Soziale Dienste als Chance

5. Was zu tun ist

(92) Die Erschließung neuer Beschäftigungspotentiale in den sozialen Diensten ist möglich. Sie ist erforderlich um Arbeitslosigkeit abzubauen und dringende Bedarfe im Bereich der sozialen Dienste zu decken. Zukunftsweisende, politische Anstrengungen in dieser Richtung sind der Mühe wert, weil damit zugleich gesellschaftlicher Zusammenhalt gefördert wird.

Defizite in den sozialen Diensten bestehen insbesondere

  • in einem die Betroffenen einbeziehenden Umgang mit Behinderten,

  • bei der Integration von Langzeitarbeitslosen und langjährigen Sozialhilfeempfängern in den Arbeitsmarkt,

  • bei der Ganztagsbetreuung von Kindern,

  • bei der Betreuung und Pflege im Alter.

Um soziale Dienste auszubauen, bedarf es der gemeinsamen Anstrengung aller Beteiligten, der Veränderung der Rahmenbedingungen und institutioneller Reformen. Das heißt insbesondere:

  • Der aktivierende Sozialstaat muss die Möglichkeiten der sich entwickelnden Zivilgesellschaft nutzen. Initiativen auf lokaler Ebene, Einbeziehung der Betroffenen und freiwillige Arbeit tragen zur Weiterentwicklung sozialer Dienste bei. Allerdings: Die Zivilgesellschaft ist kein Ersatz für den Sozialstaat, Freiwilligenarbeit keine Lösung staatlicher Haushaltsprobleme.

  • Soziale Dienste sollten in einem Geist der solidarischen Mitmenschlichkeit und Barmherzigkeit erbracht werden, der eine Trennwand zwischen Helfer und Hilfeempfänger erst gar nicht entstehen lässt.

  • Bei der Weiterentwicklung sozialer Dienste bleibt  Wettbewerb unverzichtbar.

  • Wettbewerb im Bereich sozialer Dienste ist ohne Qualitätsstandards nicht möglich. Diese müssen sich an der Interessenlage der Nutzer sozialer Dienste orientieren. Sie sollten Spielräume für Innovationen enthalten.

  • Finanzierung und Erstellung sozialer Dienste sind zu trennen.

  • Die Erstellung sozialer Dienste ist in mehrjährigem Rhythmus unter Angabe zielorientierter Qualitätskriterien auszuschreiben.

  • Die Professionalisierung sozialer Dienste hat sich bewährt. Allerdings ist es notwendig, in höherem Umfang Differenzierungen von einfachen Hilfstätigkeiten bis zu hoch professionellen Tätigkeiten zuzulassen.

  • In den sozialen Diensten kann und sollte mehr Raum für einfache Tätigkeiten geschaffen werden.

  • Suche nach einsatzbereiten Menschen, Förderung von Engagement und Qualifizierung von Hauptamtlichen, Freiwilligen, aber auch anderen Bürgerinnen und Bürgern im Hinblick auf ihre soziale Kompetenz sind notwendige Voraussetzungen für den Ausbau sozialer Dienste.

  • Die Bindung der Entgeltstruktur an den öffentlichen Tarif hat sich nicht bewährt. Für soziale Dienste sollte ein eigenes Tarifsystem geschaffen werden. In diesem Tarifsystem sollte der Leistungsbezug ausgebaut, die Altersabhängigkeit beseitigt und die Bindung an die Ausbildungsabschlüsse deutlich vermindert werden.

  • Wenn gleichzeitig Raum für Teilzeitarbeit und niedrige Qualifikationen geschaffen wird, sind nicht existenzsichernde Einkommen unvermeidbar. Unabhängig von der Entwicklung sozialer Dienste ist eine nicht diskriminierende Kombination von Erwerbs- und Transfereinkommen notwendig, deren konkrete Ausgestaltung weiterer differenzierter Überlegungen bedarf.

  • Die mengenmäßige Beschränkung (Rationierung) sozialer Dienste ist in einer demokratischen Gesellschaft keine angemessene Lösung. Die notwendige Versorgung muss für jeden Bürger zugänglich sein. Nicht alle sozialen Dienste müssen aber öffentlich finanziert werden. Klare Abgrenzungen helfen bei der Erschließung privater Nachfrage.

  • Das Engagement der Bürger in der Zivilgesellschaft zeigt sich auch in der Mobilisierung von Spenden und Stiftungen zum Ausbau sozialer Dienste. Auch die Möglichkeiten des Sponsoring sind nicht ausgeschöpft.

  • Die Kirche steht vor der Aufgabe, den religiösen Begründungszusammenhang sozialer Arbeit und deren gesellschaftlichen Kontext neu zu beschreiben und ihr spezifisches Profil wiederzugewinnen. Wichtig ist aber insbesondere die Zusammenarbeit zwischen Diakonie, Kirche und Gemeinde.

(93) Das Ziel ist klar: Es geht darum, die Gesamtheit sozialer Dienste so umzugestalten, dass der Ausbau möglich wird, der angesichts zunehmender Bedarfe erforderlich ist. Dies muss zugleich ein Beitrag zur Lösung der Beschäftigungsprobleme, insbesondere bei einfacher Arbeit sein. Eine solche Reform wird den Zusammenhalt der Gesellschaft stärken und durch Nutzung der bewahrenden Ressourcen in der Gesellschaft Menschen dazu anregen, ihren Beitrag zu leisten. Es geht um mehr Eigenverantwortung. Es geht um die Stärkung und Aktivierung von Familien, sozialen Netzen, Vereinen, Nachbarschaften, um nur einige zu nennen. Gerade moderne Gesellschaften brauchen das Miteinander. Die Zivilgesellschaft ist mehr als der Sozialstaat, sie ist aber auch auf den Sozialstaat angewiesen. Gerade als evangelische Christen müssen wir lernen, dass Dienen an unserem Nächsten zur nachhaltigen Entwicklung unserer Gesellschaft dazu gehört, dass es Menschen aktiviert, dass es Menschen Arbeit gibt.

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