Predigt im Festgottesdienst zu Pfingsten 2019

Landesbischof Heinrich Bedford-Strohm, Ratsvorsitzender der Evangelischen Kirche in Deutschland, predigt in der Matthäuskirche in München

Predigt

Predigttext: Joh 14, 15-19,23b-27

Liebt ihr mich, so werdet ihr meine Gebote halten. Und ich will den Vater bitten und er wird euch einen anderen Tröster geben, dass er bei euch sei in Ewigkeit: den Geist der Wahrheit, den die Welt nicht empfangen kann, denn sie sieht ihn nicht und kennt ihn nicht. Ihr kennt ihn, denn er bleibt bei euch und wird in euch sein. Ich will euch nicht als Waisen zurücklassen; ich komme zu euch. Es ist noch eine kleine Zeit, dann sieht die Welt mich nicht mehr. Ihr aber seht mich, denn ich lebe, und ihr sollt auch leben. Wer mich liebt, der wird mein Wort halten; und mein Vater wird ihn lieben, und wir werden zu ihm kommen und Wohnung bei ihm nehmen. Wer aber mich nicht liebt, der hält meine Worte nicht. Und das Wort, das ihr hört, ist nicht mein Wort, sondern das des Vaters, der mich gesandt hat. Das habe ich zu euch geredet, solange ich bei euch gewesen bin. Aber der Tröster, der Heilige Geist, den mein Vater senden wird in meinem Namen, der wird euch alles lehren und euch an alles erinnern, was ich euch gesagt habe. Frieden lasse ich euch, meinen Frieden gebe ich euch. Nicht gebe ich euch, wie die Welt gibt. Euer Herz erschrecke nicht und fürchte sich nicht.

Es gilt das gesprochene Wort!

Liebe Gemeinde,

wie gut, dass Pfingsten ist! Wir gut, dass der Heilige Geist über uns ausgegossen wird und unsere Herzen erreicht! Wie gut, dass der Heilige Geist uns herausholt aus unseren Löchern! Wie gut, dass er uns herausholt aus unserem Zögern, aus unserer Mutlosigkeit, aus unserem Verweilen im Gewohnten!

Für mich hat Pfingsten hier in der Matthäuskirche dieses Jahr schon letzte Woche begonnen. Da waren hier auf den Stufen des Altars – etwas ungewohnt, lauter zum Kreuz geformte Motorradhelme gelegen. Und sogar zwei Motorräder waren hier rechts und links aufgestellt, eines von den Johannitern für den Sanitätsdienst und eines von der Polizei. Die Spirit-Tour der EKD, die vor Wochen in Flensburg gestartet war, war in München angekommen. Und dann standen die christlichen Motorradfahrer, die mitgefahren waren, hier vor dem Altar und haben berichtet. Von den Glaubenserfahrungen, die die sie in den Gottesdiensten und Gebeten unterwegs gemacht haben, von der wunderbaren Gemeinschaft, zu der sie in dieser Zeit zusammengewachsen waren, von den Gedanken, die sie sich um die Sicherheit beim Fahren, aber auch um die ökologische Verantwortung gemacht hatten. Man spürte, wie tief berührt sie waren von den Erfahrungen dieser Tour. Und wir alle, die wir ihnen zuhörten, waren selbst tief berührt von dem, was sie erzählten.

Ich war froh, dass ich mich von den kritischen Rückfragen nicht davon hatte abschrecken lassen, die Schirmherrschaft für diese Tour zu übernehmen. Bei Motorradfahrern denken manche an lautes Auftreten, derbe Sprache und Tätowierungen und natürlich an den CO2-Ausstoß, also alles Mögliche, was in der Kirche verpönt ist. Motorradfahrer entsprechen jedenfalls nicht dem Milieu, das man zuallererst mit Kirche assoziiert. Und sie spüren es allzuoft, wenn sie kirchlichen Boden betreten.

Deswegen ist Pfingsten so wichtig. Pfingsten mischt unsere kirchlichen Milieus auf. Pfingsten bläst uns den Geist der Freiheit ins Herz. Pfingsten nimmt unsere Klischees und Vorurteile aufs Korn und je mehr der Geist weht und uns in der Seele erreicht, verwandelt er sie in Liebe. Und aus dem Motorradfahrer mit der Lederjacke wird Philipp, der vegan lebt und allein mit seinem Verzicht auf Fleisch mehr CO2 einspart als er je mit dem Motorrad verursacht. Oder Michael, der durch seine herzliche und nahbare Art die Menschen zusammenbringt und Gemeinschaft stiftet. Oder Rolf, der allein durch seinen stattlichen Leibesumfang dasteht wie ein Fels, aber vor allem durch seine innere Stärke anderen Halt gibt. Oder Karla, die für alle sorgt und gegenüber der einem der Männer schon mal das Wort „Mutti“ rausrutscht.

Alle miteinander sind sie pfingstliche Menschen, die sich bewegen lassen vom Heiligen Geist. Und sie sind Teil der großen Pfingstbewegung, die wir „Kirche“ nennen. Sie ist so groß und so bunt und so weit wie das Herz Gottes. Die Motorradfahrer gehören dazu, die es letzte Woche mit einer Rockband hier in der Kirche haben krachen lassen. Diejenigen gehören dazu, die jeden Sonntag zur traditionellen Zeit und mit der traditionellen Liturgie Gottesdienst feiern. Manchmal sind es nur wenige. Und oft haben sie wie ich schon graue Haare. Aber sie beten, singen und hören stellvertretend für viele. Und wenn sie am Ende des Gottesdienstes den Segen empfangen, dann nehmen sie auch diesen Segen stellvertretend für viele mit. Für viele, die nicht da sind, aber sehr dankbar dafür sind, dass der Segen überall in den Kirchen gesprochen wird. Wäre es nicht grauenhaft, wenn der Segen in den Kirchen überall im Land plötzlich verstummen würde? Diejenigen, die sonntags regelmäßig unsere Gottesdienste besuchen und sich - wenn nur wenige da sind - manchmal verloren fühlen, sind viel wichtiger als sie glauben – für unsere Kirche, aber mehr noch, für unser ganzes Land!

Die Kirche als die große Pfingstbewegung ist so groß und so bunt und so weit wie das Herz Gottes. Die jungen Menschen gehören dazu. Sie können oft mit den traditionellen Formen nichts mehr anfangen. Sie finden manchmal harte Worte über die gewohnten Formen. Aber sie sind umso begeisterter, wenn sie ihre eigenen Formen finden und selbst gestalten können. Und sie weisen unerbittlich auf die radikalen Veränderungen hin, die nötig sind, wenn sie Zukunft haben wollen. Nicht nur fridays, nicht nur am Freitag, klagen sie Zukunft ein und werden damit Botschafterinnen und Botschafter der Zukunft Gottes.

Die Zweifler gehören dazu, die kritische Fragen an den Glauben stellen und nur das auch wirklich vertreten wollen, was sie als aufgeklärte Menschen auch wirklich vor ihrer Vernunft verantworten können. Sie bewahren uns davor, althergebrachte Glaubenswahrheiten einfach nachzubeten, ohne sie überhaupt verstanden zu haben.

Die Erweckten gehören dazu, die sichtbar ihr Herz sprechen lassen, die ihren Glauben nicht für sich behalten, sondern ihre Begeisterung auch anderen zeigen und sie damit anstecken. Die moralisch Konsequenten gehören dazu, die immer wieder einklagen, dass es keinen Glauben an Gott gibt ohne die Liebe zu den Mitmenschen und die sich leidenschaftlich und eindrucksvoll für andere einsetzen, manchmal ohne große Glaubensbekenntnisse abzulegen.

Sie ist so vielfältig unsere Kirche! Und der Pfingstgeist öffnet unsere Augen dafür, dass wir sie in dieser Vielfalt sehen! Der Pfingstgeist öffne unsere Ohren für das, was uns die jeweils anderen zu sagen haben! Der Pfingstgeist öffne unsere Herzen, dass wir sie als Teil der einen Kirche Jesu Christi lieben und achten lernen!

Was sehen wir, liebe Gemeinde, wenn wir uns so unsere Augen, unsere Ohren und unsere Herzen öffnen lassen?

Wir sehen die Vision eines guten Lebens, wie sie kraftvoller nicht sein könnte. Nicht nur wir, die wir uns in der Gemeinschaft der Kirche verbunden fühlen, sehnen uns nach einem solchen guten Leben, sondern, davon bin ich überzeugt, die Welt sehnt sich danach, viele Menschen, die den Kontakt zur Kirche verloren haben, sehnen sich danach. Diese Vision eines guten Lebens, die vom Pfingstgeist ausgeht, ist die einzige wirklich tragfähige Antwort auf alle manchmal bangen Fragen nach der Zukunft der Kirche.

Sie ist das, was Jesus uns hinterlassen hat, als er seine Jünger leiblich verlassen hat, als er ihnen Mut zugesprochen und Orientierung gegeben hat für ihren Weg mit Gott durch die Zeit. Der Tröster, hat er ihnen gesagt, „der Heilige Geist, den mein Vater senden wird in meinem Namen, der wird euch alles lehren und euch an alles erinnern, was ich euch gesagt habe.“ Und dann hat er noch gesagt: „Liebt ihr mich, so werdet ihr meine Gebote halten.“ Und sie steigt schon auf vor unseren Augen, die Vision des guten Lebens, die uns den Weg weist. Im Zentrum steht Jesus Christus selbst.

Es ist ein Leben aus dem Vertrauen. Ein Leben aus der Gewissheit, dass wir getragen und geborgen sind bei Gott in guten und in schweren Tagen. Kein Glaube der Welt schützt vor Unwägbarkeiten und Tiefschlägen. Aber wir wissen, dass wie nie tiefer fallen können als in seine Hand, weil er seinen Engeln befohlen hat, dass sie uns behüten auf allen unseren Wegen.

Es ist ein Leben aus der Liebe. Im Gebet, im Hören auf die biblischen Worte, im Wahrnehmen unserer Mitmenschen, wird sie immer wieder neu, die Liebe. Und macht selbst vor den Feinden nicht halt. Führt uns an die Seite der Schwachen und Verletzlichen: der Obdachlosen, der Pflegebedürftigen, der Flüchtlinge, die im Mittelmeer zu ertrinken drohen. Wir merken, wieviel glücklicher es macht, mit den anderen Menschen zu leben als gegen sie.

Es ist ein Leben aus der Vergebung. Wir hören auf, mit dem Finger auf die anderen zu zeigen und nehmen unser eigenes Versagen wahr. Wir wagen, auf unsere eigenen dunklen Seiten zu schauen, weil wir uns der Liebe und Barmherzigkeit Gottes sicher sind. Wir lernen zu vergeben, weil wir merken, wie sehr wir selbst auf Vergebung angewiesen sind.

Es ist ein Leben aus der Hoffnung. Aus der Gewissheit, dass Hass, Leid und Unrecht nicht das letzte Wort ist. Dass diese Welt nicht in eine Katastrophe mündet, sondern in einen neuen Himmel und eine neue Erde, in dem alle Tränen abgewischt sind und in dem alles neu wird.

Es ist ein Leben im Horizont der Ewigkeit. Der Tod hat seine Macht verloren, weil Christus das Dunkel des Todes mit den Menschen geteilt hat. Und auferstanden ist und uns alle mit nimmt ins Licht. Vorbei die Macht des Todes! Wir brauchen keine Angst mehr zu haben. Wir sind wie neue Menschen.

Das, liebe Gemeinde, ist die Vision eines guten Lebens, die wir heute mit dem Rückenwind von Pfingsten wieder mit in unsere Häuser nehmen dürfen. Ein jeder und eine jede von uns persönlich. Und wir als die große Gemeinschaft der Kirche, um die wir uns oft so viele Sorgen machen.

Dabei brauchen wir doch nur auf das hören, was Jesus seinen Jüngern mitgegeben hat: „Es ist noch eine kleine Zeit, dann sieht die Welt mich nicht mehr. Ihr aber seht mich, denn ich lebe, und ihr sollt auch leben.“ Ja, sie wird leben, die Kirche Jesu Christi, wirklich leben, nicht bloß ein bisschen dahinvegetieren oder ihre wie auch immer große Mitgliederkartei pflegen oder um ihre Relevanz kämpfen! Sie wird wirklich leben und den Geist der Kraft, Liebe und der Freiheit spüren und ausstrahlen, der ihr verheißen ist. Sie wird leben, weil Jesus Christus in ihr wirkt. Weil der Heilige Geist, der Tröster, der Geist der Wahrheit in ihr wirkt. Weil sie aus dieser Quelle heraus eine Vision des guten Lebens in sich trägt und manchmal auch ausstrahlt, die die Welt insgesamt so dringend braucht.

Lasst uns voller Zuversicht, voller Selbstbewusstsein, voller Liebe in die Welt gehen und Zeugnis davon ablegen!

Und der Friede Gottes, der höher ist als alle unsere Vernunft, bewahre Eure Herzen und Sinne in Christus Jesus.

AMEN