Grußwort des Deutschen Evangelischen Kirchentags zur EKD-Synode 2022

Generalsekretärin Dr. Kristin Jahn

Dr. Kristin Jahn

Dr. Kristin Jahn, Generalsekretärin des Deutschen Evangelischen Kirchentags

- unredigierte Fassung -

Es gilt das gesprohene Wort

Grußwort des Deutschen Evangelischen Kirchentags

Hohe Synode, liebe Schwestern und Brüder,

ich freue mich sehr, dass ich heute kurz zu Ihnen sprechen kann. Es war eigentlich verabredet, dass Thomas de Maizière, unser Präsident für den 38. Deutschen Evangelischen Kirchentag, hier steht und beginnt und ich dann beende. Aber wir sind beim Kirchentag so was von klimaneutral, dass wir jede Dienstreise mit der Bahn machen, und das beschert uns manchmal auch Verspätungen. So ist es im Leben.

Wir stehen als Kirchentag vor großen Veränderungen, unabhängig davon, was wir in Nürnberg im Angebot und im Programm haben. Wir stehen als Kirchentag in einer Zeit der Chance und Unsicherheit. Wir leben in unsicheren Zeiten, der Wind hat sich für uns alle gedreht. Das merken wir. Das Christentum liegt unter der 50-Prozent-Marke. Das Christentum ist für viele nur noch eine Option. Dass sich der Wind gedreht hat, merken wir auch daran, dass mit einem Bürgerbegehren verhindert werden soll, dass der Kirchentag 2027 in Düsseldorf stattfindet. Es ist nicht mehr bei allen gut gelitten, dass eine Stadt Geld für einen Kirchentag ausgibt. Das ist so.

Wir befinden uns zweitens in einer weltpolitischen Situation, die von Inflation geprägt wird. Uns als Kirchentag wird klar, dass die Kassenlage klammer wird.

Darüber hinaus sind wir in einer Situation, in der Sitte und Tradition nicht mehr der Zugangs- weg sind – weder zur Kirche noch zum Kirchentag.

Wer kauft noch ein Ticket bei uns, ohne dass er Helfender, Mitwirkender oder Ehrengast ist? Das ist eine Frage, der wir uns in Zukunft stellen werden. Das sind Analysen, die wir uns in den letzten Monaten gegönnt haben. Wir werden darauf reagieren.

Für uns heißt das, mit all dem umzugehen. Diese Krisenzeiten sind große Chancen für uns, weil auch etwas Neues aufbrechen kann. Ich sage immer: Wenn etwas bricht, entsteht ein Riss. Durch den Riss kann ein Licht und Neuanfang überhaupt erst möglich werden.

Kirchentag selber ist mal aus einer Krisenzeit entstanden, in einer Zeit, in der sich die verfassten Kirchen im Nationalsozialismus schuldig gemacht haben. Reinold von Thadden hatte die Vision: Wir machen das mit der Kirche anders. Wir Laien, wir einfachen Christen müssen uns mündig machen. Wir warten nicht, bis der Arzt kommt, wir bilden uns selber eine Meinung über das, was in der Bibel steht und was das für uns Christen in der Welt heißt.

Kirchentag ist aus einer Krisenerfahrung entstanden. Von Thadden hat auch gesagt: Wir können das Evangelium ja nicht delegieren, das gehört in unser Herz hinein. Ich sage immer: Das Glaubensbekenntnis beginnt mit einem Ich und nicht mit einem Wir; wir machen das so, weil das im Gesetz XY steht. Diese Mündigkeit ist für uns im Kirchentag nach wie vor Ziel.

Kirchentag hat sich in den 70er/80er Jahren so aufgestellt, dass er in einer Zeit, in der Amtskirchen eher noch monolithisch verfasst waren, zur Plattform wurde, wo man vieles ausprobieren konnte, eine Möglichkeit, sich zu beteiligen. Wir haben Mitwirkungsmöglichkeiten und Beteiligungsformate beim Kirchentag geschaffen. Der Kirchentag wurde zur Experimen- tierfläche für die Gemeinden vor Ort, für Kirche an sich, und er hat immer gezeigt: Kirche kann auch anders. Die vorläufige Kirche, so hat es Harry Schroeter-Wittke mal gesagt.

Heute stellen wir fest: Beteiligen können sich Ehrenamtliche vor Ort in der Kirchengemeinde genug. Manchmal geht es gar nicht mehr ohne. Das ist nicht unbedingt unser Auftrag. Bildung auf einem Kirchentag zu bieten, ist vielleicht auch nicht unbedingt das, was es braucht. Bildung und Wissen finde ich zuhauf im Netz. Vernetzen können wir uns auch so.

Deshalb ist uns für die Zukunft der Kirchentage die Frage wichtig: Was ist unser Allein- stellungsmerkmal? Was können nur wir als kirchliche Großveranstaltung? Wir sagen: Wir wollen Menschen versammeln, die aus Hoffnung heraus in der Gesellschaft zupacken. Wir wollen auch dieses spirituelle Moment beim Kirchentag wieder stärken. Kirchentag hat die Kraft dafür, eine Herberge zu sein für die Suche nach der Antwort auf die Frage: Wo finde ich Halt? Wie wollen wir in Zukunft zusammenleben? Was ist, wenn der Wagen bricht? Was ist unser Auftrag als Christen in der Welt?

Kirchentag bietet Gemeinschaft und Vergewisserung. Wir haben uns vorgenommen, dass wir auf diese Parameter in Zukunft achtgeben. Wir wollen auch Tankstelle für den Einzelnen bei seiner Suche nach Gott sein, in seiner Glaubensbiografie, ein Leuchtfeuer für die Kirche im Land, für den Einzelnen, für die Gemeinden und auch ein Ort, wo gesellschaftspolitische Verantwortung von Christen deutlich wird.

Nach vorne hin werden wir beim Kirchentag einiges verändern, inhaltlich und strukturell. Wir werden klarer im Profil, schärfer im Programm und effizienter in unseren Strukturen. Wir werden das aus den oben genannten Gründen tun müssen, weil sich die Zeiten geändert haben, weil das Geld nicht mehr so fließen wird, wie es in den letzten 20, 30 Jahren geflossen ist.

Wichtig ist für uns: Wir tun das nicht, weil wir irgendwie systemrelevant sein wollen, wir tun das, weil für uns etwas relevant ist, was unfassbar ist. Nenn es Gott, nenn es Himmel. Wir planen eine kirchliche Großveranstaltung, weil wir glauben, dass es das in der säkularen Welt immer mehr braucht – die Stimme der Hoffnung und den Ort der Gemeinschaft, der gemein- samen Feier.

Kürzlich wurde ich in einem Zeitungsinterview gefragt: Die Zeichen der Zeit zu deuten, ist ja spannend, aber was kann ein Kirchentag schon bewirken? Ich habe gesagt: Er macht Denk- räume auf, Begegnungsräume. Er verschachert aber nicht das Evangelium. Er lässt die Botschaft leuchten. Er lässt die Botschaft leuchten, dass wir Gott mehr gehorchen müssen als den Menschen. Dann fragte der Journalist: Na ja, Nürnberg. Die Stadt zeigt ja eines: Es gibt immer weniger Kirchenmitglieder. Wird denn vom Kirchentag ein missionarischer Impuls ausgehen? Da habe ich gesagt: Wieso? Kirchentag missioniert nicht. Das ist nicht unser Job. Wir können auch nicht den Mitgliederschwund der Kirchen aufhalten. Aber Kirchentag bietet Austausch, Suche und gemeinsames Bekenntnis, und das fröhlich, frei und unverschämt. Dann fragte der Journalist: Fürchten Sie denn keinen Besucherschwund, so wie die Theater etc. pp.? Ich habe gedacht: Meine Güte! Wo kommen wir denn aus der Negativschleife mal raus? Ich habe gesagt: Nein, wir fürchten nichts außer Gott. Was denn sonst? Dann gab es die vierte schwarze Frage: Was haben Sie den Pessimisten entgegenzusetzen?

Das war die Stelle, an der ich gedacht habe: Gleich schenke ich dem Mann eine Kerze, den Spruch: „Mache dich auf, werde Licht“ und 100 Streichhölzer. – Das habe ich nicht gesagt.

Aber was habe ich dem Mann gesagt? Was haben wir den Pessimisten entgegenzusetzen? Mut und Dankbarkeit – Dankbarkeit für alles, was geht. Ich finde manchmal, das könnten wir als Christen noch irgendwie ausbauen; wir haben immer so eine Meckerkultur. Na ja, gut. Punkt – Ende.

Schließlich fünfte und letzte Frage, und da habe ich gedacht, jetzt geht es echt nicht mehr: Kirchentag als Mutmacher in einer Zeit der Depression, woher nimmt er die Kraft? Von Gott. Woher denn sonst, ihr Lieben? Wo sollen wir denn sonst die Kraft hernehmen? Egal, wie es in Zukunft wird, ich sage mir für den Kirchentag: Wir werden mit den Mitteln arbeiten, die wir haben. Wir werden keine offenen Rechnungen stellen, und wir werden die Situation so, wie sie ist, anpacken und feiern.

Warum erzähle ich Ihnen das? Dieses Interview hat für mich noch mal sehr schön deutlich gemacht, in welcher Situation wir gerade alle sind, wir als Kirchentag, als Großveranstaltung, aber auch die einzelne Kirchengemeinde. Ich habe diesen Jammerton satt. Es mag ja sein, dass wir alle vor großen Herausforderungen stehen, aber wir warten nicht auf das Paradies, wir packen an. So wie es wird, ist es gut. In dieser Haltung sind wir beim Kirchentag unterwegs.

Jetzt möchte ich meinem Präsidenten das Wort nicht nehmen. Denn er kommt extra angereist, um Werbung für Nürnberg zu machen.