirche. Klosterschulen gab es bereits seit dem 4. Jahrhundert. Im weiteren Verlauf des Mittelalters kamen dazu unter anderem die Bischofsschulen, die sich am Sitz des Bischofs entwickelten. Für die Reformatoren gehörte die Forderung nach biblischer Unterweisung in allen Schulen von Anfang an zu den Anliegen, welche sie der weltlichen Obrigkeit vorlegten (An den christlichen Adel deutscher Nation, M. Luther, 1520). Leitend war für sie die Vorstellung von der "christlichen Schule" als allgemeinem Schulmodell, wie es damals angesichts der Einheit von Staat und Kirche allgemein einzuleuchten vermochte. Ebenfalls bereits in der Reformationszeit wurden aber zum Beispiel in Straßburg oder Goldberg auch ausdrücklich evangelische Schulmodelle realisiert. In späteren Jahrhunderten kann auch in rechtlicher Hinsicht insofern deutlicher von einer evangelischen Schulträgerschaft gesprochen werden, als zu diesem Zweck nun unter anderem Stiftungen eingerichtet wurden (so etwa von A. H. Francke in Halle). Als Gründer und Träger wurden in der Geschichte nicht nur die (Landes-)Kirchen tätig, sondern immer wieder auch einzelne evangelische Pädagoginnen und Pädagogen sowie Initiativgruppen häufig unter maßgeblicher Beteiligung von Eltern.

Geleitet waren die Schulreform- und Gründungsinitiativen von einem breiten Spektrum an Motiven wie Gewährleistung von Bildungsmöglichkeiten für alle, Elite-Bildung für die Gesellschaft, aber auch für den kirchlichen Bedarf, Bildungsangebote für Benachteiligte (Armenschulen, Waisenschulen, Schulen für Kinder und Jugendliche mit Behinderungen, Schulen für "verwahrloste" Kinder und Jugendliche usw.), Eröffnung berufsbezogener Bildungsmöglichkeiten für Mädchen und Frauen, Internationalisierung und globales Lernen (A. Comenius, A. H. Francke u. a.), Ausbildung besonderer christlicher Schulprofile, Beteiligung am gesellschaftlichen Bildungsdiskurs durch praktische Beispiele und Erfahrungen. Immer wieder spielten reformpädagogische Motive eine wichtige Rolle bei der Gründung evangelischer Schulen. Und nicht zuletzt wurde und wird die vom Grundgesetz den Religionsgemeinschaften explizit eingeräumte Möglichkeit der Schulträgerschaft als Ausdruck der Freiheit zur Religionsausübung verstanden.

Die kirchliche Bildungsverantwortung wird heute mehrdimensional und an unterschiedlichen Orten wahrgenommen. Sie erstreckt sich auf Bildungsaufgaben in der Gemeinde ebenso wie auf die staatliche Schule und ihren Religionsunterricht, auf Bildungseinrichtungen in kirchlicher Trägerschaft, angefangen beim Kindergarten über Angebote der Jugendarbeit bis hin zur Erwachsenen- und Weiterbildung, wie auf den öffentlichen Bildungsdiskurs. Die kirchliche Mitwirkung an Schulen in staatlicher Trägerschaft wird deshalb durch das Interesse an eigenen evangelischen Schulmodellen nicht in Frage gestellt. Auch heute ist der Religionsunterricht, der nach Art. 7 Abs. 3 GG "in Übereinstimmung mit den Grundsätzen der Religionsgemeinschaften" erteilt wird und ein "ordentliches Lehrfach" in den Schulen in staatlicher Trägerschaft darstellt, in der Sicht der Kirche ein hohes Gut (EKD 1994). Kirchlich begrüßt werden darüber hinaus die zahlreichen Möglichkeiten für religiöse Angebote im Schulleben, nicht zuletzt auch im Rahmen von Ganztagsschulen und Ganztagsbildung (Ganztagsschule - in guter Form!, EKD 2004). All dies entspricht den in manchen Landesverfassungen und Schulgesetzen direkt angesprochenen Bezügen der staatlichen Schule auf die abendländisch-christliche Überlieferung, Kultur und Wertetradition, einschließlich der Offenheit für andere Religionen und Traditionen. Schulen in evangelischer Trägerschaft sind als eine alternative Möglichkeit dafür anzusehen, religiöse und christliche Bildung in der Schule zu gewährleisten. Zugleich enthalten sie die Chance, den für alle Schulen bedeutsamen Zusammenhang von Ethos und Religion sowie von "Identität und Verständigung" (EKD 1994) besonders hervortreten zu lassen, um auf diese Weise Einsichten und Erfahrungen zu gewinnen, die für alle Schulen bedeutsam sind. Wie das Ethos von Schulen auch in einer pluralen Gesellschaft auf religiöse Begründungen bezogen sein kann, stellt heute eine allgemeine Herausforderung dar. Die von Schulen in evangelischer Trägerschaft entwickelten Modelle einer dialogischen Vermittlung unterschiedlicher Überzeugungen und ethischer Maßstäbe verdienen deshalb besondere Beachtung auch über diese Schulen hinaus.

Schließlich ergibt sich eine weitere Begründung des kirchlichen Auftrags im Blick auf Schulen in kirchlicher Trägerschaft aus ihrem Verhältnis zur Demokratie. Evangelische Schulen tragen dazu bei, ein staatliches Schul- bzw. Erziehungsmonopol auszuschließen. Ein solches Monopol wird vom Grundgesetz abgelehnt und ist auch aus evangelisch-gesellschaftsethischer Perspektive zurückzuweisen. Es widerspräche der zum Wesen der Kirche gehörigen Bildungsverantwortung, die eigene Schulen einschließt. Darüber hinaus hebt die christliche Ethik allgemein im Blick auf die Kindererziehung die besondere Elternpflicht und das besondere Elternrecht hervor. Schulen in evangelischer Trägerschaft geben den Eltern verstärkt die Möglichkeit, an der schulischen Erziehung und Bildung ihrer Kinder mitzuwirken.

5.2 Motive evangelischer Bildungsverantwortung

Systematisch betrachtet, lassen sich die verschiedenen Begründungen zu drei zentralen Motiven evangelischer Bildungsverantwortung verdichten (vgl. 2.2):

  • In Schulen in evangelischer Trägerschaft kann exemplarisch deutlich werden, dass das christliche Verständnis von Mensch und Wirklichkeit auch ein christliches Bildungsverständnis einschließt. Damit wird zugleich erkennbar, dass Erziehung und Bildung stets von bestimmten anthropologischen, weltanschaulichen, ethischen usw. Voraussetzungen her gestaltet werden in Schulen in staatlicher Trägerschaft oder in nichtkonfessionellen freien Schulen nicht weniger als in Schulen in evangelischer Trägerschaft. Deshalb kommt es entscheidend darauf an, welche Voraussetzungen jeweils als maßgeblich angesehen werden.
  • Evangelische Schulen stellen immer auch eine Form der Verkündigung dar. Sie eröffnen Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen Möglichkeiten, dem Evangelium zu begegnen.
  • Besonders wichtig ist schließlich das Motiv der Diakonie ­des Dienstes, den Kirche und Christen anderen leisten wollen (vgl. 2.2). Diakonie bezieht sich ebenso auf den einzelnen Menschen wie auf die Gesellschaft. "Gottes barmherzige und vergebende Zuwendung zu seinen Geschöpfen hat weitreichende Konsequenzen für das soziale Zusammenleben. Bildung und Erziehung haben in christlicher Sicht nicht nur jene Fähigkeiten zu wecken und zu stärken, die gerechten, sondern die zugleich auch fürsorglichen Lebensverhältnissen dienen: eine Kultur des Mitgefühls, der Barmherzigkeit und der Hilfsbereitschaft." (Maße des Menschlichen, EKD 2003)

Schulen in evangelischer Trägerschaft

Nächstes Kapitel