Soziale Dienste als Chance

1. Dienstleistungsdefizite trotz hoher Arbeitslosigkeit

(1) Die Bundesrepublik Deutschland leidet seit mehreren Jahrzehnten an einer unannehmbar hohen Arbeitslosigkeit. Viele Jahre sind verstrichen, ohne dass es in hinreichendem Umfang gelungen wäre, Arbeitsfelder, in denen Bedarf an zusätzlicher Arbeit vorhanden ist, für Arbeitslose attraktiver zu machen und sie dazu zu befähigen.

(2) In allen modernen Gesellschaften ist die Beschäftigung in den Dienstleistungen kräftig gewachsen. Die Entwicklung bei den konsum- und produktionsorientierten Diensten wird in der öffentlichen Diskussion wahrgenommen. Die Lage in den Humandienstleistungen, bei den Diensten für den Menschen, wird häufig übersehen, obwohl gerade hier mit der Erschließung von Beschäftigungspotentialen der Abbau von Versorgungsdefiziten erreicht werden kann.

(3) Der Sprachgebrauch in Bezug auf Humandienste ist nicht einheitlich. In dieser Studie wird der Begriff „Humandienste“ umfassend verwendet. Zu den Humandiensten gehören Bildungsaktivitäten, soziale Dienste und Gesundheitsleistungen, aber auch vielfältige Tätigkeiten im Sport- und Freizeitbereich, wobei es zahlreiche Überschneidungen zwischen all diesen gibt. Im Mittelpunkt der Studie stehen die sozialen Dienste, die insbesondere Betreuung in vielen Lebenslagen und Pflege umfassen. Zwischen „Diensten“ und „Dienstleistungen“ soll kein Unterschied gemacht werden.

(4) Trotz der etablierten, gut ausgebauten Arbeit der Träger der Freien Wohlfahrtspflege - darunter auch Diakonie und Caritas als kirchliche Dienstleister - gibt es in Deutschland einen Nachholbedarf an sozialen Dienstleistungen. Die zunehmende Erwerbstätigkeit von Frauen, die Flexibilisierung des Arbeitsmarktes, die demographische Entwicklung und veränderte Familienstrukturen haben die Nachfrage nach sozialen Dienstleistungen verändert. Der Arbeitsgesellschaft geht keineswegs die Arbeit aus, im Gegenteil, es liegt viel Arbeit gerade im Bereich sozialer Dienste brach. Und es ist nicht zu verstehen, dass dieser Bereich weiterhin unterversorgt bleiben soll. Ein Zuwachs an Arbeitsplätzen ist auch und gerade im Bereich der Humandienstleistungen möglich - man denke nur an den Hauswirtschaftsdienst. In einigen Arbeitsbereichen wie Pflege und Medizin ist in einigen Regionen schon heute ein Mitarbeitermangel zu beobachten.

(5) Dennoch ist im Bereich der Humandienste und auch bei den sozialen Diensten eher eine Stagnation zu beobachten. Einer der Gründe hierfür liegt darin, dass die Finanzierung der sozialen Dienste durch die Systeme der Sozialversicherungen, die im Wesentlichen aus Abgaben auf die menschliche Erwerbsarbeit finanziert werden, an ihre Grenze gestoßen ist. Die Lohnnebenkosten belasten die Arbeit in hohem Maße. Eine wichtige Rolle spielt aber auch die Tatsache, dass die Vergütungen nach dem derzeitigen Tarifsystem des öffentlichen Dienstes in vielen Bereichen auf dem privaten Markt zu Preisen führen, die in der Regel nicht bezahlt würden und die sich viele auch nicht leisten könnten.

(6) Gefragt sind innovative Konzepte, welche Versorgungsdefizite abbauen, die Selbsthilfepotentiale der Gesellschaft einbeziehen und mehr Beschäftigung ermöglichen. Ziel dieser Studie ist, die hier liegenden Probleme nachzuzeichnen, Lösungsmöglichkeiten aufzuzeigen, Vorschläge für eine Neuorientierung zur Diskussion zu stellen und auf diese Weise gesellschaftliche Entwicklungen anzustoßen.
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