Der Störenfried Gottes
Reformierte und lutherische Christen erinnerten 2019 mit einem Karl-Barth-Jahr an den evangelischen „Kirchenvater“ des 20. Jahrhunderts
Er stellte sich gegen Adolf Hitler, protestierte gegen die Wiederaufrüstung der Bundesrepublik und warnte vor einer geistlosen Konsum-Gesellschaft. Der streitbare Schweizer Karl Barth war jahrzehntelang die mutigste und prägnanteste Stimme des Protestantismus. Vor mehr als 50 Jahren, am 10. Dezember 1968, starb der „Kirchenvater des 20. Jahrhunderts“ im Alter von 82 Jahren in seinem Geburtsort Basel.
Barth – unter anderem Theologieprofessor in Bonn, Göttingen und Münster – polarisierte sein Leben lang, vielen galt er als unbequemer Störenfried. In seinen späten Jahren warf man ihm zu wenig Distanz zum Kommunismus vor. Schweizer Politiker gingen auf Abstand. Viele erinnerten sich wieder an den jungen Barth, den unbequemen „roten Pfarrer“, der ab 1911 in der kleinen Bauerngemeinde Safenwil im Aargau Arbeiter im Kampf für bessere Arbeitsbedingungen und Löhne unterstützt hatte.
In vielen Auseinandersetzungen agierte Barth „geradezu draufgängerisch“, schrieb die Theologieprofessorin Christiane Tietz in ihrer in diesem Jahr erschienenen Biografie über den Schweizer Gelehrten: „Wenn er es für nötig hielt – und das war oft der Fall – legte er sich unerschrocken mit den politisch und kirchlich Mächtigen an.“
Am Ausbruch des Nationalismus verzweifelt
Das wohlgeordnete Weltbild von Karl Barth zerbrach zu Beginn des Ersten Weltkriegs. Der Spross einer evangelischen Theologendynastie, geboren am 10. Mai 1886, verzweifelte am Ausbruch des Nationalismus. Vor allem aber wuchs seine Skepsis gegenüber dem damals vorherrschenden Kulturprotestantismus – der bürgerlichen Theologie des 19. Jahrhunderts, die Brücken zwischen Religion und Zeitgeist schlug und zwischen Gott und Mensch vermitteln wollte.
Mit seiner 1919 erschienenen Auslegung des biblischen Römerbriefs begann eine neue Epoche der Theologie. Reformierte und lutherische Kirchen erinnern daran 2019 mit einem Karl-Barth-Jahr. Der frühe Barth habe den „unendlichen Abstand zwischen Gott und Mensch“ betont und von Gott als dem ganz Anderen gesprochen, sagte der Wiener Theologieprofessor Ulrich H. J. Körtner dem Evangelischen Pressedienst (epd). „Gegenüber heutigen Spielarten von Wellness-Religion bleibt diese Botschaft unvermindert aktuell.“
Festhalten an einem Absolutheitsanspruch des Glaubens an Jesus Christus
Aus heutiger Sicht kaum verständlich, ja geradezu borniert, erscheint Barths Festhalten an einem Absolutheitsanspruch des Glaubens an Jesus Christus. In seiner Kirchlichen Dogmatik, verfasst ab 1932, bezeichnet er vor allem nichtchristliche Religionen wie den Islam als „Unglaube“. Kritiker werfen Barth heute vor, den Anschluss an die Moderne verpasst zu haben.
Barths schroffes „Nein“ gegen jede Art von Religion, die durch Menschen erschaffen ist, erscheine heute maßlos, räumte der einstige Grandseigneur des deutschen Protestantismus, Heinz Zahrnt, ein: „Damals aber bedeutete es das energische Halt gegen alle Versuchungen, neben Jesus Christus auch noch andere Offenbarungsquellen anzuerkennen, als da waren Staat, Volk, Führer, Blut und Boden, Rasse und Nation.“
1934 wird Barth von seiner Bonner Professur suspendiert, weil er sich weigert, den Eid auf Adolf Hitler ohne einschränkenden Zusatz zu leisten. Diese Haltung mündete in die „Theologische Erklärung von Barmen“, als deren geistiger Vater Barth gilt. Historiker werten die Thesen, die am 31. Mai 1934 in Wuppertal-Barmen verabschiedet wurden, als moralische Legitimation für den Neuaufbau des deutschen Protestantismus nach dem Zweiten Weltkrieg.
In der Barmer Erklärung grenzten sich evangelische Christen von der Ideologie des Nazi-Staates ab. Das zentrale Papier des Kirchenkampfes wurde weltweit auch zum Vorbild für christliche Befreiungsbewegungen in totalitären Staaten. „Der maßgebliche Anteil Karl Barths an der Barmer Theologischen Erklärung ist unbestritten“, bekräftigt der Kirchenhistoriker Thomas Martin Schneider.
Eher unorthodoxes Familienleben
In seinem Privatleben war der Gelehrte mit der großen Brille eher unorthodox: Barth heiratete seine frühere Konfirmandin Nelly Hoffmann, mit der er fünf Kinder hatte. Doch seine 13 Jahre jüngere Sekretärin Charlotte von Kirschbaum wurde der vielleicht wichtigste Mensch in seinem Leben. Gegen alle Widerstände und moralische Empörung integrierte er „Lollo“ als Lebensgefährtin in die Familie.
Eine Studie der US-amerikanischen Barth-Forscherin Suzanne Selinger zog Charlotte von Kirschbaum vor einigen Jahren aus dem Schatten des großen Theologen. Selinger beschreibt sie als Denkerin und Feministin, die das Werk Barths wesentlich mitbeeinflusste.
„Eine theologische Ära ging zu Ende, als Karl Barth starb“
Ende März 1940 meldete sich Barth in seiner Schweizer Heimat freiwillig zum Militärdienst, bewusst nicht zum Bürodienst, sondern „mit Verpflichtung für den Kriegsfall.“ Nach dem Zweiten Weltkrieg warb er dann bei seinen Eidgenossen dafür, nicht völlig mit den Deutschen zu brechen.
„Es ist wohl nicht zu viel gesagt: Eine theologische Ära ging zu Ende, als Karl Barth starb“, würdigte ihn der evangelische Theologe Werner Thiede. Wenn er je in den Himmel kommen sollte, soll Barth einmal gesagt haben, werde er sich dort zunächst nach Mozart erkundigen. Der einstige Bundespräsident Johannes Rau gab gerne eine andere Anekdote zum Besten. So soll Barth gefragt worden sein: „Herr Professor, werden wir droben unsere Lieben wiedersehen?“ Seine Antwort: „Ja, aber die anderen auch.“
Stephan Cezanne (epd)