Zum Inhalt

Gemeinsame Stellungnahme des Bevollmächtigten des Rates der EKD bei der Bundesrepublik Deutschland und der Europäischen Union und des Leiters des Kommissariats der deutschen Bischöfe - Katholisches Büro in Berlin -

zum Referentenentwurf eines Gesetzes zur Vereinheitlichung des Stiftungsrechts

I. Allgemeine Anmerkungen

 

Der Gesetzentwurf zur Vereinheitlichung des Stiftungsrechts (GE) soll neue bundeseinheitliche Vorschriften für rechtsfähige Stiftungen des bürgerlichen Rechts schaffen. Die Regelungsvorschläge beruhen auf dem Bericht einer Bund-Länder-Arbeitsgruppe und einem auf dieser Grundlage erstellten Diskussionsentwurf.

 

Sowohl im Bericht der Bund-Länder-Arbeitsgruppe als auch im Diskussionsentwurf wurde angestrebt, dass auf dem Staatskirchenrecht beruhende Rechte des kirchlichen Stiftungswesens durch die geplanten Änderungen nicht eingeschränkt werden sollen. Wir begrüßen diese Absichtserklärung. Aus unserer Sicht werden jedoch von dem GE die staatskirchenrechtlichen Besonderheiten des kirchlichen Stiftungswesens nicht ausreichend beachtet.

 

Über die Regelungsvorschläge des Diskussionsentwurfs hinaus sieht der vorliegende GE die Einführung eines zentralen Stiftungsregisters auf Bundesebene vor. Gegen die Einführung des beabsichtigten zentralen Stiftungsregisters auf Bundesebene haben wir Bedenken.  

 

II. Zu den Vorschriften im Einzelnen
 
1. Zu Art. 1 - Für die Verwaltungsentscheidungen zuständige Behörde

 

Wie schon der Diskussionsentwurf unterscheidet auch der Referentenentwurf zwischen der „nach Landesrecht zuständigen Behörde“, die auch eine Einrichtung der Kirchen sein kann, und einer „zuständigen Behörde des Landes“, die nur eine staatliche Behörde sein kann. Wir hatten in unserer Stellungnahme vom 06.06.2019 zum Diskussionsentwurf darauf hingewiesen, dass der Diskussionsentwurf damit erheblich von den Vorgaben des ersten Berichts der Bund-Länder-Arbeitsgruppe „Stiftungsrecht“ vom 09.09.2016 abwich. In diesem Bericht hatte die Arbeitsgruppe ausführlich begründet, wieso im BGB durchgehend die Zuständigkeitszuweisung „nach Landesrecht zuständige Behörde“ verwendet werden sollte.[1] Wir regen daher noch einmal an, einheitlich die Zuständigkeitszuweisung „nach Landesrecht zuständige Behörde“ im GE zu verwenden.

 

Im Diskussionsentwurf wurde die Zuständigkeit der „nach Landesrecht zuständigen Behörde“ lediglich in den Tatbeständen § 84c BGB-E (Durchführung und Begleitung von Notmaßnahmen im Falle eines nicht handlungsfähigen Organes einer Stiftung) und § 85a BGB-E (Zuständigkeit für Satzungsänderungen) zugewiesen. Wir begrüßen, dass der GE die Zuständigkeitszuweisung „nach Landesrecht zuständige Behörde“ nunmehr zumindest in einigen weiteren Regelungen aufnimmt. Nach dem GE kommt diese Zuständigkeitszuweisung auch in §§ 82b Abs. 2 S. 3 Nr. 1,  83c Abs. 3,  86b Abs. 1,  86e Abs. 1,  86f Abs. 1 und  87a BGB-E sowie §§ 2 Nr. 8, 10 Abs. 2 StiftRG-E zur Anwendung. Dass diese Zuständigkeitszuweisung mehr Spielraum eröffnet und damit zu sachgerechteren Ergebnissen führt, lässt sich beispielhaft an § 81 Abs. 4 BGB-E verdeutlichen. Diese Regelung sieht vor, dass fehlende Bestimmungen oder ggf. die komplette Errichtungssatzung nach dem Tod des Stifters von der „zuständigen Behörde des Landes“, mithin von einer staatlichen Behörde zu erarbeiten sind. Für den Fall, dass der Stifter eine kirchliche Stiftung errichten möchte, ist jedoch die Zuständigkeit einer kirchlichen Stiftungsbehörde sachgerechter. Bei Verwendung der Zuständigkeitszuweisung „nach Landesrecht zuständige Behörde“ in dieser Regelung könnte diese Aufgabe der kirchlichen Stiftungsbehörde übertragen werden. Solche Regelungsspielräume sind für die Kirchen aufgrund der verfassungsrechtlich gewährleisteten Regelungsautonomie von großer Bedeutung.

Zugleich verknüpfen Stifterinnen und Stifter mit der Kirchlichkeit der Stiftung die Erwartung, dass das Stiftungsvermögen für kirchliche Zwecke verwendet wird und wissen diese Bestimmung durch die kirchlichen Stiftungsaufsichten gewahrt. Die kirchlichen Stiftungsaufsichten können dieser Verpflichtung aber nur dann wirksam nachkommen, wenn ihre Beteiligung in den Verwaltungsabläufen sichergestellt ist.

Dabei steht außer Frage, dass die Anerkennung einer Stiftung als juristische Person des privaten Rechts mit Wirkung für den Rechtverkehr eines staatlichen Aktes bedarf. 

  

2. Art. 1, § 84c Abs. 1 S. 2 BGB-E – Notmaßnahmen bei fehlenden Organmitgliedern

 

§ 84c Abs. 1 S. 2 BGB-E soll beispielhaft Maßnahmen auflisten, die die Stiftungsbehörden ergreifen können, wenn ein Organ nicht entscheidungsfähig ist, weil erforderliche Organmitglieder fehlen.

Der letzte Halbsatz von § 84c Abs. 1 S. 2 BGB-E wird mit der Konjunktion „indem“ eingeleitet. Damit werden unseres Erachtens entgegen der Intention der Regelung, die in der Begründung zum Ausdruck kommt, die Notmaßnahmen eher begrenzt und nicht um eine weitere Möglichkeit erweitert.

Wir regen daher an, den letzten Halbsatz des § 84c Abs. 1 S. 2 BGB-E mit dem Wort „oder“ einzuleiten.

 

 3. Art. 1, § 85 BGB-E - Voraussetzungen für Satzungsänderungen

 

a) § 85 Abs. 1 S. 3 BGB-E sieht vor, dass eine auf unbestimmte Zeit errichtete Stiftung in eine Verbrauchsstiftung umgewandelt werden darf, wenn die Voraussetzungen des § 85 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 und S. 2 BGB-E kumulativ vorliegen. § 85 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 BGB-E nennt als Voraussetzung für eine Satzungsänderung, dass „die dauernde und nachhaltige Erfüllung des Stiftungszwecks endgültig unmöglich ist“. Es stellt sich die Frage, ob die bloße Umwandlung in eine Verbrauchsstiftung noch sinnvollerweise erfolgen kann, wenn der Stiftungszweck „endgültig“ unmöglich ist. Das Problem, dass der Satzungszweck nicht mehr erfüllt werden kann, würde sich für die Verbrauchsstiftung, die denselben Zweck verfolgt, in gleicher Weise stellen. Im Übrigen stellt sich nach unserer Auslegung des Gesetzes die Frage, ob es sinnvoll ist, die Voraussetzungen für die Umwandlungen nach § 85 BGB-E und von Auflösung und Aufhebung nach § 87, 87a BGB-E gleichlautend zu formulieren, zumal § 87 BGB-E dem Vorstand kein Ermessen einräumt.

 b) Die Kirchlichkeit einer Stiftung zählt nicht zu den in § 85 Abs. 2 S. 2 BGB-E aufgelisteten die Stiftung prägenden Bestimmungen. Wir regen an, in der Begründung zu § 85 BGB-E klarzustellen, dass auch die „Kirchlichkeit“ einer Stiftung (verfassungsrechtlich langläufig durch drei Merkmale umschrieben: kirchliche anerkannte Zweckverfolgung, kirchlich institutionelle Verbindung und kirchliche Aufsicht) zur „Stiftungsverfassung“ gehört und insofern die Kirchlichkeit durch Satzungsänderungen nach Anerkennung nicht mehr geändert werden kann, da die Kirchlichkeit der Stiftung zum einen auf dem Stifterwillen beruht (§ 83 Abs. 3 BGB-E) und zum anderen durch die kirchliche Beteiligung bei der Anerkennung verfassungsrechtliche Positionen der Kirche begründet wurden (§ 88 BGB-E), die nicht mehr in der alleinigen Disposition der Stiftungsorgane stehen. Insofern handelt es sich unseres Erachtens um prägende Bestimmungen der Stiftungsverfassung i.S.v. 85 Abs. 2 BGB-E, die jedoch auch bei wesentlicher Veränderung der Verhältnisse nicht geändert werden können. Ein entsprechender Hinweis in der Gesetzesbegründung könnte das Verständnis für den besonderen Charakter kirchlicher Stiftungen und der mit der Kirchlichkeit verbundenen Zuordnung zur verfassten Kirche und ihrer Stiftungsaufsicht verstärken. Erfahrungsberichte seitens der kirchlichen Stiftungsaufsichten lassen den Rückschluss zu, dass zunehmend die Kirchlichkeit als identitätsstiftend und statusbestimmend, teilweise unbemerkt, in Frage gestellt wird.Zudem ergibt sich die Wesentlichkeit der Kirchlichkeit im Grunde schon aus § 85 Abs. 2 Satz 2 BGB-E selbst. Denn wenn dort die Änderung der in § 85 Abs. 2 Satz 2 BGB-E aufgezählten prägenden Bestimmungen bei einer kirchlichen Stiftung eine Beteiligung der Kirchen voraussetzt, muss dies erst recht gelten, wenn die Kirchlichkeit selbst in Frage steht. Sollte die Kirchlichkeit einer Stiftung durch eine Satzungsänderung in Frage stehen, kann eine solche Änderung auch bei Vorliegen der Voraussetzungen das § 85 Abs. 3 BGB-E bereits aus verfassungsrecht-lichen Gründen nicht ohne Beteiligung der kirchlichen Stiftungsbehörde genehmigungsfähig sein. Wir regen daher an, in der Begründung mit folgender Ergänzung klarzustellen, dass die Kirchlichkeit der Stiftung deren „Kern“ betrifft:  Satzungsänderungen, die die Kirchlichkeit einer Stiftung betreffen können, indem sie wesentliche Merkmale einer kirchlichen Stiftung, insbesondere eine kirchlich anerkannte Zweckverfolgung, eine kirchlich institutionelle Verbindung oder eine kirchliche Stiftungsaufsicht berühren, haben immer Wesensgehalt für die Anerkennung als kirchliche Stiftung und sind nur mit Zustimmung der kirchlichen Stiftungsbehörde zulässig. Eine Klarstellung zur Bedeutung der Kirchlichkeit von Stiftungen dürfte zugleich bei den dieser Novellierung folgenden Änderungen in den Landesgesetzen von Nutzen sein.

 

 4. Art. 1, §§ 87 Abs. 1 S. 1, 87a BGB-E – Auflösung der Stiftung durch die Stiftungsorgane/Aufhebung durch die Behörde

 

Die bei Vorliegen der Voraussetzungen gebundene Entscheidung, eine Stiftung durch den Vorstand aufzulösen bzw. durch die Behörde aufzuheben, halten wir für problematisch, weil alternativ eben bei Vorliegen dieser Voraussetzungen auch Satzungsänderungen nach § 85 Abs. 1 Nr. 1 BGB-E möglich sein sollen. Daher sollte aus dem Gesetzeswortlaut oder aus der Begründung die Reihenfolge dieser möglichen Maßnahmen deutlich hervorgehen. Zudem entspricht der Wortlaut der § 87 Abs. 1 S. 1 BGB-E nicht den Darlegungen in der Begründung der Regelung. Nach der Begründung kann der Vorstand bei Vorliegen der Voraussetzungen des § 87 Abs. 1 S. 1 BGB-E die Stiftung auflösen. Nach dem Regelungstext hat der Vorstand jedoch die Stiftung aufzulösen und insofern keinerlei Ermessen. Wir regen an, wie im Diskussionsentwurf und entsprechend der Intention der Begründung, im § 87 Abs. 1 S. 1 BGB-E vorzusehen, dass der Vorstand die Stiftung auflösen kann.

Gleiches gilt für § 87a BGB-E: Der Diskussionsentwurf hatte in § 87a BGB-E auch der Stiftungsbehörde für den Fall, dass die Voraussetzung des § 87 Abs. 1 S. 1 vorliegt, ein Ermessen eingeräumt und die Regelung bezogen auf diesen Tatbestand als „Kann-Regelung“ gestaltet. Der vorliegende GE sieht auch in diesem Fall nunmehr eine gebundene Entscheidung vor. Wir halten die Formulierung des Diskussionsentwurfes für vorzugswürdig.

Schließlich ist nach dem GE unter der gleichen Voraussetzung, die nach dem GE eine Auflösungsentscheidung zwingend zur Folge haben, eine Zweckänderung, Zweckbeschränkung sowie die Umwandlung in eine Verbrauchsstiftung (§ 85 Abs. 1 Nr. 1 BGB‑E) gleichfalls möglich.

  

5. Zu Art. 1, § 87c BGB-E – Vermögensanfall

 

§ 87c BGB-E regelt für den Fall, dass ein Anfallberechtigter in der Stiftungssatzung nicht bestimmt ist, dass regelmäßig der Fiskus des Bundeslandes, in dem die Stiftung ihren Sitz hatte, anfallberechtigt ist. Landesrechtliche Regelungen können abweichend von diesem Grundsatz andere juristische Personen des öffentlichen Rechts in diesen Fällen zu Anfallberechtigten bestimmen.

Wir hatten bereits in unserer Stellungnahme zum Diskussionsentwurf dargelegt, dass wir davon ausgehen, dass § 87c BGB-E – vor dem Hintergrund der verfassungsrechtlichen Garantie des Kirchenguts in Art. 140 GG i.V.m. Art 138 Abs. 2 Weimarer Reichsverfassung – wie bisher § 88 BGB eine Anfallberechtigung der Kirchen einschließt, auch wenn diese wie in Nordrhein-Westfalen und in Berlin landesgesetzlich nicht explizit geregelt ist. Eine entsprechende Klarstellung in der Begründung halten wir für sinnvoll.

Es wird angeregt, in der Begründung zu § 87c Abs. 2 S. 1 BGB-E kirchliche Körperschaften als ein Beispiel für eine Anfallberechtigung zu nennen.

 

 6. Zu Art. 1, § 88 BGB-E – Kirchliche Stiftungen
 

Die in § 88 BGB-E vorgesehene Kirchenklausel unterscheidet sich im Wortlaut im Wesentlichen in zwei Punkten von der geltenden Kirchenklausel in § 80 Abs. 3 BGB. Zum ersten werden die bisherigen zwei Sätze des § 80 Abs. 3 BGB zu einem Satz zusammengefügt, indem die Regelung zu den nach den Landesgesetzen gleichgestellten kirchlichen Stiftungen in den bisherigen Satz 1 integriert wird. Zum zweiten wird der bisher uneingeschränkten Verweisung auf die Landesgesetze der Länder ein „geltend“ vorangestellt. Dem allgemeinen Sprachgebrauch nach wird bei dem Begriff „geltend“ auf die „gültigen“ Vorschriften abgestellt. Demnach könnte die Regelung bezwecken, dass die jeweils gültigen landesrechtlichen Vorschriften zu kirchlichen Stiftungen von den geplanten Neuregelungen unberührt sein sollen. Für dieses Verständnis spricht auch, dass der GE im Wortlaut des § 88 BGB-E anders als der Diskussionsentwurf nicht auf die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens des Gesetzes geltenden landesrechtlichen Vorschriften abstellt und damit keinen Stichtag bestimmt.

Allerdings wird in der Gesetzesbegründung genau dieser Stichtag als mit der Neuregelung beabsichtigt genannt. Dort heißt es: „§ 88 BGB-neu stellt klar, dass die bis zum Inkrafttreten dieses Gesetzes geltenden Vorschriften der Landesgesetze über die Zuständigkeit der Kirchen für kirchliche Stiftungen unberührt bleiben.“

Wir hatten bereits in unserer Stellungnahme zum Diskussionsentwurf dargelegt, warum wir Bedenken gegen eine Stichtagsregelung haben und darum bitten, sie nicht einzuführen: „Nach unserer Auffassung trägt der beabsichtigte Stichtag dem notwendigen Zusammenwirken von Staat und Kirche bei der Entstehung, Umwandlung und Aufhebung kirchlicher Stiftungen nicht Rechnung: Der Staat stellt mit der in den Landesstiftungsgesetzen näher beschriebenen kirchlichen Stiftung den Kirchen eine Handlungsform für den weltlichen Rechtsverkehr zur Verfügung. Kirchliche Stiftungen sind nach Zweck und Aufgabe berufen, einen kirchlichen Auftrag zu erfüllen und wahrzunehmen. Wirksam im Rechtsverkehr auftreten können sie jedoch nur dann, wenn sie das staatliche Anerkennungsverfahren „durchlaufen“. Eine Beteiligung der Kirchen am Anerkennungsverfahren einer kirchlichen Stiftung ist selbstverständlich. Denn die kirchlichen Stiftungen unterfallen dem Selbstbestimmungsrecht der Religionsgemeinschaften. Das gilt unabhängig davon, ob es sich um kirchliche Stiftungen des öffentlichen Rechts oder des Privatrechts handelt. Mithin ist das Zusammenwirken von Staat und Kirche im kirchlichen Stiftungswesen unerlässlich. Die kirchliche Stiftung ist zum einen in die staatliche Rechtsordnung zur Wahrung von Rechtseinheit und Rechtssicherheit einzuordnen. Entsprechend muss für die Errichtung, Umwandlung und Aufhebung einer rechtsfähigen, kirchlichen Stiftung ein staatlicher Akt vorliegen. Gleichzeitig kann dieser aber wegen des Selbstbestimmungsrechts der Kirchen nicht ohne Mitwirkung der jeweiligen Kirche ergehen. Einige Landesgesetze fordern, dass die kirchliche Anerkennung vor der staatlichen erteilt sein muss (vgl. § 16 Abs. 2 Nr.1 Stiftungsgesetz Bremen, § 18 Abs. 1 Satz 2 Stiftungsgesetz Schleswig-Holstein). Andere Landesgesetze fordern die Anerkennung durch die zuständige Kirchenbehörde (§ 2 Abs. 3 Stiftungsgesetz HH, § 20 Abs. 1 Satz 2 Stiftungsgesetz Nds). Wiederum andere Landesgesetze sprechen von einer „Einwilligung“ (vgl. § 11 Abs. 1 Satz 2 Stiftungsgesetz MV und § 12 Abs. 1 Satz 1 Stiftungsgesetz LSA). Eine Regelung über eine Zustimmung findet sich in den Stiftungsgesetzen Brdbg (dort § 5 Abs. 2 Satz 1), NRW (dort § 14 Abs. 2 Stiftungsgesetz NRW), Rh-Pf (dort § 12 Abs. 1), Sachsen (§ 14 Abs. 2) und Thüringen (§ 16 Abs. 1). In Hessen bedarf es zur Errichtung einer kirchlichen Stiftung gemäß § 20 Abs. 2 Satz 1 des Einvernehmens mit der Kirche, in Baden-Württemberg und Bayern muss ein entsprechender Antrag durch eine kirchliche Stelle gestellt werden (§ 24 Stiftungsgesetz BW, Artikel 22 Abs. 1 Stiftungsgesetz Bay).

Es hat sich als tragfähig erwiesen, dass die Bundesländer und die Kirchen über die Art und den Umfang des staatlichen und kirchlichen Zusammenwirkens im Bereich kirchlicher Stiftungen Vereinbarungen abschließen, die in den Landes- und Kirchengesetzen bzw. kirchlichen Ordnungen umgesetzt werden. Der erste Bericht der Bund-Länder-Arbeitsgruppe hat, wie unter 1. gezeigt, dargestellt, dass es vielfältige Gestaltungsmöglichkeiten gibt, die das Zusammenwirken der Bundesländer und der Kirchen bei der Verwaltung von kirchlichen Stiftungen regeln. Dabei wurde nicht infrage gestellt, dass die verschiedenen Arten des Zusammenwirkens jeweils für sich den Vollzug landesgesetzlicher Vorgaben und die Ausführung bundesgesetzlichen Regelungen unter Wahrung des kirchlichen Selbstbestimmungsrechts sicherstellen. Die jeweiligen Regelungen knüpfen an unterschiedliche Rechtstraditionen und an die jeweiligen örtlichen Gegebenheiten an, die einem Wandel unterliegen. Sie sind die Grundlage für eine vertrauensvolle Zusammenarbeit von staatlichen und kirchlichen Einrichtungen bei der Begleitung von kirchlichen Stiftungen. An dieser rechtssystematischen Konstruktion des Zusammenspiels des (Bundes-)Rechts im BGB und den landesrechtlichen Regelungen soll sich durch eine Novellierung ausweislich der Begründung nichts ändern. Diese Vielfalt ist ebenso eine Folge des verfassungsrechtlich garantierten Selbstbestimmungsrechts der Religionsgemeinschaften, das unterschiedlich wahrgenommen werden darf und wird. Die mit der vorgeschlagenen Stichtagsregelung einhergehende einfachgesetzliche Einschränkung greift in diese verfassungsrechtlich gesicherte Position ein. Es ist daher erstrebenswert und von Verfassung wegen geboten, den Bundesländern und Kirchen diesen Spielraum zu erhalten, für die Zusammenarbeit die jeweils adäquate Zuständigkeit zu vereinbaren und zu regeln. Bundesgesetzliche Vorgaben, die die Bundesländer in den Möglichkeiten des Verwaltungsvollzugs beschränken, wie die geplante Stichtagsregelung, sollten daher vermieden werden. Der vorgesehene Wortlaut des § 88 BGB-Entwurf orientiert sich an § 80 Abs. 3 BGB, der ebenfalls keine Stichtagsregelung enthält.“ (Stellungnahme der Kirchen vom 6.6.2019).

 

§ 80 Abs. 3 BGB wurde im Jahr 2002 eingefügt. In der Begründung wird dazu ausgeführt:

„Absatz 3 berücksichtigt, dass die im Bürgerlichen Gesetzbuch bestimmten Voraussetzungen für die Erlangung der Rechtsfähigkeit nicht nur für weltliche, sondern auch für kirchliche Stiftungen als abschließende materiell-rechtliche Voraussetzungen gelten. Soll eine kirchliche Stiftung bürgerlichen Rechts durch die Stiftungsbehörde als rechtsfähig anerkannt werden, bedarf es jedoch darüber hinaus der Einwilligung der zuständigen kirchlichen Behörde. Die Landesgesetze enthalten dafür entsprechende Sondervorschriften, die für die Erlangung der Rechtsfähigkeit ergänzend zu den Vorschriften des Bürgerlichen Gesetzbuchs zu berücksichtigen sind. In Landesgesetzen, in denen entsprechende Vorschriften fehlen, leitet sich das Prinzip der Beteiligung der jeweiligen Kirche unmittelbar aus Artikel 140 GG i. V. m. Artikel 137 Abs. 3 WRV her."[2]

Diese verfassungsrechtlichen Implikationen gelten nach wie vor. Jede Rechtsänderung muss die verfassungsrechtliche Garantie im Blick haben, da sie den Maßstab bildet, an dem sich die Wirksamkeit staatlicher Regelungen für kirchliche Stiftungen messen lassen muss.

 

Für den Fall, dass unser Vorschlag aus der Stellungnahme vom 6. Juni 2019  für einen neuen § 88 S. 1 BGB nicht aufgegriffen wird, wonach „Vorschriften der Landesgesetze über kirchliche Stiftungen, insbesondere zu Zuständigkeit, Beteiligung und Anfallberechtigung der Kirchen, unberührt (bleiben)“ - § 88 S. 2 BGB würde nach diesem Vorschlag dem bisherigen § 80 Abs. 3 S. 2 BGB entsprechen -, plädieren wir für eine Beibehaltung des Wortlauts des bisherigen § 80 Abs. 3 BGB als neuen § 88 BGB . Mindestens sollten im vorliegenden GE in § 88 BGB-E das Wort „geltend“ und in der Begründung der Hinweis auf einen Stichtag gestrichen werden.

 

 

7. Zu Art. 3 und 4: Regelungen zur Einführung eines Stiftungsregisters

 

Gegen die Einführung eines Stiftungsregisters in der vorliegenden Form haben wir Bedenken. Nach unserer Auffassung wird die Anlehnung des Stiftungsregisters an das Vereinsregister den Erfordernissen des Stiftungswesens nicht gerecht. Die Besonderheiten des kirchlichen Stiftungswesens finden in den Regelungsvorschlägen zum Stiftungsregister keine Beachtung. Auch unterliegt die Gesetzgebungskompetenz des Bundes für die Einführung eines Registers verfassungsrechtlichen Bedenken und erscheint uns deshalb fraglich.Ganz praktisch wird das Register dazu führen, dass der Aufwand für die Stiftungen steigt. Dieser Aspekt ist gerade im Hinblick auf die vielfach ehrenamtlichen Vorstände in kirchlichen Stiftungen relevant.

 

 8. Zu Art. 3, § 82c BGB-E – Namenszusatz der Stiftung

 

Die beabsichtigten Namenzusätze für eingetragene Stiftungen sollen der Unterscheidbarkeit von Stiftungen dienen. Tatsächlich wird der Namenszusatz rechtsfähige Stiftungen des bürgerlichen Rechts von anderen Stiftungen abheben. Wir befürchten, dass mit Einführung des Namenszusatzes der Eindruck entstehen könnte, dass Stiftungen ohne den Namenszusatz keine Stiftungen im Rechtssinne sind. Das ist für eine Vielzahl öffentlich-rechtlicher Stiftungen, die den Zusatz nicht führen können, gerade nicht der Fall. Die öffentlich-rechtlichen Stiftungen orientieren sich am selben rechtlichen Idealtypus einer Stiftung – dem dauerhaften Bestand eines Grundvermögens und der zweckbestimmten Verwendung der Erträge. Entsprechend wird vielfältig in den Landesgesetzen geregelt, dass die Vorschriften für öffentlich-rechtliche und privat-rechtliche Stiftungen gleichermaßen gelten (u.a. Baden-Württemberg, Bayern, Hessen, Sachsen).

Vor diesen Hintergrund regen wir an, auf einen Namenszusatz zu verzichten.

 

 9. Zu Art. 4, § 1 StiftRG-E – Zuständige Registerbehörde und Aufbau des Registers
 
Gemäß § 1 Abs. 1 StiftRG-E soll das Register nicht von den Bundesländern sondern vom Bund durch das Bundesamt für Justiz geführt werden. Einzelne Regelungen des StiftRG-E (z.B. §§ 4 Nr. 2, § 5, 10 Abs. 2, 13 StiftRG-E) erwecken den Eindruck, als ob der für das Register zuständigen Behörde eine materielle Prüfungskompetenz über die Ordnungsmäßigkeit und Wirksamkeit von Organbesetzungen und Verwaltungsentscheidungen der Stiftungen zukommen soll. Darin könnte ein Eingriff in die Zuständigkeit der Bundesländer und Kirchen zur Verwaltungsorganisation der staatlichen und kirchlichen Stiftungsaufsicht liegen.
 
 10. Zu Art. 4, § 2 StiftRG-E – Inhalt des Registers

 

  1. Die zu einer Stiftung einzutragenden Angaben enthalten keine Angaben zur Kirchlichkeit einer rechtsfähigen Stiftung bürgerlichen Rechts und zur zuständigen kirchlichen Stiftungsaufsicht. Diese Hinweise wären aber aus unserer Sicht für den Rechtsverkehr relevant, da sie zum einen die Rechtsnatur der Stiftung bezeichnen und zum anderen, weil für kirchliche Stiftungen besondere Genehmigungsvorbehalte gelten. Werden diese Genehmigungsvorbehalte von der Stiftung nicht berücksichtigt, kann dies zur Unwirksamkeit von Rechtsgeschäften führen.
     
  2. Die einzutragenden Angaben erfassen die Vielfalt der unterschiedlichen Gremienbezeichnungen bei kirchlichen (und weltlichen) Stiftungen nicht. Bislang bestand keine gesetzliche Pflicht, den Stiftungsvorstand auch „Vorstand“ zu nennen. Das vertretungsbefugte Organ wird in den geltenden Stiftungssatzungen mit einer Vielfalt von
    Bezeichnungen benannt. Das muss bei der Eintragung im Register berücksichtigt werden.
    Die Formulierung im StiftRG sollte richtigerweise lauten: „Vorstand im Sinne des § 84 BGB“.
     
  3. Neu ist die Möglichkeit der Einsichtnahme des Rechtsverkehrs in die Stiftungssatzung, was sich aus § 2 Nr. 8 StiftRG-E ergibt. Damit besteht die Möglichkeit, die in der Stiftungssatzung hinterlegten Werte des Grundstockvermögens einzusehen. Es gibt Stifter und Stifterinnen, die die Öffentlichkeit nicht darüber unterrichten wollen, dass und wie sie eine gegründete Stiftung ausgestattet haben. Die Information hat auch nur eine begrenzte Aussagekraft. Die Auskunft über das Grundstockvermögen gibt nicht Auskunft über den aktuellen Vermögensstand der Stiftung. Die Wirksamkeit der Stiftung bildet sich auch nicht in allen Fällen in ihrem Grundstockvermögen ab.
     
  4. Die Nummerierung in der Begründung des GE zu § 2 Nr. 16 – 20 StiftRG-E stimmt nicht mit dem Wortlaut des Gesetzes überein.
      

11. Zu Art. 4, § 10 StiftRG-E – Beteiligung der für die Stiftung zuständigen Behörden

 

Die Verwaltungsabläufe nach dem Aufbau des Stiftungsregisters blenden konsequent die Existenz der Rechtsform „kirchliche Stiftung“ aus. Wird nach der Inbetriebnahme des Stiftungsregisters eine Stiftung neu errichtet, ist vorgesehen, dass die für die Anerkennung zuständige Behörde, d. h. die staatliche Stiftungsaufsicht, nach der Anerkennung einer Stiftung der Registerbehörde die Errichtung der Stiftung mitteilt, § 10 StiftRG-E. Auch hier sind keine Angaben zur Kirchlichkeit und zur zuständigen kirchlichen Stiftungsaufsicht in den zu übermittelnden Daten vorgesehen.

 

 12. Zu Art. 4, § 11 StiftRG-E – Entscheidung im Eintragungsverfahren
 
Es scheint geboten, dass die Registerbehörde nicht nur, wie in § 11 Abs. 1 S. 3 StiftRG-E vorgesehen, den jeweiligen Stiftungsvorstand, sondern auch zusätzlich die jeweilige Stiftungsaufsicht über Veränderungen an der Eintragung im Register informiert.
 

13. Zu Art. 4, § 16 StiftRG-E – Automatischer Abruf von Daten
 

Ein permanenter Zugang der Stiftungsaufsicht/-behörde zu den Daten des Stiftungsregisters scheint erforderlich (etwa im Wege des § 16 StiftRG-E). Ansonsten muss die Stiftung bei jeder genehmigungspflichtigen Tätigkeit neben den bisherigen Unterlagen auch eine aktuelle Bescheinigung der Registerbehörde über die Eintragung im Stiftungsregister bei der Stiftungsaufsicht/-behörde mit einreichen. Wir regen einen Zugang der kirchlichen Stiftungsaufsichten zu Registerangaben der ihrer Aufsicht unterliegenden kirchlichen Stiftungen an.

  14. Zu Art. 10 - Inkrafttreten

Art. 10 Abs. 2 GE sollte noch redaktionell überprüft werden. Zudem stellt sich die Frage, ob es eines längeren Übergangszeitraumes bedarf, um die Gesetze der Bundesländer mit den beabsichtigten neuen Regelungen zu synchronisieren.

 15. Umgang mit öffentlich-rechtlichen Stiftungen

Das BGB regelt das Recht der Stiftungen des Privatrechts. Nachdem aber in den Stiftungsgesetzen der Länder zivilrechtliche Vorschriften in Teilen auch für öffentlich-rechtliche Stiftungen für anwendbar erklärt wurden, stellt sich die Frage, ob es nicht sachgerecht wäre, dass die Relevanz der Neuregelungen für öffentlich-rechtliche Stiftungen im Gesetzgebungsverfahren ebenfalls in den Blick genommen wird.  

  

Berlin, Hannover den 30.10.2020

 

 

 

[1] Bericht der Bund-Länder-Arbeitsgruppe „Stiftungsrecht“, S. 123, 124.

[2] BT-Drs 14/8765, S. 9 (Unterstreichungen wurden von den Verfassern der Stellungnahme vorgenommen). 

 

 

Beitrag aus Anlass der Vorstellung des neuen Rates in der gesellschaftlichen und politischen Öffentlichkeit, Französische Friedrichstadtkirche Berlin

Margot Käßmann

Sehr geehrte Damen und Herren, liebe Gäste,

mehr als fünf Wochen ist es her, dass in Ulm der neue Rat der EKD gewählt wurde. Das ist eine langwierige Prozedur, da jedes Mitglied des neuen Rates eine zwei Drittel Mehrheit erhalten muss. Gewählt wurde von morgens um 9 bis nachts um halb zwei. Am nächsten Morgen folgte – alle waren etwas ermattet – die Wahl der Ratsvorsitzenden. Wobei ich überzeugt bin und hoffe, meine Wahl erfolgte nicht allein aus allgemeiner Erschöpfung.

Morgen werden wir das erste Mal in der neuen Konstellation eine reguläre Sitzung hier am Gendarmenmarkt abhalten. Ich freue mich sehr, das Sie alle heute Abend gekommen sind, um diejenigen kennen zu lernen, die in den kommenden sechs Jahren Leitungsverantwortung in unserer Kirche wahrnehmen werden. Ihre Anwesenheit verstehe ich auch als Wertschätzung der Beiträge des bisherigen Rates und seines Vorsitzenden, Wolfgang Huber. Wir sind Bischof Wolfgang Huber zu großem Dank verpflichtet, für die Art und Weise, in der er unsere Kirche unermüdlich nach innen geleitet und nach außen repräsentiert hat! Er hat der EKD ein öffentliches Gesicht und eine öffentliche Stimme gegeben, auf die wir stolz waren und sind.

Neun der derzeit vierzehn Mitglieder des Rates sind neu. Da wird also sicher mancher Akzent anders gesetzt und sich manche Perspektive verändern. Aber auch dieser Rat, wie jeder Rat vor ihm, sieht sich in einer Kontinuität. Deshalb werden sicher viele Themen weiterhin auf der Agenda stehen. Ich denke an

  • das Ringen um die Weitergabe des christlichen Glaubens in unserem Land,
  • das Werben um Mitgliedschaft,
  • den Reformprozess der EKD, den wir in den letzten Jahren begonnen haben,
  • eine vertrauensvolle Gemeinschaft in den ökumenischen Beziehungen, insbesondere zu unserer römisch-katholischen Schwesterkirche,
  • drängende Fragen von sozialer Gerechtigkeit wie faire Bildungschancen für Kinder aus armen Familien, die Würde in der Pflege und am Lebensende insgesamt oder auch die Situation von Flüchtlingen und Migranten in unserem Land.

In Kontinuität werden wir auch das Thema Menschenrechte aufgreifen, das ich in den Mittelpunkt dieser Ansprache stellen will. Am 10. Dezember, also heute in einer Woche, wird in Erinnerung an die Verabschiedung der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte durch die Generalversammlung der Vereinten Nationen vor nunmehr 61 Jahren weltweit der Tag der Menschenrechte begangen. Wir verstehen die Menschenrechte als ein Geschenk Gottes. Ja, gewiss, manches Mal mussten Sie geradezu gegen die Kirchen durchgesetzt werden. Aber der Geist der Freiheit, der Grundsatz der gleichen Würde jedes Menschen, die Gleichheit von Mann und Frau, der Respekt vor dem Glauben anderer, der Schutz der Fremden im Land – das sind Grundüberzeugungen, die die Bibel wie ein roter Faden durchziehen.

So sind wir als Kirchen dankbar, dass die Menschenrechte durch ihre Verankerung völkerrechtlich verbindlichen Dokumenten eine deutliche Stärkung erfahren haben. Das gilt auch für den Lissaboner Vertrag, mit dessen Inkrafttreten vor zwei Tagen die Charta der Grundrechte in der Europäischen Union Rechtsverbindlichkeit erlangte.

Wenn Rechte so verbindlich verankert sind, sollte ihrer Geltung eigentlich nichts im Wege stehen. Und doch ist es ganz offensichtlich notwendig, ihre Achtung immer wieder neu einzufordern. Ich sehe es als eine zentrale Aufgabe für die Evangelische Kirche in Deutschland an, für den Schutz und die Entfaltung der Menschenrechte und damit für ein weltweites Zusammenleben in Freiheit und Gerechtigkeit einzutreten.

Einen besonderen Stellenwert nimmt dabei für die Kirchen verständlicherweise das Menschenrecht der Religionsfreiheit ein. Es wird immer wieder eingeschränkt und bestritten. Vor allem Angehörige religiöser Minderheiten leiden auch in unserer Zeit unter massiver Bedrängnis. Hervorheben möchte ich, dass Christinnen und Christen die am stärksten verfolgte Religionsgruppe sind. In Deutschland ist uns das oft nicht bewusst. Aber wer Christen in Indien besucht oder in Indonesien, wer Berichte hört von der Lage in Pakistan oder dem Irak, dem wird bewusst, wie hoch das Gut der Freiheit in unserem Land ist.

Mich beschämt bei solchen Besuchen und Gesprächen manchmal, dass wir so wenig zu schätzen wissen, welche Freiheit es bedeutet, sonntags beispielsweise einen Gottesdienst besuchen zu dürfen. Eine solche Teilnahme ist in manchen Ländern ein lebensgefährliches Bekenntnis zum Glauben an Jesus Christus. Dabei geht es eben nicht nur darum, ob mir der Gottesdienst „etwas bringt“, wie es mir oft gesagt wird. Es geht auch darum, ob ich mich einbringe in das Lob Gottes rund um die Welt. Und ob ich mich bekenne zu dieser Gemeinschaft, den Werten, die sie vertritt, ihren Grundüberzeugungen des Glaubens.

Im kommenden Jahr werden wir erstmals in der Passionszeit am Sonntag Reminiszere (28. Februar 2010) einen "Tag der verfolgten Christen" begehen, wie ihn die Synode der Evangelischen Kirche in Deutschland vorgeschlagen hat. Der Apostel Paulus hat uns dazu angehalten, Gutes zu tun "allermeist an des Glaubens Genossen" (Galater 6, 10). Das geschieht, indem wir uns besonders für verfolgte Christinnen und Christen einsetzen durch Wort, Tat und vor allem Fürbitte.

Wer aber für die Religionsfreiheit der eigenen Glaubensgeschwister eintritt, wird für die Religionsfreiheit aller eintreten. Oder wie es die Europäische Menschenrechtskonvention sagt für die „Freiheit, Religion oder Weltanschauung einzeln oder gemeinsam mit anderen öffentlich oder privat durch Gottesdienst, Unterricht, Bräuche und Riten zu bekennen“ und der „Freiheit, die Religion oder Weltanschauung zu wechseln“ (EMRK Art. 9).

Ich bin dankbar, dass die individuelle, korporative und institutionelle Religionsfreiheit im deutschen Religionsverfassungsrecht gut aufgehoben ist. Der Staat zeigt in Deutschland seine religiös-weltanschauliche Neutralität gerade dadurch, dass er dem Religiösen im öffentlichen Bereich Raum gibt, sich zu entfalten, und eine offene Kooperation mit den Kirchen und anderen Religionsgemeinschaften in gegenseitiger Freiheit pflegt. Ein Abdrängen des Religiösen in den ausschließlich privaten Bereich würde dem Menschenrecht der Religionsfreiheit widersprechen.

Das gilt auch für die Gewährleistung der Religionsfreiheit in Europa. Durch den Lissaboner Vertrag wird endlich im europäischen Primärrecht verankert, dass die Union den Status, den Kirchen und Religionsgemeinschaften in den Mitgliedstaaten genießen, achtet und ihn nicht beeinträchtigt. Regelungen des Staatskirchenrechts, und damit der institutionellen Religionsfreiheit, gehören nicht in die europäische Kompetenz. Sie sind in ihrer so unterschiedlichen, von historischen Erfahrungen geprägten Gestaltung Teil der jeweiligen nationalen Verfassungsidentität der Mitgliedsstaaten.

Aktuell beunruhigt uns eine Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte in Straßburg, die sich gegen die in italienischen Schulräumen angebrachten Kruzifixe richtete. Wir kennen den Streit über Schulkreuze auch in Deutschland. Danach sieht die Rechtslage im Bundesgebiet unterschiedlich aus. Für Bayern z.B. gilt, dass Kreuze in Räumen öffentlicher Schulen grundsätzlich zugelassen sind, aber abgehängt werden, wenn Schulkinder oder Eltern im Einzelfall dieses unter Verweis auf einen Eingriff in ihre Religionsfreiheit verlangen.

Der Europäische Gerichtshof der Menschenrechte ist dazu berufen, über die Einhaltung menschenrechtlicher Mindeststandards in den über 50 Vertragsstaaten der Konvention zu wachen. Dabei ist zum Einen entscheidend, dass den Gewährleistungen der Religionsfreiheit nach Art. 9 EMRK kein laizistisches Verständnis zu Grunde liegt. Vielmehr wird ausdrücklich auch das öffentliche Bekenntnis der Religion geschützt. Zum Anderen hat der Gerichtshof die z.T. sehr unterschiedlichen Traditionen und Systeme der Vertragsstaaten sowohl in der Ausgestaltung des öffentlichen Schulwesens als auch im Hinblick auf die Gewährleistungen und Prinzipien des Staatskirchenrechts zu achten und zu schützen. Deshalb sagen wir: Sensibilität gegenüber unterschiedlichen nationalen Identitäten und staatskirchenrechtlichen Systemen ist gerade hier dringend geboten! Es ist darauf zu achten, dass europäische Institutionen ihre Kompetenzen nicht eigenständig ausweiten. Tendenzen, die eine entfaltete positive Religionsfreiheit um einer negativen Religionsfreiheit willen zurück drängen, halte ich für hochproblematisch.

Auch in Deutschland sind viele Facetten der Religionsfreiheit im Gespräch und auch Gegenstand von Entscheidungen der Parlamente und Gerichte. Die aktuelle Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zum Sonntagsschutz macht deutlich, dass dabei immer auch grundlegende Fragen des gesellschaftlichen Selbstverständnisses betroffen sind. Der 1. Dezember war ein guter Tag. Natürlich für die Kirchen und ihr Anliegen, den siebten Tag gut biblisch einen der Ruhe sein zu lassen.

Ich erinnere mich daran, dass ich in meiner ersten Gemeinde die Konfirmandinnen und Konfirmanden gebeten hatte, ein Bild von dem zu malen, was sie unter dem Gebot „Du sollst den Feiertag heiligen“ verstehen. Ein Konfirmand malte Gottvater, vergnüglich in einer Hängematte liegend, Kopfhörer auf dem Ohr, Getränkedose in der Hand. Selbst Gott ruhte, davon sind wir überzeugt. Und Menschen brauchen einen Rhythmus von Schaffen und Ruhen, sonst unterliegen sie dem Burnout-Syndrom. Ja, ich denke, eine ganze Gesellschaft kann einem kollektiven Burn-out unterliegen, wenn sie alle Tage gleich macht und keine gemeinsamen Rhythmen mehr kennt.

Es war deshalb auch ein guter Tag für Familien, für das ehrenamtliche Engagement in Vereinen, für Begegnungen in Freundschaft, die an Werktagen nicht möglich sind. Allein den Konsum zum Leitgedanken an sieben Tagen in der Woche zu machen, gefährdet unser menschliches Miteinander. Der berühmte Satz des Philosophen Descartes: „Ich denke, also bin ich“, der die Aufklärung einleitete, lässt sich nicht umfunktionieren in den Satz: „Ich konsumiere, also bin ich.“ Im Einkaufen lässt sich vielleicht kurzfristige Befriedigung oder auch ein Glücksgefühl finden, aber Verwurzelung, Lebenssinn, Existenzbegründung sicher nicht.

Das Gerichtsurteil bestärkt uns darin, den Sonntag offensiv als Tag der Arbeitsruhe, der Besinnung und des Gottesdienstes zu bewahren. Ich hoffe, dass die Länderparlamente dieser Wegweisung des Bundesverfassungsgerichts bei künftigen Entscheidungen beherzt folgen werden.

Neben dem Kruzifix und dem Sonntag zeigt auch der Ausgang des Referendums in der Schweiz zum Bauverbot von Minaretten die Aktualität der Frage nach der Religionsfreiheit. Es wurde noch einmal deutlich: wir brauchen dringend einen offenen, Klaren und in gut-nachbarschaftlichem Geist geführten Dialog zwischen den Religionen. Vor einiger Zeit sagte mir eine Frau türkischer Herkunft, sie lebe seit 16 Jahren in Deutschland, aber sie habe noch nie ein deutsches Wohnzimmer gesehen. Sie wüsste gern, wie Deutsche eigentlich leben. Das zeigt, wie wichtig Begegnungen sind. Die Integrationsherausforderung ist an der Tagesordnung. Wir brauchen vertrauensvolle Gespräche vor allem mit den vielen Menschen muslimischen Glaubens in unserem Land, die gern hier leben und die Freiheitsrechte in Deutschland sehr wohl zu schätzen wissen.

Mir geht es um eine Koalition der Besonnenen. Religion darf nicht Konflikte verschärfen, sondern muss sie entschärfen, davon bin ich überzeugt. Politische Agitation darf nicht durch Religion geschürt werden, indem Ressentiments, Angst vor Überfremdung und ein befürchteter Werteverlust des „christlichen Abendlandes“ unser Zusammenleben bestimmen. Das führt nur zu Ablehnung auf der einen Seite und Rückzug in die eigene Kultur und Religion auf der anderen. Es gab im Jahr 2008 bundesweit 206 Moscheen sowie etwa 2.600 Bethäuser und andere ungezählte so genannte „Hinterhofmoscheen“. Weitere 120 Moscheen sind im Bau oder in Planung. Die erste in Deutschland gebaute Moschee war 1915 eine Holzmoschee in Wünsdorf bei Berlin, die für muslimische Kriegsgefangene errichtet wurde. Sie wurde wegen Baufälligkeit in den Jahren 1925/26 wieder abgerissen. Die älteste noch stehende ist die Wilmersdorfer Moschee in Berlin-Wilmersdorf, die im Jahre 1924 erbaut wurde. Moscheen sind Teil unserer Wirklichkeit. Das muss deutlich werden. Und das gilt auch für Kirchen und für Synagogen. Die Gotteshäuser von Menschen nicht zu respektieren, bedeutet auch, die Menschen nicht zu respektieren. Das hat Deutschland auf schreckliche Weise begreifen müssen, als 1938 erst die Synagogen angezündet wurden und dann die Menschen jüdischen Glaubens verfolgt und ermordet wurden.

Gleichzeitig müssen wir die Ängste ernst- und wahrnehmen, die es gegenüber dem Islam gibt, etwa mit Blick auf die Gleichberechtigung der Frauen. Darüber möchte ich gern mit den islamischen Verbänden in ein Gespräch kommen. Klar sein muss: wer in unserem Land lebt, hat dessen Verfassung zu respektieren, ja die Freiheitsrechte zu bejahen. Aber es muss deutlich sein: die Freiheit des Glaubens und das Recht der freien Religionsausübung ist allen gleichermaßen garantiert. Um es mit den Worten der Handreichung des Rates „Klarheit und gute Nachbarschaft“ aus dem Jahre 2006 zu sagen: „Die evangelische Kirche bejaht dieses Recht für sich wie für andere nachdrücklich. Diese Zustimmung erstreckt sich auch auf das Recht zur Errichtung von Moscheen, das zur freien und ungestörten Religionsausübung gehört.“ Dazu stehen wir. Und gleichzeitig stehen wir dafür ein, dass Christen in muslimischen Ländern in aller Freiheit Kirchen bauen können. Die Religionsfreiheit, die Menschenrechte insgesamt, sie sollen weltweit gelten! Das war die Vision von 1948. Daran müssen wir festhalten, dafür werden wir aktiv eintreten.

Schließlich ist auch die Auslegung des Schutzbereichs der Religionsfreiheit in Asylverfahren ein durchaus umstrittenes Feld. Wir wünschen uns als christliche Kirchen – und das kann ich in ökumenischer Gemeinschaft sagen, sehr geehrter Herr Erzbischof Zollitsch, denke ich – hier ein klares Bekenntnis, dass Menschen, die den christlichen Glauben angenommen haben, nicht in Länder abgeschoben werden, in denen ihnen wegen ihrer Religionsausübung – ob im Privaten oder im öffentlichen Raum – Verfolgung droht.

Um diesen Teil zu beenden: Das Urteil des Gerichtshofs zu Kruzifixen hat auch seine überraschenden Seiten und Folgen, die den Richtern in Straßburg mit Sicherheit nicht vor Augen standen: Italienische Bürgermeister prüfen nun landauf, landab, ob denn tatsächlich in allen Klassenzimmern Kruzifixe hängen wie es das italienische Gesetz verlangt. Und so werden Kruzifixe im Dutzend gekauft, um noch leere Wände mit ihnen zu versehen, der Kreuzesmarkt soll örtlich zusammengebrochen sein. Wenn diese Bewegung nicht nur ein Reflex gegen die Entscheidung eines europäischen Gerichts ist, sondern die Bedeutung des Kreuzes als zentrales Symbol des christlichen Glaubens neu ins Bewusstsein der Italienerinnen und Italiener bringt, dann kann ich sogar diesem Urteil noch etwas Positives abgewinnen.

Die Evangelische Kirche in Deutschland wird sich auch weiterhin an der Gestaltung der religionsverfassungsrechtlichen Rahmenordnung in unserem Land beteiligen. Sie tut dies in dem Bewusstsein, dass in einer von Pluralität und religiöser Vielfalt geprägten Gesellschaft, Toleranz und gegenseitige Achtung unabdingbar sind. Auch damit erfüllt sie nach eigenem Selbstverständnis ihren Öffentlichkeitsauftrag, getreu der biblischen Aufforderung „Suchet der Stadt Bestes, ... und betet für sie zum Herrn; denn wenn’s ihr wohlergeht, so geht es auch euch wohl“ (Jeremia 29, 7).

Meine sehr geehrten Damen und Herren,

An diesem Abend sollen aber – wie es die Einladung versprach – nicht die Programmatik, sondern Personen im Vordergrund stehen.

Zunächst der Dank an die, deren Mitarbeit im Rat am 28. Oktober zu Ende ging, ich nenne ihre Namen: noch einmal den Vorsitzenden, Bischof Wolfgang Huber. Als seinen Stellvertreter, den langjährigen Thüringer Landesbischof Christoph Kähler. Es folgt die große Gruppe derer, die ihr Mandat im Rat neben einem hauptamtlichen weltlichen Beruf wahrgenommen haben und darin ein spezifisch evangelisches Element von Kirchenleitung repräsentieren: Justizrätin Margit Fleckenstein, Generalsekretär Hermann Gröhe, Fernsehredakteur Peter Hahne, Betreuerin Gudrun Lindner, Oberbürgermeisterin Barbara Rinke und Ministerialdirigentin Dr. Beate Scheffler; schließlich diejenigen, die in den Landeskirchen ein kirchenleitendes Amt innehaben oder innehatten: den langjährigen lippischen Landessuperintendenten Gerrit Noltensmeier und die württembergische Direktorin Margit Rupp. Nicht alle von den Genannten können heute Abend dabei sein, aber der herzliche Dank schließt alle ohne Unterschied zusammen ein.

Der neu gewählte Rat spiegelt wie der alte die Vielfalt unserer Kirche wider. Die Grundordnung, also unsere Verfassung, gibt dieses Merkmal schon vor, wenn sie – in der Sprache von 1948 – fordert, bei der Wahl des Rates sei "die bekenntnismäßige und landschaftliche Gliederung" zu beachten. In der Heiligen Schrift heißt es einmal, dass kommen werden "von Osten und von Westen, von Norden und von Süden, die zu Tisch sitzen werden im Reich Gottes" (Lukas 13, 29); diese eschatologische Perspektive gilt hoffentlich auch für die Mitglieder des Rates; in unserer unterschiedlichen Herkunft repräsentieren wir aber zunächst einmal die "landschaftliche Gliederung" Deutschlands und die "bekenntnismäßige ... Gliederung" der evangelischen Kirche in die reformierte, lutherische und unierte Traditionslinie. Auch im Lebensalter unterscheiden wir uns. Das älteste Mitglied des Rates ist mehr als doppelt so alt wie das jüngste, die Spanne reicht von 28 bis 62. Das Hauptcharakteristikum des neuen wie des alten Rates aber ist, dass in ihm Theologen und Nichttheologen, Menschen in hauptamtlich kirchenleitender Tätigkeit und solche, die im Hauptamt einen weltlichen Beruf ausüben, zusammenwirken.

Ich stelle wieder betont die zweite Gruppe voran:

  • die Erzieherin Tabea Dölker aus Württemberg,
  • die Mathematikerin Dr. Elke Eisenschmidt aus Magdeburg - die es im Lebensalter sogar mit der jüngst ernannten Bundesfamilienministerin Kristina Köhler aufnehmen kann,
  • die Bundestagsvizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt aus Thüringen, die bereits im Mai zur Präses der Synode gewählt worden war und aufgrund dieses Amtes automatisch auch Mitglied des Rates ist,
  • den Fernsehredakteur Uwe Michelsen aus Hamburg,
  • den Generalsekretär der Vereinten Evangelischen Mission, Dr. Fidon Mwombeki, ursprünglich aus Tansania, jetzt aus Wuppertal,
  • die Direktorin einer großen deutschen Bank, Marlehn Thieme aus Frankfurt am Main
  • und die Architektin Gesine Weinmiller aus Berlin.

Das sind genau sieben, und ihnen steht die gleiche Zahl von Personen an der Seite, die hauptamtlich auf der kirchenleitenden Ebene tätig sind:

  • Landesbischof Jochen Bohl aus Sachsen,
  • Landesbischof Ulrich Fischer aus Baden, der zugleich Vorsitzender des Zusammenschlusses der unierten und reformierten Kirchen, der Union Evangelischer Kirchen, ist,
  • Landesbischof Johannes Friedrich aus Bayern, der zugleich Leitender Bischof der Vereinigten Evangelisch-Lutherischen Kirche Deutschlands ist,
  • der reformierte Kirchenpräsident Jann Schmidt aus Leer
  • und der Leitende Jurist der westfälischen Kirche, Klaus Winterhoff.

Hinzu kommen noch die beiden, die als Vorsitzende des Rates gewählt wurden: der rheinische Präses Nikolaus Schneider aus Düsseldorf als mein Stellvertreter und schließlich ich selbst, inzwischen etwas mehr als zehn Jahre Landesbischöfin der Evangelisch-lutherischen Landeskirche Hannovers.

In dieser Vielfalt werden wir unter dem jakobäischen Vorbehalt so Gott will und wir leben die kommenden sechs Jahre Leitungsverantwortung in unserer Kirche wahrnehmen. Dabei vertrauen wir auf Gottes Hilfe und die Unterstützung vieler Menschen. Wir freuen uns auf vielfältige Begegnungen und einen intensiven Austausch mit Ihnen allen. Dafür bildet der heutige Abend den Auftakt.

Herzlichen Dank

Entwurf eines Gesetzes zur Förderung von Kindern unter drei Jahren in Tageseinrichtungen und in Kindertagespflege

Stellungnahme zum Entwurf eines Gesetzes zur Förderung von Kindern unter drei Jahren in Tageseinrichtungen und in Kindertagespflege

Die EKD begrüßt den beschlossenen Ausbau der Tageseinrichtungen und der Tagespflege für unter 3-jährige Kinder, die Einführung des Rechtsanspruches auf Kinderbetreuung ab dem 2. Lebensjahr ab 2013 und die zunehmende Flexibilisierung von Öffnungszeiten von Kindertagesstätten. Diese Maßnahmen waren insbesondere in den alten Bundesländern seit langer Zeit überfällig. Sie sind die Voraussetzung für eine bessere Vereinbarkeit von Beruf und Familie, machen eine tatsächliche Wahlfreiheit erst möglich und erleichtern Eltern nach der Elternzeit den Wiedereinstieg in den Beruf. Mangelnde Möglichkeiten der Kinderbetreuung dürfen kein Grund sein, sich gegen ein Leben mit Kindern zu entscheiden.

Der Ausbau des Elementarbereichs bietet zugleich die Chance, Bildung, Betreuung und Erziehung qualitativ weiter zu entwickeln und damit auch Kindern aus bildungsfernen Schichten eine frühe Förderung zu ermöglichen, die das Elternhaus nicht bieten könnte. Dies gilt für Sprachförderung und die Entwicklung des Sozialverhaltens, aber auch für religiöse Bildung, Sport-, Musik- und andere Kulturangebote. Allerdings muss kritisch festgestellt werden, dass der Elementarbereich in Deutschland nur bedingt leisten kann, was derzeit von ihm erwartet wird. Zum Teil wird bei einem quantitativen Ausbau qualitativer Abbau betrieben, was die Fachlichkeit der Gruppenleitung, Gruppengröße und Refinanzierung angeht. Deswegen ist es zu begrüßen, dass der Ausbau der Tageseinrichtungen auch mit zusätzlichen Mitteln ausgestattet wird. Die EKD betont in diesem Zusammenhang die Notwendigkeit, trotz des Ausbaubedarfs der Kinderbetreuungsmöglichkeiten auf die Qualität von Erziehung, Bildung und Betreuung - insbesondere im frühkindlichen Alter - zu achten und die Qualitätsstandards der Einrichtungen weiter zu entwickeln. Sie hält den Aspekt der Bildung im Dreiklang von Erziehung, Bildung und Betreuung für zentral und fordert die Möglichkeit einer an Werten orientierten Bildung „von Anfang an“. In seiner familienpolitischen Stellungnahme aus dem Jahre 2003 hat der Rat der EKD betont, dass Tageseinrichtungen für Kinder nicht nur für die Vereinbarkeit von Familien- und Erwerbstätigkeit wichtig sind. Sie haben auch einen eigenständigen Erziehungs- und Bildungsauftrag. Sie leisten einen entscheidenden und grundlegenden Beitrag zur Chancengleichheit bezüglich der Lebens- und Lernmöglichkeiten von Kindern und zur Integration von Kindern. Es muss gewährleistet sein, dass Tageseinrichtungen diese qualifizierte Bildungs-, Erziehungs- und Integrationsarbeit auch (weiterhin) leisten können.“[1] Dazu braucht das Personal in den Kindertageseinrichtungen, dazu brauchen auch Tagespflegepersonen eine gute Ausbildung. Die EKD hat sich deshalb dafür eingesetzt, den Beruf der Erzieherin bzw. des Erziehers in Deutschland endlich nach europäischen Maßstäben aufzuwerten.[2] Die EKD begrüßt in diesem Zusammenhang die angestrebte Entwicklung eines Berufsbildes der Tagespflegeperson. Dazu gehört allerdings auch, dass der Qualifizierung eine angemessene Entlohnung gegenübersteht.

Die Qualität von Erziehung, Bildung und Betreuung hängt jedoch nicht nur von der Qualifikation der Personen, die diese Funktionen ausüben, ab. Wesentlich für die Gewährleistung von Qualität ist auch der Betreuungsschlüssel. Insofern betrachtet die EKD die Regelungen des § 43 III SGB VIII-E mit Skepsis, weil sie den Ländern unter bestimmten Voraussetzungen ermöglicht, die Anzahl der von einer Tagespflegeperson zu betreuenden fremden Kinder auf über fünf zu erhöhen.

Die EKD begrüßt, dass im Gesetzesentwurf der Bundesregierung (im Gegensatz zum Referentenentwurf) keine Änderungen an den Regelungen zur strukturellen Förderung auf Bundesebene vorgenommen wurden. Der Vorschlag des Ministeriums, das Gemeinnützigkeitserfordernis für die Förderung von Trägern zu streichen und damit diese Form der Förderung nach § 74 SGB VIII auf Bundesebene auf privatgewerblich betriebene Träger auszuweiten, hatte die EKD mit großer Sorge erfüllt. Auch wenn im Blick auf einen schnellen Ausbau der Betreuungsplätze die Intention des Ministeriums, Anreize für Träger zu schaffen, nachvollziehbar war, rechtfertigte der gegebene Handlungsdruck und das Interesse an privater Finanzierung aus Sicht der EKD nicht, in so grundlegender Weise in die bewährte Förderstruktur des SGB VIII einzugreifen.

Durch die Änderung des § 74a SGB VIII-E steht nun allerdings zu befürchten, dass über die Verpflichtung der Länder, privatgewerbliche und gemeinnützige Träger von Kindertageseinrichtungen bei der Förderung gleich zu behandeln, ein vergleichbarer Effekt erzielt wird. Die EKD schlägt deshalb vor,

§ 74a SGB VIII in seiner bisherigen Form beizubehalten.

Im Folgenden nimmt die EKD zu einigen ausgewählten Regelungen Stellung.

1. Zu 2. § 16 Abs. 4 SGB VIII-E Betreuungsgeld

Die EKD setzt sich seit jeher für die Wahlfreiheit von Eltern ein und misst der Erziehung von Kindern in der Familie einen hohen Stellenwert bei. Je jünger die Kinder sind, desto mehr werden Bindungs- und Sozialverhalten, Sprache, Kultur und Werte, Geschlechterrollen, Gesundheitsverhalten und Haushaltskompetenz in der Familie geprägt. Das gilt in ganz besonderer Weise für die religiöse Bildung und Erziehung. Wer das Heranwachsen von Kindern fördern will, muss deshalb auch die nicht-institutionelle Erziehung im Blick behalten.

Den Vorschlag eines „Betreuungsgeldes“ lehnt die EKD jedoch ab. Das Betreuungsgeld im Sinne zusätzlicher unmittelbarer finanzieller Förderung an Eltern, die Kinder nicht in öffentlichen Einrichtungen betreuen lassen wollen, wird zwar mit dem Prinzip der Wahlfreiheit und der Verantwortung von Eltern für die Erziehung ihrer Kinder begründet. Die EKD befürchtet aber, dass Fehlanreize gerade da entstehen, wo Kinder in besonderer Weise auf Förderung außerhalb des Elternhauses angewiesen sind. Familien, die von Armut betroffen sind und/oder bildungsfernen Schichten angehören, brauchen mehr, um ihren Kindern eine Stütze sein zu können. Notwendig ist ein Netz von Familienhebammen, Tagesmütter, Elternschulen und Beratungsstellen, die dabei helfen, Erziehungskompetenz und Haushaltsführungskompetenz zu verbessern, gekoppelt mit Frühwarnsystemen, um von Seiten der Jugendhilfe rechtzeitig eingreifen zu können. Tageseinrichtungen für Kinder müssen sich dabei im Sinne eines Familienzentrums zu einem Knoten im Netzwerk sehr verschiedener, zum Teil individueller Fördermaßnahmen entwickeln. Entsprechende Angebote sollten allen Kindern zur Verfügung stehen. Diese Entwicklung sollte nicht durch die Einführung einer monatlichen Zuwendung für die Nichtinanspruchnahme einer Förderung in einer Einrichtung gefährdet werden.

2. Zu 5. § 23 Abs. 2a-E Entlohnung von Tagespflegepersonen

Laut Begründung des KiFöG-Entwurfes[3]sollen 30 % der zu schaffenden Betreuungsplätze im Bereich der Tagespflege entstehen. Die Bestrebungen der Bundesregierung, den Kindertagespflegebereich weiter zu entwickeln, sind deshalb zu begrüßen. Dazu gehört die in § 23 Abs. 1 S. 1 Nr. 4 erfolgte Konkretisierung der sozialen Absicherung der Kindertagespflegepersonen. Die EKD bedauert jedoch, dass die bisher geplanten Konkretisierungen der Entlohnung der Tagesmütter und -väter zum Teil entfallen sind. Der Referentenentwurf sah in § 23 Abs. 2a S. 2 2. HS vor, dass sich die Höhe der Förderleistung an der tariflichen Vergütung vergleichbarer Qualifikationen und Tätigkeiten orientieren solle. Den berechtigten Forderungen nach Qualifikation der betreuenden Person muss jedoch eine angemessene Entlohnung gegenüberstehen, um die Bedingungen für das Personal attraktiv zu gestalten. Auch das KiFöG verfolgt das Ziel, Kindertagespflege mittelfristig zu einem anerkannten und angemessenen vergüteten Berufsbild werden zu lassen.[4]Eine Entlohnung, die Leistung vorrangig quantitativ bemisst,[5]wie es der Entwurf nun vorsieht, könnte den Interessen der Kinder und der Eltern entgegenstehen. Denn um eine höhere Entlohnung zu erhalten werden Tagesmütter und -väter sich verpflichtet sehen, möglichst viele Kinder zu betreuen (siehe dazu unter 3). Aber nur wenn motivierte und engagierte Tagesmütter und -väter gewonnen werden können, werden Eltern diese Betreuungsform im angestrebten Maße wählen.

3. Zu 7. § 24 Abs. 2 SGB VIII-E Rechtsanspruch auf Inanspruchnahme von Tageseinrichtungen und Kindertagespflege

Die EKD begrüßt die Einführung des Rechtsanspruchs auf Betreuung für Kinder ab dem vollendeten ersten Lebensjahres ab 2013 ausdrücklich. Schließt sich an den Zeitraum des Elterngeldbezuges weiterhin kein Anspruch des Kindes auf Betreuung an, fehlt Eltern vielerorts eine Betreuungsmöglichkeit bei einem beruflichen Wiedereinstieg nach Ablauf der 12 bzw. 14 Monate, die der Intention der Elterngeldregelung widerspricht. Der nun geplante Ausbau der Betreuungsplätze eröffnet Eltern tatsächlich eine Wahl bezüglich der Form der Betreuung ihrer Kinder. Zu begrüßen ist darüber hinaus die Ausweitung der Voraussetzungen für die Inanspruchnahme eines Betreuungsplatzes für Kinder vor Vollendung des ersten Lebensjahres auf Empfänger von Leistungen nach SGB II. Diese Ergänzung schließt eine Lücke in der Versorgung.

Die EKD möchte jedoch darauf hinweisen, dass die Formulierung, die sich in begrüßenswerter Weise am Anspruch des Kindes auf Erziehung und Bildung orientiert, missverständlich ist. Um vorzubeugen, dass Eltern sich bei Vorliegen der genannten Voraussetzungen nicht verpflichtet sehen, ihr Kind schon früh durch Dritte betreuen zu lassen, sollte zumindest eine Klarstellung in Bezug auf die Wahlfreiheit der Eltern in die Begründung aufgenommen werden. Diese Klarstellung könnte auch etwaigen Obliegenheiten entgegen gehalten werden, die sich für ALG II Empfänger und Empfängerinnen aus dem Anspruch auf einen Betreuungsplatz ergeben könnten.

§ 24 Abs. 3 und 4 SGB VIII-E Ganztags- und Hortplätze

Der Ausbau der dringend benötigten Krippenplätze darf nicht zum Abbau von anderen Betreuungs- und Bildungsangeboten für Kinder (wie beispielsweise von Ganztagsplätzen in Kindertagesstätten für über 3-jährige Kinder oder von Hortangeboten für Schulkinder) führen.

4. Zu 12. § 43 Abs. 3 SGB VIII Qualität der Betreuung

§ 43 Abs. 3 SGB VIII-E legt fest, dass eine Tagesmutter oder ein -vater im Regelfall bis zu fünf fremde Kinder gleichzeitig betreuen soll. Diese Formulierung lässt eine Betreuung von mehr als fünf Kindern zu, solange sich diese nicht gleichzeitig bei der Betreuungsperson aufhalten. Im Vergleich zum Referentenentwurf präzisiert der Entwurf in der letzten Fassung, dass die Länder eine Erhöhung der Anzahl der zu betreuenden Kinder regeln können, wenn die Betreuungsperson über eine besondere Qualifikation verfügt. Eine zugewandte und fördernde Betreuung, die den eingangs formulierten Ansprüchen genügt, ist bei einem Betreuungsschlüssel von über 5:1 - trotz einer wie auch immer gearteten Qualifikation - nach Ansicht der EKD allerdings wohl kaum mehr leistbar. Das gilt insbesondere auch unter dem für die EKD unaufgebbaren Gesichtspunkt, dass eine an Werten orientierte und die Sprachförderung einschließende Bildung von Anfang an ermöglicht, jedenfalls aber nicht ausgeschlossen werden soll.

5. Zu 15. §74a SGB VIII-E Förderung

Nach den bisherigen Regelungen im SGB VIII steht die Entscheidung, ob privatgewerbliche Träger von der strukturellen Förderung profitieren sollen, den Ländern zu. Einige Länder haben bereits von der Möglichkeit, privatgewerbliche Träger zu begünstigen, Gebrauch gemacht. Wenn die Regelung den Ausbau der Betreuungsmöglichkeiten bewirken soll, ist den regionalen Besonderheiten Rechnung zu tragen.

Die EKD befürchtet darüber hinaus Auswirkungen auf die Zusammensetzung der Gruppen in den Kindertagesstätten und das gemeinsame Lernen von Kindern aus unterschiedlichen sozialen Milieus.  Die kostspieligen Angebote privat-gewerblicher Träger, die auf Gewinnerzielung ausgerichtet sind, werden nicht alle Eltern bezahlen können. Betreuungsplätze könnten deshalb vorrangig in Regionen geschaffen werden, in denen ein Klientel ansässig ist, das sich diese Form der Betreuung leisten kann. Dies befördert die sich vollziehende kulturelle und räumliche Trennung der Milieus, wie sie eindrucksvoll in der Studie „Eltern unter Druck“ im Auftrag der Konrad Adenauer Stiftung beschrieben ist.[6] Dort heißt es: „Deutschland scheint auf dem Weg in eine neue Art von Klassengesellschaft zu sein, wobei sich die Trennungslinie eben nicht nur über Einkommen und Vermögen, sondern auch über kulturelle Dimensionen wie etwa Bildungskapital und Bildungsaspirationen (…) verläuft.“[7] Nach Ansicht der EKD ist einer solchen Entwicklung entschieden entgegenzuwirken. Dazu braucht es Betreuungsangebote, die integrativ ausgerichtet sind, um Benachteiligung auszugleichen. In seiner Erklärung zum Auftrag evangelischer Kindertagesstätten hat der Rat 2004 formuliert: „Gerade vor dem Hintergrund eines christlichen Bildungsverständnisses und der diakonischen Verantwortung der Kirche wird es zukünftig für evangelische Kindertagesstätten verstärkt darauf ankommen, ihre spezifischen Bildungsaufgaben wahrzunehmen und durch Förderung und Ausgleich herkunftsbedingter Unterschiede für jedes Kind eine ihm entsprechende Bildung der Persönlichkeit zu ermöglichen.“[8] Zu diesem Auftrag gehört insbesondere die Sprachförderung, die sich vor allem an Benachteiligte, beispielsweise Kinder aus Migrantenfamilien, richtet.[9] Bei einer strukturellen Förderung privat-gewerblicher Träger steht zu befürchten, dass gerade das Angebot an Einrichtungen ausgebaut wird, das ausschließlich auf ein besserverdienendes Milieu zugeschnitten ist und benachteiligte Kinder außen vor lässt.

Die EKD regt deshalb an, § 74a S. 2 SGB VIII-E zu streichen.


[1] EKD Text 73, Was Familien brauchen, 2003, S.13

[2] So der Ratsvorsitzende Bischof Huber in seinem Vortrag beim BELTZ-Forum zum Thema "Welche Rolle spielt die Familie beim Gelingen von Schule und Lernen" vom 12. April 2008

[3] Vgl. Begründung S. 24

[4] Vgl. Begründung S. 16

[5] § 23 Abs. 2 a SGB VIII-E zieht neben der Anzahl der zu betreuenden Kinder und dem zeitlichen Umfang der Betreuung noch das Kriterium des Förderbedarfs für die Bestimmung der Leistungsgerechtigkeit heran.

[6] Vgl. die sozialwissenschaftliche Untersuchung von Sinus Sociovision GmbH im Auftrag der Konrad Adenauer Stiftung: „Eltern unter Druck“ Selbstverständnisse, Befindlichkeiten und Bedürfnisse von Eltern in verschiedenen Lebenswelten, Stuttgart 2008, S. 8f.

[7] ebenda

[8] Erklärung des Rates der EKD: “Wo Glauben wächst und Leben sich entfaltet, der Auftrag evangelischer Kindertageseinrichtungen“, Gütersloh 2004, S. 18

[9] a.a.O., S. 41

"Wir brauchen einen neuen Wachstumsbegriff"

EKD-Bevollmächtigter Felmberg zur europäischen Wirtschaftsstrategie

Anlässlich der heute von der Europäischen Kommission vorgestellten Mitteilung zur zukünftigen Wirtschaftsstrategie der EU für die kommenden zehn Jahre hat der Bevollmächtigte des Rates der EKD bei der Bundesrepublik Deutschland und der Europäischen Union, Prälat Dr. Bernhard Felmberg, die dringende Notwendigkeit einer Stärkung ihrer sozialen Aspekte betont. „Das Europäische Jahr 2010 zur Bekämpfung von Armut und sozialer Ausgrenzung muss als Selbstverpflichtung der EU verstanden werden, dauerhaft den sozialen Zusammenhalt zu festigen“, sagte Felmberg heute in Berlin. Die sozialen Aspekte seien in der Vergangenheit vernachlässigt worden, sie müssten künftig wieder ganz oben auf der politischen Agenda der Europäischen Staats- und Regierungschefs stehen. Dazu zählte Felmberg die Schaffung sicherer und qualitativ hochwertiger Arbeitsplätze, aber auch die Abkehr von einem rein ökonomischen Wachstumsbegriff. „Ökologische und soziale Nachhaltigkeit müssen bei der Berechnung und Bewertung von Wachstum stärker Berücksichtigung finden“, so der Prälat.

Auch der Rat der EKD hatte sich bereits im Dezember 2009 in einem Beschluss zu der Neuausrichtung der Wirtschaftsstrategie geäußert. Aus kirchlich-diakonischer Sicht sollten insbesondere folgende Punkte in die neue Strategie, genannt „EU 2020“, aufgenommen werden:

  • Die Vermeidung prekärer Beschäftigungsverhältnisse, eine angemessene soziale Grundsicherung und ein diskriminierungsfreier Zugang zu den öffentlichen Bildungsangeboten, um dem Trend einer wachsenden Armutsgefährdung entgegenzuwirken. Besonders gefährdete Gruppen – junge Menschen, Alleinerziehende, Langzeitarbeitslose, Migranten u. a. – brauchen besondere Förderung.
  • Die Schaffung eines speziellen Europäischen Rahmens für Sozialdienstleistungen, der nationale Besonderheiten wie den Vorrang freier Träger und das Wunsch- und Wahlrecht der Bürgerinnen und Bürger respektiert. Der Zugang zu adäquater Daseinsvorsorge muss allen gleichermaßen offen stehen.
  • Soziale Dienste sollten von den wettbewerbsrechtlichen Regelungen des Binnenmarktes ausgenommen werden. Stattdessen muss die Gemeinnützigkeit bei der Erbringung sozialer Dienste und bei der Bereitstellung der entsprechenden Infrastruktur berücksichtigt und gefördert werden. Sozialdienstleistungen brauchen hohe Qualitätsstandards und Planungssicherheit.

Die Mitteilung der Europäischen Kommission soll als Diskussionsgrundlage für das Treffen der europäischen Staats- und Regierungschefs auf ihrem Frühjahrsgipfel am 25. und 26. März in Brüssel dienen.

Die EU 2020-Strategie soll zu einem ökologischeren und sozial integrativen Wachstum führen. Sie baut auf der vormaligen sog. Lissabon-Strategie für Wachstum und Beschäftigung auf, die politisch erfolglos blieb. Mit der neuen Strategie will die EU bis 2020 die Folgen der Wirtschafts- und Finanzkrise bewältigen, künftige Krisen verhindern und sich dabei auf drei Schwerpunkte konzentrieren: Wertschöpfung durch Wissen, Befähigung zur aktiven Teilhabe an integrativen Gesellschaften sowie Schaffung einer wettbewerbsfähigen, vernetzten und ökologischeren Wirtschaft.

Hannover/Brüssel 3. März 2010

Pressestelle der EKD
Reinhard Mawick/Katrin Hatzinger

 

 

 

 

 

 

 

 

 

                                                                                                                                                       

Vermeidung von Schwangerschaftsspätabbrüchen

Votum des Bevollmächtigten des Rates der EKD

Prälat Dr. Stephan Reimers

Die Evangelische Kirche in Deutschland hat sich in den vergangenen Jahren kontinuierlich für eine Verringerung der Zahl von Spätabtreibungen eingesetzt. Offensichtlich ist, dass es einer Konkretisierung der Vorschriften in diesem Bereich bedarf. Insbesondere muss auf die veränderten Rahmenbedingungen reagiert werden, die sich durch die Fortentwicklung pränataler Diagnostik ergeben. Um dem uneingeschränkten Lebensrecht ungeborener Kinder Rechnung zu tragen, darf auch eine Änderung der derzeitigen gesetzlichen Regelung nicht tabuisiert werden. Dabei sind die folgenden Aspekte von besonderer Wichtigkeit: 

- Die Beratung vor und nach pränataler Diagnostik ist unbedingt zu verstärken. Nach § 2 Schwangerschaftskonfliktgesetz haben jede Frau und jeder Mann einen Rechtsanspruch auf Beratung in allen eine Schwangerschaft mittelbar oder unmittelbar berührenden Fragen. Die EKD fordert seit Jahren, dass es über die medizinische Behandlung und Beratung hinaus und unabhängig davon ein psychosoziales Beratungsangebot geben muss, das schwangere Frauen freiwillig vor jeder pränatalen Diagnostik in Anspruch nehmen können. Das Beratungsangebot muss zielorientiert und ergebnisoffen sein. Es gilt, die Betroffenen über alle Handlungsmöglichkeiten sowie Hilfsangebote und Unterstützung zu informieren und zusammen mit ihnen Wege zu einer Entscheidung zu suchen. Dazu gehört der Hinweis auf das Recht auf Nichtwissen, also den bewussten Verzicht auf pränataldiagnostische Untersuchungen.

 – Für den Fall eines auffälligen Befunds muss eine begleitende psychosoziale Beratung gesetzlich verankert werden. Wenn solche Fälle spät im Verlauf der Schwangerschaft auftreten, besteht aufgrund der großen Konfliktsituation ein gesteigerter Beratungsbedarf für die Schwangere. Nur auf der Grundlage einer Entscheidung der Schwangeren kann überhaupt eine medizinische Indikation festgestellt werden. Bei dieser Entscheidung muss der Frau und ihrem Partner jede mögliche Unterstützung zur Seite gestellt werden, die ihnen hilft, sich trotz einer möglichen Behinderung oder Krankheit ihres Kindes für das Leben zu entscheiden. Um der Pflicht zum Schutz ungeborener Kinder uneingeschränkt nachzukommen, ist eine gesetzliche Verpflichtung des Arztes oder der Ärztin dringend erforderlich, auf psychosoziale Beratungsmöglichkeiten hinzuweisen und aktiv an einer Vermittlung zu geeigneten Beratungsstellen mitzuwirken.

 – Psychosoziale Beratung muss durch unabhängige Beratungsstellen erfolgen. Die Betreuung der Schwangeren und ihres Partners in einer Konfliktsituation kann nicht allein durch den Arzt oder die Ärztin geleistet werden. Neben der medizinischen Beratung durch die Ärzte zur Begleitung der Schwangeren und ihres Partners ist eine eigenständige psychosoziale Beratung durch Beratungsstellen zu garantieren. Eine solche Beratung muss auch die Information über materielle sowie ideelle Unterstützungs-und Entlastungsmaßnahmen für Familien umfassen, in denen behinderte Kinder aufwachsen.

 – Eine dreitägige Bedenkzeit für die Schwangere zwischen der ärztlichen Diagnose und der Feststellung der Indikation bzw. der Abtreibung selbst muss, sofern nicht das Leben der Schwangeren akut gefährdet ist, bei allen Fällen der medizinischen Indikation verpflichtend sein.

 

"Kopenhagener Klimakonferenz darf nicht scheitern"

Präses der Synode der EKD und EKD-Bevollmächtigter appellieren an Bundesregierung und Europäische Union

Angesichts des Ergebnisses des Gipfels der Pazifik-Anrainer-Staaten (APEC) am vergangenen Wochenende hat die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) vor einem Scheitern der Kopenhagener Klimakonferenz gewarnt. Es sei unverantwortlich, wenn die größten Produzenten der schädlichen Treibhausgase schon im Vorfeld der Weltklimakonferenz jede verbindliche Einigung zur Begrenzung der globalen Erderwärmung ablehnten, erklärten die Präses der Synode der EKD, Katrin Göring-Eckardt und der Bevollmächtigte des Rates der EKD bei der Bundesrepublik Deutschland und der Europäischen Union, Prälat Dr. Bernhard Felmberg, in Berlin.

Politische Willenserklärungen abzugeben sei zu wenig, erklärte Göring-Eckardt. „Wir brauchen jetzt konkrete Verabredungen und konkrete Zusagen, nicht erst in ein paar Monaten oder Jahren“, so die Präses. „Unter Wissenschaftlern herrscht mittlerweile ein großer Konsens, dass es fünf vor zwölf ist, wenn wir diese Erde für künftige Generationen bewohnbar halten wollen“, warnte Felmberg. Die Folgen fortgesetzter Untätigkeit seien gravierend: Schon ein Anstieg um 2 Grad Celsius werde Küstenregionen unbewohnbar machen, die Verwüstung vorantreiben, Naturkatastrophen befördern und in unvorstellbarem Ausmaß Menschen aus ihrer Heimat vertreiben. Die EKD appelliere an die Politik, ihre Verantwortung für diesen Planeten und für zukünftige Generationen wahrzunehmen: Die in Kopenhagen versammelten Regierungen müssten hart dafür arbeiten, den wirklich zentralen Anliegen der Menschheit gerecht zu werden und kurzfristige Wirtschaftsinteressen zurückzustellen.

„Alle Seiten müssen Entgegenkommen signalisieren“, forderten Göring-Eckardt und Felmberg. Die EU dürfe nicht von ihren ambitionierten Klimazielen abrücken, die USA und die Schwellenländer müssten sich zu drastischen Reduktionen von CO2 verpflichten; die Industrieländer sollten aber auch Geld und technologisches Know-How für die ärmeren Nationen zur Verfügung stellen, damit diese ihre Entwicklungsziele mit den Klimazielen vereinbaren könnten. Felmberg wandte sich besonders an die Bundesregierung: „Wir rufen dringend dazu auf, die Chance von Kopenhagen zu nutzen und den weltweiten Temperaturanstieg auf höchstens 2 Grad zu begrenzen.“

 Vom 7. bis zum 18. Dezember 2009 treffen sich im Rahmen der Vereinten Nationen in Kopenhagen 192 Staats- und Regierungschefs aus aller Welt. Ziel der Weltklimakonferenz war der Abschluss eines Nachfolgeabkommens zum Kyoto-Protokoll zur Reduzierung der Treibhausgas-Emissionen. Präses Katrin Göring-Eckardt wird nach Kopenhagen reisen und die EKD dort vertreten.

 

Berlin/ Brüssel 16. November 2009

Pressestelle der EKD

Karoline Lehmann/ Patrick Roger Schnabel

 

 

"Hören auf Gott kann Widerstände auslösen"

Bernhard Felmberg predigt zur Amtseinführung als EKD-Bevollmächtigter

„Das Gipfeltreffen unseres Lebens ist und bleibt die Begegnung mit Gott. Diese Begegnungen sind die wahre Höhe unseres Lebens, diese dürfen wir im Herzen halten und auf der Zunge tragen.“ Dies betonte der neue Bevollmächtigte der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) bei der Bundesrepublik Deutschland und der Europäischen Union, Prälat Bernhard Felmberg, heute in seiner Predigt anlässlich des Gottesdienstes zu seiner Amtseinführung in der Französischen Friedrichstadtkirche zu Berlin.

Die jedes einzelne Leben prägende Begegnung mit Gott stellte Felmberg am Beispiel eines besonderen „Gipfeltreffens“ dar, das der Evangelist Matthäus (Kapitel 17, 1-9) in der Bibel beschreibt: Jesus nimmt drei seiner Jünger – Petrus, Jakobus und Johannes – mit auf einen hohen Berg; dort erscheinen ihnen Moses und Elia. Kurz darauf, so Felmberg weiter, ermöglicht Jesus seinen Jüngern für einen Moment „den unverstellten Blick auf seine Gottheit“. Die Jünger sehen sich in eine „helle, durchwärmte und geistdurchwirkte, von Gott getränkte Atmosphäre“ gestellt. Der Prälat stellte dar, wie Petrus versucht, diesem einzigartigen Augenblick Dauer zu verleihen: Der „Schlüsselhalter des Himmels“ wolle Jesus, Moses und Elia an Ort und Stelle Häuser bauen. Felmberg zeigte, wie Gott „den petrinischen Bauplan“ indes durchkreuzt, indem er auf Jesus allein verweist und sagt: „Dies ist mein lieber Sohn, an dem ich Wohlgefallen habe; den sollt ihr hören.“ Damit bleibe Jesus mit seinem Wort als der Einzige bestehen, unterstrich der neue EKD-Bevollmächtigte und folgerte: „Jesus ist das wahre Wort Gottes. Sein Wort ist zu hören, ihm ist zu folgen. Er weist den Weg.“

Dieses Hören auf Gott sei nicht immer einfach, betonte Felmberg, denn es gefalle nicht immer: „Es löst Widerstände aus und passt nicht immer in die vielfach antrainierten Formen von ‚political correctness’.“ Wer auf Jesu Wort höre, der komme in Situationen, in denen er die Welt, die Gesellschaft, das politische Geschehen nicht einfach sich selbst überlassen könne. „Die Stimme unserer Kirche orientiert sich an diesem Anspruch“, sagte der Prälat mit Blick auf seine neue Aufgabe als „Diplomat der Kirche“ bei den politischen Akteuren in Berlin und Brüssel. Durch diesen Anspruch bleibe gewiss, dass das Hören auf Jesu Wort ein Sprechen ermögliche, das nicht in der Vielstimmigkeit der Welt untergehe, sondern wahrgenommen werde.


Berlin, 28. Januar 2009

Pressestelle der EKD
Karoline Lehmann

 

Erzbischof Dr. Zollitsch würdigt gemeinsames Engagement der Kirchen für die Gesellschaft

Der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, Erzbischof Dr. Robert Zollitsch, hat das gemeinsame ökumenische und gesellschaftliche Engagement der evangelischen und katholischen Kirche gewürdigt. Die Evangelische Kirche in Deutschland und die Deutsche Bischofskonferenz seien „weiterhin gemeinsam auf dem Weg“, sagte der Erzbischof bei einem Empfang anlässlich des Wechsels im Rat der Evangelischen Kirche in Deutschland am Donnerstagabend in Berlin. „Es ist mir ein Anliegen, ausdrücklich zu betonen, dass wir uns – aktuell und in Zukunft – als Christen für die entscheidenden Grundlagen eines guten und lebenswerten menschlichen Miteinanders in der heutigen Gesellschaft und für die künftigen Generationen einsetzen.“

Erzbischof Zollitsch würdigte den scheidenden Ratsvorsitzenden Bischof Dr. Wolfgang Huber als verlässlichen, selbstbewussten und bisweilen auch fordernden Partner. Der neuen Ratsvorsitzenden, Landesbischöfin Dr. Margot Käßmann, gratulierte er zu ihrer Wahl und dankte ihr für ihre ermutigende Aufforderung zum „Einsatz aus dem Glauben“.

Zollitsch forderte Vertreter beider Kirchen dazu auf, sich weiter gemeinsam „in ökumenischer Verbundenheit“ in gesellschaftliche Belange einzumischen. Dass sich der Einsatz lohne, zeige auch die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts  vor zwei Tagen zum Schutz des Sonntags. Weiter hob der Erzbischof die Bedeutung des beiderseitigen kirchlichen Engagements für die Umwelt hervor. „Die bevorstehende UN-Klimakonferenz in Kopenhagen sehe ich als Nagelprobe für die ernsthafte Bereitschaft der Weltgesellschaft – der Staaten und der gesellschaftlichen Akteure – Nachhaltigkeit und globale Solidarität im 21. Jahrhundert praktisch umzusetzen. Als Kirchen wollen wir darauf hinwirken, dass Deutschland zur Bewahrung der Schöpfung seinen Beitrag leistet“, betonte Zollitsch.

 

 

Hinweis:

Die Rede von Erzbischof Dr. Zollitsch finden Sie im Wortlaut auch zum Download im Internet unter: www.dbk.de

 

Begrüßung zur Vorstellung der Mitglieder des neu gewählten Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland

Prälat Dr. Bernhard Felmberg

Meine sehr geehrten Damen und Herren,
liebe Schwestern und Brüder,

der Anfang des neuen Kirchenjahres ist noch spürbar und sichtbar. Eine Kerze brennt erst am frisch duftenden Adventskranz. Advent, das ist die Zeit des Wartens, des Geduldigseins, der Freude auf das, was im Weihnachtsfest offenbar wird.

Der Advent bietet unserer Seele eine heilsame Unterbrechung. Er will uns zur Ruhe kommen lassen – gerade an seinen Sonntagen. Und er will uns verzaubern durch seiner Lichter Glanz.

Diese Möglichkeit zur Ruhe in und durch Gott ist sein Geschenk. Es ist ein Geschenk vor allem für die, die erkennen, dass in dieser Ruhe die Kraft zum Aufbruch liegt. Aufzubrechen, Neues beginnen zu lassen, Sich in Unbekanntes zu wagen, reagieren zu wollen auf das, was sich um einen ereignet.

„Mache dich auf und werde licht“ ruft uns der Prophet Jesaja zu, „denn dein Licht kommt, so fährt er fort. Als Kirche, als einzelne Christen orientieren wir uns an diesem Licht Gottes. Es leuchtet in die Welt und lässt uns den anderen, den Mitmenschen in allen Schattierungen erkennen.

Selbst licht zu werden, bringt uns den Menschen nahe und diesen uns. Wir alle, die von Gottes Geist erfüllt sind, sind Trägerrinnen und Träger dieses Lichtes. Manch einer in unserer Kirche leuchtet verborgen im kleinen Kreise, aber bei manchen gilt insbesondere das Wort: „Du sollst dein Licht nicht unter den Scheffel stellen“.

Wer in den Rat gewählt wurde hat schon geglänzt und die angestrahlt, die schließlich gewählt haben. Und das war zum Teil ein langwieriger Prozess. Aber nun beginnt die Arbeit des neuen Rates, morgen ist die erste Sitzung und man selbst steht im Licht.

Am 29. Oktober wurde im Ulmer Münster der neue Rat der Evangelischen Kirche in Deutschland in sein Amt eingeführt. Gleichzeitig wurden die ausscheidenden Ratsmitglieder verabschiedet.

Nun freue ich mich sehr, dass Sie meiner Einladung zum heutigen Abend gefolgt sind, um diese Personen zu begrüßen, die in den nächsten sechs Jahren an herausgehobener Stelle der Evangelischen Kirche in Deutschland mit ihrer Kompetenz leuchten werden.

Und wir nehmen darüber hinaus heute noch einmal die Gelegenheit wahr, von Herzen denen zu danken, die in den letzten Jahren wesentlich zur Strahlkraft unserer Kirche beigetragen haben.

Es ist mir daher eine Freude, dass Sie alle gekommen sind.

Leider hat sich die Terminierung der namentlichen Abstimmungen im Deutschen Bundestag zum Thema Afghanistan seit gestern zielstrebig auf unseren Empfangstermin zubewegt.

Seit heute Vormittag ist nun klar, dass alle Ministerinnen und Minister, alle Staatssekretärinnen und Staatssekretäre. Parlamentarierinnen und Parlamentarier, die in hoher Zahl zugesagt hatten, ihrer Pflicht nachzukommen haben. Wie sagte ich: Wir müssen auf das reagieren, was sich um uns bewegt. Das wird an diesem Abend so sein. Und ich bin selbst gespannt, wann wir wen erleben.

Die Frau Bundeskanzlerin wird uns aller Voraussicht nach an diesem Abend noch besuchen, das aber wahrscheinlich erst, wenn wir uns beim Empfang im Haus der EKD befinden.

So, jetzt ist aber genug über die gesprochen, die nicht da sind. Begrüßen möchte ich die, die da sind:

Und nachdem das Bundesverfassungsgericht in einem Grundsatzurteil den Sonntagsschutz betont hat, begrüße ich den Präsidenten des Bundesverfassungsgerichts, Herrn Prof. Hans-Jürgen Papier noch freundlicher als wir das sonst sowieso schon getan hätten.

Wir freuen uns über die Anwesenheit der Ministerin Frau Prof. Schavan und der Frau Staatsministerin Pieper.

Wir sind dankbar, dass neben der Bundeskanzlerin folgende Persönlichkeiten des politischen Lebens heute zu uns sprechen werden.

Wir begrüßen sehr herzlich den Fraktionsvorsitzenden der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands. Lieber Herr Steinmeier, seien Sie herzlich willkommen.

Ebenso freuen wir uns, dass die Fraktionsvorsitzende der FDP, Frau Birgit Homburger zu uns sprich sowie der Vorsitzende der Partei Bündnis 90/Die Grünen,
Frau Claudia Roth. Seien Sie herzlich willkommen geheißen.

In geschwisterlicher Verbundenheit begrüße ich die Vertreter der Ökumene.

Es ist mir eine besondere Freude, Sie, lieber Herr Erzbischof Zollitsch als Vorsitzenden der Deutschen Bischofskonferenz unter uns begrüßen zu dürfen.

Wir freuen uns auf Ihr Grußwort.

Mit Ihnen heiße ich meinen Kollegen Prälat Karl Jüsten und Herrn Benno Wagner vom Sekretariat der Deutschen Bischofskonferenz herzlich willkommen.

Ich begrüße den Vertreter der russisch Orthodoxen Kirche, Herrn Erzbischof Longin von Klein und in Vertretung des griechisch Orthodoxen Metropoliten, den Archimandriten des Ökumenischen Patriarchats Emmanuel Sfiatkos.

Vom katholischen Bistum der Altkatholiken in Deutschland begrüße ich Herrn Bischof Vobbe.

Die Vereinigung Evangelischer Freikirchen vertritt im politischen Berlin Pastor Peter Jörgensen.

Herr Major Rieder-Pell ist Divionsoffizier bei der Heilsarmee, auch ihm entbiete ich ein herzliches Grüß Gott.

Wir freuen uns sehr, dass die Präsidentin des Zentralrates der Juden in Deutschland unter uns ist. Sehr geehrte Frau Dr. Knobloch, herzlich willkommen.

Und wir freuen uns über die, die unserer Evangelischen Kirche ein Gesicht geben. Die anwesenden Bischöfe, vor allem Herrn Dr. Markus Dröge, den neuen Bischof der Evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz. Seien Sie alle willkommen.

Ich begrüße sehr herzlich die Präses der Synode der Evangelischen Kirche in Deutschland. Frau Göring-Eckardt, seien Sie herzlich willkommen.

Ebenso begrüßen wir sehr herzlich die Vorsitzende des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland.

Frau Landesbischöfin, liebe Frau Dr. Käßmann, seien Sie auf das herzlichste Willkommen.

Und mit derselben Herzlichkeit begrüßen wir den ehemaligen Vorsitzenden des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland, Herrn Prof. Wolfgang Huber.

Und schließlich seien alle Mitglieder des Rates, seien Sie neu oder schon verabschiedet auf das herzlichste willkommen geheißen. Dieser Gruß ebenso allen, die hier sind!

Lassen Sie uns singen: Tochter Zion freue Dich


 

Patientenverfügung

Votum des Bevollmächtigten des Rates der EKD zur gesetzlichen Regelung der Patientenverfügung

Prälat Dr. Stephan Reimers

Seit Jahren ist die gesetzliche Regelung von Patientenverfügungen Gegenstand intensiver Beratungen und Auseinandersetzungen. Auch die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) hat sich in mehreren Veröffentlichungen zu diesem Thema geäußert und Stellung bezogen. Die Kirchen haben mit der „Christlichen Patientenverfügung“, die seit ihrer Veröffentlichung im Jahr 1999 an über 2,9 Millionen Menschen abgegeben wurde, viel dafür getan, das Instrument der Patientenverfügung bekannt zu machen und zu stärken. Auch daher rührt das besondere Interesse der Kirchen an dem Gesetzgebungsverfahren.

Die EKD unterstützt die Bemühungen um eine rechtliche Regelung der Patientenverfügung, wenn diese den Patienten, Angehörigen, Betreuern, Bevollmächtigten und Ärzten mehr Rechts-und Verhaltenssicherheit gibt. Es kann nicht darum gehen, ein Gesetz um jeden Preis zu verabschieden. Wenn es nicht möglich sein sollte, die für diesen Sachverhalt erforderlichen Qualitätsstandards rechtlich zu verankern, sollte von dem Gesetzesvorhaben Abstand genommen werden. Es gilt weiterhin zu berücksichtigen, dass selbst das detaillierteste Gesetz nicht wird verhindern können, dass es an den Grenzen des Lebens zu ethischen Dilemmata kommt. Auch sollte das Bewusstsein wach gehalten werden, dass ein Gesetz – wie immer es ausfällt – die Menschen nicht davon befreit, im konkreten Fall selbst persönliche Verantwortung zu übernehmen.
Mit dem Vorliegen von drei fraktionsübergreifenden Gesetzentwürfen ist ein Zeitpunkt erreicht, für die EKD Stellung zu beziehen. Anknüpfungspunkte für die weitere Arbeit sieht der Rat nur bei dem Gesetzentwurf der Gruppe um den Abgeordneten Wolfgang Bosbach. Dieser Entwurf zeichnet sich dadurch aus, dass er den schonenden Ausgleich zwischen Selbstbestimmung und Fürsorge in den Vordergrund stellt und so am besten den Anliegen des Rates der EKD, wie sie in den am 22. Juni 2007 veröffentlichten „Eckpunkten für eine gesetzliche Regelung von Patientenverfügungen“ formuliert wurden, gerecht wird. Der Komplexität und der Tragweite der zu treffenden Entscheidungen entspricht es, dass der Entwurf detaillierte Regelungen vorsieht. Dahinter steht die Überzeugung, dass der Gesetzgeber die Hürden für eine Patienten-verfügung hoch setzen sollte, solange es verfassungsrechtlich umstritten ist, in welchen Fällen eine Reichweitenbegrenzung legitim ist. Allerdings bleiben gegenüber dem Gesetzentwurf auch Vorbehalte:

a)  Der Gesetzentwurf setzt sich in seinem Begründungsteil auf S. 13-20 in großer Gründlichkeit mit Rolle und Reichweite der menschlichen Selbstbestimmung und ihrem Verhältnis zur staatlichen Schutzpflicht des Lebens (Art. 2 Abs. 2 GG) auseinander. Dabei kommt noch nicht genügend zur Geltung, dass die Handlungsmöglichkeiten, mit denen Selbstbestimmung ausgeübt wird, weiter reichen, als vielfach wahrgenommen wird. Die Übertragung der Entscheidungsvollmacht an einen Bevollmächtigten oder – in anderer Weise – einen Betreuer erfüllt z.B. nicht minder die Bedingungen, die an selbstbestimmtes Handeln angelegt werden müssen. Der Gesetzentwurf der Abgeordneten Wolfgang Bosbach et al. sollte diese Überlegungen in seinem Begründungsteil stärker aufgreifen und mit ihnen insbesondere die Handlungsoption der Einsetzung eines Bevollmächtigten stützen.

b)  Im Gesetzentwurf wird in § 1901 a Abs. 1 das Institut der vorsorgenden Vollmacht – wie statt der Rede von der Einsetzung eines Bevollmächtigten korrekter formuliert werden sollte – zwar eigens eingeführt und definiert, aber eine Stärkung wird dadurch nicht bewirkt, denn es bleibt grundsätzlich bei den Kompetenzen des Bevollmächtigten, die das geltende Recht vorsieht (S. 26f). Damit wird die Chance vergeben, das Institut der vorsorgenden Vollmacht hervorzuheben und ihm eine eigene Bedeutung gegen-über der Betreuungsverfügung zu geben. Zwar wird im Begründungsteil darauf hingewiesen, dass die vorsorgende Vollmacht „durchgängig als Alternative zur Patienten-verfügung verstanden wird“ (S. 29), aber es wird darauf verzichtet, dies näher z.B. in dem Sinne auszuführen, dass es einem Patienten frei steht, ob er selbst in einer differenzierten Patientenverfügung Wünsche zu seiner Behandlung äußert oder sich darauf beschränkt, einen Bevollmächtigten zu benennen, der seinen Willen interpretieren und zur Geltung bringen soll. Gerade weil der Gesetzentwurf sich bemüht, Selbstbestimmung und Lebensschutz in einem schonenden Ausgleich miteinander zu verbinden, sollte die Rolle des Bevollmächtigten anders gewichtet werden.

c)  Das Erfordernis einer ärztlichen Beratung vor der Abfassung einer qualifizierten Patientenverfügung suggeriert die falsche Sicherheit, dass eine Patientenverfügung, die die Bedingung der ärztlichen Beratungspflicht erfüllt und demgemäß unter voller Berücksichtigung allen verfügbaren medizinischen Wissens ausgestellt wurde, keiner Auslegung bedarf. Dabei wird jedoch verkannt, dass eine Patientenverfügung stets auf Interpretation angewiesen ist. Hinzu kommt, dass eine Beratungspflicht – selbst wenn die Kosten durch die Krankenkassen übernommen werden – eine hohe zusätzliche Hürde aufrichtet, die viele Menschen eher abhalten dürfte, überhaupt eine Patientenverfügung auszustellen. Zwar ist eine ärztliche Beratung vor und bei der Abfassung einer Patientenverfügung dringend zu empfehlen, um sich größere Klarheit über die eigenen Absichten und Wünsche im Blick auf die Anwendung lebenserhaltender und lebensverlängernder Maßnahmen zu verschaffen, aber sie zur Pflicht zu erheben fördert die Inanspruchnahme dieses Instruments nicht.

d)  Der Gesetzentwurf sieht – neben der Pflicht zur ärztlichen Beratung – auch eine Pflicht zur notariellen Beurkundung bei der qualifizierten Patientenverfügung vor. Im Ergebnis bedeutet dies, dass die Schwellen auf dem Weg zu einer Patientenverfügung höher werden: im Aufwand, im Grad der Formalität und finanziell. Auch ist zu fragen, ob die Aktualisierungspflicht nach 5 Jahren nicht an der Lebenswirklichkeit gerade älterer Menschen vorbeigeht. Insofern dürften diese Erfordernisse für viele Menschen eine zusätzliche Hürde darstellen. Unklar bleibt schließlich, worin der Nutzen einer notariellen Beurkundung liegen sollte. Es ist zu fragen, warum anstelle eines Notars nicht auch ein Rechtsanwalt oder Beratungsstellen, die im Blick auf Patientenverfügungen kundig sind, beim Verfassen von Patientenverfügungen hinzugezogen werden können.
Der Entwurf der Gruppe um den Abgeordneten Joachim Stünker ist dadurch gekennzeichnet, dass er das Selbstbestimmungsrecht zum Ankerpunkt der gesamten Argumen-tation macht und dadurch problematische Folgen hervorruft. Der Entwurf der Gruppe um den Abgeordneten Wolfgang Zöller stärkt ohne sachliche Notwendigkeit die Stellung und Interpretationshoheit der Ärzte und untergräbt die Bedeutung der Vertrauenspersonen. Beiden Entwürfen ist aus Sicht der EKD Folgendes entgegen zu halten:

a)  Im Blick auf die Wirksamkeitsvoraussetzungen von Patientenverfügungen muss es als problematisch angesehen werden, wenn (wie bei Zöller) die Schriftform für Patientenverfügungen nicht vorgeschrieben wird. Die Schriftform garantiert höhere Objektivität, verringert die Gefahr von Missverständnissen und bietet Schutz vor übereilten Entscheidungen.

b)  Die Stellung des Bevollmächtigten/Betreuers wird nicht hinreichend ernst genommen, wenn (wie bei Zöller) zuerst „der Arzt prüft, welche Behandlungsmaßnahme indiziert ist“, bzw. wenn (wie bei Stünker) die Aufgabe des Bevollmächtigten auf die Prüfung beschränkt wird, ob die Festlegungen der Patientenverfügung auf die aktuelle Situation zutreffen. Damit wird die Chance vergeben, das Institut der vorsorgenden Vollmacht hervorzuheben und ihm eine eigene Bedeutung gegenüber der Betreuungsverfügung zu geben. Gerade angesichts der Unausweichlichkeit der Auslegung nahezu jeder Festlegung einer Patientenverfügung sollte die Möglichkeit stärker herausgestellt werden, auf eine sehr detaillierte Patientenverfügung zu verzichten und sich darauf zu beschränken, einen Bevollmächtigten einzusetzen und mit ihm immer wieder zu besprechen, was gewollt ist und was nicht.

c)  Es wird in beiden Entwürfen ausgeblendet, dass jeder Mensch in der Ausübung seines Selbstbestimmungsrechtes darauf angewiesen ist, dass andere Menschen sich seiner annehmen und die Wünsche einer Patientenverfügung nicht einfach als das letzte Wort des Patienten nehmen. Dies wird besonders deutlich, „wenn sie erkennbar in Unkenntnis der Möglichkeiten medizinischer Behandlung oder späterer medizinischer Entwicklungen abgegeben wurden und anzunehmen ist, dass der Betroffene bei deren Kenntnis eine andere Entscheidung getroffen hätte“ (so Bosbach). Das Fehlen einer solchen ausdrücklichen Regelung (bei Stünker und Zöller) ist ein empfindlicher Mangel.

d)  Die Frage der Reichweite von Patientenverfügungen ist zweifelsohne besonders heikel. Ein in jeder Hinsicht überzeugender Regelungsvorschlag liegt bisher nicht vor. In keinem Fall akzeptabel ist es, wenn (wie bei Stünker und Zöller) die in einer Patientenverfügung getroffenen Festlegungen „unabhängig von Art und Stadium einer Erkrankung des Betreuten“ gelten sollen. Dies hätte schwerwiegende Konsequenzen, wie man sich exemplarisch an der Gruppe der Wachkomapatienten und der dementiell Erkrankten klar machen kann. Aus der Reichweite von Patientenverfügungen ausgeschlossen müssen zumindest die Fälle sein, „in denen das Wachkoma ... erst vor kurzer Zeit einge-treten ist oder noch Zustandsverbesserungen (Remissionen) vorkommen können. Voraussetzung [sc. für die Geltung einer Patientenverfügung] ist ein (mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit) endgültiger Verlust des Bewusstseins. Es geht also um Zustände schwerster zerebraler Schädigung und anhaltender Bewusstlosigkeit, nicht aber z.B. um Fälle von Altersdemenz, bei denen der Betroffene zunehmend verwirrt, aber nicht unwiederbringlich ohne Bewusstsein ist“ (so Bosbach, S. 37f).