„... denn ihr seid selbst Fremde gewesen“ - Vielfalt anerkennen und gestalten

Ein Beitrag der Kommission für Migration und Integration der EKD zur einwanderungspolitischen Debatte, EKD-Texte 108, 2009

III. Gesellschaftspolitische Aufgaben

Menschenrechte als handlungsleitende Norm

Die Menschenrechte sind in völkerrechtlichen Verträgen der Vereinten Nationen und des Europarates verankert. Für Flüchtlinge ist die Genfer Flüchtlingskonvention einschlägig. Diese Rechte sind handlungsleitende Norm kirchlicher Arbeit im Einsatz für Migrantinnen und Migranten sowie für Flüchtlinge.

Migranten und Migrantinnen bzw. Schutzsuchende haben nicht das Recht, in einen bestimmten Staat, beispielsweise der EU, einzureisen; die Mitgliedstaaten haben sich die politische Steuerung von Einwanderung vorbehalten. An den Grenzen Europas und auf hoher See ist Schutzsuchenden jedoch Zugang zu einem Asylverfahren zu gewähren [53]. Dies gilt auch, wenn Menschen in die EU - legal oder illegal - eingereist sind. Aufgrund der Dublin II Verordnung der EU ist der Staat, der die Einreise veranlasst oder nicht verhindert hat, zur Prüfung des Asylantrages verpflichtet. Allerdings haben Schutzsuchende nicht in jedem EU-Mitgliedstaat die gleichen Chancen, als Flüchtlinge anerkannt zu werden. Angesichts der gemeinschaftlichen Verpflichtung der EU, das Recht auf Asyl zu gewährleisten, und der Zuständigkeitsregelung durch die Dublin II Verordnung sind diese Unterschiede in der Anerkennungspraxis von Flüchtlingen nicht hinnehmbar. Die Kirchen in Europa setzen sich dafür ein, dass der notwendige Prozess zur Angleichung der Asylsysteme der Mitgliedstaaten nicht zu Lasten der Schutzbedürftigen geht. Die EU-Staaten, die an den Grenzen zur Aufnahme und Prüfung verpflichtet sind, brauchen aber auch die Unterstützung der anderen Mitgliedstaaten.

Der Zugang zu menschenrechtlich verbrieften Rechtspositionen steht Menschen unabhängig von ihrem Aufenthaltsstatus zu. Dies muss sich in den Gesetzen und der Verwaltungspraxis in Deutschland niederschlagen [54].

Wege in die Europäische Union

Die Weltkommission für Migration formulierte: "Frauen, Männer und Kinder sollten in ihrem Herkunftsland ihr Potenzial ausschöpfen, ihre Bedürfnisse erfüllen, ihre Menschenrechte wahrnehmen und ihre Ziele verwirklichen können. Sie sollten nur auf Grund ihrer freien Wahl und persönlichen Entscheidung abwandern und nicht, weil sie dazu gezwungen sind. Frauen und Männern, die auswandern und in den globalen Arbeitsmarkt eintreten, sollte es ermöglicht werden, dies auf sichere und legale Weise zu tun, und weil sie und ihre Fähigkeiten von den Aufnahmestaaten und -gesellschaften geschätzt und gebraucht werden." [55]

Diese Voraussetzungen bieten sich Migranten und Migrantinnen aber gerade nicht: legale Möglichkeiten, in den Arbeitsmarkt der einzelnen EU Mitgliedstaaten einzutreten, sind kaum vorhanden. Auch Schutzsuchenden stehen nur ausnahmsweise legale Wege der Einreise in die EU offen [56]. In ihrem Gemeinsamen Wort zu den Herausforderungen durch Migration und Flucht warnten die Kirchen vor einer Politik der Abwehr und Abschottung, die einer positiven Haltung gegenüber der Grundgegebenheit von Migration entgegensteht [57]. Die Maßnahmen der Europäischen Union und ihrer Mitgliedstaaten zum Schutz der Außengrenzen verstärken die Politik der Abschottung jedoch weiter. 2005 trat nach anhaltender und kontroverser Diskussion das Zuwanderungsgesetz in Kraft, dessen vorrangiges Ziel die Steuerung und Begrenzung von Einwanderung ist.

Die Erfahrungen seit Veröffentlichung des Gemeinsamen Wortes im Jahr 1997 bestätigen, dass politisch nicht erwünschte Wanderung über internationale Grenzen weder nachhaltig unterbunden noch durch Abschiebungen rückgängig gemacht werden kann. Die Grenzschutzmaßnahmen der Europäischen Union und ihrer Mitgliedsstaaten haben daran nichts geändert. Der "Normalfall Migration" kann und darf von der Politik nicht zum Ausnahmefall degradiert werden. Die europäische Grenzschutzpolitik muss stattdessen den menschenrechtlichen Anforderungen gerecht werden und Schutzbedürftigen Zugang zu einem fairen und effektiven Verfahren ermöglichen.

Die Evangelische Kirche in Deutschland setzt sich für die Schaffung legaler Einwanderungsmöglichkeiten in die Europäische Union ein. Wirtschaftsverbände und Gewerkschaften haben wiederholt die Einrichtung eines Punktesystems angeregt. Dabei müssen jedoch humanitäre Belange berücksichtigt werden. Das internationale Flüchtlingsrecht und das Recht auf Familiennachzug dürfen dadurch nicht unterlaufen werden. Deutschland sollte die Wanderarbeitnehmerkonvention der Vereinten Nationen ratifizieren.

In der Europäischen Union werden seit einiger Zeit Modelle zirkulärer Migration diskutiert. Der Begriff erfreut sich aufgrund seiner relativen Unbestimmtheit einer gewissen Beliebtheit in der politischen Debatte [58]. Nach Auffassung der Europäischen Kommission kann zirkuläre Migration definiert werden "als eine Form der Migration, die so gesteuert wird, dass sie einen gewissen Grad an legaler Mobilität (hin und zurück) zwischen zwei Ländern zulässt." [59] Bei der konkreten Ausgestaltung eines Konzeptes zur zirkulären Migration sind die Fehler, die zuvor beim so genannten "Gastarbeitermodell" unterlaufen waren, zu vermeiden [60].

Unterschiede im Aufenthaltsstatus

Die Eingewanderten sind gegenwärtig mit sehr unterschiedlichen Rechten ausgestattet. Da sind zum Einen (Spät-)Aussiedlerinnen und -aussiedler, die von Anfang an Deutsche sind, zum anderen Unionsbürger, deren Rechtsstatus in vielem dem der deutschen Staatsangehörigen entspricht, weiterhin in entscheidenden Bereichen an Unionsbürger rechtlich angenäherte (assoziationsrechtlich privilegierte) türkische Staatsangehörige sowie anerkannte Flüchtlinge, deren Status wiederum je nach Anerkennungsgrund differiert. Stark eingeschränkte Rechtsansprüche beispielsweise im Sozialrecht haben Schutzsuchende im Asylverfahren [61].

Menschen ohne Aufenthaltspapiere

Menschen, die keinen Aufenthaltstitel und keine Duldung innehaben, sind ungeachtet dessen Teil der (Wohn-)Bevölkerung Deutschlands. Sie sind - unabhängig von ihrem fehlenden Aufenthaltsstatus - Träger von Menschenrechten. Ihnen steht das Recht auf Zugang zu Bildungseinrichtungen, zu Gesundheitsversorgung sowie zur Gerichtsbarkeit zu, wenn sie etwa Lohn für geleistete Arbeit einklagen möchten. Die Evangelische Kirche in Deutschland hat 2006 eine Orientierungshilfe mit Leitsätzen für kirchliches Handeln und Hinweisen für Kirchengemeinden erstellt [62].

Darin betont sie, dass sie illegalen Aufenthalt weder fördern noch stabilisieren will. Menschen ohne Aufenthaltspapiere sollte aber ein verlässliches Netz von Hilfeangeboten zur Verfügung stehen. Sie benötigen kirchliche Unterstützung dabei, eine tragfähige Zukunftsperspektive zu entwickeln. Das kann durch das Aufzeigen eines Weges aus der aufenthaltsrechtlichen Illegalität geschehen - Alternativen sind die Rückkehr in das Herkunftsland oder Weiterwanderung.

Der Einsatz der Kirche erfolgt im Rahmen ihres Selbstbestimmungsrechts. Die EKD versteht dieses Engagement als subsidiäres Handeln, insofern die Unterstützung von Menschen in Not zu dem genuinen kirchlichen Auftrag innerhalb der Rechts- und Sozialordnung gehört.

Die gesetzlichen Übermittlungspflichten des Aufenthaltsgesetzes sollten im Gesetz und in der Verwaltungspraxis so weit eingeschränkt werden, wie es für die Wahrnehmung der sozialen Rechte im Bereich der Gesundheitsversorgung, der Bildung und im Zusammenhang mit der gerichtlichen Durchsetzung von Ansprüchen auf Entlohnung für geleistete Arbeit notwendig ist.

Flucht und Asyl

Mit der Aufnahme von geschlechtsspezifischen und nichtstaatlichen Verfolgungsgründen in das Aufenthaltsgesetz ist eine Forderung der EKD erfüllt worden. Mittlerweile sind in einigen Bereichen - wie bei der Frage, ob einem Schutzbedürftigen in seinem Herkunftsland eine interne Fluchtalternative zur Verfügung steht oder bei der Behandlung von Bürgerkriegsflüchtlingen und Kriegsdienstverweigerern im Asylverfahren - Verbesserungen durch die Umsetzung der europarechtlichen Vorgaben oder durch eine veränderte Rechtsprechung zu verzeichnen. Punktuell - insbesondere beim Schutz vor religiöser Verfolgung, bei asylverfahrensrechtlichen Fragen wie der Bestimmung der Nachfluchtgründe oder den Verfahrensbesonderheiten des Flughafenverfahrens, bei einigen sozialen Rechten, die aus der Zuerkennung von subsidiärem Schutz folgen, bei den Voraussetzungen für einen Widerruf und den Formulierungen der Ausschlussgründe - bleiben die deutsche Gesetzeslage, die Verwaltungsrechtsprechung [63] und die Verwaltungspraxis jedoch nach wie vor hinter völkerrechtlichen und zum Teil europarechtlichen Vorgaben zurück.

So wird bei der Überprüfung der Verletzung des Menschenrechts auf Religionsfreiheit bei einer Verfolgung aus religiösen Gründen der Schutzbereich von den Behörden entgegen der Formulierung der europäischen Qualifikationsrichtlinie (2004/83/EG) einschränkend ausgelegt. Ein Schutzbedürfnis wird nach der deutschen Verwaltungspraxis zwar nicht mehr wie bisher abgelehnt, wenn der Gläubige seine religiöse Überzeugung abseits der Öffentlichkeit, in persönlicher Gemeinschaft mit anderen Gläubigen dort, wo man sich nach Treu und Glauben unter sich weiß, leben kann [64]. Diese Reduzierung auf ein so genanntes religiöses Existenzminimum haben die Kirchen als Widerspruch zur Genfer Flüchtlingskonvention und zur Qualifikationsrichtlinie kritisiert. Dennoch überprüfen die Behörden immer noch, ob eine öffentliche Religionsausübung zu den unabdingbaren Elementen einer Religion zu zählen ist. Dabei werden vergleichbare Kriterien zu denjenigen herangezogen, die bislang für die Feststellung des religiösen Existenzminimums maßgeblich waren [65].

Die EKD setzt sich u.a. zusammen mit der Diakonie seit geraumer Zeit für die Einrichtung eines Resettlement-Programms in Deutschland ein, über das jährlich eine festgelegte Anzahl besonders schutzbedürftiger Flüchtlinge, die bereits aus ihrem Herkunftsland geflohen sind, in Deutschland Aufnahme finden könnten. Die Auswahl sollte nach UNHCR-Kriterien erfolgen und solche Flüchtlinge berücksichtigen, die auf absehbare Zeit nicht in ihr Herkunftsland zurückkehren können, aber im Erstaufnahmestaat nicht sicher sind oder keine Integrationsperspektive haben [66]. Die EKD hat die Entscheidung der Bundesregierung, 2500 besonders schutzbedürftige irakische Flüchtlinge nach Resettlement-Kriterien aus Syrien und Jordanien aufzunehmen, sehr begrüßt. Die Erfahrungen dieser humanitären Aufnahme und die dafür etablierten Strukturen sollten für die Errichtung eines jährlichen Resettlement-Programms mit einer festgelegten Quote genutzt werden.

Humanitär begründete Aufenthalte

Mit dem Zuwanderungsgesetz wurde eine gesetzliche Grundlage für die Errichtung von Härtefallkommissionen in den Ländern geschaffen, von der mittlerweile alle Bundesländer Gebrauch gemacht haben. Eine gesetzliche Bleiberechtsregelung fehlte zwar - der Bundestag nahm aber Regelungen im Bereich der humanitären Aufenthaltsrechte in das Gesetz auf, die den Behörden die Überführung von Menschen mit einer Kettenduldung in einen gesicherten Aufenthaltsstatus ermöglichen sollten. Die restriktive Handhabung dieser Tatbestände in einigen Bundesländern verhinderte eine flächendeckende Verbesserung der Situation von Menschen mit Kettenduldungen [67]. Erst das Richtlinienumsetzungsgesetz [68] eröffnete einem Teil der langjährig Geduldeten eine Aufenthaltsperspektive und griff damit eine langjährige Forderung der EKD auf. Geduldete mussten bei der Erteilung des Aufenthaltstitels nicht sofort nachweisen, ihren Lebensunterhalt eigenständig sichern zu können. Stattdessen wurde ihnen eine Frist von bis zu zwei Jahren eingeräumt, die zum 31. Dezember 2009 ausläuft. Angesichts des über viele Jahre fehlenden bzw. lediglich eingeschränkten Zugangs zum Arbeitsmarkt hätte die Regelung andernfalls nicht zu einer unmittelbaren Verbesserung der Situation der Betroffenen geführt. Alten und kranken Menschen wurde keine Chance auf ein eigenständiges Bleiberecht eingeräumt.

Vom Bleiberechtsbeschluss der Innenministerkonferenz und der gesetzlichen Altfallregelung haben zum 28. Februar 2009 etwas über 38.300 Personen Gebrauch machen können. Diese vorläufige Bilanz der gesetzlichen Altfallregelung macht deutlich, dass von den ca. 100.000 Menschen, die Ende 2006 seit mindestens sechs Jahren mit einer Duldung in Deutschland lebten, noch nicht einmal die Hälfte eine vorläufige Aufenthaltsgenehmigung erhalten haben. Lediglich rund 7.400 von ihnen wurde eine über den 31.12.2009 hinaus gesicherte Aufenthaltserlaubnis erteilt, die den Rückfall in den prekären Status der Duldung verhindert. Viele Inhaber eines Titels auf Probe werden - auch vor dem Hintergrund der aktuellen wirtschaftlichen Entwicklung - voraussichtlich kein ausreichendes Einkommen vorweisen können. Beratungsstellen berichten, dass viele ihre Arbeitsverhältnisse mittlerweile wieder verloren haben. Zum Teil hängt das mit dem Verlust ihrer vorherigen beruflichen Fähigkeiten zusammen, die Folge des bisher fehlenden oder nur eingeschränkten Arbeitsmarktzugangs von Geduldeten war. Zum Teil wird die ansteigende Arbeitslosigkeit im Niedriglohnsektor als Auswirkung der Weltwirtschaftskrise auf dem Arbeitsmarkt gewertet. Darüber hinaus leben in Deutschland weiterhin über 94.000 Menschen mit einer Duldung, davon rund 59.000 seit mehr als sechs Jahren. Auch für sie muss eine angemessene Lösung gefunden werden. Das Aufenthaltsgesetz sollte deshalb um eine Regelung ergänzt werden, die Menschen, die in Deutschland integriert sind und denen eine Rückkehr in ihr Herkunftsland deshalb nicht zugemutet werden kann, ermöglicht, eine Aufenthaltserlaubnis zu erhalten [69]. Dies könnte durch die Streichung des festen Stichtags für die Einreise geschehen; die Altfallregelung würde dann Menschen, die eine Voraufenthaltsdauer bei Vorliegen weiterer Integrationskriterien vorweisen können, eine fortlaufende Bleiberechtsperspektive eröffnen.

Rechtliche Gleichstellung - Diskriminierung abbauen und Partizipation ermöglichen

Die Kirchen kritisieren seit geraumer Zeit die ordnungs- und sicherheitspolitische Ausrichtung des Ausländerrechts. Bereits 1997 mahnten beide Kirchen an, das Ausländerrecht aus dem Bereich des Polizeirechts zu lösen. "Es geht nicht an, Ausländer maßgeblich aus der Perspektive der Gefährdung der persönlichen Sicherheit und Ordnung zu betrachten, ihre persönlichen Bedürfnisse dem staatlichen Interesse der Gefahrenabwehr unterzuordnen und damit den Schutz ihrer personalen Würde hintan zu stellen." [70] Durch das Zuwanderungsgesetz 2005 wurden zwar erstmals Regelungen zum Komplex Integration in das Gesetz aufgenommen. Auch andere Verbesserungen wie die Aufnahme geschlechtsspezifischer und nichtstaatlicher Verfolgung oder der ausdrückliche Bezug auf die Genfer Flüchtlingskonvention wurden eingeführt. Dennoch ist weder durch das Zuwanderungsgesetz noch durch das Richtlinienumsetzungsgesetz 2007 eine grundsätzliche Abkehr von einer vorwiegend auf Abwehr von Zuwanderung ausgerichteten Ausländergesetzgebung erfolgt.

Im Nationalen Integrationsplan fehlt die Perspektive der rechtlichen Gleichstellung. Erst anlässlich des Fortschrittsberichts der Bundesregierung zum Nationalen Integrationsplan am 6. November 2008 kündigte die Beauftragte der Bundesregierung für Integration, Migration und Flüchtlinge, Staatsministerin Böhmer, an, auch rechtliche Aspekte in die Diskussion mit einzubeziehen. Bereits 2002 erachtete es die EKD als erforderlich, die gesetzlichen Bestimmungen für Ausländer und Ausländerinnen zu überprüfen, um Sonderwelten der rechtlichen Ausgrenzung zu verhindern [71]. Teile der Bevölkerung dürfen nicht einem Ordnungsrecht unterliegen, das durch Sanktionsdrohungen geprägt ist und vorrangig dem Erhalt der Sicherheit dient. Vielmehr müssen Eingewanderte als Träger von Rechten akzeptiert werden, denen man ein selbstbestimmtes Leben ermöglicht und zutraut. Dazu ist ein auf Inklusion und Partizipation ausgerichtetes Ausländerrecht zu entwickeln.

Staatsangehörigkeit

Eingebürgerte verfügen - anders als Ausländer mit lediglich verfestigtem Aufenthaltsrecht - über die vollen Bürgerrechte mit allen Partizipationsmöglichkeiten. Erst der Status als Deutscher bietet umfassende Aufenthaltssicherheit. Die Ergänzung des vor 2000 geltenden Abstammungsprinzips im Staatsangehörigkeitsrecht um das Territorialprinzip entsprach einer Forderung der EKD [72]. Im Bereich der Einbürgerungen auf Antrag zeigte sich jedoch schon 2002, dass der erwünschte Anstieg der Einbürgerungszahlen nicht erreicht wurde [73]. Dieser Eindruck hat sich seither bestätigt. Die Einbürgerungszahlen sanken von zunächst etwa 187.000 im Jahr 2000 auf 113.000 im Jahr 2007. 2008 fielen die Zahlen um weitere 15 % im Vergleich zum Vorjahr [74].

Der erneute Rückgang steht mit den erschwerten Voraussetzungen für die Einbürgerung durch das Richtlinienumsetzungsgesetz 2007 im Zusammenhang. Die Anforderung wurde in das Staatsangehörigkeitsgesetz aufgenommen, obwohl in diesem Bereich keine Bestimmung einer EU-Richtlinie umzusetzen war [75]. Einbürgerungstests können einen Beitrag zur demokratischen Kultur leisten. In ihrer überwiegenden Mehrzahl bestehen die Teilnehmer die 2008 eingeführten Tests am Ende des oft schwierigen Einbürgerungsverfahrens, was die Akzeptanz erhöht hat. Um die Einbürgerungszahlen wieder zu erhöhen, müssten allerdings an anderer Stelle des Einbürgerungsverfahrens prozedurale Erleichterungen vorgenommen werden.

Positiv hervorzuheben ist die Herabsetzung der für die Anspruchseinbürgerung erforderliche Mindestaufenthaltsdauer auf sieben bzw. sechs Jahre, wenn Integrationsbemühungen bzw. gute Sprachkenntnisse nachgewiesen sind. Darüber hinaus greift nun die Optionsregelung, nach der Jugendliche ausländischer Eltern durch ihre Geburt in Deutschland zusätzlich zu ihrer ausländischen die deutsche Staatsangehörigkeit erworben haben. Bis zur Vollendung ihres 23. Lebensjahres müssen sie sich nun zwischen der deutschen und der ausländischen Staatsangehörigkeit entscheiden. Die Verpflichtung verunsichert viele Jugendliche in dieser ohnehin von Identitätskonflikten gezeichneten Lebensphase. Die Hinnahme der doppelten Staatsbürgerschaft, wie sie heute ohnehin bei über 50 % der Einbürgerungen erfolgt, ist jedoch gegen die mögliche Folge der Optionspflicht abzuwägen, nämlich die integrationspolitisch abschreckende Signalwirkung dieser Regelung und der mögliche Verlust dieser jungen Menschen als deutsche Staatsangehörige [76]. Beides kann weder im Interesse der Bundesrepublik sein, die sich gerade in der letzten Legislaturperiode erfolgreich um eine neue Ausrichtung der Integrationspolitik bemüht hat, noch im Interesse der Gesellschaft, die sich eine Entfremdung von jungen, hier geborenen, aufgewachsenen und ausgebildeten Menschen nicht leisten kann und nicht leisten sollte.

Bei der Einbürgerung bedarf es einer erneuten und doppelten Kurskorrektur. Neben der Erleichterung der gesetzlichen Bedingungen sind auch Länder und Kommunen gefragt, ihr Verwaltungshandeln auf eine Erhöhung der Einbürgerungszahlen auszurichten. Mehrfachstaatsangehörigkeit sollte vermehrt akzeptiert werden [77]. Darüber hinaus sollte über die Vorteile von Einbürgerung - auch für die einheimische Bevölkerung - informiert und für Einbürgerung geworben werden.

Aufenthaltsverfestigung

Die Verfestigung eines Aufenthaltstitels von Menschen, die dauerhaft in der Bundesrepublik leben, sollte erleichtert möglich sein. Das Diakonische Werk hat sich gegen das automatische Erlöschen der Niederlassungserlaubnis vor dem Hintergrund gewandt, dass die Regelung in § 51 AufenthG den Anforderungen einer modernen Gesellschaft widerspricht, die die Mobilität ihrer Bürger fördern möchte [78]. Ferner müssen die Aufenthaltsverfestigungsmöglichkeiten gerade auch für Heranwachsende [79] stärker genutzt werden und bedürfen einer großzügigen Auslegung. Keinesfalls sollte die Erteilung eines verfestigten Aufenthaltsstatus für Flüchtlinge hinausgezögert werden.

Familie

Für die evangelische Kirche hat der Schutz der Familie einen hohen Stellenwert. Familie ist auch ein entscheidender Faktor für das Gelingen von Integration. Darum richtet sich kirchliche Integrationsarbeit besonders an diese Zielgruppe. Art. 6 des Grundgesetzes und Art. 8 der Europäischen Menschenrechtskonvention verpflichten den Staat, Ehe und Familie zu schützen [80].

Menschen, die sich aus dringenden humanitären oder persönlichen Gründen in Deutschland aufhalten und deren Ausreise auf absehbare Zeit nicht möglich ist, können nach wie vor keine Familienangehörigen zu sich nach Deutschland reisen lassen. Subsidiär Geschützten wird ein Nachzug nur ermöglicht, wenn für die Aufnahme der Familienangehörigen selbst völkerrechtliche oder humanitäre Belange sprechen [81]. Erschwernisse des Familiennachzuges oder gar dessen Ausschluss für bestimmte Gruppen (§§ 25 Abs. 4 S. 2 und 25 Abs. 5 AufenthG) sind aus kirchlicher Sicht bedenklich.

Die 2007 eingeführten Regelungen zum Spracherwerbsnachweis vor der Einreise als zusätzliches Erfordernis haben die Anforderungen erhöht. Sie sind verfassungsrechtlich und europarechtlich umstritten. Die EKD wendet sich ausdrücklich gegen Zwangsverheiratungen und begrüßt einen Ausbau von Maßnahmen zur Prävention und zum Schutz der Opfer. Maßnahmen zur Verhinderung von Zwangsverheiratungen dürfen jedoch den Zusammenhalt von Menschen, die freiwillig verheiratet sind, und ihren Familien nicht gefährden. Der Schutz von nachreisenden Ehepartnerinnen und Ehepartnern, die zwangsverheiratet wurden, könnte effektiver durch Hilfestellung in Deutschland erreicht werden, ohne dass von diesen Regelungen auch freiwillig verheiratete Paare betroffen werden. Gleiches gilt auch für das Argument, ein Spracherwerb im Ausland vor dem Familiennachzug sei erforderlich, um die Integration zu fördern. Ein Herauszögern des Zusammenlebens von Familien kann sich jedoch sehr hinderlich auf die Integration auswirken. Darüber hinaus erfolgt der Spracherwerb erwiesenermaßen leichter in Deutschland.

Rechtliche Bestimmungen sollten Frauen bei Konflikten in der Familie stärken und Schutz vor Missbrauch und Gewalt in der Familie bieten. Familienpolitik sollte Familien unabhängig von ihrem aufenthaltsrechtlichen Status im Hinblick auf ihren konkreten Bedarf fördern. Denn "Familie ist immer dort, aber keineswegs nur dort, wo Menschen verschiedener Generationen Verantwortung füreinander wahrnehmen. Familie ist immer dort, aber keineswegs nur dort, wo Menschen verwandtschaftlich füreinander eintreten." [82]

Inklusion heißt Zugang schaffen. Bildung

Die Wahrnehmung des Rechts auf den Zugang zu Bildung ist von zentraler Bedeutung für die Möglichkeiten gesellschaftlicher Partizipation. Über lange Zeit stand allein das Erlernen der Sprache als "Schlüssel der Integration" im Vordergrund der öffentlichen Aufmerksamkeit. Die Fähigkeit, sich in der Verkehrssprache gut ausdrücken zu können, ist von nicht zu unterschätzender Bedeutung. Untersuchungen haben eindrücklich gezeigt, dass die Bildungschancen der Kinder nicht nur von ihren Deutschkenntnissen, sondern maßgeblich vom Einkommens- und Bildungshintergrund ihrer Eltern abhängen. Kinder von Eltern, die als "Gastarbeiter" für gering bezahlte Tätigkeiten angeworben wurden oder selbst aus einer Familie mit Anwerbungshintergrund stammen, haben vom Anfang ihrer Schullaufbahn an schlechtere Chancen auf einen Schulabschluss [83].

Die demographische Entwicklung zeigt den Handlungsbedarf im deutschen Bildungssystem auf: Schon im Jahre 2005 machten Kinder mit einem Migrationshintergrund über ein Drittel der Altersgruppe zwischen 0 und 6 Jahren aus [84], womit auch der Anteil von sozial Schwachen mit Migrationshintergrund gestiegen ist und einen erhöhten Förderbedarf nötig macht. Vor diesem Hintergrund kommt den evangelischen Kindertageseinrichtungen eine entscheidende Bedeutung zu: Als Orte des "achtungsvollen Umgangs" [85] im interkulturellen Kontext eröffnen sie von Anfang an gelingende Zugänge zum Bildungssystem jenseits aller Defizitzuschreibungen [86].

Im OECD-Vergleich rangiert Deutschland mit seinen Ausgaben für vorschulische und schulische Bildung auf einem der letzten Plätze von den 28 untersuchten OECD-Ländern [87]. Zusätzliche Ressourcen sollten nicht nur für mehr Lehrpersonal und eine bessere Refinanzierung von Kindertageseinrichtungen eingesetzt werden, sondern auch für begleitende Schulsozialarbeit und aufsuchende Elternarbeit. Der Wechsel zwischen verschiedenen Schulformen sollte erleichtert werden, um Diskriminierungen von Kindern mit Migrationshintergrund an dieser Stelle zu verhindern [88].

Bei Bildung und Ausbildung ist schließlich nicht nur die Frage des Zugangs zu stellen. Mehrsprachigkeit, die Kinder in ihrem Elternhaus erworben haben, ist eine besonders förderungswürdige Gabe. Es besteht ein gesellschaftliches Interesse, diese Ressource zu fördern. Für Kindertageseinrichtungen und Schulen sollen entsprechende Angebote bereitgestellt werden [89].

Arbeitsmarkt

Die Evangelische Kirche tritt für eine Gleichbehandlung beim Zugang zum Arbeitsmarkt ungeachtet der Staatsangehörigkeit oder des aufenthaltsrechtlichen Status ein, vorausgesetzt es handelt sich um einen legalen Aufenthalt [90].

Dies gilt auch angesichts der derzeitigen Arbeitslosigkeit, weil Eingewanderte vielfach keine Konkurrenz zu einheimischen Arbeitssuchenden darstellen. Die Erwerbstätigkeit dient der eigenen Existenzsicherung und entlastet die Sozialsysteme.

Die Weltkommission für Migration stellte fest: "Die Rolle von Migranten bei der Förderung von Entwicklung sowie der Verringerung von Armut in ihren Herkunftsländern und der Beitrag, den sie zum Wohlstand ihrer Aufnahmeländer leisten, sollten anerkannt und gestärkt werden. Internationale Migration sollte sowohl in Entwicklungs- als auch in Industrieländern ein integraler Bestandteil der nationalen, regionalen und globalen Strategien zum Wirtschaftswachstum werden." [91]

Um dem Gleichheitsgrundsatz Rechnung zu tragen, sollte allen Ausländerinnen und Ausländern der Zugang zum Arbeitsmarkt offen stehen. Jugendliche und Erwachsene sollten für eine Berufsausbildung oder andere Qualifizierungsmaßnahmen allgemein keiner Arbeitserlaubnis bedürfen. Die unternommenen Anstrengungen im Bereich der Ausbildungsförderung junger Geduldeter und die Verbesserungen beim Arbeitsmarktzugang werden umfassend begrüßt.

Im Nationalen Integrationsplan sind die dafür erforderlichen Änderungen der Rechtsbestimmungen nicht aufgeführt. Dennoch wird das Ziel benannt, in öffentlichen Diensten aller Bereiche den Anteil der Beschäftigten mit Migrationshintergrund zu erhöhen. Die Länder und Verbände greifen die Zielsetzung in ihren Selbstverpflichtungen auf. Im Fortschrittsbericht der Bundesregierung von 2008 werden auch die faktischen Hürden, die noch zu überwinden sind, dargelegt.

Soziale Sicherung

Das Sozialstaatsgebot des Grundgesetzes hat inkludierenden Charakter, denn es gilt für in Deutschland lebende Deutsche und Ausländerinnen und Ausländer. Differenzierungen nach der Staatsangehörigkeit im Bereich der Sozialleistungen sind deshalb darauf zu prüfen, ob sie gerechtfertigt werden können. Besonders kritisch zu bewerten sind Differenzierungen bei Leistungen, die den elementaren menschlichen Grundbedarf sichern, da diese Leistungen dem Schutz der Menschenwürde dienen, die selbst keinerlei Differenzierung zulässt. Gerade bei den Sozialleistungen ist daher Gleichbehandlung und Inklusion das Ziel.

Besonders zu begrüßen sind die Fortschritte im Bereich der Ausbildungsförderung [92], die nunmehr zahlreichen jungen Menschen ausländischer Staatsangehörigkeit - auch solchen die geduldet sind - den Zugang zur Ausbildungsförderung ermöglichen. Dass diese jungen Menschen eine gute Bildung erhalten, liegt im Interesse der Gesellschaft. Deshalb bleiben manche Beschränkungen und Differenzierungen aber wenig nachvollziehbar. So ist wenig verständlich, warum z.B. nachgezogene Kinder, subsidiär geschützte Flüchtlinge oder auch Geduldete, die auf nicht absehbare Zeit im Land bleiben, einer Wartefrist von vier Jahren unterliegen. Es wäre wünschenswert, wenn mit der Einbeziehung aller Kinder auch im Bereich der Bildung möglichst frühzeitig begonnen werden könnte.

Auch im Bereich des Eltern- [93] und Kindergeldes [94] sind Fortschritte zu verzeichnen. Manche Differenzierung bedarf allerdings der Überprüfung. So bleiben bei diesen Leistungen Geduldete immer noch außen vor. Dies ist so lange nicht sachgerecht, wie Kettenduldungen nicht abgeschafft sind. Für subsidiär geschützte Personen sollten die zusätzlichen Voraussetzungen (dreijährige Wartefrist und Erfordernis der Erwerbstätigkeit) beseitigt werden. Personen, die unter die gesetzliche "Altfallregelung" fallen, sind beim Elterngeld - anders als beim Kindergeld - ausgeschlossen. Eine sachliche Rechtfertigung hierfür ist nicht ersichtlich.

Im Hinblick auf den Schutz der Menschenwürde ist die Differenzierung bei den Grundleistungen (Asylbewerberleistungsgesetz), die nicht nur Menschen im Asylverfahren betreffen, sondern auch Ausländerinnen und Ausländer mit Aufenthaltstitel, die sich schon länger hier aufhalten, aus kirchlicher Sicht problematisch. Hier bedarf es einer Beseitigung von Beschränkungen bei der Gesundheitsversorgung. Die Sozialversicherungssysteme der beteiligten Staaten sollten auf den internationalen Charakter der Migration ausgerichtet werden. Aus der Tatsache, dass Menschen sich über Grenzen hinweg bewegen, sollten keine strukturellen Nachteile folgen. Eine Konsequenz hieraus ist, dass ins Ausland transferierte Renten nicht niedriger sein sollten als die im Inland ausgezahlten. Ebenso müssen Rentenvoraussetzungen, die in unterschiedlichen Rentenversicherungssystemen erworben wurden, grenzüberschreitend berücksichtigt werden. Das könnte über internationale Sozialversicherungsabkommen erreicht werden.

Interkulturelle Öffnung von Institutionen und Diensten

In der Gesellschaft der Vielfalt wird ein gleichberechtigter Zugang zu den öffentlichen Einrichtungen und Diensten in der Praxis nur dann erfolgreich sein, wenn diese Prozesse der interkulturellen Öffnung durchlaufen [95]. Der Anstellung interkulturell kompetenter Fachkräfte und der Vermittlung interkultureller Kompetenz in der Aus-, Fort- und Weiterbildung kommt eine zentrale Funktion zu. Der Nationale Integrationsplan trägt dieser Einsicht Rechnung. Der Bund hat darin 2007 angekündigt, dass er die interkulturelle Öffnung und Vernetzung zu einem Förderkriterium in Fördervereinbarungen verankern wird. Öffentlich geförderte Einrichtungen sollen zu Recht "angehalten werden, ihre Personalentwicklungskonzepte und Projektmaßnahmen für die gleichberechtigte Beteiligung von Migrantinnen und Migranten zu öffnen." [96] Aus kirchlicher Sicht verdienen Bund, Länder und Verbände Unterstützung für den eingeschlagenen Weg.

Verbesserung der Rahmenbedingungen sozialer und diakonischer Dienste

Neben rechtlicher Gleichstellung, praktischer Gewährleistung des Zugangs zu den öffentlichen Diensten und Einrichtungen sind auch besondere Dienste und Maßnahmen erforderlich, um Inklusion und Partizipation für alle zu ermöglichen.

Neben den Integrationskursen, den öffentlich geförderten Migrationsfachdiensten und dem Programm "Vielfalt tut gut - Jugend für Vielfalt, Toleranz und Demokratie" des Bundes gibt es zahlreiche Beratungs- und Hilfsdienste in kirchlicher und anderer Trägerschaft, die zum Teil mit sehr hohem freiwilligen Engagement für in der Einwanderungsgesellschaft benachteiligte Jugendliche und Erwachsene eintreten.

Die Einführung der Integrationskurse durch das Zuwanderungsgesetz zeugt davon, dass auch der Deutsche Bundestag die Realität der Einwanderungsgesellschaft sieht. Die Kurse umfassen in der Regel 645 Stunden (bei Bedarf auch bis zu 945 Stunden) und bestehen aus Sprach- und Orientierungskursen. Im Fortschrittsbericht der Bundesregierung zum Nationalen Integrationsplan wurde insgesamt eine positive Bilanz gezogen.

Für die Migrationsfachdienste stehen den diakonischen Einrichtungen Mittel des Bundes, in einigen Ländern Landesmittel und in hohem Maße auch kirchliche Eigenmittel zur Verfügung. Die Dienste leisten nicht nur Beratung für Eingewanderte und Flüchtlinge, sie betätigen sich in den örtlichen Gemeinwesen als Scharnierstellen zu den für die Eingewanderten öffentlichen Einrichtungen und Diensten. An vielen Orten sind sie zu wichtigen Akteuren im Gemeinwesen geworden.

Sowohl die öffentlich geförderten Migrationsfachdienste als auch die Programme zur Prävention gegen Rassismus und Rechtsextremismus müssen verstetigt und im Bundeshaushalt stärker abgesichert werden. Die gesetzliche Verankerung von bundesweit einheitlichen Fachdiensten, die als eigenständige Angebote auch Vernetzungsaufgaben im Gemeinwesen übernehmen [97], ist bisher noch nicht ausreichend erfolgt. In das Richtlinienumsetzungsgesetz von 2007 wurde lediglich ein die Sprachkurse ergänzendes Beratungsangebot als Sollvorschrift aufgenommen, obwohl die Bundesregierung die Migrationsberatung für Erwachsene und die Jugendmigrationsdienste neben dem Integrationskurs als "Grundpfeiler der Integrationspolitik" [98] würdigt.

Die Migrationsfachdienste würden zu kurz greifen, wenn sie sich auf die individuelle Unterstützung und Begleitung von Eingewanderten und Asylsuchenden beschränkten. Ebenso wichtig ist es, die Überzeugungsarbeit im gesamten Gemeinwesen zu leisten, sich für ein gemeinsames Zusammenleben zu öffnen und bestehenden Vorurteilen und Ängsten entgegen zu wirken. Die interkulturelle Öffnung der Dienste ist unerlässlich. Es bedarf darüber hinaus besonderer Anstrengungen, rassistischen Vorurteilen und Handlungen entschieden zu begegnen.

Migrationsarbeit ist per se gemeinwesenorientiert und dabei auf lokale Partner angewiesen. Dazu gehört auch die Zusammenarbeit mit Organisationen und Bürgerinitiativen von Eingewanderten. Dass sich in einer freiheitlichen Gesellschaft Eingewanderte zusammenschließen, ist eine Selbstverständlichkeit. Migrantenorganisationen können bei der Identitätsfindung helfen, Selbsthilfe fördern und Interessenvertretung ermöglichen. Sie sind unverzichtbare Partner der Kirche.

Für die Migrationsfachdienste ist nicht nur die verbesserte gesetzliche Absicherung eine noch zu lösende Frage. Ebenso wie für professionell Helfende und freiwillig Engagierte ist noch ein strafrechtlicher Aspekt zu bedenken: Die EKD tritt für eine rechtliche Klarstellung im Aufenthaltsgesetz oder in den untergesetzlichen Regelungen ein, dass Unterstützung bei der Wahrnehmung sozialer Rechte sowohl in Ausübung eines Berufes oder eines humanitär motivierten freiwilligen Engagements straffrei gestellt ist [99].

„... denn ihr seid selbst Fremde gewesen“

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