Dr. Gottfried W. Locher

Präsident der GEKE und des Schweizerischen Ev. Kirchenbundes

Präsident Gottfried W. Locher

(Unredigierte Fassung)

Es gilt das gesprochene Wort

Liebe Frau Präses, hochwohllöbliche Synodale, liebe Schwestern und Brüder!

Europa bekommt gleich das Wort, aber vorher würde der Eidgenosse in mir gerne auch noch etwas sagen, wenn Sie gestatten, und freundlicherweise seinen unüberwindlichen helvetischen Akzent einen Augenblick in Kauf nehmen. Ich würde Ihnen nämlich gerne danken für ein außergewöhnlich schönes gemeinsames Jahr, Evangelische Kirche in Deutschland und Schweizerischer Evangelischer Kirchenbund zusammen.

Es ist nichts Neues, dass unsere Kirchen eng befreundet sind. Schon lange leben wir nicht nur nebeneinander, sondern tragen und begleiten einander in der Nachfolge Jesu Christi. Dass allein ist schon eine Gnade und eine Freude. Und doch: Dieses Jahr hat uns näher zusammengebracht. Zahlreich waren die gemeinsamen Erlebnisse, die Eröffnung des Jubiläumsjahrs in Genf vor fast einem Jahr unter aktiver Beteiligung Ihres geschätzten Ratsvorsitzenden, dann der viel beachtete Vortrag Ihrer ebenso geschätzten Frau Präses im Berner Münster, Begegnungen in Berlin, Eisenach, Erfurt und natürlich in Wittenberg bei der Eröffnung des Schweizer Pavillons.

Ja, diese Zwingli-Bibeldruckerei im Mekka des Weltluthertums – so etwas kann man sich nur unter Freunden leisten.

Unweigerlich kommt einem das Marburger Religionsgespräch in den Sinn. Hätte doch schon 1529 eine solche Weitherzigkeit geherrscht!

Darum zum Abschluss dieses denkwürdigen Jahres im Namen des Schweizerischen Evangelischen Kirchenbundes, seiner Kirchen und seines Rates vielen Dank. Ich weiß die Freundschaft und das Vertrauen der großen Schwester im Norden außerordentlich zu schätzen.

Ich habe Ihnen frisch ab Presse und noch nicht im Handel das Handbuch mit dem Titel "Die schweizerische Reformation" mitgebracht. Dieses Werk wiegt 2 Kilogramm und ist geeignet, Ihnen alles mitzugeben, was über die Schweizer Reformation in den letzten 50 Jahren Neues entdeckt wurde. Sehr geehrte Frau Präses, ich darf Ihnen dies gerne übergeben.

In der Schweiz bewegt sich im Augenblick einiges. Letzte Woche hatten auch wir Abgeordnetenversammlung. Das ist unsere nationale Synode. Es wurde beschlossen, aus einem Dachverband eine Kirche zu machen. Ich habe gehört, dass diese Diskussionen auch bei Ihnen einige Jahre gedauert haben. Auch wir sind gerade dabei. Evangelisch-reformierte Kirche in der Schweiz – Sie können sich vorstellen, was es in einem föderalistischen Land wie der Schweiz bedeutet, so etwas auf die Beine zu stellen. So Gott will und wir leben, werde ich auch noch das Ende dieser Diskussionen miterleben.

Damit von der bilateralen Gemeinschaft zwischen uns zur Gemeinschaft Evangelischer Kirchen in Europa. Ich bringe Ihnen die Grüße und guten Wünsche von knapp 100 Mitgliedskirchen und 50 Millionen Protestantinnen und Protestanten, die zur GEKE gehören.

Kanzel- und Abendmahlsgemeinschaft, Einheit in versöhnter Verschiedenheit – das sind die Kurzformeln, die wir von der GEKE kennen. Dies ist ein Katholizitätsmodell, das doch für eine ökumenische Erfolgsgeschichte steht. Seit der Unterzeichnung der Leuenberger Konkordie 1973 ermöglicht sie immer mehr protestantischen Kirchen in Europa Gemeinschaft. Eine erstaunliche Einigungsbewegung hat die GEKE da in Gang gesetzt. Es ist ein Privileg, ihr als Präsident dienen zu dürfen – übrigens in der Nachfolge von Landesbischof Dr. Friedrich Weber, dem früheren Catholica-Beauftragten der VELKD. Friedrich war von 2012 bis 2015 geschäftsführender Präsident der GEKE, die er energisch und engagiert geleitet hat. Wir alle verdanken ihm viel.

Freilich, zur Leitungsverantwortung gehört auch, mithin gelegentlich den theologischen Finger auf den ekklesiologisch wunden Punkt der GEKE zu legen.

Ich tue mich etwas schwer mit der Kurzformel "Einheit in versöhnter Verschiedenheit". Sie ist vermutlich nicht der Weisheit letzter Schluss. Wollen wir denn wirklich davon ausgehen, dass hier Kirchen zusammenfinden, die ihrem Wesen nach einander mit Verschiedenheit begegnen? Wie kann eine biblisch verortete Ekklesiologie von einer primären und grundsätzlichen Verschiedenheit der Ortskirchen ausgehen? Müsste es nicht eher um Vielfalt, um unterschiedliche Ausgestaltung, um Kontextualisierung des alle Getauften Einenden gehen?

Hier, liebe Schwestern und Brüder, sehe ich Handlungsbedarf in der GEKE. Verschiedenheit ist als ekklesiologischer Referenzbegriff wenig hilfreich. Wir sollten im Deutschen tun, was auf Englisch der Normalfall ist: "unity in diversity" – Diversität. Das heißt nicht Verschiedenheit; das heißt Vielfalt.

Um die zweite Herausforderung auch gleich zu benennen: Wann ist denn diese Vielfalt tatsächlich versöhnt? Das altbewährte "satis est" der Confessio Augustana gilt unverändert. Aber reicht das aus, um kirchliche Vielfalt auch schon als "versöhnte" zu beschreiben?

Wenn es so ist, wie kommt es dann, dass der Lutherische Weltbund einen deutlich anderen Weg geht als etwa die Weltgemeinschaft Reformierter Kirchen? Sind die beiden Weltbünde tatsächlich erkennbar versöhnt unterwegs miteinander in der Ökumene und in der Welt?

Der Konsens über Wort und Sakrament kennzeichnet ausdrücklich die wahre sichtbare Gemeinschaft. Aber diese Sichtbarkeit ist noch im Werden.

Ohne eine abschließende Beurteilung zu wagen, scheint mir eines schon noch unerledigt in der GEKE, nämlich die Benennung der Kriterien versöhnter Vielfalt von Kirchengemeinschaft. Finden wir dies in den reformatorischen Grundlagen, oder ist dies unter den Bedingungen der Gegenwart neu zu formulieren? Mindestens eines gilt auch für die GEKE: Es ist noch nicht offenbar geworden, was wir sein werden.

Wie auch immer, die GEKE ist eine Gemeinschaft auf dem Weg. Hinter ihr liegt ein Erfolg; vor ihr liegt aber eine Herausforderung.

Für heute nur das. Ich soll ja nichts weiter als ein Grußwort sprechen.

Aber ich möchte Ihnen die GEKE ans Herz legen. Sie ist unser wichtigstes Instrument gesamtevangelischer Einheit in Europa und darüber hinaus. Sie hat drei einzigartige Stärken:

Erstens ist sie ökumenisch unverzichtbar. Sie bringt uns zusammen im ganzen Protestantismus, über konfessionell engere Grenzen hinaus. Die Entwicklungen in unseren Weltbünden sind verschiedenartig. Umso wichtiger ist es, in Europa eine Einheit des Protestantismus zu fördern und weiterzubringen.

Zweitens. Die GEKE ist auch wichtig als Ansprechpartner des vatikanischen Einheitsrates. Mit Kardinal Kurt Koch haben wir einen Fürsprecher für die GEKE dort. Wir sollten diese Kanäle nutzen. Es sind doch noch einige Fragen mit Rom offen.

Drittens. Die GEKE ist auch politisch wichtig. Mit ihrem Einheitsmodell "Einheit in Vielfalt" kann sie Europa durchaus Wege zeigen, um aus den jetzigen Schwierigkeiten herauszukommen. Wir haben ein Einheitsmodell, das die Vielfalt zum Mittelpunkt unserer Gemeinschaft macht und das die Vielfalt nicht als Bedrohung ansieht, sondern als Chance. Wenn wir also politisch mitsprechen wollen, dann in aller Selbstbewusstheit unseres Einheitsmodells.

Schließlich – damit schließe ich auch –: Die GEKE ist reformatorisch wichtig. Wir haben in der Schweiz ja nicht eine Dekade gemacht, sondern nur ein Jahr; wir sind ja auch kleiner als Sie. Sie haben eine Dekade der Reformationsgedenken hinter sich. Aber die Arbeit des weiteren Reformierens ist ja damit nicht abgeschlossen. Wir müssen reformatorisch weitergehen. Wir sollten das tun in einem Geist der Katholizität – um es etwas provokativ zu sagen –, nämlich nicht jeder in unseren Ländern alleine, sondern über die Landesgrenzen hinaus gemeinsam. Wir haben einen gemeinsamen Schatz der Reformation. Diesen Schatz wollen wir weitertragen und weiterentwickeln.I

Ich danke für die ganze Unterstützung. Die EKD ist eine treue Trägerin der GEKE. Der Ratsvorsitzende persönlich setzt sich sehr dafür ein. Auch die Auslandsbischöfin Petra Bosse-Huber setzt sich sehr ein. Viele weitere hier im Raum haben viel dazu beigetragen, dass die GEKE florieren kann.

In der Schweiz lautet das Reformationsjubiläumsmotto: "quer denken – frei handeln – neu glauben." Das hat sich bei uns durchgesetzt, auch weil man die Adjektive und Verben neu zuordnen kann. So wünsche ich Ihnen, dass diese Synode und die zukünftige Arbeit der EKD quer denkt, frei handelt und neu glaubt. – Vielen Dank.