Erfahrungsbericht zum Schwerpunktthema „Auf dem Weg zu einer Kirche der Gerechtigkeit und des Friedens“ der EKD-Synode 2019 in Dresden

Oberstleutnant Mathias Meierhuber

Mathias Meierhuber

Liebe Schwestern und Brüder!

Die Friedensarbeit der Bundeswehr

Karsamstag 2017: binnen 14 Stunden werden 1181 Menschen gerettet. Wir befinden uns im Mittelmeer zwischen Libyen und Italien.

Die Retter sind die Soldaten des Tenders Rhein.

100m lang mit einer Stammbesatzung von etwa 100 Soldaten.

Ihr Einsatzauftrag: die Bekämpfung von Schleuser- und Schmugglernetzwerken im Rahmen der Europäischen Operation Sophia.

Gemessen an der Zahl, der durch die Bundeswehr aus Seenot geretteten war der Karsamstag 2017 einer der Höhepunkte der vierjährigen Operation Sophia, an der neben dem Tender Rhein auch die Fregatten Augsburg, Mecklenburg-Vorpommern, sowie andere Schiffe der Bundeswehr beteiligt waren. In ihrem Verlauf wurden 50 000 Menschen durch europäische Streitkräfte gerettet. Etwa 22 500 Menschen durch die Bundeswehr. [WDR MONITOR 21.02.2019]                     

Die Rettung in Seenot geratener Menschen ist natürlich nicht das vorrangige Ziel von Streitkräften. Daher stelle ich zunächst die limitierenden und fundamentalen Rahmenbedingungen für die „Friedensarbeit der Bundeswehr“ dar.

Die Bundeswehr ist eine Parlamentsarmee.

Die freie Wahl ermöglicht den Wahlberechtigten eine Einflussnahme auf die Regierungs- und Oppositionsarbeit.

Die Bundeswehr führt als Exekutivorgan der Bundesrepublik Deutschland rechtmäßige Aufträge aus. Daher ist jede Friedensarbeit der Bundeswehr ein Teil der Friedensarbeit der Bundesrepublik Deutschland, eingebettet in die Außen- und Sicherheitspolitische Strategie der Bundesregierung.

Das Weißbuch 2016 erläutert dazu:             

„Die objektive Richtschnur für die Formulierung unserer nationalen Interessen bilden

  • die Werteordnung des Grundgesetzes, insbesondere die Menschenwürde und die sonstigen Grundrechte, Demokratie, Rechtstaatlichkeit sowie
  • die Bestimmungen des europäischen Rechts und des Völkerrechts, insbesondere zum Schutz universaler Menschenrechte und zur Wahrung des Friedens.“ [Weißbuch 2016]

Das Fundament der nationalen Interessen bilden also Recht und Gesetz. Wenn Soldaten für diese Interessen eingesetzt werden und kein persönliches Versagen vorliegt, ist ihr Handeln im juristischen Sinne richtig. Dies gilt im Besonderen, wenn im Extremfall Menschen zu Schaden kommen oder ihr Leben verlieren.

Die Bundeswehr ist im internationalen Umfeld, außerhalb Deutschlands, das primäre Exekutivorgan, das die deutschen Interessen verteidigt und durchsetzt.

Das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland regelt dies in Paragraph 87a.

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Lassen Sie mich eine persönliche These aufstellen:

„Als Christ trete ich für eine Welt ohne Gewalt ein, für eine friedliche Welt. Und doch bin ich mit einer unfriedlichen Wirklichkeit konfrontiert, mit Konflikten, Gewalt und Kriegen.

Daher bedeutet "Frieden zu schaffen", "pacem facere" - "Pazifismus", Verantwortung für den Frieden zu übernehmen.

Im Einzelfall kann, ja muss legitime Gewalt als ultima ratio dem Rad des Bösen in die Speichen fallen.

Ohne legitime Gewalt, ohne das Gewaltmonopol des Staates, zerfällt die Zivilgesellschaft, zerbricht der Frieden, beginnt die Herrschaft der Starken über die Schwachen.

Der Abbau von Exekutivorganen kann daher nur in einem von langer Hand angelegten und weltweiten Friedensprozess auf allen Seiten, bei staatlichen wie nicht-staatlichen Akteuren, erfolgen.

Dennoch ist die beachtenswerte und auch erstrebenswerte Friedenslogik nach Frau Hanne-Margret Birckenbach eine realistische und zukunftsfähige Perspektive.

Sie bedarf aber des gemeinsamen Willens und des gegenseitigen Vertrauens. Darüber hinaus erfordert sie ethisch integre und außenpolitisch erfahrene Akteure ohne verborgene Machtinteressen auf allen Kommunikationsebenen.“

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Nach dieser Hinführung in das Thema, nun zur Frage nach der tatsächlich geleisteten Friedensarbeit der Bundeswehr:

Am 12. November 1955 erhielten die ersten Soldaten der Bundeswehr ihre Ernennungsurkunden. Morgen sind es 64 Jahre Frieden in Deutschland. Ein Frieden, für den auch die Bundeswehr Verantwortung trägt.

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Das Zusammenwachsen von Ost und West wurde nach dem Mauerfall 1989 auch dadurch unterstützt, dass junge Männer aus Ostdeutschland im Rahmen der Wehrpflicht mit ihren westdeutschen Kameraden gemeinsam ausgebildet wurden. Latente wie auch offene Feindbilder und Vorurteile wurden abgeschafft. Im Rahmen der Stationierung haben junge Menschen die jeweils fremde Hälfte der Bundesrepublik Deutschland kennengelernt. Ein System, das seit 1956 dazu beitrug, dass junge Männer aus dem Süden den Norden der Republik kennenlernten und umgekehrt.

Auch heute und in Zukunft werden deutsche Soldaten ohne Unterscheidung von Geschlecht, Hautfarbe, sexueller Orientierung oder Religion gemeinsam ausgebildet und eingesetzt. Die Kameradschaft, die im gemeinsamen Dienen entsteht, kann gesellschaftlich zu einem friedlichen Miteinander in Deutschland beitragen. Radikalismus und Hass haben in der Bundeswehr keinen Platz – wir gehen entschieden und transparent dagegen vor.

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Legt man den Paragraphen 87 a des Grundgesetzes sehr eng aus und beschränkt sich auf den ersten Satz,

 „Der Bund stellt Streitkräfte zur Verteidigung auf“,

wären am Karsamstag 2017 binnen 14 Stunden 1181 Menschen ertrunken.

1962 wären in Hamburg mehrere Tausend Menschen gestorben. Damals war der Einsatz der Bundeswehr zur Katastrophenhilfe noch ein Verstoß gegen das Grundgesetz. Im Nachgang wurde die Katastrophenhilfe explizit erlaubt. Heute ist sie gerade bei Hochwassern zu einer regelmäßigen Hilfsleistung geworden. Zum inneren Frieden hat die Hilfe 1962 mit Sicherheit ebenso beigetragen, wie die Hilfe bei der Oderflut im Jahr 1997.

Zum Glück für alle betroffenen Menschen darf die Bundeswehr auch über die reine Verteidigung hinaus eingesetzt werden. Das Grundgesetz lässt dies ausdrücklich zu.

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Im Ausland war die Bundeswehr seit 1960 an mehr als 130 humanitären Hilfseinsätzen beteiligt. In knapp 60 Jahren sind das durchschnittlich mehr als 2 humanitäre Hilfseinsätze pro Jahr.

[Quellen: https://bw-feldpost-portal.de/Chronik-der-Hilfseinsaetze-1960-2005; https://de.wikipedia.org/wiki/Auslandseins%C3%A4tze_der_Bundeswehr#Abgeschlossene_Einsätze]

Soldaten werden darauf vereidigt, der Bundesrepublik Deutschland treu zu dienen – auch unter Einsatz von Leib und Leben. Eine große Zahl der Soldaten ist für Einsätze kurzfristig verfügbar – und daher wird die Bundeswehr eben auch für humanitäre Einsätze oft gewählt.

Bei den Beispielen, die ich im Folgenden nenne, ist es mir wichtig, dass es keinen Wettkampf um den besten Friedensarbeiter oder humanitären Helfer gibt. Jede Organisation, die dem Frieden dient, ist wichtig.

Eine Organisation die humanitäre Hilfe besser oder ökonomischer als die Bundeswehr leisten kann, sollte bevorzugt genutzt werden – solange sie der Bundesrepublik Deutschland vorbehaltlos zur Verfügung steht und sich an Recht und Gesetz hält.

Als 1976 sechshundert deutsche Soldaten zur Katastrophenhilfe im norditalienischen Erdbebengebiet Friaul eingesetzt wurden, waren sich die Einheimischen sicherlich noch des Partisanenkampfes im Jahr 1944 bewusst. Mit Recht wird darauf verwiesen, dass Deutschland und die Deutschen Streitkräfte im zweiten Weltkrieg große Schuld auf Deutschland geladen haben, die als außenpolitische Dimension bis heute nachwirkt. Aber wie 1980 im Erdbebengebiet
Materdomini können die eingesetzten deutschen Soldaten eine veränderte Wahrnehmung der Bundesrepublik Deutschland als friedlichen Nachbarn bewirken.

Beim Hilfseinsatz 1988 in Namibia gab es erneut historische Verflechtungen. Der Einsatz von Bundeswehrsoldaten im Rahmen der Vereinten Nationen war noch umstritten und die sichtbare Truppe vor Ort wurde durch Bundespolizisten gestellt. Im Hintergrund hat die Luftwaffe Versorgungsgüter für den Hilfseinsatz transportiert.

Die Luftwaffe war diese kontinent-übergreifende Hilfe bereits durch die Hilfeleistungen 1960 in Marokko, 1965 in Algerien oder 1984 in Äthiopien gewohnt.

Als 1990, nach der Wiedervereinigung und vor der Ratifizierung des Zwei-plus-Vier-Vertrages, deutsche Soldaten zur Erdbebenhilfe in den Iran verlegten, gab es erneut Diskussionen.

Kritische Diskussionen sind gut – aber am besten weit im Vorfeld eines Notfalls und nur, wenn es eine handlungsfähige Alternative gibt.

Zur Erläuterung nationaler Interessen ungeeignet, aber eine persönliche Maxime für mich als Christen finden wir in Jakobus 4 Vers 17: „Wer Gelegenheit hat, Gutes zu tun, und tut es trotzdem nicht, der wird vor Gott schuldig.“ [Hoffnung für Alle] Ein Ertrinkender braucht einen Rettungsring, keine Grundsatzdiskussion.

Und damit sind wir bei der Marine, die ab 1990 im Mittelmeer und später im Persischen Golf mit bis zu 500 Soldaten, sieben Schiffen und 5 Luftfahrzeugen internationale Seestraßen von Minen befreit und gesichert hat, sodass Güter und Passagiere ungefährdet transportiert werden können. Diese Seestraßen werden überwiegend zivil – nicht zuletzt von internationalen Hilfsorganisationen genutzt.

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Zu der Geschichte internationaler Friedenseinsätze gehört aber auch, dass diese unter dem Eindruck der Massaker 1994 in Ruanda und 1995 in Srebrenica zu einer Neuausrichtung geführt haben. Das Blaue Barett der Soldaten konnte dem Morden nicht Einhalt gebieten. Internationale Hilfsorganisationen mussten ohnmächtig zusehen oder fliehen.

In den folgenden Jahren wurde durch robuste Mandate in vielen Einsatzgebieten der Waffengebrauch zur Durchsetzung des Einsatzauftrags explizit erlaubt. Wo Unrecht herrscht, tragen die Waffen neutraler Kräfte zur Sicherheit bei, sie trennen Konfliktparteien, schützen Schwache und verhindern sinnloses Morden. Während sieben Einsatzverwendungen unter robustem Mandat habe ich dies persönlich erlebt, wenn die Waffen nach objektiven Einsatzgrundsätzen durch entschlossene Soldaten geführt werden. Und dann haben diese Waffen zumindest regional und temporär offene Feindseligkeit verhindert. – Aber Waffen können keine unerreichbaren politischen Ziele militärisch herbeizwingen. Das Primat der Politik ist gefordert, die politischen Ziele mit den geeigneten Mitteln zu erreichen.

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Der persönliche Einsatz der Soldaten geht oft über die reine Auftragserfüllung hinaus, wie ich Ihnen an zwei Beispielen zeigen werde:

Im Kosovo wie in Afghanistan erlebte ich, dass Soldaten Produkte gekauft haben, die in Witwenhäusern gefertigt wurden. Durch den Kauf der Waren wird den Frauen ein würdiges Leben von eigener Hände Arbeit ermöglicht. Solche Projekte werden von Hilfsorganisationen begonnen und durch die Finanzkraft der vor Ort befindlichen Soldaten essentiell unterstützt.

Seit ihrer Aufstellung unterstützt die Bundeswehr den Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge bei seiner Arbeit. Soldatinnen und Soldaten erhöhen durch das Pflegen der Soldatengräber im In- und Ausland ihre interkulturelle Kompetenz.

Sie entwickeln durch die Auseinandersetzung mit der Vergangenheit in Form der Kriegsgräberfürsorge ein angemessenes Traditionsverständnis und können erkennen, dass das Vermächtnis von Millionen Toten der Kriege und der Gewaltherrschaft alle Völker zu Verständigung und Frieden mahnt. Die Kriegsgräberfürsorge ebnet den Weg zu den ehemaligen Gegnern und ist einer der Ankerpunkte in der Tradition der Bundeswehr. [A-2640/24]

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Nachdem ich nun ausführlich über die Friedensarbeit der Bundeswehr gesprochen habe, möchte ich zum Abschluss die Bedeutung der Militärseelsorge für den Frieden hervorheben.

Soldaten erhalten durch die Teilnahme am Lebenskundlichen Unterricht, die für alle Soldaten verpflichtet ist, entscheidende Impulse zur Gewissensbildung eines Waffenträgers. Die Militärpfarrer erreichen alle Soldaten und können einen offenen Gedankenaustausch über ethische Grundfragen führen.

Soldaten erleben durch die Militärseelsorge die gelebte Ökumene der beiden großen Konfessionen. Sie versöhnt viele überzeugte Christen in Uniform mit „ihrer“ Kirche, wenn vereinzelte Aussagen offizieller Amtsträger die Brüder und Schwestern in der Bundeswehr verschrecken.

Vor allem stellt Sie aber die Hirten, die die gefleckte Herde durch die Dornen begleitet. Während eines 4-monatigen Einsatzes 2003 in Afghanistan durfte ich bei 4 Erwachsenentaufen und einer kirchlichen Hochzeit deutscher Soldaten beiwohnen.

Wenn Soldaten sich unter erheblicher Bedrohung für Leib und Leben im Einsatzland befinden und von engagierten Seelsorgern begleitet werden, dann lernen sie oft zu beten. Das kann prägend für das weitere Leben sein und schockierenden Einsatzerfahrungen diametral entgegenwirken.

Und auch wenn Einsätze der Bundeswehr natürlich nicht aus diesem Grund beschlossen werden, so erlauben Sie mir zum Abschluss noch einmal eine ganz persönliche Aussage: „Kann es für einen Christen eine größere Friedensarbeit als die bewusste und überzeugte Taufe eines neuen Christen geben!“ Denn: „Christus ist unser Friede.“ Epheser 2 Vers 14.

Vielen Dank.