Der Gottesdienst

Eine Orientierungshilfe zu Verständnis und Praxis des Gottesdienstes in der evangelischen Kirche, Im Auftrag des Rates der EKD, 2009, Hrsg. Gütersloher Verlagshaus, ISBN 978-3-579-05910-5

4. Gottesdienst als Gestaltungsaufgabe

4.1 Wer feiert den Gottesdienst?

Teilnahmeverhalten

Die Mehrzahl der evangelischen Christen - nämlich knapp 60 Prozent - gibt bei Umfragen an, dass sie mehrmals im Jahr in evangelische Gottesdienste gehen. Nur eine geringe Zahl von ihnen, nämlich etwa 15 Prozent, geht nie. Und immerhin 6 Prozent der Konfessionslosen geben an, mehr als einmal im Jahr die Kirche zu besuchen. Allerdings meinen viele, dass man als evangelischer Christ am Sonntag nicht unbedingt zur Kirche zu gehen braucht. Daraus lässt sich schließen: es ist nicht das Feiertagsgebot, das zum Besuch des Gottesdienstes motiviert. Es geht vielmehr um individuelle Bedürfnisse und die Hoffnung, vom Gottesdienst bereichert nach Hause zu gehen. Die Erwartungshaltung, dass Gott einem durch die Predigt etwas für das eigene Leben sagt und gibt, ist sehr hoch. Der Wunsch nach Gemeinschaft, nach gemeinsamen Feiern, Singen und Beten kann jedoch für den Gottesdienstbesuch genauso ausschlaggebend sein wie eine konkrete Lebenssituation oder aber das Empfinden, dass es wieder einmal an der Zeit sei, in den Gottesdienst zu gehen.

Statistischen Angaben zufolge bilden die Gottesdienstbesucher, die regelmäßig kommen, eine Minderheit. Es handelt sich um 4 bis 5 Prozent der Gemeindeglieder. Im Verlauf des Jahres nehmen jedoch weit mehr von ihnen am Gottesdienst teil.

Am häufigsten werden Festgottesdienste besucht, allen voran die Gottesdienste am Heiligen Abend. An deren festliche Gestaltung werden hohe Erwartungen gestellt, und sie sind stark emotional besetzt.

In Zeiten des Übergangs kommen sehr viele Menschen zu Gottesdiensten, zu den sogenannten Hoch-Zeiten genauso wie zu den Zeiten, in denen die Begrenzungen des eigenen Lebens erfahrbar werden. Die angebotenen evangelischen Gottesdienste berücksichtigen den individuellen, familiären, aber auch den gesellschaftlichen Kontext: bei einer Taufe oder Konfirmation wird die nahe stehende Familie in den Gottesdienst begleitet. Bei einem Unglücksfall oder bei einer Katastrophe versammelt sich die Bürgergemeinde oft über die Kirchengemeindegrenzen hinaus zu Bitt- oder Gedenkgottesdiensten.

Viele Menschen bevorzugen Gottesdienste, von denen sie annehmen, dass sie genau für sie selbst oder für ihre Kinder zugeschnitten sind. Auch die vielen Zielgruppengottesdienste für Jugendliche oder Familien, für bestimmte Berufsgruppen oder Frömmigkeitsstile ziehen Menschen an, die mit einem traditionsgeprägten Sonntagsgottesdienst wenig anfangen können.

Das oben geschilderte Teilnahmeverhalten lässt sich auch bei den Evangelischen im Osten Deutschlands beobachten. Jedoch findet hier das gottesdienstliche Leben in einem über Generationen "entkirchlichten" Umfeld statt. Etwa 20 Prozent der Bevölkerung gehören noch einer Kirche an. Für die anderen ist der Gottesdienst in der Regel so gut wie bedeutungslos geworden. Dennoch können Gottesdienste für diese Menschen ein wichtiges Zeichen werden. Sie zeigen nämlich, dass es mehr gibt, als vor Augen liegt, mehr als der Mensch aus sich selber und seiner Welt machen kann. Und dann können sie durchaus Bedeutung für das Leben einer sich mehrheitlich religiös unbestimmt oder unreligiös verstehenden Gesellschaft erlangen, etwa anlässlich besonderer gesellschaftlicher Ereignisse und nicht zuletzt bei Katastrophen.

Gemeindebeteiligung

Nach evangelischem Verständnis wird der Gottesdienst unter Beteiligung der ganzen Gemeinde gefeiert. Dabei können verschiedene Formen der Beteiligung zum Tragen kommen. Man unterscheidet zwischen innerer und äußerer Beteiligung, obwohl beide eigentlich zusammengehören. Eine innere Beteiligung empfinden Menschen, wenn sie sich durch das, was im Gottesdienst geschieht, angesprochen fühlen und in den gottesdienstlichen Dialog mit Gott hineinkommen. Das kann individuell sehr unterschiedlich verlaufen: Bei dem einen kann die vertraute Liturgie dazu führen, sich zu beteiligen, bei einem nächsten ein biblisches Wort, bei einer anderen das Abendmahl oder es ist der gesamte Gottesdienst, der von jemanden ganz intensiv als eine gemeinsame Feier erfahren wird und ihn zum Nachdenken und Besinnen anregt, zum intensiven Hören und Empfangen. Eine aktive innere Beteiligung findet bei ihm dann statt, wenn er sich als getragen, gestärkt und getröstet erfährt, sich zum Hoffen ermutigt und zum solidarischen Handeln befähigt sieht.

Die innere Beteiligung verschränkt sich mit einer äußeren Beteiligung. Sie drückt sich beispielsweise im Mitsprechen oder Mitsingen, im Weitergeben des Friedensgrußes oder in Gesten und anderen liturgischen Bewegungen aus. Dieser aktive Mitvollzug wird durch regelmäßige Teilnahme am Sonntagsgottesdienst gestärkt.

Darüber hinaus gibt es eine Reihe von Möglichkeiten, aktiv am Gottesdienst mitzuwirken: zum einen können biblische Texte gelesen und Fürbitten ausgearbeitet und gesprochen werden. Bei vielen neuen Gottesdienstformen können die Gottesdienste gemeinschaftlich vorbereitet und gestaltet werden. Das Evangelische Gottesdienstbuch motiviert dazu. Ausgehend von einer erkennbaren Grundstruktur im liturgischen Ablauf werden den Vorbereitungsteams vielfältige Gestaltungsmöglichkeiten eröffnet, mit dem Ziel, das spirituelle Potenzial von Gemeindegliedern zu befördern. Bei den gemeinsam erarbeiteten "offen" gestalteten Gottesdiensten können individuelle Anliegen genauso eingebracht werden wie die eigenen Begabungen.

Öffentlichkeit

Evangelische Gottesdienste sind öffentlich. Ihr Öffentlichkeitscharakter erschließt sich aus dem Evangelium. Hier ist der Auftrag zur öffentlichen Wortverkündigung wesentlich begründet. Durch die Verkündigung des Evangeliums partizipiert die Institution Kirche an der vorhandenen gesellschaftlichen, aber auch publizistischen Öffentlichkeit. Von daher sind ihre Gottesdienste in der säkularen Gesellschaft auch beheimatet, obwohl sie als Kirche darauf zu achten hat, dass sie in der Welt nicht aufgeht und ihr gesellschaftskritisches Potenzial behält. Deshalb hält sie ihre Kirchentüren nicht nur für Kirchenmitglieder offen. Vielmehr möchte sie möglichst viele Menschen einladen. Damit entspricht sie ihrem missionarischen Auftrag. Indem der Zuspruch und der Anspruch des Evangeliums öffentlich bezeugt werden, wirkt der christliche Glaube in die gesellschaftliche Diskussion mit ihrer Meinungsvielfalt hinein.

Offen für Interessierte - das bezieht sich auch auf die Form und die Gestaltung von evangelischen Gottesdiensten. Die Vielfalt gottesdienstlicher Angebote möchte den Gottesdienst für möglichst viele anziehend machen. Das kann der traditionsorientierte Gottesdienst leisten, indem er den Mitfeiernden eine Verbindlichkeit und Beheimatung anbietet. Für dessen Mitvollzug ist jedoch eine gewisse Einübung erforderlich. Darüber hinaus gibt es unterschiedliche gottesdienstliche Angebote, die regional verankert sind und auf spezifische Weise in die Öffentlichkeit hineinwirken. Dagegen haben die evangelischen Gottesdienste in den Medien die breite Öffentlichkeit im Blick.

Bei den Kasualgottesdiensten ist eine Tendenz zum Rückzug aus der Gemeinde-Öffentlichkeit in die Familie festzustellen. Damit kann sich eine Individualisierung der kirchlichen Vollzüge verbinden. Hier müssen neue Wege beschritten werden, um auch in diesen Zusammenhängen dem Öffentlichkeitsauftrag des Evangeliums gerecht zu werden. Es ist Aufgabe der Gemeinden, den familiären und individuellen lebensgeschichtlichen Bezug deutlich mit dem Öffentlichkeitsauftrag des Evangeliums zu verbinden.

4.2 Der Ablauf des Gottesdienstes

Gemäß dem Evangelischen Gottesdienstbuch besteht der evangelische Gottesdienst aus einer Folge von vier Schritten, in denen wir aus dem Alltag zum Beten (A), dann zum Hören (B) und Feiern (C) sowie schließlich zurück in einen gesegneten Alltag finden (D) (vgl. auch 3.4). Wird das Abendmahl (C) nicht gefeiert, sind es drei Schritte. In jedem Fall ist der Rhythmus von Eröffnung (A), Verkündigung (B) und Sendung (D) prägend. Dies gilt für die festliche Messe (Grundform I des EGb) ebenso wie für die schlichtere Elementarform (Grundform II des EGb) des evangelischen Gottesdienstes. Über die dort bereits angegebenen Varianten hinaus ermöglicht das Evangelische Gottesdienstbuch auch die freiere Gestaltung vieler Teile des Gottesdienstes.

A - Eröffnung und Anrufung

Zunächst geht es darum, den Alltag hinter sich zu lassen und zum Beten und Hören zu finden. Hier gibt es die größte Zahl von Varianten. Der Gottesdienst beginnt in der Regel mit Orgelklängen oder mit anderer Instrumentalmusik. Darauf folgt - wie bei jedem Fest - eine Begrüßung.

Das feierliche Votum ("Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes") erinnert an die Taufe. Durch den liturgischen Gruß ("Der Herr sei mit euch" oder "Die Gnade unseres Herrn Jesus Christus ...") wird der Versammlung die Freundlichkeit des dreieinigen Gottes mitgeteilt. Daran kann sich eine freie Begrüßung anschließen. Mit Votum, Gruß und freien Worten begrüßt insgesamt nicht die Pfarrerin oder der Pfarrer als "Gastgeber" die Versammlung, sondern die Versammelten begrüßen sich wechselseitig "im Namen Jesu" (vgl. Mt 18,20). Möglicherweise folgt ein Vorbereitungsgebet, das die menschliche Unvollkommenheit vor Gott anspricht, oder ein Sündenbekenntnis, das die menschliche Schuld vor Gott bringt. Vielleicht intoniert die Gemeinde eine gesungene Bitte um den Heiligen Geist, ein Morgen- oder Psalmlied. Stattdessen kann auch ein Psalm gesprochen werden, mit dem die Gemeinde in das Gebet Israels einstimmt: mit Klage und Lob, Bitte und Dank. Oft erschließt sich der Gemeinde dabei das Thema des Sonntags (vgl. den Passionssonntag Judika mit Ps 43,1: "Gott, schaffe mir Recht"). Psalmen können im Wechsel zweier Gruppen, im Wechsel von Liturgin und Gemeinde oder gemeinsam gesprochen oder gesungen werden. Ein Lobpreis des Dreieinigen ("Ehr' sei dem Vater und dem Sohn ..."), der seit dem frühen Mittelalter das klösterliche Psalmgebet geprägt hat, schließt den Psalm ab. Damit erweist die Gemeinde Gott die Ehre und bekennt die Freude an seiner Gegenwart.

In der schlichten Form des Predigtgottesdienstes (Grundform II des EGb), die besonders in den oberdeutsch geprägten Kirchen üblich ist, folgt nun schon ein Tagesgebet, das uns innerlich auf das Hören der Verkündigung einstimmt.

In der komplexeren Form der Messe (Grundform I des EGb) gehen dem Tages- oder Kollektengebet Kyrie und Gloria voraus. Beide sind alte Stücke des Gottesdienstes, die (fast) jeden Sonntag wiederkehren (Ordinarium). Im Kyrie strecken wir uns aus nach dem Erbarmen Gottes, der als Herr (Kyrios - die griechische Übersetzung des hebräischen Gottesnamens JHWH) angerufen und ausgerufen wird, und bringen zum Ausdruck, dass wir mit leeren Händen vor Gott treten. Mit dem großen Gloria (zum Beispiel "Allein Gott in der Höh sei Ehr", EG 179,1) stimmt die Gemeinde ein in den Jubel der himmlischen Chöre vor Bethlehem (vgl. Lk 2,14). Kyrie und Gloria zusammen bringen menschliche Not und Angst, aber auch christliche Hoffnung und Freude im gesungenen Gebet vor Gott. Das Tagesgebet ist dann der Höhe- und Schlusspunkt der Eröffnung: Wir können mit Gott selbst sprechen wie das Kind mit dem Vater (vgl. Mk 14,36; Röm 8,15).

In den meisten unierten Gemeinden gibt es neben der Hinführung zum Kyrie auch einen Gnadenspruch, der vor dem Gloria ("Allein Gott in der Höh sei Ehr ...") steht und zu ihm überleitet: Ein Wort Gottes wie "Kommt her zu mir alle, die ihr mühselig und beladen seid ..." steht für die Erhörung des Flehens im Kyrie. Dazu wendet sich der Liturg der Gemeinde zu und teilt ihr Gottes Erbarmen mit, worauf diese mit dem Lobgesang antwortet. Insgesamt folgt Teil A einer alten westkirchlichen Tradition, die uns mit allen katholischen Christen verbindet.

B - Verkündigung und Bekenntnis

Der zweite Teil des Gottesdienstes lässt sich als Wechsel von Anrede und Antwort, von Wort Gottes und Lied beschreiben. Im Predigtgottesdienst (Grundform II des EGb) geschieht dies elementar mit Lesung, Lied und Predigt, der das Glaubensbekenntnis folgt. In der Messform werden drei biblische Lesungen vorgetragen, von denen eine der Predigttext ist: eine alttestamentliche, eine aus den neutestamentlichen Briefen (Epistel) und eine aus den Evangelien. Auf die Lesung aus dem Alten Testament sollte um der Einheit der biblischen Botschaft willen nicht verzichtet werden. Es können kleine Hinführungen (Präfamina) vorangestellt werden oder beim Vortrag der Lesungen unterschiedliche Stimmen zum Einsatz kommen. Dadurch wirkt das Wort der biblischen Zeugen lebendig und aktuell. Zwischendurch erklingen Chorgesänge oder Gemeindelieder. Unmittelbar nach der Epistel wird das Halleluja gesungen, außer in der Passions- und Adventszeit. Der Ruf stammt aus dem Hebräischen und bedeutet: "Singt Jahwe (= singt Gott)". Der Vortrag des Evangeliums ist von alters her ein Höhepunkt im christlichen Gottesdienst, bei dem sich die Gemeinde froh erhebt und den in seinem Evangelium zu ihr kommenden Christus begrüßt ("Ehre sei dir, Herr!") und ihn preist ("Lob sei dir, Christus!"). Darauf folgt nach einem weiteren Lied die Predigt, die einen inhaltlichen Höhepunkt des evangelischen Gottesdienstes darstellt. Die Heilige Schrift wird durch eine von der Kirche berufene Person in lebendiger Weise für die Gegenwart vergewissernd und tröstend, orientierend und ermutigend ausgelegt. Die evangelische Kirche folgt dabei im jährlichen Wechsel sechs Predigtreihen (sogenannte Perikopenreihen), die thematisch durch das Evangelium (Reihe 1) geprägt sind.

In vielen Gemeinden folgt nun - oder wie früher üblich nach dem Evangelium - das Glaubensbekenntnis (Credo), meist das Apostolikum, das traditionelle Taufbekenntnis der Kirche. Das Glaubensbekenntnis kann auch als Glaubenslied (EG 183; 184) gesungen oder durch einen zeitgenössischen Bekenntnistext ergänzt oder ersetzt werden (vgl. EGb 539f.). Das seltenere Nicaenum wird besonders bei festlichen Anlässen gesprochen und verbindet uns ökumenisch mit dem Glaubensbekenntnis der katholischen Messe und der orthodoxen "Göttlichen Liturgie".

C - Abendmahl

Bei der Feier des heiligen Abendmahls, die in der Regel mindestens einmal im Monat stattfindet, unterscheiden sich die Grundformen wiederum deutlich. In der evangelischen Messe (Grundform I des EGb) wird eine feierliche eucharistische Liturgie entfaltet, die nach einem wechselseitigen Gruß zunächst vom Lobpreis Gottes geprägt ist und in das hymnische "Heilig, heilig (Sanctus)" der Gemeinde mündet. Die irdische Gemeinde verbindet ihren Gesang mit dem Lobpreis der Engel und Erzengel, ähnlich wie es in der Tempelvision des Jesaja (vgl. Jes 6,3) beschrieben ist. Dem Sanctus schließt sich in der Regel ein feierliches Abendmahlsgebet an, das Gott, den Schöpfer, preist, des Erlösungswerkes Christi gedenkt und den Heiligen Geist um seine Gegenwart unter Brot und Wein bittet. Es folgt die Zusage der Einsetzungsworte Jesu nach den Berichten über das letzte Mahl Jesu mit seinen Jüngern, die die Stiftung und Verheißung Christi der Gemeinde vergegenwärtigt. Sie gehört wie das Vaterunser und der Segen zu den unverrückbaren Kernstücken und wird zur Gemeinde hin gesprochen. Ihr kann das Christuslob folgen: "Deinen Tod, o Herr, verkünden wir und deine Auferstehung preisen wir, bis du kommst in Herrlichkeit" (vgl. 1 Kor 11,26). Hier ist die österliche Gewissheit der antwortenden Gemeinde zu spüren. Dem Vaterunser als "Tischgebet" schließt sich als letztes Stück aus dem Ordinarium der Messe das "Christe, du Lamm Gottes" an, das Worte Johannes des Täufers aus Joh 1,29 aufnimmt und um Erbarmen und Frieden bittet, ehe dann nach einem Friedensgruß die Einladung an die Gemeinde ausgesprochen wird, zum Tisch des Herrn zu kommen. Die Gemeinschaft untereinander wird zweifellos im Vollkreis am schönsten abgebildet. In vielen Gemeinden wird inzwischen durch das Angebot, neben Wein ausnahmsweise auch Traubensaft zu reichen, auf Kinder und Suchtkranke Rücksicht genommen. Während der Austeilung erklingt Musik, die Gemeinde kann auch lobend und verkündigend selbst singen. Ebenso können biblische Texte rezitiert werden.

Im Gottesdienst oberdeutscher Prägung (Grundform II des EGb) dominiert der Verkündigungscharakter des Abendmahls. Eine den Einsetzungsworten vorausgehende Abendmahlsbetrachtung lädt ein und verdeutlicht den Sinn der Feier. In manchen Landeskirchen geht der Mahlfeier eine sogenannte "Offene Schuld" (Sündenbekenntnis) mit Vergebungszusage voran.

Nach der Austeilung des Abendmahls dankt die Gemeinde Gott mit einem Lobpreis in Form eines Psalmgebets (zum Beispiel Ps 103,1-3 oder 136) oder eines Liedes für die Gabe der Sündenvergebung und das Geschenk der Gemeinschaft mit Christus und untereinander.

D - Sendung und Segen

Die Fürbitten können zwischen Wort- und Mahlteil stehen oder den Schlussteil des Gottesdienstes eröffnen. Als Verbindung von Wort- und Mahlteil stehen sie für den Weltbezug von Predigt und Abendmahl, als Eröffnung des Sendungsteils markieren die Fürbitten den Übergang zum Alltag der Welt. Die Gemeinde wendet sich der Welt zu und bittet für Notleidende, auch für die in Politik und Gesellschaft Verantwortlichen und für die Kirche um Gottes Hilfe und Leitung; denn wer mit Herz und Mund bei Gott ist, wird auch mit Herzen, Händen und Füßen bei den Menschen sein. Nach einem Lied können hier (wenn nicht schon vorher geschehen) die Abkündigungen mitgeteilt werden, in denen die Gemeinde zu Veranstaltungen eingeladen und über den Zweck der Kollekte informiert wird. Oft schließen sich auch sogenannte Kasualabkündigungen (zu Taufen, Trauungen und Bestattungen) an.

Der Gottesdienst schließt mit Sendung und Segen, mit denen sich die Tür zum Alltag wieder öffnet. Das Sendungswort ermutigt und bestärkt die Gemeinde in ihrem diakonischen und missionarischen Auftrag. Diesem Auftrag entspricht sie auch durch die Sammlung einer Kollekte, mit der sie ihre Verbundenheit mit der ganzen Christenheit zum Ausdruck bringt (vgl. 2 Kor 8-9). Beim gesungenen oder gesprochenen Segen ist sie dagegen noch einmal schlechthin Empfangende. Gottes Beistand in der unmittelbar bevorstehenden Zukunft wird hier verheißen, sein Angesicht soll ihr leuchten und Frieden bringen. Die ausgebreiteten Hände der Liturgin und das Kreuzzeichen ("signum crucis", daher auch das Wort "segnen") bringen die Zuwendung Gottes sinnlich zum Ausdruck. Die Gemeinde bekräftigt diese Zusage durch ein gesprochenes oder gesungenes Amen.

Festliche oder meditative Orgelbeziehungsweise Instrumentalmusik beschließt den Gottesdienst.

4.3 Amt, Ämter und Dienste

Überall dort, wo Menschen miteinander reden und handeln, entstehen spezifische Aufgaben und bilden sich entsprechende Rollen heraus. Das gilt vor allem dort, wo feste Regeln befolgt werden, wie bei einem Spiel, in dem es Akteure und Zuschauer, Schiedsrichter und Helfer gibt. Das gilt auch für das "heilige Spiel", mit dem sich Menschen vor Gott versammeln. Damit dies gelingt, werden Personen benötigt, die sich in diesem Geschehen auskennen und die in ihm eine besondere Rolle übernehmen können.

Vor allem wegen dieser besonderen Rollen im Gottesdienst haben sich von Anfang an bestimmte Ämter in der christlichen Gemeinde herausgebildet. Man nimmt an, dass es in den urgemeindlichen Hausgottesdiensten zunächst die jeweiligen Hausvorstände waren, die den gottesdienstlichen Mahlzeiten vorstanden. Aus der Gemeinde in Korinth wissen wir, dass hier viele Dienste nebeneinander bestanden, dass sie in ihrer Vielzahl zwar eine rege Beteiligung der Gemeinde am Gottesdienst ermöglichten, mitunter aber auch Anlass für Verwirrung waren. Deshalb schaltete sich Paulus ordnend ein (vgl. 1 Kor 12,28-30; 14,23 -40). Aus den charismatisch improvisierten Rollen entstanden spätestens an der Wende zum zweiten Jahrhundert zunehmend feste Funktionen für die Leitung der Gemeinden und die Durchführung der Gottesdienste. Ein wichtiger Grund für die Herausbildung festerer Strukturen bestand gewiss darin, dass die Apostel, die mit ihrer Autorität die werdende Kirche geleitet hatten, inzwischen verstorben waren. So kristallisierte sich eine Trias von festen Ämtern heraus, die für die Folgezeit bestimmend wurde: das Amt des Episkopos (Vorsteher, Aufseher, später: Bischof ), des Presbyters (Ältester, später: Priester) und das des Diakonos (Diener, Tischdiener).

Ordiniertes Amt und versammelte Gemeinde

Auch wenn sich die großen Konfessionen im Blick auf das jeweilige Verständnis des kirchlichen Amtes gegenwärtig in vielen Fragen nicht einig sind, stimmen sie doch in zwei Grundfragen überein:

Erstens: Gottesdienste sollen von Personen geleitet werden, die von der jeweiligen Kirche ordiniert oder beauftragt worden sind und denen damit dieses Amt der Kirche offiziell übertragen worden ist. In den evangelischen Kirchen sind dies die Pfarrer und Pfarrerinnen sowie Prädikanten und Prädikantinnen. Zweitens: Der Gottesdienst soll als Feier der ganzen versammelten Gemeinde verstanden und so gestaltet werden, dass sie an ihm aktiv beteiligt ist.

In der evangelischen Kirche, in der die Vorstellung vom "allgemeinen Priestertum" aller Getauften eine herausragende Rolle spielt, gilt die Beteiligung der Gemeinde als unverzichtbares Kennzeichen des Gottesdienstes. Deshalb wird sie im Evangelischen Gottesdienstbuch als erstes Kriterium evangelischer Liturgie aufgeführt. Erklärend heißt es dazu: "Die Gemeinde, die von Gott mit der Vielfalt der Geistesgaben beschenkt wird, soll sich mit all diesen Gaben, Fähigkeiten und Erkenntnissen am Gottesdienst beteiligen". Die Beteiligung der Gottesdienstgemeinde kann durch ein aktives Mitfeiern zum Ausdruck kommen, so schon durch das gemeinsame Singen oder Beten. Aber sie kann auch dadurch erkennbar werden, dass im Gottesdienst einzelne Gemeindeglieder mit der Pfarrerin zusammenwirken und dass sie verschiedene herausgehobene liturgische Rollen übernehmen.

In vielen Gemeinden wird die notwendige Vielfalt solcher liturgischer Rollen noch längst nicht ausgeschöpft. Oft ist es fast ausschließlich der Pfarrer, von dessen Aktivität der Gottesdienst lebt. Hier sind Änderungen dringend nötig. Praktisch geht es dabei um verschiedene Problemkreise:

Der Gottesdienst wird von der ganzen Gemeinde gefeiert

Viele Gemeindeglieder, aber auch nicht wenige Ordinierte übersehen oft, dass der Gottesdienst nicht vom Pfarrer oder der Pfarrerin "gehalten", sondern von der ganzen Gemeinde gefeiert wird. Sie sollten verstehen lernen, dass die "Predigt des Evangeliums" nicht nur mit der konkreten Predigt im Gottesdienst identifiziert werden darf, sondern mit dem gesamten Verkündigungsgeschehen eines Gottesdienstes - unter Einschluss der Lesungen, der Lieder, der Musik des Chores usw. Weil die Verkündigungsaufgabe so umfassend und vielfältig ist, spielen die Personen, die daran teilhaben, nicht nur eine leicht entbehrliche "Zusatzrolle", nein - sie haben Anteil an der "Hauptrolle".

Gerade im evangelischen Gottesdienst kommt den Verantwortlichen für die Kirchenmusik eine besonders wichtige Aufgabe zu (vgl. 3.5). Ob ein Gottesdienst gelingt, hängt maßgeblich davon ab, wie Pfarrer/in und Kantor/in in der Vorbereitung und Durchführung zusammenarbeiten.

Manchmal verhindern gerade die Ordinierten eine echte Mitarbeit von Gemeindegliedern, weil sie keine Möglichkeiten zur gemeinsamen Gottesdienstvorbereitung schaffen. Hier gilt es umzulernen und zu verstehen, dass sich eine solche Investition in ehrenamtliche Mitarbeit immer auszahlen wird.

Die Verantwortung der ganzen Gemeinde für den Gottesdienst kann auch dadurch zum Ausdruck kommen, dass einzelne Gemeindeglieder nach einer entsprechenden Ausbildung als Prädikanten in der eigenen Gemeinde oder in Nachbargemeinden die Leitung von Gottesdiensten übernehmen. Zu diesem Amt werden sie von der Kirche in einem besonderen Gottesdienst beauftragt oder ordiniert.

In manchen Gemeinden müssen zunächst einfach die traditionellen Rollen des Vorlesers der Schriftlesung, der Vorsängerin oder des Sprechers der Fürbitten wiederentdeckt werden. Die Gemeindeglieder, die diese Dienste übernehmen, sollten darauf vorbereitet werden, damit sie sie sachkundig und aus eigener innerer Motivation versehen können.

Darüber hinaus wirken in vielen Gemeinden auch eigens ausgebildete Lektorinnen und Lektoren (von lateinisch lector = Leser) aktiv beim Gottesdienst mit und zeigen so die Vielfalt der Begabungen in der Gemeinde auf. In den meisten Landeskirchen sind damit nicht-ordinierte Gemeindeglieder gemeint, die nach einer speziellen Ausbildung vorgegebene Lesepredigten halten oder sich an solchen orientieren und Gottesdienste leiten. Aus ihrer Lebens- und Glaubenserfahrung heraus erweisen sie sich vielfach als besonders sprachfähige Zeugen des Evangeliums, die in der Aneignung der Lesepredigten Glauben und Leben reflektieren und so am Verkündigungsdienst der Kirche teilhaben.

Ebenso ist es wichtig, dass Dienste, die in großer Beständigkeit unauffällig im Hintergrund geschehen, wie zum Beispiel die des Küsters oder der Mesnerin, besonders gewürdigt werden und den hier tätigen Personen auch einmal öffentlich gedankt wird. Weitere Funktionen könnten zum Beispiel sein: ein Begrüßungsdienst zu Beginn des Gottesdienstes, Verantwortliche für die Kinder im Gottesdienst, ein Team für die inhaltliche Gestaltung des Fürbittgebets.

Bei allem sollte erkennbar bleiben, dass die dazu Berufenen die Leitung des Gottesdienstes wahrnehmen und für seine konkrete Gestaltung verantwortlich sind.

4.4 Das Kirchenjahr im Gottesdienst

Gottesdienste als Rückgrat des Kirchenjahrs

Wer das Kirchenjahr mitfeiert, lernt das Wesentliche des christlichen Glaubens kennen. Was für den Glauben grundlegend ist, wird sinnbildlich in Feiern, Liedern und Bräuchen dargestellt und erlebbar gemacht. Die Wiederkehr der Zeiten im Zyklus eines Jahres schafft biographische und gemeinschaftliche Orte der Erinnerung und Orientierung.

Das "Rückgrat" des Kirchenjahres bilden die Gottesdienste. Dabei gibt eine Lesung aus den Evangelien jedem Sonn- und Festtag sein eigenes Gepräge. Ihr sind jeweils andere biblische Lesungen sowie ein Lied und ein Bibelvers als Wochen- oder Tagesspruch zugeordnet.

Das Kirchenjahr ist in seiner symbolischen Ordnung historisch gewachsen. Am Anfang steht die wöchentliche Feier der Auferstehung Jesu. Daraus entwickelt sich das jährlich gefeierte Osterfest. Im 4. Jahrhundert kommt dann das Weihnachtsfest hinzu. So wird das Kirchenjahr ein Christusjahr. In ihm werden das Leben Jesu Christi und seine Bedeutung für uns heute vergegenwärtigt.

Als christliches Jahr nimmt das Kirchenjahr auch Elemente des jüdischen Festkalenders auf und verbindet sich zugleich mit dem Naturjahr. Durch diese Verbindung mit den Jahreszeiten, die das Lebensempfinden von Menschen auch heute noch prägen, gewinnt es an Anschaulichkeit und Einprägsamkeit. Dennoch geht das Kirchenjahr nicht im Kalenderjahr auf. Es setzt zum Beispiel mit dem Advent einen Neubeginn schon dann, wenn das Kalenderjahr noch das Zu-Ende-Gehen thematisiert. So wird im Kirchenjahr auch ein "Gegenrhythmus" zum Naturjahr spürbar.

In seinen Grundzügen bildet das Kirchenjahr einen gemeinsamen ökumenischen Horizont, wenn es auch im Einzelnen konfessionell und kulturell unterschiedlich Gestalt gewonnen hat. Weil es schon immer Elemente der Lebenswelt mit den Motiven des christlichen Glaubens verknüpft hat, ist es mit seinem feststehenden theologischen und liturgischen Grundgefüge in stetigem Wandel begriffen.

Vier Fest- und Feiertagssequenzen

Auf der Grundlage des seit dem 4. Jahrhundert gewachsenen Oster- und Weihnachtsfestkreises lassen sich heute vier Fest- und Feiertagssequenzen unterscheiden, in die das "Jahr der Heiligen" und die anderen Fest- und Gedenktage integriert sind:

  • der Weihnachtsfestkreis (Advent / Weihnachten / "Zwischen den Jahren" / Jahreswechsel / Epiphanias),
  • der Osterfestkreis (Passionszeit/Karwoche/Ostern/Himmelfahrt),
  • Pfingsten (Pfingstfest / Trinitatisfest / Johannistag) und
  • die "späte Zeit des Kirchenjahres" (Michaelistag / Erntedankfest / Reformationstag / Volkstrauertag / Buß- und Bettag / Toten- bzw. Ewigkeits-Sonntag).

In der Symbolik des Kirchenjahres verbinden sich elementare Lebensthemen mit der Erinnerung an die Heilsgeschichte: Erwartung und Erfüllung, Schuld und Vergebung, Leid und Tod, Neubeginn und Verwandlung, Trennung und Gemeinschaft. Das Kirchenjahr hilft, die Vielgestaltigkeit des eigenen Lebens wahrzunehmen und vor Gott zu bedenken. Es ermöglicht eine individuelle Form der Lebensdeutung, eingebettet in eine "soziale Zeit". So wird es lebendig. Lebensthemen und Glaubensinhalte werden füreinander transparent.

Veränderungen im Verständnis des Kirchenjahrs

Das Kirchenjahr ist strukturellen Wandlungen, Bedeutungsverschiebungen und Auflösungserscheinungen unterworfen. Heute nehmen Menschen zwar Traditionen kollektiver Zeit als einen Rahmen wahr, füllen ihn aber mehr und mehr durch persönliche Zeitrhythmen und Lebensorientierungen. Dem Kirchenjahr steht das weltliche Jahr gegenüber, das sich aus ihm heraus entwickelt hat, es aufnimmt, aber gleichzeitig auch aushöhlt. So beginnt die vorweihnachtliche Einkaufszeit bereits im September. Kurzurlaube an Wochenenden oder zu den Feiertagen stellen wie der Jahresurlaub die eigentlichen "Festzeiten" des weltlichen Jahres dar. Bedeutungsverluste sind auch dort zu verzeichnen, wo das Brauchtum, das ursprünglich auf das Kirchenjahr bezogen war, sich verselbstständigt hat und in Bezug auf seinen christlichen Hintergrund kaum noch erkannt wird (Karneval). Der christliche Bedeutungsgehalt der Fest- und Feiertage des Kirchenjahres, die als gesetzlich geschützte Zeiten gesellschaftlich begangen werden, ist in vielen Regionen nur noch einer Minderheit bewusst.

Doch gilt es nicht nur Abnutzungserscheinungen wahrzunehmen, sondern auch Stabilität und neue Anknüpfungspunkte. Erntedank- oder Silvestergottesdienste und natürlich die Christvespern gehören für viele Menschen zum "gelebten Kirchenjahr". Auch die Feier der Osternacht oder der Himmelfahrtsgottesdienst im Grünen erfreuen sich wachsenden Zuspruchs. Die Verbindung von Christusjahr und Naturjahr ist kulturell verankert und stellt auch für Zeitgenossen, denen die Erzählungen und Symbole des christlichen Glaubens fremd sind, einen elementaren Zugang zum christlichen Glauben dar.

Das Kirchenjahr als Lebensrhythmus zu stärken und in seinen lebensweltlichen Bezügen zu gestalten, ist eine der wesentlichen Gegenwartsaufgaben kirchlicher Praxis. Dazu gehört zunächst, sein Grundgefüge transparent werden zu lassen und Gelegenheiten zu geben, auch bei nur punktueller Teilnahme am Gottesdienst Erfahrungen mit seinem lebensdienlichen Reichtum zu machen. Die Ordnung der Lesungen und Predigttexte sollte diesem Anliegen dienen. Um den biographischen Zugang zum Kirchenjahr zu unterstützen, verdient die jahreszyklische gottesdienstliche Verknüpfung mit dem Lebenslauf, zum Beispiel anlässlich von Tauferinnerung, Konfirmation oder am Totensonntag, ebenfalls besondere Aufmerksamkeit.

4.5 Liturgische Vielfalt

Manchmal feiern Tausende gemeinsam Gottesdienst, wie beim Deutschen Evangelischen Kirchentag, manchmal treffen sich nur fünf Personen in einer Krankenhauskapelle. Mal singen Kinder fröhlich ihre Lieder und tanzen dazu, mal lauscht die Gemeinde andächtig einer Bachkantate. Hier berührt die Auslegung eines biblischen Textes die Herzen, dort geschieht die Verkündigung durch eine Spielszene oder im Gespräch.

Die Gottesdienstlandschaft ist vielfältig und abwechslungsreich. In Ergänzung zum sonntäglichen Hauptgottesdienst haben sich aus unterschiedlichen Anlässen und für diverse Zielgruppen eigene, regelmäßige Gottesdienstangebote etabliert. Das sogenannte "Zweite Programm" zieht in manchen Gemeinden mehr Menschen an als das traditionelle Angebot. Hinzu kommen einzelne Gottesdienste zu besonderen Gelegenheiten, die eine große Öffentlichkeit erreichen. Im günstigen Fall inspirieren sich die unterschiedlichen Gottesdienstformen gegenseitig.

Zielgruppengottesdienste

Eine lange Tradition haben Gottesdienste, die sich an der Lebenswelt oder Lebenssituation bestimmter Zielgruppen orientieren, wie Kinder- oder Jugendgottesdienste. Familiengottesdienste versuchen eine Brücke zu schlagen zwischen den Gottesdiensten für Kinder und Eltern und denen der üblichen Gottesdienstgemeinde. Besondere Anforderungen stellen Gottesdienste in der Schule, im Krankenhaus oder Altenheim, im Gefängnis oder beim Militär. Sie finden meistens in nicht-kirchlichen Räumen statt und müssen diesen Rahmen berücksichtigen.

Diese Gottesdienste werden sich in ihrer Sprache, in ihren Ritualen und Feierformen an der entsprechenden Zielgruppe orientieren und ihre Verkündigung auf die Lebenssituation der Teilnehmenden ausrichten. Auch die musikalische Gestaltung, häufig mit Gitarre oder Band, und die Auswahl der Lieder orientieren sich am Geschmack der Zielgruppe. Wenn die Gegebenheiten keine Live-Musik erlauben, kann zur Unterstützung des Gemeindegesangs auch auf elektronische Medien zurückgegriffen werden. Bei aller Situationsgebundenheit sind gerade in diesen Gruppengottesdiensten diejenigen liturgischen Elemente von Bedeutung, die diese Gottesdienstgemeinde in die "Gemeinschaft der Heiligen" hineinstellen. Dazu gehören Worte der Bibel als Zusage und Orientierung, Gebet und Segen, und wenn möglich das gemeinsame Singen und das Sprechen des Glaubensbekenntnisses.

Kindergottesdienste

Besonders wichtig für die christliche Gemeinde sind die Gottesdienste mit Kindern. An ihnen sind die Kinder mit allen Sinnen, mit ihrem Glauben und ihren Lebenserfahrungen beteiligt. Weil Gemeinden Kinder taufen, sollen sie den Kindergottesdienst zu den Kernaufgaben rechnen; denn Kinder haben ein Recht darauf, mit den Grundformen des Glaubens vertraut zu werden. Im Kindergottesdienst erleben sie heilsame Gemeinschaft und wachsen hinein in gottesdienstliche Räume, liturgische Abläufe, geistliche Lieder und das Kirchenjahr. Das Erzählen biblischer Geschichten und deren kreative Vertiefung stehen im Mittelpunkt. Thematische Vorgaben bietet der "EKD-Textplan für den Kindergottesdienst". Diese Form des Gottesdienstes lebt besonders vom Einsatz der ehrenamtlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Es ist wichtig, dass sie kontinuierlich und professionell begleitet, fortgebildet und qualifiziert werden.

Der Kindergottesdienst wird in einer Vielzahl von Formen, Modellen und Zeiten gefeiert. Manche Gemeinden feiern an separaten Terminen (zum Beispiel am Sonnabend-Nachmittag), andere zeitgleich mit dem Hauptgottesdienst oder im Anschluss an ihn. Einige feiern Kindergottesdienst im Gemeindehaus, andere nutzen die Möglichkeit, die Kinder durch die gottesdienstliche Feier mit dem Kirchraum vertraut zu machen. Von Gottesdiensten mit Kindern (zum Beispiel Krabbelgottesdiensten, Kindergartengottesdiensten, Schulgottesdiensten und Familiengottesdiensten) gehen wichtige Impulse für das Gemeindeleben aus. Dazu gehört auch die angemessene Vorbereitung getaufter Kinder auf die Feier des Abendmahls.

Alternative Gottesdienste

In den letzten zwei Jahrzehnten haben sich in vielen Gemeinden sogenannte "Alternative Gottesdienste" etabliert. Ihre Gestaltung ist ebenso fantasievoll wie ihre Namen: Nachteulen-Gottesdienst, Go special, Oase oder schlicht "Der Andere Gottesdienst". Sie gehen aus von der Erfahrung, dass das traditionelle Gottesdienstangebot am Sonntagmorgen viele Menschen nicht erreicht, und versuchen, das kultisch-rituelle Handeln im Gottesdienst mit den veränderten Lebensvollzügen der Menschen und ihrem Freizeitverhalten in Einklang zu bringen. "Alternativ" sind diese Gottesdienste im Blick auf die Zeit (oftmals am Sonntagabend), auf den Raum (auch im Kino, im Theater oder an anderen säkularen Orten) und auf die Betonung ästhetischer Dimensionen, nicht nur bei der Musik.

Mit vielen dieser Angebote sollen die kirchlich Distanzierten oder "Zweifelnden" angesprochen werden. Auch in deren Teilnahmeverhalten wird eine gewisse Distanz vorausgesetzt. Sie werden als Besucher oder Gäste einer Veranstaltung angeredet, nicht als Gemeinde. Die christliche Gemeinde wird hier zunächst durch das Team repräsentiert, in dessen Händen die Vorbereitung und Leitung liegen.

Die alternativen Gottesdienste sind von ihren Zielen und von ihrer thematischen Ausrichtung her keineswegs homogen. Bildet etwa in der Thomas-Messe die seelsorgliche Zuwendung zum Einzelnen, einschließlich der Möglichkeit zur persönlichen Beichte und zur individuellen Salbung und Segnung, einen Schwerpunkt, so ist die "Oase" durch Lobpreis-Hymnen, persönliche Glaubenszeugnisse und kreative Sequenzen geprägt. Gospelmusik zum Mitsingen steht neben eher konzertanten Darbietungen. Spielszenen können von Laien oder von professionellen Akteuren dargeboten werden.

Gemeinsam ist diesen Angeboten der Versuch der Verknüpfung von Ritus und Alltag, von Liturgie und Diakonie. Damit nehmen sie wichtige Elemente des neutestamentlichen Verständnisses von Gottesdienst auf (vgl. 2.1). Zugleich reagieren sie auf die gesellschaftlich-kulturellen Veränderungen.

Kasualgottesdienste

Kasualgottesdienste (von lateinisch casus ­ der Fall) sind biografisch veranlasst; sie feiern und begleiten individuelle Lebensereignisse. Dabei verbinden sie in besonderer Weise Liturgie und Leben. Die Teilnahmezahlen machen deutlich, dass Kasualgottesdienste besonders attraktiv gerade für die Kirchenmitglieder sind, die nicht zur engeren Kirchengemeinde gehören. Sie können auch an der Gestaltung der Kasualgottesdienste beteiligt werden.

Die klassischen Kasualien sind die Taufe, die Konfirmation, die Trauung und die Bestattung. Die Gemeinde begleitet die einzelnen Menschen und ihre Familien an entscheidenden Stunden ihres Lebens von der Geburt über das Erwachsenwerden und die Eheschließung bis zum Tod. Dabei wird der Zuspruch des göttlichen Segens mit der Lebensdeutung im Lichte des Evangeliums verbunden. Im Zuge der Ausdifferenzierung des Lebens in der modernen Gesellschaft gibt es Überlegungen, weiteren biografischen Anlässen neue Kasualien zur Seite zu stellen, zum Beispiel anlässlich der Einschulung. Kasualgottesdienste sowohl der Botschaft wie der Situation angemessen zu gestalten, ist eine besondere Aufgabe. Dazu gehört eine ansprechende Predigt, deren Konkretionen von der Qualität des vorangegangenen Gesprächs (bei Taufe, Trauung und Bestattung) oder des kirchlichen Unterrichts (bei der Konfirmation) leben.

Anlassbezogene Gottesdienste

Neben Kasualgottesdiensten, die anlässlich biografischer Ereignisse stattfinden, gibt es auch Gottesdienste, deren Anlass ein gesellschaftlicher ist. Die Erfahrungen der letzten Jahre haben es ganz deutlich gezeigt: Bei örtlichen oder auch weltweiten Katastrophen suchen Menschen Gottesdienste und Kirchen auf. Sie wollen ihre Betroffenheit und Trauer zum Ausdruck bringen. Sie erwarten dort Hilfe zur Bewältigung der bedrohlichen Situation und Antworten auf ihre Fragen nach dem Sinn des Geschehenen. Das Begehen von gottesdienstlichen Ritualen wird als identitäts- und sinnstiftend erlebt oder als gemeinschaftsstärkend angesehen. Diese Gottesdienste wollen christliche Botschaft, kirchliches Ritual und Würdigung des konkreten Anlasses verbinden. Ihre traditionellen Vorläufer haben sie in den Wallfahrten oder Kirchweihfesten, aber auch in Feiern, die auf nationale Ereignisse bezogen waren. Heute können ein Stadtfest, die Eröffnung einer Kulturwoche oder der Abschluss einer Friedensaktion solche Anlässe bieten.

Die "Gemeinde" solcher Gottesdienste ist weder konfessionell noch religiös einheitlich. Vielmehr stehen allgemein menschliche existenzielle Fragen im Vordergrund, auf die jedoch von der Bibel und vom christlichen Glauben her Bezug genommen wird. In besonderen Situationen, wie etwa bei einer Werkschließung mit Entlassungen oder bei Ausbruch eines Krieges, können Demonstration und Gottesdienst nah beieinanderstehen. Hier erfordert die Gottesdienstgestaltung eine große konzeptionelle Klarheit, um sich vor Vereinnahmung zu schützen und die Ambivalenz der erlebten Situation zum Ausdruck bringen und vom Evangelium her deuten zu können. Dies gilt umso mehr, wenn die Veranstaltung mediales Interesse erregt und von großer öffentlicher Wirksamkeit ist.

"Große" und "kleine" Gottesdienstformen

Die liturgische und musikalische Gestaltung von Gottesdiensten differiert je nach Anlass, Zeit, Raum und Teilnehmerzahl. Wenn der Deutsche Posaunentag im Leipziger Sportstadion seinen Abschlussgottesdienst feiert, kann mit einer großen musikalischen Beteiligung der Gemeinde gerechnet werden, ob durch Instrumente oder durch Gesang. Bei einem Gottesdienst im Gefängnis oder in einer Krankenhauskapelle wird der Gesang eher spärlich sein und die musikalische Begleitung kommt vom Klavier oder von einer CD. Sind die Teilnehmenden mit gottesdienstlichen Formen vertraut, ist eine reiche liturgische Gestaltung möglich. Bei Abschlussgottesdiensten der Kirchentage können Tausende sogar gemeinsam Abendmahl feiern. Bei einer weniger homogenen Gemeinde kann eine Beschränkung auf liturgische Kernelemente sinnvoll sein: Bibelwort und seine Auslegung, Gebet und Lied, Vaterunser und Segen.

In der Andacht liegt eine solche liturgisch reduzierte Form vor. Sie bietet die Grundstruktur für Morgen- oder Abendandachten, für Friedensgebete oder gottesdienstliche Feiern bei Freizeiten und Tagungen und ist somit ein "kleiner" Gottesdienst, eine spirituelle Oase im Alltag. Sitzungen in kirchlichen Gremien und Gruppen, sei es der Kirchenvorstand oder die Frauenhilfe, werden mit einer Andacht eröffnet. Jugendliche feiern Taizé-Andachten, Advents- oder Passionsandachten sprechen auch Menschen an, die nicht regelmäßig zum Gottesdienst gehen, und in den City-Kirchen finden abendliche Kurz-Andachten dankbare Zuhörer.

Ökumenische Gottesdienste

Christinnen und Christen verschiedener Konfessionen feiern bei vielfältigen Gelegenheiten miteinander Gottesdienste. Dies ist auf der einen Seite Ausdruck einer gewachsenen Ökumene, auf der anderen Seite können gemeinsam gefeierte Gottesdienste das ökumenische Miteinander stärken und fördern. In ihnen leuchtet etwas von der Einheit in Christus auf, wie sie im Johannesevangelium beschrieben ist (vgl. Joh 17,22). Von ökumenischen Gottesdiensten spricht man dann, wenn zwei oder mehrere christliche Konfessionen an einer Feier beteiligt sind. Von ökumenischen Gottesdiensten zu unterscheiden sind multireligiöse Feiern, an denen Menschen verschiedener Religionen teilnehmen. Diese werden hier nicht erörtert.

Gemeinsame Gottesdienste von Christinnen und Christen verschiedener Konfessionen sind in Deutschland inzwischen zur Selbstverständlichkeit geworden, wie beispielsweise die Gottesdienste zur Gebetswoche für die Einheit der Christen oder zum Weltgebetstag. Ergänzend gibt es vor Ort vielfältige Gelegenheiten, miteinander Gottesdienste und Andachten zu feiern. Diese Gottesdienste werden zumeist gemeinsam vorbereitet und verantwortet.

Da sich Besonderheiten und Unterschiede der einzelnen christlichen Konfessionen in besonderer Weise im Gottesdienst zeigen, wird bei gemeinsamen Gottesdiensten darauf geachtet, das Trennende zu vermeiden, um das Mitfeiern zu erleichtern. Auch von anderen Kirchen gesetzte Grenzen sollten nicht überschritten werden. So können evangelische Christen beispielsweise in der römisch-katholischen Kirche und in den orthodoxen Kirchen nach deren Regeln die Eucharistie nicht empfangen.

Bei der Planung von ökumenischen Gottesdiensten gibt es sehr unterschiedliche Vorgehensweisen. Verbreitet ist, dass der kleinste gemeinsame Nenner gesucht wird. Hier wird ausgewählt, was allen gemeinsam ist. Dabei kann deutlich werden, wie groß die Gemeinsamkeiten im gottesdienstlichen Feiern sind. Eine andere Möglichkeit ist, die unterschiedlichen Traditionen additiv zusammenzufügen. Dabei ist auf Ausgewogenheit und gerechte Verteilung zu achten. Eine weitere Variante ist die Gewährung von Gastfreundschaft. Die anderen Kirchen werden hier jeweils zu einem Gottesdienst einer Konfession eingeladen, um diese besser kennenzulernen. Auch in ungewohnten Formen und mit anderen Akzentsetzungen lässt sich so miteinander feiern.

Besondere Ereignisse, die viele Menschen verschiedener Konfessionen bewegen, zum Beispiel Katastrophen, Unfälle oder gesamtgesellschaftliche Feste, erfordern ökumenische Gottesdienste. Hier erwartet die Gesellschaft, dass die Kirchen gemeinsame Gottesdienste anbieten.

Medien-Gottesdienste

Die Bilder von der Trauerfeier für Prinzessin Diana in der Londoner Westminster Abbey waren weltweit im Fernsehen zu sehen und viele Menschen waren von den übertragenen Szenen tief gerührt. Auch die Gottesdienste nach den Anschlägen vom 11. September 2001, dem Zugunglück in Eschede oder den Amokläufen in Erfurt und Winnenden sind durch die medial übertragenen Bilder präsent. Doch nicht nur die gemeinsame Trauer nach Katastrophen prägt Mediengottesdienste, sondern auch die gemeinsame Freude, wie sie beispielsweise in Gottesdiensten anlässlich der Deutschen Einheit oder der Fußball-Weltmeisterschaft 2006 deutlich wurde.

Bei den wöchentlichen Fernsehgottesdiensten am Sonntagmorgen geschieht jedoch etwas anderes. Sie übertragen in der Regel den "Normalfall" des evangelischen Sonntagsgottesdienstes, wenn auch in mediengerechter Gestaltung und unter Berücksichtigung der politischen und gesellschaftlichen Kontexte. Sie wollen auch kirchlich nicht gebundene Zeitgenossen zum Nachdenken anregen. Das Interesse zum Einschalten muss jeweils geweckt werden. Dies kann aber nur erreicht werden, wenn der Dialog mit dem Zuschauer in der Gestaltung des Gottesdienstes offen geführt wird. Die Einschaltquoten belegen, dass dies mehrheitlich gelingt.

Die Fernsehgottesdienste übernehmen eine wesentliche religiöse Aufgabe, indem sie die Sonntagskultur fördern und ein spezifisch christliches Angebot für gegenwärtige Sinn- und Lebensdeutung unterbreiten. Sie kommen dem Orientierungsbedürfnis der Zuschauer in doppelter Hinsicht entgegen: Sie machen Identitätsangebote in einem orientierenden Rahmen und richten sich dabei nach den Hör- und Sehgewohnheiten der Zuschauer.

Die Rückmeldungen nach diesen Gottesdiensten machen deutlich, dass viele Menschen sich persönlich angesprochen und in das gottesdienstliche Geschehen integriert fühlen, obwohl es von einem ihnen fremden Ort übertragen wird. Dass die Unmittelbarkeit der Gemeinschaftserfahrung fehlt, wird in den wenigsten Fällen als belastend wahrgenommen. Es scheint so etwas zu geben wie eine "communio medialis", eine vermittelte Teilhabe, die geistliche Beheimatung ermöglicht und von vielen Zuschauern als ansprechend empfunden wird. Die durch das Fernsehen vermittelte geistliche Anteilnahme kann eine personale Gemeinschaft nicht ersetzen. Das gemeinschaftsfördernde Potenzial eines medial-geistlichen Zuspruchs darf aber auch nicht unterschätzt werden.

In ähnlicher Weise gilt dies auch für Radiogottesdienste oder kurze Hörfunkandachten, die eine vergleichbare medial vermittelte Gemeinschaft erreichen. Sie kommen zwar ohne Bilder aus, ermöglichen aber eine höhere Intensität beim Zuhören.

Mediengottesdienste eröffnen verschiedene Arten der Beteiligung: Manche Menschen lassen sie einfach auf sich wirken, manche gehen dabei anderen Tätigkeiten nach, wieder andere feiern sie aktiv mit.

4.6 Kirchenrechtliche Regelungen

An Vorbereitung und Feier des Gottesdienstes sind viele beteiligt: der Pfarrer als Liturg und Prediger, die Kirchenmusikerin als Organistin und Kantorin, der Küster, Lektorinnen und Abendmahlshelfer, ein Chor und selbstverständlich die ganze Gemeinde mit Gebet und Gesang.

Wer aber bestimmt den Ablauf des Gottesdienstes und die Auswahl der Texte und Lieder? Wer legt fest, zu welchen Zeiten und Anlässen Gottesdienste stattfinden und wie oft das Abendmahl gefeiert wird? Wer darf einen Gastprediger einladen und Gottesdienste an besonderen Orten festlegen?

Solche und ähnliche Fragen sind in den kirchenrechtlichen Bestimmungen der Landeskirchen geregelt. Diese Regelungen sollen einerseits dafür sorgen, dass es in den zentralen Fragen des Gottesdienstes das notwendige Maß an Gemeinsamkeit und Verlässlichkeit gibt. Sie lassen andererseits genügend Spielraum für konfessionelle oder örtliche Besonderheiten und ermöglichen ein lebendiges, der jeweiligen Situation entsprechendes Gottesdienstgeschehen.

Um den Ablauf des Gottesdienstes verbindlich zu ordnen, haben die Landeskirchen Agenden eingeführt. In den meisten Gliedkirchen der EKD ist für den Sonntagsgottesdienst das Evangelische Gottesdienstbuch aus dem Jahr 1999 in Gebrauch. Wenn Landeskirchen eigene Agenden erarbeitet haben, sind sie dem Evangelischen Gottesdienstbuch im Blick auf die Grundstruktur des Gottesdienstes vergleichbar (vgl. 4.2). Innerhalb dieses vorgegebenen liturgischen Rahmens, der sich am Kirchenjahr orientiert, können Presbyterien, Gemeindekirchenräte oder Kirchenvorstände ihre gemeindliche Gottesdienstordnung festlegen. Grundsätzliche Veränderungen der agendarischen Form bedürfen in der Regel der kirchenaufsichtlichen Genehmigung.

Presbyterien werden Beschlüsse zum Gottesdienst im Einvernehmen mit ihren Pfarrerinnen und Pfarrern fassen. In die Verantwortung der Ordinierten, also in der Regel der Pfarrerinnen und Pfarrer, fällt nämlich die konkrete Gestaltung und die Leitung der Gottesdienste. Durch eine besondere Amtstracht, in den meisten Fällen der schwarze Talar mit weißem Beffchen, sind sie als verantwortliche Liturgen und Prediger erkennbar.

Pfarrerinnen und Pfarrer sind beim Gottesdienst zu kollegialer Zusammenarbeit mit den Kirchenmusikerinnen und Kirchenmusikern verpflichtet. Da die Kirchenmusik eine Form der Verkündigung darstellt, ist die kirchenmusikalische Fachkompetenz bei der Musik- und Liedauswahl zu berücksichtigen. Auch weitere Gemeindeglieder sollen, etwa bei Lesungen und Gebeten oder als Abendmahlshelfer, am Gottesdienst beteiligt werden.

Die Lebensordnungen der Landeskirchen oder der gliedkirchlichen Verbünde (VELKD und UEK) legen Wert darauf, dass biblische Lesungen im Gottesdienst nach der eingeführten Bibelübersetzung, in der Regel der jüngsten Luther-Übersetzung, erfolgen und die Gemeindelieder aus dem Evangelischen Gesangbuch gesungen werden. Es gilt, einen gemeinsamen Schatz an biblischen Texten und an Liedern in der Gemeinde lebendig zu erhalten. Gelegentliche Abweichungen von der Regel, etwa zum Erproben neuer geistlicher Lieder, sind selbstverständlich möglich. In der Predigt soll ein Abschnitt aus der Heiligen Schrift ausgelegt werden. Die Perikopen- und Leseordnung, die Bestandteil der Agende ist und jedem Sonntag bestimmte Bibeltexte für die gottesdienstlichen Lesungen und für die Predigt zuordnet, bildet die Grundlage für die Textauswahl zur Predigt. Daneben sind Reihenpredigten zu biblischen Büchern und gelegentlich Liedpredigten, Predigten zum Glaubensbekenntnis oder zu Katechismen und Lehrzeugnissen der Kirche möglich.

In allen Landeskirchen gilt es als erstrebenswert, dass an jedem Sonntag und jedem kirchlichen Feiertag möglichst in jeder Gemeinde ein Gottesdienst stattfindet. Die Verlässlichkeit des gottesdienstlichen Angebots ist eine wichtige Voraussetzung für eine regelmäßige Teilnahme der Gemeindeglieder. Unter dieser Vorgabe können Presbyterien und Kirchenvorstände Zahl und Zeiten der Gottesdienste entsprechend den örtlichen Gegebenheiten festlegen. Soll dabei an einer Gottesdienststätte dauerhaft vom sonntäglichen Gottesdienst abgewichen werden, etwa durch Vorabendgottesdienste am Samstag, bedarf dies in der Regel der kirchenaufsichtlichen Genehmigung.

Zu den regelmäßig anzubietenden Gottesdiensten gehören auch die Kindergottesdienste. In die Verantwortung der Kirchenvorstände fällt es zudem, Gottesdienste für besondere Gruppen (Familien- oder Jugendgottesdienste u. a.) oder zu besonderen Anlässen und an bestimmten Orten außerhalb der Kirche (Erntedankgottesdienste auf einem Bauernhof oder Gottesdienste bei Dorf- oder Stadtfesten u. a.) anzusetzen. Soll bei einem solchen Anlass die Predigt von einem Gast gehalten werden, entscheiden darüber der Gemeindepfarrer oder die Gemeindepfarrerin oder die Gemeindeleitung. Zum Recht zur Vergabe der Kanzel ("Kanzelrecht") gibt es in den Landeskirchen unterschiedliche Bestimmungen. Übereinstimmend gilt jedoch in allen Gliedkirchen der EKD, dass nur ordnungsgemäß dazu berufene Personen (Ordinierte/Beauftragte) das Recht zur öffentlichen Wortverkündigung in der Kirche haben.

Wenn die christliche Gemeinde sich im Gottesdienst versammelt, gedenkt sie besonders der Menschen, die sich in Notsituationen befinden und Hilfe brauchen. Sie tut dies in Gebet und Fürbitte, aber auch ganz konkret mit ihrer Kollekte. Seit frühester Zeit gehört sie zum Gottesdienst und wird heute meistens zweifach - mit dem "Klingelbeutel" und am Ausgang - eingesammelt. Landeskirchliche Kollektenpläne regeln verbindlich die Zweckbestimmung der Kollekten.

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