Richte unsere Füße auf den Weg des Friedens

Gewaltsame Konflikte und zivile Intervention an Beispielen aus Afrika - Herausforderungen auch für kirchliches Handeln. EKD-Text 72, 2002

4. Konsequenzen für kirchliches Handeln

4.1 Ökumenische Zusammenarbeit

Für die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) ist die Zusammenarbeit mit Kirchen in Kriegs- und Krisengebieten ein Schwerpunkt ihrer ökumenischen Arbeit. Nicht zuletzt auch als Auftrag und Verpflichtung, die aus der problematischen Geschichte der Kirchen in Deutschland im Umgang mit Diktatur und Krieg im Dritten Reich resultieren, pflegt die EKD z. B. enge Kontakte zu Kirchen im Gebiet des ehemaligen Jugoslawien. Sie führt Gespräche mit Kirchen verschiedener Denominationen in Äthiopien und Eritrea und unterstützt in vielfältiger Weise die sudanesischen Kirchen in ihren Bemühungen um Beendigung eines der am längsten dauernden Konflikte der Welt. Die Diakonie Katastrophenhilfe und die kirchlichen Entwicklungsorganisationen spielen in vielen Krisenregionen eine wichtige Rolle.

Zwischenkirchliche Beziehungen sind als ein wichtiger Beitrag zur ökumenischen Friedens- und Entwicklungsarbeit zu verstehen. In Kriegssituationen ist für die lokalen Kirchen und Gemeinden jeder Besuch von außen wertvoll. Jedes Gespräch, jede Möglichkeit, über die Probleme zu reden, jedes noch so kleine Zeichen der Solidarität ist wichtig. Auch Menschen in kirchenleitenden Funktionen brauchen Begegnungen, in denen sie Gelegenheit haben, über die Situation des Landes und über die schwierige Lage der Kirche zu reden. Ökumenische Zusammenarbeit in Kriegs- und Konfliktgebieten heißt auch, die Kirchenleitungen der lokalen Kirchen pastoral zu begleiten und zu stärken.

Der Beitrag der lokalen Kirchen zu Frieden und Entwicklung hängt entscheidend ab von den Kenntnissen und Einstellungen, der theologischen Bildung und der Friedensbereitschaft und ?fähigkeit der Personen, die diese Kirchen und Christenräte leiten. Ob Kirchen in gewaltsamen Konflikten zur Konfliktpartei werden und damit zum Teil des Problems, oder ob sie in der Lage sind, zu einer gewaltfreien Lösung der Konflikte und zur Versöhnung beizutragen, entscheidet sich oft auch durch die Persönlichkeit derer, die für den Kurs der Kirchen verantwortlich sind. Für theologische Gespräche, für seelsorgerliche Beratung, für Fortbildung von Bischöfen, für Meinungsaustausch unter Kirchenleitungen haben aber die kirchlichen Hilfsorganisationen weder die Mittel und das Personal noch die Zeit und das Mandat. Projektreferenten und -referentinnen von Hilfswerken sind auch kaum die ökumenischen Gesprächspartner, die sich Bischöfe wünschen für Gespräche über ihre Sorgen und Nöte, die sich aus der Fülle ihrer Aufgaben ergeben. Die Bischöfe brauchen die Solidarität von Kirchen, sie brauchen Menschen für Gespräche, denen ihre Gedanken- und Glaubenswelt vertraut ist. Sie wollen mit Geistlichen und Bischöfen aus anderen Ländern und Kirchen über ihre Erfahrungen und Probleme reden, nicht mit Entwicklungsfachleuten. Dies ist um so wichtiger in Konflikten, in denen Religion ein wichtiger Faktor der Legitimation der Gewaltanwendungen oder einer radikalen Identitätspolitik ist.

Für den Erfahrungs- und Gedankenaustausch, für gegenseitige seelsorgerliche Beratung und Begleitung gibt es bisher auch unter Friedensbedingungen in der Ökumene nicht ausreichend viele Möglichkeiten. Krieg und gewaltsame Konflikte erschweren solche Kontakte schon wegen der äußeren Bedingungen für Begegnung. Deshalb ist es wichtig, dass sich außer dem ÖRK auch Kirchen und regionale kirchliche Zusammenschlüsse engagieren.

Aus der bitteren Erfahrung des Nationalsozialismus und der Weltkriege haben die Kirchen in Deutschland vielleicht mehr als andere Kirchen gelernt, wie schwer die Leitung der Kirche in einem Kontext von Krieg und Gewalt ist und wie leicht Kirche mitschuldig werden kann an Staatsterror, Mord und Krieg. Menschen wie Dietrich Bonhoeffer konnten sich dem nationalistischen Sog auch deshalb entziehen, weil sie in einem ökumenischen Kontext gelebt haben mit vielen ökumenischen Besuchen und Kontakten. Diese Erfahrungen sind heute auch ein Auftrag, Kirchen und Kirchenleitungen in Kriegsgebieten zu unterstützen und die ökumenischen Kontakte aufrecht zu erhalten.

Solche ökumenischen Besuche sind nicht einfach. Manche Kirchen haben große Schwierigkeiten, über parteiische und nationalistische Sichtweisen hinaus zu kommen. Vor allem bei zwischenstaatlichen Konflikten ist die nationale Verbundenheit und Identität auch von Kirchenführern und Christen oft stärker als der gemeinsame christliche Glaube und der gemeinsame Wille zu Frieden und Versöhnung.

In Äthiopien und Eritrea z. B. gelang es trotz einer norwegisch-deutschen Initiative kirchlicher Hilfswerke bisher nicht, die Kirchen beider Länder zu einem gemeinsamen Handeln für Frieden und Versöhnung zu bewegen. Zwar waren Kirchenvertreter aus beiden Ländern bereit, sich zu Gesprächen außerhalb ihrer Länder zu treffen. Diese Gespräche zeigten jedoch deutlich, dass es bei diesem zwischenstaatlichen Konflikt den Kirchenführern kaum gelingt, überparteiische Standpunkte einzunehmen. Beide Seiten haben den Konflikt ähnlich wie ihre jeweiligen Regierungen interpretiert und wollten oder konnten deren Vorgehen nicht kritisieren. Noch schwieriger ist die Situation, wenn Religion zu einem wichtigen Faktor partikularistischer Identitätsbildung in einem innerstaatlichen Konflikt wird. Auch hier fällt es den Führern und Vertretern von Religionen und Konfessionen oft sehr schwer, sich der Konfliktdynamik zu entziehen und eine vermittelnde Rolle einzunehmen.

Für ökumenische Kontakte und für friedensfördernde Interventionen westlicher Kirchen ergeben sich dabei aber auch Risiken und Probleme: Der Appell an lokale Kirchenführer, friedensfördernd und versöhnend zu handeln und zu sprechen, wird von diesen oft mit dem Hinweis zurückgewiesen, dass die kulturelle und politische Situation von außen nicht verstanden werde, die Aggressivität der anderen Konfliktpartei unterschätzt würde. Eine unkritische ökumenische Solidarität mit diesen Kirchen, die oft mit finanzieller Unterstützung einhergeht, würde die lokalen Kirchen in einem virulenten gesellschaftlichen Konflikt stärken und könnte damit zu einer Verstetigung oder Verschärfung des Konfliktes beitragen, wenn diese Unterstützung nur einer bestimmten gesellschaftlichen Gruppe zugute käme. Dieser Gefahr kann auch damit begegnet werden, dass ökumenische Gespräche und Vermittlungsmissionen in Krisensituationen in enger Zusammenarbeit mit ökumenischen Organisationen wie dem ÖRK oder regionalen kirchlichen Zusammenschlüssen durchgeführt und die eigenen Bemühungen mit ihnen koordiniert werden. Die Zusammenarbeit in der ökumenischen Gemeinschaft der Kirchen basiert auf der gemeinsamen Überzeugung, dass die Gewaltanwendung in Konflikten nicht dem Willen Gottes entspricht. Sie darf nicht mit dem christlichen Glauben legitimieren werden.

Zur Unterstützung der ökumenischen Zusammenarbeit, für den Informationsaustausch und für politische Lobbyarbeit richteten europäische kirchliche Entwicklungsorganisationen gemeinsam mit den Kirchen im Sudan einen „Sudan Focal Point Europe“ mit Sitz in Hildesheim ein. 1999 wurde in Nairobi ein „Sudan Focal Point Africa“ eingerichtet, der gemeinsam mit Sudan Focal Point Europe die ökumenischen Aktivitäten zum Sudan unterstützt. Für die kirchliche Friedensarbeit wie für die EKD sind solche Einrichtungen und Netzwerke wichtig: sie vertiefen ökumenische Bindungen und ermöglichen einen schnellen Informationsaustausch über die Situation vor Ort und die Aktivitäten der lokalen Kirchen sowie eine Einschätzung der politischen Entwicklungen. Sie schaffen damit eine solide Grundlage für die politische Lobbyarbeit der europäischen Kirchen im ökumenischen Rahmen.

Oft haben Kirchen in Nachbarländern mehr Chancen, auf Kirchen in Ländern mit gewaltsamen Konflikten friedensfördernd einzuwirken. In Ostafrika z. B. hat sich dafür die Gemeinschaft von Kirchen und Christenräten im Gebiet der großen Seen und am Horn von Afrika (FECCLAHA) gebildet. Sie gibt ihren Mitgliedern aus Ruanda, Burundi, Kongo, Uganda, Kenia, Tansania, Sudan, Äthiopien und Eritrea ein Forum, sich gegenseitig über ihre Situation und ihr gesellschaftliches Engagement zu informieren und ihr Friedens- und Versöhnungsengagement zu beraten. Einen ähnlichen Zusammenschluss gibt es auch in Westafrika. Der kirchliche Entwicklungsdienst und Diakonie Katastrophenhilfe, die beide in der Regel nicht selbst operational tätig werden, sondern die Arbeit von lokalen Partnerorganisationen und Kirchen unterstützen, sind bei ihrer Arbeit in Konfliktregionen darauf angewiesen, dass diese Partnerorganisationen und die Kirchen dazu in der Lage sind, friedensfördernde Maßnahmen zu initiieren und sie mit Unterstützung der Hilfswerke selbständig durchzuführen. Deshalb ist es für die Kirchen und ihre Hilfswerke sinnvoll, regionale Zusammenschlüsse von Kirchen und Christenräten zu unterstützen, die nationale und ethnische Verengungen ihrer Mitgliedskirchen bearbeiten können. Darüber hinaus ist es wichtig, die ökumenische Zusammenarbeit mit Kirchen in Kriegsgebieten durch Informationsaustausch und politische Lobbyarbeit in Europa zu unterstützen.

4.2 Lobbyarbeit und Dialog mit Politik und Wirtschaft

Auch auf der nationalen und internationalen Ebene können Kirchen einen wichtigen Beitrag zur Konfliktbewältigung leisten. So gehört die Beobachtung der Friedensverhandlungen und die Vermittlung von Positionen der lokalen Bevölkerungen an die Verhandlungsparteien zu den Aufgaben der Christenräte im Sudan, die dabei von europäischen Kirchen und Entwicklungseinrichtungen unterstützt werden. Diese wiederum versuchen, über ihre Regierungen den internationalen Druck auf die Verhandlungsparteien zu verstärken.

Vor allem Kirchen in Industriestaaten können u. a. ihre Dialoge mit der Wirtschaft verstärken und dabei die Fragen aufgreifen, die sich aus der Integration von lokalen Kriegsökonomien in den Weltmarkt ergeben. Dieser Aspekt muss auch in der Kontroverse um die Globalisierung mitbedacht werden. Sinnvoll wäre auch hier eine Art „Public-Private-Partnership“ (PPP). Dabei geht es nicht wie sonst bei PPP darum, wirtschaftliche Aktivitäten und Investitionen zu fördern. Sondern im Gegenteil sollten sich Regierungen und Wirtschaftskräfte unter Einbeziehung zivilgesellschaftlicher Kräfte und der Stimme der Kirchen gemeinsam dazu verpflichten, wirtschaftliches Handeln zu beschränken oder ganz einzustellen, wenn es lokale Kriegsökonomien fördert und damit zur Verlängerung oder Intensivierung gewaltsamer Konflikte beiträgt. Es ist nicht nur der Handel mit Waffen, sondern auch der Handel mit Diamanten, Mineralien, die Förderung von Erdöl und vieles mehr, das die gewaltsame Austragung von Konflikten verschärfen und verlängern kann. Die in Afrika entstandenen Kriegsökonomien vernichten durch die rücksichtslose Ausbeutung der natürlichen Ressourcen auch die langfristigen Entwicklungschancen der Menschen. Angesichts der Beteiligung von Unternehmen in Europa und in den USA an diesen Geschäften ist die Politik gefordert, entsprechend Einfluss zu nehmen. Auch die Kirchen in Europa und den USA sollten auf der Basis der Informationen, die sie von Partnerkirchen in Ländern mit gewaltsamen Konflikten erhalten, den Dialog mit Wirtschaftsvertretern suchen. Denn oft haben die Unternehmen derartige Informationen nicht oder nur geschönt und gefiltert durch ihre Wirtschaftspartner vor Ort, die selbst Kriegspartei sind. Oft sind sich deshalb die Unternehmen der Auswirkungen ihres Handelns auf das Konfliktgeschehen nicht bewusst. Die Kirchen sollten in Gesprächen mit Vertretern der Wirtschaft auf ein verantwortungsvolles wirtschaftliches Handeln in Kriegsgebieten und Ländern mit gewaltsamen Konflikten hinwirken. Entsprechende Gespräche gibt es unter anderem mit Firmen, die z. Z. an der Ölförderung im Sudan beteiligt sind sowie bei regelmäßigen Kontakten mit dem UN Sonderberichterstatter für Menschenrechte im Sudan.

4.3 Entwicklungszusammenarbeit und Katastrophenhilfe in gewaltsamen Konflikten

Die Entwicklungszusammenarbeit, auch die der Kirchen, sieht sich heute vor die Aufgabe gestellt, eine spezifische Politik der Krisenprävention und Konfliktbearbeitung zu verfolgen, statt sich auf die zivilisierende Wirkung von Entwicklung und Demokratisierung zu verlassen.

Ein erhebliches Maß an konzeptioneller Arbeit und Phantasie wird dieser Aufgabenstellung zur Zeit auf nationaler (AA, BMZ) und internationaler Ebene (EU, UN) gewidmet. Auch Nichtregierungsorganisationen und insbesondere Kirchen und kirchliche Entwicklungsorganisationen engagieren sich in zunehmendem Maße auf diesem Gebiet. Dabei bekennen sich beide – die staatlichen wie die nichtstaatlichen Agenturen und Organisationen – zu der Notwendigkeit, bisherige Erfahrungen kritisch zu reflektieren und in der konzeptionellen Arbeit zu berücksichtigen.

Dem Lernen sind jedoch Grenzen gesetzt. Sie liegen zum einen in dem von außen schwer zu durchschauenden Konfliktgeschehen selbst. Zum zweiten liegen sie in den oben dargestellten ethischen Dilemmata und Zwängen einer externen Hilfe. Und drittens liegen sie in der weiterhin mangelnden Kohärenz demokratischer Außen-, Außenwirtschafts-, Sicherheits- und Entwicklungspolitik. Diese manifestiert sich in innerbürokratischen Rivalitäten, wie denen zwischen Auswärtigem Amt und Entwicklungsministerium, und ordnungspolitischen Widersprüchen, wie dem zwischen Krisenprävention und Konfliktbearbeitung auf der einen Seite, der unzureichenden Kontrolle von Gewaltmärkten auf der anderen.

Humanitäre Hilfsorganisationen und Entwicklungsagenturen sind von der gegenwärtigen Konfliktdynamik unmittelbar betroffen. Während die für langfristige Entwicklungszusammenarbeit verfügbaren Mittel seit Jahren rückläufig sind, steigt der Anteil an öffentlichen Mitteln für humanitäre Hilfe in Kriegs- und Krisensituationen. Gleichzeitig haben in den 1990er Jahren die Erfahrungen mit internationalen Friedensmissionen deutlich gemacht, dass innergesellschaftliche Kriege mit den konventionellen Mitteln der internationalen Politik und Diplomatie allein nicht bewältigt werden können. Dieses wird auch und gerade dort deutlich, wo es um die Konsolidierung von Friedensabkommen mit Hilfe der Entwicklung neuer Lebensperspektiven und der Einrichtung demokratischer Herrschaftsstrukturen und Prinzipien auf der Grundlage allgemein geteilter Werte und Normen geht. Das unterstreicht die Wichtigkeit nichtstaatlicher Hilfe und Vermittlung, aber auch die Schwierigkeiten, vor die sie gestellt sind.

Bei der Beendigung von Gewalt und der Konsolidierung von Friedensabkommen haben lokale und internationale zivilgesellschaftliche Akteure neben der Politik und der internationalen Diplomatie eine bedeutende Rolle zu spielen. Wichtigstes Ziel ist in diesem Zusammenhang die Herausbildung einer „Kultur der gewaltlosen Konfliktaustragung“. Lokale Kirchen und die weltweite ökumenische Gemeinschaft der Kirchen, kirchliche Entwicklungsorganisationen, humanitäre Hilfswerke und Friedensdienste müssen hierzu einen Beitrag leisten, wollen sie nicht in die Situation geraten, dauerhaft mit inadäquaten Mitteln in chronischen humanitären Krisen Überlebenshilfe liefern zu müssen, während gleichzeitig die Kriegsakteure ihre Interessen verfolgen.

Da Gewaltanwendung und Hilfe in gewaltsam ausgetragenen Konflikten sich gegenseitig stabilisieren können, weil jeder Transfer von Ressourcen in eine Konfliktregion direkt oder indirekt zum Teil auch der Finanzierung und Ausstattung der Kriegsparteien dient, müssen sich Hilfswerke verstärkt darum bemühen, den Ressourcentransfer in Konfliktregionen genau zu kontrollieren und je nach Zweck zu differenzieren. Diese Strategie wird sowohl von Nichtregierungsorganisationen als auch von Regierungsorganisationen vermehrt praktiziert.

Eine andere Schwierigkeit der konstruktiven Konflikteinmischung entsteht dadurch, dass Nothilfeorganisationen in der Regel sehr kurzfristig und schnell agieren müssen. Vor allem wenn sie dabei selbst operativ sind, ist es nicht leicht, von außen die kulturspezifischen Eigenheiten des Konfliktgeschehens zu verstehen und Konsequenzen für die Intervention daraus zu ziehen. Ähnlich gilt das auch für zivile Friedensdienste. Unter dem Zeitdruck, schnell reagieren zu müssen, besteht die Tendenz, statt sich auf angemessene Analysen einzulassen, Standardversionen des Konfliktverhaltens anzuwenden, die westlichem Denken entspringen aber oft nicht den Gegebenheiten vor Ort entsprechen. Das bedeutet, dass Veränderungen im Konfliktgeschehen, die möglicherweise von entscheidender Bedeutung für Vermittlungsbemühungen sind, von außen nicht erkannt werden. International Alert, eine Londoner NRO, die sich um die Vermittlung in Konflikten bemüht, zieht hieraus den Schluss, dass nur ein langfristiges Engagement in Verbindung mit kontinuierlicher wissenschaftlicher Begleitung die Chance einer konstruktiven Einflussnahme eröffnet.

Der Ansatz der kirchlichen Hilfswerke Diakonie Katastrophenhilfe und Caritas International Deutschland, wo immer möglich durch lokale Partner des internationalen kirchlichen humanitären Hilfsnetzwerkes ACT und / oder durch lokale Partner der kirchlichen Entwicklungszusammenarbeit zu arbeiten, sollte gestärkt und unterstützt werden, auch wenn diese Arbeitsweise auf dem Spendenmarkt wenig populär ist. Gegenüber der Öffentlichkeit und der Bundesregierung muss das Prinzip der Neutralität der humanitären Hilfe verteidigt werden.

In Bezug auf Ressourcenzuflüsse in Konfliktregionen und ein zu oberflächliches Engagement der Hilfsagenturen bestehen durchaus Korrekturmöglichkeiten, wenn auch nur in bestimmtem Rahmen. An der grundsätzlichen Problematik, dass die Hilfsorganisationen – NRO und staatliche Organisationen – sich wie Marktteilnehmer verhalten müssen, wird sich schwerlich etwas ändern lassen. Bei einer sachkundigen und kritischen Öffentlichkeit könnten sich die Marktzwänge jedoch auch heilsam auswirken. Deshalb gehört zu den Bemühungen, eine Kultur der friedlichen Konfliktregelung zu verbreiten, auch die Erziehung der hiesigen Öffentlichkeit zu einem kritisch-solidarischen Umgang mit der Hilfe. Das betrifft zum einen die Spenden an Hilfsorganisationen, zum anderen die Kontrolle der politischen Institutionen, über die öffentliche Mittel an Hilfsorganisationen und in Konfliktgebiete abfließen.

Hierzu gehört, dass die Organisationen immer besser verstehen lernen, was Konflikte treibt und wo die Chancen, aber auch die Grenzen eines externen Engagements liegen.

Davon abgesehen ist auch die Frage der Legitimation von Nichtregierungsorganisationen differenzierter zu stellen als dies bei den häufig überzogenen Erwartungen an die Zivilgesellschaft geschieht. Auch nicht demokratisch legitimierte Akteure können einen demokratisierenden Effekt haben, wenn sie als Teil eines Systems von „checks and balances“ wirken, in dem politische und wirtschaftliche Macht öffentlicher Kontrolle unterworfen ist. Die Hilfsorganisationen dürfen sich allerdings nicht an die Stelle staatlicher Stellen setzen. Zwar scheint es angemessen, unsere Vorstellungen von Staatlichkeit aus den engen Fesseln des westlichen Denkens zu lösen. International tätige Nichtregierungsorganisationen sollten sich jedoch hüten, dem Aufbau eigener Hilfenetzwerke Priorität vor dem Aufbau öffentlicher Einrichtungen zu geben, wie dies in einigen Fällen geschehen ist. NRO können demokratisierend wirken, aber demokratische Strukturen nicht ersetzen.

Die dargelegten Probleme erfordern von den Organisationen der kirchlichen Entwicklungszusammenarbeit und von Organisationen der humanitären Hilfe eine Überprüfung ihrer Arbeit. Zum einen kommt es darauf an, Arbeitstechniken und Verhaltensweisen des Personals unter Berücksichtigung bisheriger Erfahrungen durch Ausbildung und Schulung zu verbessern. Zum andern sind aber auch Strukturprobleme der Hilfe anzugehen, um nichtbeabsichtigte Wirkungen zu minimieren. Diese Strukturprobleme sind zwar letztlich nicht völlig lösbar, weil sie in der Logik der Hilfe selbst liegen. Durch verbesserte Koordination zwischen öffentlichen und privaten Instanzen sowie (und vor allem) zwischen den Hilfsorganisationen selbst kann es aber gelingen, diese Strukturprobleme zumindest zu mildern. Wir denken hier nicht an Absprachen zur Aufteilung von Hilfsmärkten, sondern an die wechselseitige Abstimmung der Vorgehensweise in den einzelnen Konfliktarenen. Nur so kann den Konfliktparteien die Fähigkeit, die Hilfsorganisationen direkt oder indirekt gegeneinander auszuspielen und damit für die eigenen Zwecke zu instrumentalisieren, genommen werden.

Die Fähigkeit staatlicher und gesellschaftlicher Institutionen und Gruppen, Konflikte gewaltfrei auszutragen, hängt in entscheidendem Maße von der internen Souveränität und Legitimität eines Staates und seiner Organe ab. Souveränität und Legitimität sind dann gegeben, wenn staatliches Handeln sich auf einen vom überwiegenden Teil der Bevölkerung getragenen Konsens über die Natur und den Zweck des Staates und die Funktionen seiner Einrichtungen stützen kann.

Institutionen und Mechanismen für die gewaltfreie Austragung von Konflikten müssen auf vier gesellschaftlichen und politischen Ebenen etabliert werden:

  • auf der lokalen Ebene, wo Menschen mit den konkreten Auswirkungen von Krieg und Gewalt konfrontiert werden,
  • auf der mittleren, innergesellschaftlichen Ebene (innerstaatliche Regionen und Verwaltungseinheiten),
  • auf der nationalen (staatlichen) Ebene, und schließlich
  • auf der zwischenstaatlichen Ebene.

Kirchliche Entwicklungszusammenarbeit hat vor allem auf lokaler und mittlerer gesellschaftlicher Ebene die sehr günstige Ansatzpunkte, zu einer Kultur friedlicher Konfliktaustragung beizutragen. Dabei haben nicht-staatliche Träger der Entwicklungszusammenarbeit komparative Vorteile gegenüber staatlicher Hilfe. Hier können sie am ehesten dazu beitragen, den gesellschaftlichen Konsens über jene Werte und Normen herzustellen, die das Zusammenleben der Bürgerinnen und Bürger und die Beziehung zwischen ihnen und dem Staat regulieren; denn dieser Konsens muss von unten her aufgebaut werden.

Die Fähigkeit staatlicher Behörden, mit Konflikten gewaltfrei umzugehen, kann nur in Wechselwirkung mit der entsprechenden Fähigkeit gesellschaftlicher Kräfte gestärkt werden. Auf lokaler Ebene verfügen zivilgesellschaftliche Strukturen über ein hohes Potential für Konfliktmanagement und Krisenprävention, das es auch für den Aufbau öffentlicher Kapazitäten auf diesem Gebiet zu nutzen gilt.

Die kenianischen Kirchen haben seit Beginn der 1990er Jahre durch eine intensive staatsbürgerliche Bildungsarbeit maßgeblich den gewaltlosen Übergang von einem Einparteiensystem zu einem Mehrparteiensystem unterstützt. Durch ihr Programm zur bürgerlichen Erziehung zur Demokratie, durch schnelles Reagieren, Analysen von lokalen politisch motivierten Gewalttaten, durch das Aufdecken von Hintergründen und die entsprechende Informationsarbeit wurde der Kenianische Kirchenrat zu einer wichtigen gesellschaftlichen Einrichtung, die durch ihre Arbeit erheblich zur Deeskalation der gewaltsamen Austragen der gesellschaftlichen Konflikte im Umfeld der Wahlen beigetragen hat.

Die Kirchen im Sudan koordinieren ihre Friedensinitiativen unter dem Dach des Nationalen Christenrats Sudan Council of Churches (SCC) in den regierungskontrollierten Gebieten und im New Sudan Council of Churches (NSCC) für die Gebiete, die nicht von der sudanesischen Regierung kontrolliert werden. Die Kooperation der beiden Christenräte funktioniert trotz der schwierigen äußeren Umstände gut. Damit ist auch eine wichtige Voraussetzung gegeben zu einer engen Zusammenarbeit mit Kirchen in Europa und für eine wirkungsvolle politische Lobbyarbeit. So schlugen 1993 südsudanesische Kirchenvertreter auf einer internationalen Tagung der Gemeinsamen Konferenz Kirche und Entwicklung (GKKE) in Bonn vor, eine breitangelegte Konferenz zu organisieren, auf der die Menschen im Südsudan ihre Angelegenheiten und ihre Zukunft miteinander beraten können. Die kirchlichen Entwicklungswerke in Deutschland griffen diese Anregung auf. Es erwuchs daraus eine Zusammenarbeit für Frieden und Versöhnung, die zu wichtigen Versöhnungsprozessen, zu gemeinsamer Friedenserziehung und zur Friedens- und Versöhnungskonferenz von Wunlit (1999) geführt hat. Auf dieser Versammlung versöhnten sich die verfeindeten Volksgruppen der Nuer und der Dinka und einigten sich auf die sofortige Beendigung aller feindlichen Handlungen 24. Dieser „People to People“- Friedensprozess des NSCC wird durch ähnliche Versammlungen auch für andere Gebiete und Volksgruppen fortgeführt.

4.4 Ziviler Friedensdienst

In den letzten Jahren wurde insbesondere von kirchlicher Seite an der Einführung eines „zivilen Friedensdienstes“ und an der Ausbildung von Friedensfachkräften gearbeitet. Gemeint ist damit in erster Linie, friedensfördernde Maßnahmen in Ländern mit gesellschaftlichen Konflikten durch die Vermittlung und die Entsendung von besonders ausgebildeten Personen zu unterstützen. Von kirchlichen Friedensinitiativen sowie von den kirchlichen Entwicklungseinrichtungen ist dieses Anliegen aufgenommen worden. Sie entsenden „Friedensfachkräfte“ vor allem für Versöhnungs- und Trauma- Bearbeitung nach gewaltsamen Konflikten. Aber auch zur Bearbeitung von gesellschaftlichen Konflikten zur Vermeidung einer gewaltsamen Austragung sowie vereinzelt zur Unterstützung bei der Bewältigung noch andauernder gewaltsamer Konflikte, z. B. in Flüchtlingslagern im Sudan werden Friedensfachkräfte auf Anforderung von lokalen Kirchen und Nichtregierungsorganisationen eingesetzt. Auch im Rahmen der staatlichen Entwicklungszusammenarbeit wurde im Jahre 2000 ein ziviler Friedensdienst eingerichtet. „Ziviler Friedensdienst“ wird als zusätzliche Chance bei einer insgesamt friedensfördernd ausgerichteten Entwicklungszusammenarbeit gesehen.

Dabei sind sich die Organisationen, die Einsätze für den „ziviler Friedensdienst“ durchführen, bewusst, dass niemand den Frieden für andere machen kann. Frieden muss von innen, aus der jeweiligen Gesellschaft heraus, wachsen. Maßnahmen von außen können deshalb nicht zum Ziel haben, „Frieden zu schaffen“. Das gilt für staatliches Handeln ebenso wie für das kirchliche Engagement. Von nicht-staatlichen Organisationen werden Personen für den zivilen Friedensdienst nur dann entsandt, wenn eine Anforderung durch Beteiligte oder Betroffene in der lokalen Zivilbevölkerung und durch eine Partnerorganisation vorliegt. Vermittlung lässt sich im zivilgesellschaftlichen Kontext nur begrenzt als Handlungsfeld planen. Anders als im diplomatisch / politischen Raum verfügen zivilgesellschaftliche Akteure nicht über Anreiz- oder Sanktionsmittel, die bewirken, dass sich die Konfliktparteien auf Vermittlungsaktivitäten einlassen. Deshalb ist es für den zivilen Friedensdienst ein vorrangiges Ziel, lokale friedensbereite Kräfte zu stärken, damit diese sich entfalten und schließlich auch gestaltende Kraft entwickeln können. Oft sind solche Friedensaktivitäten von außen nicht erkennbar, da sie vor allem in der Anfangsphase im Verborgenen oder unter anderen Bezeichnungen durchgeführt werden müssen.

Von externen Akteuren erfordert die Förderung von Friedensprozessen ein hohes Maß an Sensibilität, die Fähigkeit, sich auf andere Gesellschaften, Kulturen und Zukunftsentwürfe einzulassen. Eine formale Qualifizierung als „Friedensfachkraft“ durch eine Mediatoren-Ausbildung in Europa ist sicher nicht ausreichend, im konkreten Fall konstruktiv Friedensarbeit leisten zu können. Externes Personal muss in besonderem Maß das Vertrauen der lokalen Bevölkerung gewinnen. Doch können externe Friedensfachkräfte insbesondere in post-konfliktiven Situationen sowohl durch das erworbene Fachwissen als auch durch eine externe unvoreingenommene Sichtweise sowie durch die Tatsache, keiner der verfeindeten Gruppen zuzugehören, zur Versöhnung einen wichtigen Beitrag leisten. Die Friedensforschung hat gezeigt, dass das Risiko zum Ausbruch von gewaltsamen Konflikten insbesondere dort sehr hoch ist, wo es bereits früher zu Gewalthandlungen kam. Deshalb hat der Einsatz von Friedensfachkräften im Rahmen lokaler ziviler Friedens- und Versöhnungsaktivitäten in post-konfliktiven Situationen auch präventiven Charakter. Bei all diesen Chancen muss aber sorgfältig darauf geachtet werden, dass mit der Einrichtung eines „zivilen Friedensdienstes“ nicht zu hohe Erwartungen in Bezug auf Einsatzmöglichkeiten in allen Phasen von Konflikten verbunden werden.

Nicht nur die gegenwärtigen politischen Auseinandersetzungen, sondern auch frühere politische Konflikte in Zimbabwe machen den Bedarf an ziviler Konfliktbearbeitung deutlich. Im Süden Zimbabwes leiden Menschen bis heute an den Folgen des sogenannten Matabeleland-Konflikt. Die Gewalthandlungen dieses Konflikts wurden zwischen 1982 und 1987 ausgetragen, sie belasten und erschweren aber bis heute das Zusammenleben erheblich.

Nachdem die Unabhängigkeit erreicht war, wurde der Machtkampf der konkurrierenden politischen Gruppen ZANU und ZAPU als ethnischer Konflikt zwischen Shona und Ndebele gewaltsam ausgetragen. Dabei verübte die Regierungsarmee (vorwiegend Shona) unvorstellbare Massaker an der Minderheitsethnie der Ndebele. Nach Schätzungen wurden mehr als 20.000 Menschen ermordet. Diese Verbrechen wurden nie verfolgt, noch heute leiden viele Überlebende unter körperlichen und seelischen Folgeschäden.

Die Zimbabwe Human Rights Association (ZimRights) hat es sich zur Aufgabe gemacht, in den Distrikten Nkayi und Lupane das Schweigen über diesen Konflikt und seine Folgen zu brechen und Opfer des Konfliktes bei der Bearbeitung ihres Traumas zu unterstützen. ZimRights hat den Weltfriedensdienst (wfd) um personelle und finanzielle Unterstützung gebeten. Eine Friedensfachkraft des wfd arbeitet bei ZimRights mit. Um langfristige Verständigungs- und Versöhnungsprozesse anzustoßen und das Zusammenleben der verschiedenen Ethnien wieder zu ermöglichen, veranstaltet ZimRights zusammen mit kommunalen Verwaltungen und traditionellen Führern Trainingsmaßnahmen für gewaltfreie Konfliktbewältigung. Auch ein Austauschprogramm zwischen Jugendlichen aus Matabeleland und aus Shona-Provinzen fördert das Verständnis füreinander und die Versöhnung. In ihrer Lobbyarbeit setzt sich ZimRights bei Regierungsstellen für die Verbesserung der sozialen und ökonomischen Situation ein. Auf diese Weise kann ein ziviler Friedensdienst mit unspektakulären Maßnahmen zur Aufarbeitung von Traumata und zu Frieden und Versöhnung beitragen [25].

Ein ziviler Friedensdienst muss ebenso wie die kirchliche Entwicklungsarbeit nach dem Prinzip des geringsten Eingriffs und dem Grundsatz der Hilfe zur Selbsthilfe gestaltet werden. Andernfalls bestünde das Risiko, dass durch Maßnahmen externer Akteure die eigenen Initiativen in den von Konflikten betroffenen Gesellschaften geschwächt werden. Zudem sind Aktivitäten zur Friedensschaffung in Konfliktsituationen hoch politisch und werden von den Kriegsakteuren in der Regel mit allen Mitteln unterbunden oder für eigene Zwecke genutzt, ohne dass dies externen Akteuren auf Anhieb erkennbar wird.

Die meisten gegenwärtigen Konflikte sind innergesellschaftliche Konflikte, in denen die jeweiligen Regierungen eine der Konfliktparteien bilden. Einem zivilen Friedensdienst, der nur dann zum Einsatz kommen kann, wenn die Bundesregierung diesen Einsatz unter den Rahmenbedingungen der üblichen diplomatischen / außenpolitischen Beziehungen beschließen kann, werden unnötige Fesseln angelegt. Zivilgesellschaftlich verantwortete und getragene Friedensarbeit, die der zivile Friedensdienst leisten soll, muss auch möglich sein, wenn die Bundesregierung offiziell solche Maßnahmen nicht beschließen kann oder will. Diese Problematik wird besonders deutlich, wenn die Bundesregierung die Zustimmung des Partnerlandes und damit der „Partnerregierung“ als eine Bedingung nennt für den Einsatz von Friedensfachkräften. Sie würde damit diesen Einsatz von einer, nicht immer demokratisch legitimierten, Konfliktpartei abhängig machen.

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