Evangelischer Medienpreis für sechs Radio- und TV-Produktionen

Frankfurt a.M. (epd). Der Robert Geisendörfer Preis geht in diesem Jahr an sechs Radio- und TV-Produktionen. Wie die Geschäftsstelle des Medienpreises der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) am Donnerstag in Frankfurt am Main mitteilte, erhalten unter anderem Marcus Vetter und Karin Steinberger den Preis für ihren SWR-Film "Hunger". Die Dokumentation zeige die Menschen "weder als elende Hungerleider noch als potenzielle Wirtschaftsflüchtlinge", sondern als "gleichberechtigte Nachbarn", lobte die Jury. Der Robert Geisendörfer Preis ist mit insgesamt 30.000 Euro dotiert. Die Verleihung findet am 13. September in Baden-Baden statt.

Ausgezeichnet wird auch Eric Friedler für "Aghet - Ein Völkermord". Die NDR-Dokumentation strafe alle die Lügen, die die Erinnerung an den hunderttausendfachen Mord am armenischen Volk aus dem Gedächtnis der Menschheit streichen wollen, urteilte die Jury.

Charly Kowalczyk erhält einen weiteren Preis für sein Hörspiel "Angelika. Annäherung an ein Kinderleben" (Deutschlandradio Kultur). Die Jury bescheinigte dem Stück einen "zutiefst christlichen Blick auf die Menschen". Für ihr MDR-Radiofeature "Verbrannt in Polizeizelle Nr. 5. Der Tod des Asylbewerbers Oury Jalloh in Dessau" wird Margot Overath geehrt. Der Beitrag sei der "ebenso hartnäckige wie beklemmende Versuch, die Wahrheit über den Tod eines Menschen herauszufinden und ihm damit wenigstens die Würde zurückzugeben".

Die Jury Kinderprogramme zeichnet Wolfgang Eißler und Gabriele Kreis für den MDR-Film "Die kluge Bauerntochter" aus, der den Märchenstoff zeitgemäß modernisiere. Katja Engelhardt und Ralph Caspers bekommen einen Preis für ihr "Sendung mit der Maus"-Spezial zu Südafrika (WDR). Hier habe vor allem der Verzicht auf folkloristische Klischees und sozialkritische Überheblichkeit zugunsten von Offenheit gegenüber der realen Lebensbewältigung überzeugt, so die Jury.

Wie bereits seit Juni bekannt, erhält der Co-Geschäftsführer des Privatsenders Sat.1, Joachim Kosack, den undotierten Sonderpreis des Robert Geisendörfer Preises als herausragender Programmgestalter des privaten Fernsehens.

Der Robert Geisendörfer Preis wird seit 1983 jährlich im Gedenken an den christlichen Publizisten Robert Geisendörfer verliehen, der am 1. September vergangenen Jahres 100 Jahre alt geworden wäre. Mit dem Preis zeichnet die EKD Hörfunk- und Fernsehsendungen aus allen Programmsparten aus, die das persönliche und soziale Verantwortungsbewusstsein stärken und zur gegenseitigen Achtung der Geschlechter beitragen.

Die Geschäftsführung des Preises liegt beim Gemeinschaftswerk der Evangelischen Publizistik (GEP) in Frankfurt. Das ist die zentrale Medieneinrichtung der EKD, ihrer Landeskirchen und Werke sowie der evangelischen Freikirchen.

25. August 2011


Schockiert vom Elend der Bauern

Der Dokumentarfilmer Marcus Vetter erhält den Robert-Geisendörfer-Preis der evangelischen Kirche

Von Marcus Mockler (epd)

Tübingen (epd). Früher plagte Marcus Vetter nach jedem Film eine Sehnenscheidenentzündung. Der Grund: Der Dokumentarfilmer hatte das gesamte Aufnahmematerial für ein Projekt transkribiert, also alle Szenen und Gespräche in den Computer eingetippt, um die Teile mit mehr Übersicht ordnen können. Das ist bezeichnend für die Akribie, mit der Vetter arbeitet. Für den Film "Hunger", den er 2010 im Auftrag des SWR für die kirchliche Produktionsfirma Eikon Südwest gemacht hat, erhält der Tübinger am 13. September in Baden-Baden den Robert Geisendörfer Preis der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD).

Vetter wirkt geradezu besessen davon, bei der Qualität seiner Filme nichts dem Zufall zu überlassen. Bevor er das fertig geschnittene Produkt einem TV-Redakteur zur Endabnahme vorlegt, hat er schon bis zu zehn private Vorführungen vor ganz normalem Fernsehpublikum hinter sich. Der 44-Jährige beobachtet dabei 90 Minuten lang die Gesichter der Zuschauer. "Du siehst, wann sie lachen, wann sie sich langweilen, wann plötzlich Energie im Raum ist", sagt er.

So hat er auch den Film "Hunger" vorbereitet, zu dem er gemeinsam mit der Journalistin Karin Steinberger ("Süddeutsche Zeitung") das Buch schrieb. Die Reaktionen der Erstzuschauer trieben das Team nochmals in den Schneideraum. So waren die Szenen aus einem brasilianischen Schlachthof zu blutig. Das wühlte die Beobachter derart auf, dass sie der Geschichte, die der Film erzählt, vorübergehend nicht mehr folgen konnten. Vetter ärgerte sich zwar, weil er seine Fassung für ausgezeichnet hielt - aber er vertraut den Zuschauern mehr als seiner künstlerischen Intuition.

Mit diesem Qualitätsfilter ist Vetter in den vergangenen zwölf Jahren gut gefahren. Der Durchbruch gelang ihm 1999 mit "Der Tunnel". Die Dokumentation über einen deutsch-deutschen Fluchtversuch bescherte ihm den Deutschen Fernseh-Preis und den Grimme-Preis. Sein persönlicher Lieblingsfilm ist "Mein Vater, der Türke", in dem er sich mit seinem türkischen Vater versöhnt und gleichzeitig die kulturelle Frage aufarbeitet, warum Söhne in vielen Kulturen wichtiger als Töchter sind.

Lebensverändernd war für Vetter der Film "Das Herz von Jenin" über einen Palästinenser, dessen Sohn von israelischen Soldaten getötet wurde und der dennoch die Organe des Kindes auch für israelische Kinder zur Spende freigab. In der Folge machte sich Vetter für den Wiederaufbau des Kinos von Jenin stark. Im August 2010 wurde es eröffnet und an palästinensische Betreiber übergeben.

Auch sein neuestes Projekt hängt mit dieser Region zusammen: Am 22. September kommt der Film "Nach der Stille" in deutsche Kinos. Ende März 2002 hatte sich ein Selbstmordattentäter aus Jenin in der Stadt Haifa in einem arabischen Restaurant in die Luft gesprengt und dabei 15 Menschen mit in den Tod gerissen. Die Witwe eines der Getöteten machte sich Jahre später auf nach Jenin zu einer Begegnung mit der Familie des Selbstmordattentäters. Zwei junge Dokumentarfilmerinnen aus Deutschland waren mit Kameras dabei und haben die aufwühlende Geschichte im Film festgehalten. Vetters Firma "filmperspektive" hat dafür den Verleih übernommen.

Die Dokumentation "Hunger", für die Marcus Vetter nun ausgezeichnet wird, hat das Denken des Filmers stark verändert. Am Anfang stand der Gedanke, dass explodierende Lebensmittelpreise eigentlich den Bauern in den Entwicklungsländern helfen müssten, weil sie für ihre Arbeit endlich angemessen honoriert würden. Tatsächlich entdeckte Vetter ein Zusammenspiel von Subventionen und westlicher Schutzpolitik, die aus seiner Sicht eine gesunde Agrarentwicklung in anderen Teilen der Welt unmöglich machen.

Schockiert habe ihn die Begegnung mit einem Bauern in Haiti, der auf seinem Feld nahezu verhungerte, weil für seine Erzeugnisse keine realistischen Preise zu erzielen sind, erzählt er. Beim Thema Welternährung ist Vetter sehr pessimistisch. Er erwartet, dass Anleger und Spekulanten angesichts der Unsicherheit von Wertpapieren noch stärker in Rohstoffe und Nahrungsmittel investieren werden - mit der Folge weiterhin rapide ansteigender Preise. Dadurch würden weltweit Hungersnöte ausgelöst, die das Ausmaß bislang bekannter Katastrophen weit übersteigen, befürchtet Vetter.

Die Jury des Geisendörfer-Preises unter dem Vorsitz des badischen evangelischen Landesbischofs Ulrich Fischer lobte an "Hunger" die "behutsame Kameraarbeit von Marcus Vetter und Thomas Mauch". Bedürftige würden "weder als elende Hungerleider noch als potenzielle Wirtschaftsflüchtlinge gezeigt, sondern als gleichberechtigte Nachbarn". Bei diesem Film hat sich Vetter übrigens keine Sehnenscheidenentzündung geholt - das Transkribieren kann er inzwischen an Mitarbeiter delegieren.

25. August 2011