Grußwort für Jürgen Moltmann zur Feier des 95. Geburtstags am 24.10.21 in Bad Boll

Landesbischof Heinrich Bedford-Strohm, Ratsvorsitzender der Evangelischen Kirche in Deutschland

Heinrich Bedford-Strohm

Landesbischof Heinrich Bedford-Strohm, Ratsvorsitzender der Evangelischen Kirche in Deutschland

Liebe Schwestern und Brüder, lieber Jürgen,

Ich hatte gestern, bevor ich nach Bad Boll aufbrach, Gelegenheit, vormittags online an dieser Tagung teilzunehmen und habe dabei auch den Impuls von Prof. Idar Kjolsvik aus Norwegen gehört. Er hat mich sehr berührt. Er hat mich vor allem deswegen so berührt, weil er gezeigt hat, wie dein theologisches Lebenswerk mitten in Situationen des Leidens hinein, wie es die Situation nach dem schrecklichen Attentat in Kongsberg war, durch die Predigt von Bischof von Jan Otto Myrset zur Grundlage des Trostes für ein ganzes Volk werden konnte. So ist deine Theologie. Sie bleibt nicht in theologisch-philosophische Höhensphären gefangen – so sehr du auch da zu Hause bist – sondern sie spricht – getränkt durch Lebenserfahrung – mitten ins Leben hinein.

Umso mehr bin ich dankbar für diese Tagung. Und dafür, dass ich an ihr teilnehmen kann – und das nicht nur als Freund, sondern auch als Ratsvorsitzender der Evangelischen Kirche in Deutschland. In großer Dankbarkeit gratuliere ich Dir im Namen der Evangelischen Kirche in Deutschland von Herzen zu Deinem Geburtstag. Und der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz Georg Bätzing hat mir ausdrücklich aufgetragen, auch von ihm einen herzlichen Glückwunsch auszurichten. Er hat mir gestern noch Folgendes geschrieben:

„Ich habe sowohl bei meiner Diplomarbeit als auch bei der Dissertation zur Kreuzestheologie gearbeitet und dabei neben Hans Urs von Balthasar vor allem auch Jürgen Moltmanns „Der gekreuzigte Gott“ wegen seines Perspektivwechsels der Fragestellung, nämlich, was die Stellvertretung Jesu am Kreuz für Gott bedeutet, intensiv studiert. Und ich profitiere bis heute davon. Unsere Zeit ist ja mit weiten und tiefen Entwürfen des Theologischen nicht gerade gesegnet, da ist es so gut, mit dem Jubilar bis heute einen tiefgründigen Zeitgenossen zu haben, der Generationen von Theologen und Theologinnen auch im katholischen Bereich geprägt hat. Ich gratuliere von ganzem Herzen und wünsche Gottes reichen Segen für das neue Lebensjahr.“

Wie sehr Du am Wirken deiner Kirche Anteil nimmst, hast du im vergangenen Jahr nicht zuletzt dadurch gezeigt, dass Du mir immer wieder dringend eingeschärft hast, dass wir doch endlich einmal einen Nationalen Ökumenischen Gedenkgottesdienst für die Pandemieopfer halten sollten. Es hat eine Weile gedauert, um in Kirche und in der Staatsspitze dieses Anliegen in die Realität umzusetzen. Nach vielen kleineren Gedenkgottesdiensten hat im April in Berlin in Anwesenheit der gesamten Staatsspitze und vom Fernsehen live übertragen der von dir so lange geforderte Nationale Gedenkgottesdienst stattgefunden.

Für mich persönlich ist die Weggenossenschaft und dann immer mehr Freundschaft mit dir eng verbunden mit der Gesellschaft für Evangelische Theologie, bei der ich dir im Vorsitz bis zu meinem Amtsantritt als Bischof 2011 nach-nachfolgen durfte. Bei ihrer Tagung „Annahme und Widerstand“ zum Friedensthema 1981 in Arnoldshein hatte ich als Theologiestudent im 2. Semester erstmals an einer ihrer Tagungen teilgenommen. Und nach einem spontanen Redebeitrag fand ich mich nach den Wahlen plötzlich im Vorstand der Gesellschaft wieder. Dass es mir eine große Ehre war, auf diese Weise den berühmten Jürgen Moltmann kennenzulernen, kann man sich vorstellen. Und der berühmte Theologe wurde für mich immer mehr zum Menschen Jürgen Moltmann. Als ich 1984/85 in Berkeley studierte und Du gemeinsam mit Elisabeth eine Vortragsreise in die USA unternahmst, durfte ich nicht nur Eure USA-Vorträge vorab ins Englische übersetzen, sondern traf Euch beide dann auch im Speisesaal der Pacific School of Religion zum Lunch. Auch Elisabeth Moltmann-Wendel war für mich zu diesem Zeitpunkt längst ein großer Name als Nestorin der sich entwickelnden feministischen Theologie.

Vorgestern habe ich sie noch einmal im Geiste sehr lebendig vor mir gesehen. Ich saß nämlich bei einer Sitzung mit den kirchenleitenden Organen meiner Bayerischen Landeskirche in dem Saal in der Evangelischen Tagesstätte Wildbad Rothenburg, in dem wir 1989 die Tagung über „Protestantismus in der Moderne“ abgehalten haben. Es hat mich einige Überzeugungsversuche gekostet, die GET endlich einmal nach Bayern einzuladen, dessen Image bei den Vorstandsmitgliedern der GET aus Zeiten des Kirchenkampfes immer noch ziemlich viel Luft nach oben hatte. Nun waren wir also in Rothenburg auf bayerischem Boden. Und Elisabeth hielt einen Vortrag über den „Protestantischen Dienstleib“, in dem sie den patriarchalen Missbrauch des Dienstbegriffes und die damit verbundene Körperfeindlichkeit aufs Korn nahm. Ihre mit zuweilen beißender Kritik verbundene Lebendigkeit werde ich immer mit diesem Ort und dem dort gehaltenen Vortrag verbinden. Mir als dem Heidelberger Theologischen Gewächs sagte sie: „Werden se mir kein Homo Heidelbergensis.“ Wie ich im Rückblick in dieser Hinsicht in ihren Augen abschneide, das mögest du sie in meinem Auftrag mal fragen, wenn du sie in der Ewigkeit wiedersiehst, sonst tue ich es zu gegebener Zeit selbst.

Immer schon habe ich dich als jemanden erlebt, der Freude am Menschen und Freude an der Schöpfung ausgestrahlt hat. Zu deinem 70. Geburtstag habe ich dir im Auftrag der GET deswegen ein Gemälde von Joan Miro „Singender Fisch“ ausgesucht und bei einer kleinen Feer in der Biesinger Straße überreicht. Es hat mir so gut gefallen, dass ich mir selbst einen Druck davon gekauft und gerahmt habe. Es hängt noch immer neben meinem Schreibtisch und erinnert mich an Dich.

An zwei Beispielen will ich noch den biographischen Bogen beschreiben, der mir am heutigen Tage besonders vor Augen tritt.

Das eine hat zu tun mit dem Afghanistan-Krieg. Am 1. November 2001 verabschiedete der Vorstand der GET eine Erklärung, die folgende Worte enthielt:

„Die Entwicklung der Ereignisse und insbesondere die wachsende Zahl der Opfer der militärischen Aktionen veranlassen den Vorstand der Gesellschaft für Evangelische Theologie, sich öffentlich zu Wort zu melden und einen sofortigen Abbruch der Militäraktionen zu fordern. …

Von den ethischen Überzeugungen der christlichen Tradition her sehen wir uns zu diesem Appell veranlasst,

·         weil sowohl vom Standpunkt eines christlichen Pazifismus her, als auch von dem Maßstab der traditionellen Kriterien des „gerechten Krieges“ die gegenwärtigen Maßnahmen militärischer Gewaltanwendung nicht zu rechtfertigen sind

·         weil die zivilen Opfer in der Region schon jetzt jedes hinnehmbare Maß bei weitem übersteigen

·         weil der Einsatz heimtückischer Waffen wie Streubomben nicht nur jetzt unschuldiges Leben grausam tötet, sondern auch in der Zukunft für lange Zeit unverantwortliche Risiken für die Zivilbevölkerung mit sich bringt

·         weil in keiner Weise erkennbar ist, dass die völkerrechtlich legitimen Ziele, die angestrebt werden, durch die gegenwärtigen Militärmaßnahmen erreicht werden können

·         weil die Militärmaßnahmen immer mehr Menschen einem gewaltbereiten Islamismus zutreiben und die Entwicklung eines friedlichen Zusammenlebens der Religionen zunehmend erschweren

·         weil sie die Gefahr zukünftiger terroristischer Gewaltakte eher erhöhen als vermindern

·         weil sie nichts dazu beitragen, durch die Verminderung von Armut und Ungerechtigkeit den Nährboden für Fanatismus und Gewaltbereitschaft auszutrocknen.“

Ich habe bei der kurz danach stattfinden EKD-Synode im Amberg, zu der ich als theologischer Berater eingeladen war, diese Erklärung verbreitet, ohne aber eine nennenswerte Wirkung damit erzielen zu können. Genau 20 Jahre später müssen wir feststellen, dass sich die Befürchtungen unserer damaligen Erklärung bestätigt haben.

Mit einer erfreulicheren Entwicklung ist das zweite Beispiel verbunden.  Als wir im Vorstand der GET zum 50-jährigen Jubiläum der Barmer Theologischen Erklärung 1984 in Wuppertal eine große Tagung veranstalteten, brachen bei der Vorbereitung im Vorstand noch einmal die Wunden, die mit der Rolle der Lutheraner und insbesondere meines Amtsvorgängers als Landesbischof Hans Meiser bei den illegalen Landeskirchen entstanden waren, noch einmal richtig auf. Mit Bayern assoziierte man, was die Bekennende Kirche betrifft, Verrat. Der bayerische Theologiestudent hatte es schwer, durchzusetzen, dass auch die Bayerische Pfarrerbruderschaft eingeladen wurde. Als die Tagung stattfand, beeindruckte dann allerdings der bayerische Pfarrer Karl Steinbauer, der wegen seines Widerstands gegen die Nazis im Gefängnis gesessen hatte, die Versammlung nachhaltig.

30 Jahre später war meine Rolle eine andere. Als Bayerischer Landesbischof durfte ich Jürgen Moltmann zu einem Studientag der vier kirchenleitenden Organe nach Nürnberg einladen, bei dem wir über die Frage diskutierten, ob wir die BTE in die Kirchenordnung der ELKB aufnehmen wollen würden. Jürgen Moltmann hielt einen starken öffentlichen Festvortrag zum Auftakt mit dem Titel „Die Barmer Theologische Erklärung – Ein Bekenntnis?“ – und zwar am 31. Mai 2014 genau am 80. Jahrestag der Verabschiedung der Erklärung.

Die weitere Entwicklung hat Jürgen Moltmann gestern auf dem Podium schon erwähnt: Die ELKB nahm nach einem mehrjährigen Diskussionsprozess bei ihrer Synodentagung in meiner Heimatstadt Coburg 2017 die BTE in ihre Kirchenverfassung auf. So hat sich für mich der biographische Bogen zu diesem Thema in wunderbarer Weise geschlossen.

Als Freund sage ich: Lieber Jürgen, du hast einen großen Unterschied in meinem Leben gemacht!

Und als EKD-Ratsvorsitzender sage ich: ich danke Gott dafür, dass er dich uns als großen Lehrer der Kirche geschenkt hat und damit so viel Segen in so vielen Herzen, in der weltweiten Kirche und im Gemeinwesen insgesamt gewirkt hat.

Gottes möge dich mit seinem Segen auf allen deinen Wegen in der Zukunft begleiten und es Dich spüren lassen.

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